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Entscheidungen

OWi

Abwesenheitsverhandlung, Verlesung der Einlassung, Verlesung eines Telefonvermerks

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 11.02.2022 – 3 Ws (B) 40/22

Leitsatz des Gerichts: 1. § 74 Abs. 1 Satz 2 OWiG enthält für die Verlesung von Erklärungen des Betroffenen eine gegenüber §§ 71, 77 ff. OWiG, 250 ff. StPO spezialgesetzliche Regelung, die es ermöglicht, dass entgegen dem in § 73 Abs. 1 OWiG enthaltenen Grundsatz der Anwesenheitspflicht überhaupt ohne den Betroffenen verhandelt werden kann.
2. Eine durch den Verteidiger „namens und in Vollmacht“ des Betroffenen abgegebene Erklärung ist als solche des Betroffenen verlesbar.
3. Bei einem von einem Behördenmitarbeiter gefertigten Telefonvermerk, der ein mit einem Zeugen geführtes Telefonat zum Inhalt hat, handelt es sich nicht um ein „Zeugnis“ der Behörde nach § 256 Abs. 1 Nr. 1a StPO.


3 Ws (B) 40/22 - 122 Ss 17/22

In der Bußgeldsache
gegen pp.

wegen einer Ordnungswidrigkeit gegen das Berliner Straßengesetz

hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Kammergerichts am 11. Februar 2022 beschlossen:

1. Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 17. November 2021 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe:

Das Bezirksamt Lichtenberg von Berlin hat gegen die Betroffene wegen einer fahrlässig begangenen Ordnungswidrigkeit gegen § 14 StrG Bln eine Geldbuße von 600 Euro festgesetzt. Die Betroffene, so der Vorwurf, soll ein von ihr gehaltenes Kraftfahrzeug auf öffentlichem Straßenland abgestellt haben, obwohl es weder versichert noch zugelassen war. Nachdem die Betroffene Einspruch eingelegt und das Amtsgericht Termin anberaumt hatte, hat der Verteidiger mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2021 „namens und in Vollmacht der Betroffenen“ eine kurze Einlassung abgegeben und beantragt, seine Mandantin von der Verpflichtung des persönlichen Erscheinens zu entbinden. Dem hat das Amtsgericht entsprochen. In der Hauptverhandlung sind u.a. die Einlassung und ein Vermerk eines Behördenmitarbeiters, demzufolge der Bruder der Betroffenen im Ermittlungsverfahren geäußert habe, diese befinde sich mitsamt den Autoschlüsseln in der Türkei, verlesen worden. Hiernach ist die abwesende Betroffene zu einer Geldbuße von 500 Euro verurteilt worden. Hiergegen richtet sich ihre Rechtsbeschwerde. Sie beanstandet, weder ihre Einlassung noch der Vermerk des Verwaltungsbediensteten habe verlesen werden dürfen. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

1. Unzulässig, jedenfalls unbegründet ist allerdings die Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe unter Verstoß gegen § 250 StPO (i. V. m. § 71 OWiG) die durch den Verteidiger übersandte Einlassung der Betroffenen verlesen. Diese Beanstandung verkennt, dass das Amtsgericht nach § 74 Abs. 1 OWiG in Abwesenheit der Betroffenen verhandelt hat. § 74 Abs. 1 Satz 2 OWiG enthält hierfür eine Sondervorschrift, welche die Verlesung von Erklärungen des Betroffenen gestattet. Diese gegenüber §§ 71, 77 ff. OWiG, 250 ff. StPO spezialgesetzliche Regelung ermöglicht, dass entgegen dem in § 73 Abs. 1 OWiG enthaltenen Grundsatz der Anwesenheitspflicht überhaupt ohne den Betroffenen verhandelt werden kann.

Auch handelte es sich bei der verlesenen Erklärung um eine solche der Betroffenen. Denn der Verteidiger hatte sie „namens und in Vollmacht“ der Betroffenen und mithin als deren Vertreter abgegeben. Die Auffassung der Rechtsbeschwerde, es handele sich (nur) um eine Erklärung des Verteidigers, ist unzutreffend und eröffnet die Frage, welche (andere) Bedeutung der durch einen zugelassenen Rechtsanwalt abgegebenen Phrase, eine Erklärung werde „namens und in Vollmacht“ einer anderen Person abgegeben, zukommen soll.

2. Mit der Beanstandung, das Amtsgericht habe unter Verstoß gegen § 77a Abs. 4 OWiG eine behördliche Erklärung verlesen, dringt die Rechtsbeschwerde durch.

a) Die Verfahrensrüge teilt mit, dass das Amtsgericht eine Aktennotiz eines Mitarbeiters des Bezirksamts Lichtenberg verlesen habe, ohne dass hierüber ein förmlicher Beschluss gefasst worden sei und die Verteidigung zugestimmt habe. Nachvollziehbar schildert die Rechtsbeschwerde auch ein Verfahrensgeschehen, das eine konkludent erteilte Zustimmung als fernliegend erscheinen lässt.

b) Die mitgeteilten Verfahrenstatsachen werden durch die positive (Verlesung) und die negative Beweiskraft des Protokolls (Zustimmung und Beschlussfassung) bewiesen.

c) Die Verlesung geschah damit unter Verstoß gegen Verfahrensrecht. Zum einen bedurfte sie nach § 77a Abs. 4 Satz 2 OWiG i. V. m. § 251 Abs. 4 Satz 1 StPO eines förmlichen Beschlusses, der nach §§ 71 OWiG, 273 StPO als wesentliche Förmlichkeit ins Protokoll aufzunehmen gewesen wäre (vgl. Seitz/Bauer in Göhler, OWiG 18. Aufl., § 77a Rn. 20). Zum anderen fehlte es an der nach § 77a Abs. 4 Satz 1 OWiG erforderlichen Zustimmung des Verteidigers.

d) Zutreffend führt die Generalstaatsanwaltschaft zudem aus, dass die Verlesung auch nicht auf §§ 71 OWiG, 256 StPO gestützt werden konnte. Unanwendbar ist zunächst § 256 Abs. 1 Nr. 1a StPO, weil es sich bei einem über ein Telefonat mit einem Zeugen gefertigten Vermerk nicht um ein „Zeugnis“ der Behörde handelt. Zu denken wäre demgegenüber an die Anwendung des § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO (behördliche Erklärungen über Ermittlungshandlungen). Die Vorschrift nimmt aber Vernehmungen ausdrücklich von der Verlesbarkeit aus. Da der Vernehmungsbegriff hier mit guten Gründen weit zu fassen ist (vgl. Meyer/Goßner-Schmitt, StPO 68. Aufl., § 256 Rn. 27), konnte das Amtsgericht den behördlichen Telefonvermerk, der die Aussage eines – zudem zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten – Zeugen enthielt, auch nicht ohne Zustimmung der Verteidigung nach § 256 StPO verlesen.

3. Das Urteil beruht auch auf dem Verfahrensfehler. Denn das Amtsgericht stützt seine Einschätzung, die Betroffene sei Täterin der nach § 14 Abs. 2 BerlStrG begangenen Ordnungswidrigkeit, auf den verlesenen Vermerk (UA S. 4 oben).

4. Das Urteil war daher mit seinen Feststellungen aufzuheben, und die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht zurückzuverweisen.



Einsender: RiKG U. Sandherr, Berlin

Anmerkung:


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