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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Gesamtstrafe, schwierige Beweisführung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 19.07.2022 - 2 Ws 183/22

Eigener Leitsatz: Die Bestellung eines Verteidigers ist bei einer Straferwartung von um ein Jahr Freiheitsstrafe naheliegend. Das gilt vor allem dann, wenn das Verfahren einen gesteigerten Schwierigkeitsgrad aufweist, weil maßgebliche Bedeutung für die Überführung des bestreitenden Angeklagten ein Vergleich der vom Täter getragenen Kleidung,. wovon Bildaufnahmen einer Überwachungskameras vorhanden sind, mit bei dem Ange klagten sichergestellten Kleidungsstücken hat.


2 Ws 183/22

Oberlandesgericht Karlsruhe
2. STRAFSENAT

Beschluss

In dem Strafverfahren
gegen pp.

Verteidiger:
Rechtsanwalt Timo Kettler, Augustaanlage 14, 68165 Mannheim, Gz.: 00631/19G

wegen Diebstahls u.a.

hier: sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen die Ablehnung der Bestellung eines Verteidigers

hat das Oberlandesgericht Karlsruhe - 2. Strafsenat - durch die unterzeichnenden Richter am 19.07.2022 beschlossen:

1. Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Landgerichts Heidelberg vom 31.5.2022 aufgehoben.
2. Dem Angeklagten wird Rechtsanwalt pp. als Verteidiger bestellt.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten hieraus entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe:

Dem Angeklagten wird vorgeworfen, während seiner Beschäftigung In einem Pflegeheim die EC-Karte einer Bewohnerin entwendet und in der Folge zu fünf missbräuchlichen Geldabhebungen an Geldautomaten eingesetzt zu haben. In der ersten Instanz, in der er durch den Wahlverteidiger 40 vertreten war, wurde er deshalb vom Amtsgericht Heidelberg zu der Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Hiergegen hat nicht nur der Angeklagte, sondern auch die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt. Die Staatsanwaltschaft, die in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr beantragt hatte, erstrebt mit ihrem auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsmittel die Verurteilung des Angeklagten zu einer höheren Freiheitsstrafe. Dem Antrag des Angeklagten, ihm den in der Kanzlei des Wahlverteidigers beschäftigten Rechtsanwalt pp. beizuordnen - der Wahlverteidiger hat für den Fall der Beiordnung die Niederlegung des Mandats angekündigt -, lehnte der Vorsitzende der inzwischen zuständigen kleinen Strafkammer beim Landgericht Heidelberg mit dem angefochtenen Beschluss vom 31.5.2022 ab. Gegen diesen am 3.6.2022 zugestellten Beschluss richtet sich die am 8.6.2022 eingelegte sofortige Beschwerde des Angeklagten.

Die gemäß § 142 Abs. 7 Satz 1 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Gemäß 141 Abs. 1 StPO ist dem Beschuldigten eines Strafverfahrens auf Antrag ein Verteidiger zu bestellen, wenn ein Fall notwendiger Verteidigung vorliegt. Das ist gemäß § 140 Abs. 2 StPO u.a. dann der Fall, wenn wegen der Schwere der Tat, der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge oder wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint. Nach der dazu ergangenen Rechtsprechung ist die Bestellung eines Verteidigers bei einer Straferwartung von um ein Jahr Freiheitsstrafe jedenfalls naheliegend (KK-StPO/Willnow, 8. Aufl., § 140 Rn. 21; LR-StPO/Jahn, 27. Aufl., § 140 Rn. 78 m.w.N.). Die Verurteilung zu einer Strafe in dieser Höhe erscheint im Hinblick auf den von der Staatsanwaltschaft in erster Instanz gestellten Antrag jedenfalls möglich. Hinzu kommt, dass die Sache auch einen gesteigerten Schwierigkeitsgrad aufweist. Maßgebliche Bedeutung für die Überführung des Angeklagten, der bei seiner polizeilichen Vernehmung die Tat bestritten und in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hat, kommt dem Vergleich der vom Täter bei den Geldabhebungen getragenen Kleidung, wovon Bildaufnahmen der an den Geldautomaten angebrachten Überwachungskameras vorhanden sind, mit bei dem Angeklagten sichergestellten Kleidungsstücken zu. Da die Überwachungskameras nur Schwarz-Weiß-Aufnahmen mit möglicherweise technisch bedingt verfälschender Wiedergabe des Helligkeitsgrades der Kleidung lieferten, wurde zum Vergleich ein Gutachten des Landeskriminalamts Baden-Württemberg eingeholt, demzufolge wegen sowohl auf dem Bildmaterial der Überwachungskameras als auch bei der sichergestellten Kleidung vorhandener allgemeinen Merkmale, aber auch wegen eines individuellen Faltenwurfs, Übereinstimmung besteht. Dieser Bewertung liegt allerdings keine standardisierte Untersuchungsmethode zugrunde. Um sich gegen dieses Beweismittel sachgerecht verteidigen zu können, erscheint deshalb nach Auffassung des Senats die Vertretung durch einen Verteidiger vorliegend geboten.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.


Einsender: RA T. Kettler, Mannheim

Anmerkung:


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