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Entscheidungen

StPO

Strafvollstreckungskammer, erkennendes Gericht, sofortige Beschwerde

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Celle, Beschl. v. 02.05.2022 - 1 Ws 27/22

Leitsatz des Gerichts: Die Vorschrift des § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO ist bei einer sofortigen Beschwerde gegen eine Entscheidung über die Ablehnung eines Mitglieds der Strafvollstreckungskammer im Verfahren über die Strafrestaussetzung nicht entsprechend anwendbar.


In pp.

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Verurteilten als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

Der Verurteilte verbüßt derzeit eine zweijährige Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Syke vom 26. September 2019 (Az. 4 Ls 11/19) in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts Verden 6. Februar 2020 (Az. 5 Ns 100/19) wegen Betruges in 13 Fällen – davon in einem Fall wegen Versuchs – in der Justizvollzugsanstalt B. Zwei Drittel der Strafe sind am 3. Mai 2022 verbüßt. Das Strafende ist auf den 3. Januar 2023 notiert.

Mit Beschluss vom 7. Februar 2022 lehnte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stade mit Sitz beim Amtsgericht Bremervörde den Antrag des Verurteilten ab, die Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung auszusetzen. Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde des Verurteilten verwarf der Senat mit Beschluss vom 28. Februar 2022 als unbegründet.

Mit Schreiben vom 8. März 2022 beantragte der Verurteilte erneut die Aussetzung der Reststrafe. Zugleich lehnte der Beschwerdeführer in einem weiteren Schreiben vom selben Tag die zuständige Richterin der Strafvollstreckungskammer wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung trug er vor, dass diese am 7. Oktober 2021 einen Strafbefehl unterzeichnet habe, mit dem ihm ein in der Haft begangener Diebstahl zur Last gelegt worden sei. Auf seinen Einspruch und mündliche Verhandlung sei er hingegen am 21. Februar 2022 vom Amtsgericht Bremervörde in dieser Sache freigesprochen worden. Die abgelehnte Richterin habe bei ihrer vorangegangenen Entscheidung in dieser Strafvollstreckungssache die Möglichkeit eines Freispruchs gar nicht in Betracht gezogen, sondern bereits das anhängige Verfahren als negativen Umstand in ihrer Prognoseentscheidung zur Frage einer vorzeitigen Entlassung berücksichtigt. Das zeige, dass die Richterin am 7. Februar 2022 nicht unparteiisch entschieden habe und von ihr auch über seinen neuerlichen Antrag keine unbefangene Entscheidung zu erwarten sei. Wegen der weiteren Einzelheiten des Ablehnungsgesuchs wird auf das Schreiben vom 8. März 2022 sowie die ergänzende Stellungnahme vom 15. März 2022 verwiesen.

Die abgelehnte Richterin hat in ihrer dienstlichen Äußerung vom 10. März 2022 bestätigt, den gegen den Verurteilten ergangenen Strafbefehl unterzeichnet zu haben. Die Strafvollstreckungskammer hat den Befangenheitsantrag des Verurteilten mit Beschluss vom 4. April 2022 als unbegründet zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Verurteilte mit seiner sofortigen Beschwerde vom 14. April 2022, die am selben Tage beim Landgericht Stade mit Sitz beim Amtsgericht Bremervörde eingegangen ist.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

1. Die sofortige Beschwerde war aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zu verwerfen.

2. Näherer Erörterung bedarf lediglich, ob der Senat derzeit überhaupt zu einer Entscheidung in der Sache berufen war oder ob nicht die sofortige Beschwerde bereits unzulässig ist.

Denn die Rechtsfrage, ob im Strafvollstreckungsverfahren gegen einen ein Ablehnungsgesuch zurückweisenden Beschluss die sofortige Beschwerde zulässig ist, ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur umstritten (vgl. zuletzt bejahend OLG München, Beschluss vom 21. September 2020 – 1 Ws 685/20 –, juris m.w.N.; verneinend Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 07. Januar 2019 – 1 Ws 116/18 –, juris m.w.N.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25. September 2017 – 2 Ws 294/17 –, juris; OLG Braunschweig Beschl. v. 13.7.2012 – Ws 199/12, BeckRS 2012, 24967; verneinend Meyer-Goßner/Schmitt StPO 64. Auflage 2021 § 28 Rn. 6a; KK-StPO/Scheuten, 8. Aufl. 2019, StPO § 28 Rn. 5; Siolek in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2016, § 28 Rn. 46; BeckOK StPO/Cirener StPO § 28 Rn. 9.3; bejahend MüKoStPO/Conen/Tsambikakis, 1. Aufl. 2014, StPO § 28 Rn. 17).

Verbreitet wird die Auffassung vertreten, dass die Vorschrift des § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO im Strafvollstreckungsverfahren entsprechend anzuwenden sei mit der Folge, dass die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch nur zusammen mit der Endentscheidung – vorliegend also nur zusammen mit dem noch ausstehenden Beschluss über die Aussetzung der Reststrafe – angefochten werden kann. Begründet wird diese Auffassung u. a. mit den Gesichtspunkten der Verfahrensbeschleunigung und der Verfahrenskonzentration. Zudem vermeide diese Auslegung eine Zersplitterung des Rechtswegs unabhängig davon, ob die Strafvollstreckungskammern nach § 454 StPO, § 463 StPO oder nach dem Strafvollzugsgesetz entschieden.

Der Senat schließt sich hingegen der zuletzt etwa vom Oberlandesgericht München (a.a.O.) vertretenen Auffassung an, wonach die an Entscheidungen der Strafvollstreckungskammern nach § 454 StPO, § 57 StGB beteiligten Richter keine "erkennenden Richter" im Sinne der Ausnahmevorschrift des § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO sind, sodass die sofortige Beschwerde gegen ihre Entscheidungen statthaft ist.

a) Für dieses Ergebnis spricht schon der Wortlaut des § 28 Abs. 2 S. 2 StPO, wonach eine isolierte Anfechtung nur gegenüber der Entscheidung eines erkennenden Richters – also eines zur Mitwirkung in der Hauptverhandlung berufenen Richters (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt StPO 64. Auflage 2021 § 28 Rn. 6 m.w.N.) – nicht statthaft ist. Denn § 28 Abs. 2 S. 2 StPO spricht ausdrücklich davon, dass die Entscheidung über die Befangenheit eines erkennenden Richters nur zusammen mit dem "Urteil" angefochten werden kann. In Strafvollstreckungssachen wird indes nicht durch Urteil entschieden.

b) Die von der Gegenmeinung vertretene, über den Wortlaut hinausgehende analoge Auslegung kommt indes nur in Betracht, wenn dafür ein zwingendes Bedürfnis besteht. Daran fehlt es hier.

aa) In Strafvollstreckungsverfahren findet gerade keine Hauptverhandlung mit nur eng begrenzten Unterbrechungsmöglichkeiten statt, bei der die Gefahr erheblicher Verfahrensverzögerungen durch die Eröffnung des Beschwerdeweges gegen Entscheidungen über Befangenheitsgesuche besteht (vgl. OLG München a.a.O.; OLG Hamm, Beschluss vom 25. Juni 2009 – 2 Ws 172/09 –, Rn. 9, juris). Sofern in Strafvollstreckungsverfahren mündlich angehört wird, handelt es sich regelmäßig um kurze Termine, die an einem Sitzungstag erledigt sind, was mit Hauptverhandlungen in strafrechtlichen Erkenntnisverfahren nicht vergleichbar ist.

bb) Soweit die analoge Anwendung des § 28 Abs. 2 S. 2 StPO damit begründet wird, dass hierdurch verfahrensmissbräuchlichen Verzögerungen begegnet werden kann, wird verkannt, dass es in der überwiegenden Zahl der Fälle im Interesse des Verurteilten liegt, eine zügige Entscheidung des Gerichts herbeizuführen. In den in Betracht kommenden abweichenden Konstellationen wie beispielsweise bei Verfahren über einen Bewährungswiderruf kann der Missbrauchsgefahr regelmäßig mit der beschleunigten Durchführung des Beschwerdeverfahren Rechnung getragen werden kann, sodass das Verzögerungspotential von vornherein begrenzt ist.

cc) Dass in Strafvollzugssachen die Strafvollstreckungskammer nach überwiegender Auffassung als erkennendes Gericht angesehen wird (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt StPO 64. Auflage 2021 § 28 Rn. 6a m.w.N.), rechtfertigt die analoge Anwendung des § 28 Abs. 2 S. 2 StPO in Strafvollstreckungssachen ebenfalls nicht. Denn das Strafvollzugsverfahren ist – wie insbesondere die der Regelung des § 352 Abs. 1 StPO nachgebildete Vorschrift des § 119 Abs. 2 StVollzG zeigt – revisionsähnlich ausgestaltet und daher mit dem Beschwerdeverfahren in Strafvollstreckungssachen nicht vergleichbar.

dd) Gegen eine entsprechende Anwendung der Ausnahmevorschrift des § 28 Abs. 2 S. 2 StPO im Vollstreckungsverfahren spricht zudem, dass im Falle der von der Gegenmeinung vertretenen Ausdehnung des Anwendungsbereichs von § 28 Abs. 2 S. 2 StPO kaum Konstellationen verblieben, in denen die selbständige Anfechtung von Ablehnungsentscheidungen überhaupt noch möglich wäre. Diese wären weitgehend auf Entscheidungen im Vor- bzw. Ermittlungsverfahren begrenzt, wo eine gesonderte Anfechtung schon wegen regelmäßig vor einer Entscheidung nicht gewährten rechtliches Gehör nicht in Betracht kommt (vgl. OLG München a.a.O.). Das vom Gesetzgeber gewollte Regel-Ausnahme-Verhältnis würde in sein Gegenteil verkehrt.

Im Ergebnis sieht der Senat daher keine Veranlassung für eine vom Wortlaut des § 28 Abs. 2 S. 2 StPO abweichende Auslegung. Ergänzend wird auf die ausführliche Begründung der Entscheidung des OLG München vom 21. September 2020 (a.a.O.) Bezug genommen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben (§ 304 Abs. 4 Satz 2 StPO).


Einsender: eingesandt vom 1. Strafsenat des OLG Celle

Anmerkung:


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