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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Voraussetzungen des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB, verbotenes

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 29.04.2022 – (3) 161 Ss 51/22 (15/22) –

Leitsatz des Gerichts: 1. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB ist verfassungsgemäß.
2. Für die Frage, ob von einer nicht angepassten Geschwindigkeit im Sinne von § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB auszugehen ist, ist entscheidend, ob das Fahrzeug bei der Geschwindigkeit noch sicher beherrscht werden kann, wobei die zulässige Höchstgeschwindigkeit lediglich ein Indiz darstellt. Eine Fortbewegung mit nicht angepasster Geschwindigkeit ist ein gegen Geschwindigkeitsbegrenzungen verstoßendes oder der konkreten Verkehrssituation zuwiderlaufendes Fahren, wobei die Geschwindigkeit insbesondere den Straßen-, Sicht- und Wetterverhältnissen anzupassen ist. Darüber hinaus richtet sich die angepasste Geschwindigkeit auch nach der Leistungsfähigkeit des Fahrzeugführers sowie dem technischen Zustand des Fahrzeugs.
3. Die Tatbestandsmerkmale des grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen Verhaltens sind in gleicher Weise zu verstehen wie im Rahmen des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB.
4. Bei der "Höchstgeschwindigkeitserzielungsabsicht“ muss sich die Zielsetzung des Täters darauf richten, unter den konkreten situativen Gegebenheiten eine so hoch wie nur mögliche Geschwindigkeit zu erreichen, wobei eine weitergehende Motivation des Täters nicht ausgeschlossen ist.
5. Im Rahmen der Beweiswürdigung kann eine valide Schätzung der gefahrenen Geschwindigkeit ausreichen.
6. Anwendbarkeit der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB im Jugendstrafrecht.


(3) 161 Ss 51/22 (15/22)

In der Strafsache
gegen pp.

wegen Gefährdung des Straßenverkehrs pp.

hat der 3. Strafsenat des Kammergerichts am 29. April 2022 beschlossen:

Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 6. Januar 2022 wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Die Angeklagte hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.



G r ü n d e :

I.

Das Amtsgericht Tiergarten hat die Angeklagte am 6. Januar 2022 wegen verbotenen („Einzel“-)Kraftfahrzeugrennens nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB schuldig gesprochen, sie angewiesen, einen Verkehrserziehungskurs nach näherer Weisung der Jugendgerichtshilfe abzuleisten, ihr die Fahrerlaubnis entzogen und eine sechsmonatige Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis angeordnet.
Den Verkehrserziehungskurs hat die Angeklagte laut der Mitteilung der zuständigen Jugendgerichtshilfe vom 21. Februar 2022 bereits am 17. Februar 2022 absolviert. Gegen dieses Urteil wendet sich die Angeklagte mit der (Sprung-)Revision, die sie auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts stützt. Die Revision führt zur allgemeinen Sachrüge aus, dass insbesondere die amtsrichterlichen Feststellungen weder ein rücksichtsloses Verhalten der Angeklagten noch die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, tragen würden.
Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat mit Zuschrift vom 31. März 2022 beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Sprungrevision (§ 335 Abs. 1 StPO) ist statthaft, denn sie richtet sich vornehmlich gegen den Schuldspruch des angegriffenen Urteils, so dass die Rechtsmittelbeschränkung des §§ 55 Abs. 1 Satz 1, 109 Abs. 2 JGG keine Anwendung findet.
In der Sache hat die rechtzeitig eingelegte und begründete Revision jedoch keinen Erfolg.

1. Soweit die Revision die Verletzung formellen Rechts rügt, ist die Verfahrensrüge schon nicht in der vorgeschriebenen Form ausgeführt, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.

2. Die auf die Sachrüge gebotene Überprüfung des angefochtenen Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben, der die Zurückverweisung der Sache gebietet.

a) § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB ist verfassungsgemäß. Die Norm ist insbesondere mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG zu vereinbaren (BVerfG, Beschluss vom 9. Februar 2022 - 2 BvL 1/20 -, juris; vgl. auch Senat, Beschluss vom 20. Dezember 2019 - (3) 161 Ss 134/19 (75/19) -, juris).

b) Die Feststellungen tragen die Verurteilung wegen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennen nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB.

Nach dieser Regelung macht sich strafbar, wer sich Straßenverkehr als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen.
Bei der Anwendung des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB gilt, dass gerade dessen weite Fassung vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgebots (Art. 103 Abs. 2 GG) möglichst klar konturierte Feststellungen des für erwiesen erachteten Sachverhalts erfordert (vgl. Senat, Beschlüsse vom 22. Februar 2021 - (3) 161 Ss 26/21 (13/21) -, juris und vom 20. Dezember 2019 a.a.O.).

Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe gerecht.

aa) Für die Frage, ob von einer nicht angepassten Geschwindigkeit auszugehen ist, ist entscheidend, ob das Fahrzeug bei der Geschwindigkeit noch sicher beherrscht werden kann, wobei die zulässige Höchstgeschwindigkeit lediglich ein Indiz darstellt (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Dezember 2019 a.a.O.). Die Regelung knüpft insoweit an § 3 Abs. 1 StVO an (vgl. BVerfG a.a.O.; BGH, Beschluss vom 17. Februar 2021 - 4 StR 225/20 -, juris; Senat, Beschluss vom 20. Dezember 2019 a.a.O.). Gemeint ist mithin ein gegen Geschwindigkeitsbegrenzungen verstoßendes oder der konkreten Verkehrssituation zuwiderlaufendes Fahren, wobei die Geschwindigkeit insbesondere den Straßen-, Sicht- und Wetterverhältnissen anzupassen ist (vgl. BVerfG a.a.O.; Senat, Beschluss vom 20. Dezember 2019 a.a.O.; BT-Drs. 18/12964, 5). Darüber hinaus richtet sich die angepasste Geschwindigkeit auch nach der Leistungsfähigkeit des Fahrzeugführers sowie dem technischen Zustand des Fahrzeuges (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Dezember 2019 a.a.O.).

Das Amtsgericht hat die von der Angeklagten gefahrene Geschwindigkeit mit „zeitweise auf einer Strecke, auf der die zulässige Höchstgeschwindigkeit 50 km/h betrug mit bis zu 95 - 100 km/h, zeitweilig auf einer Strecke, die durch Zeichen 274 mit Zusatz 22 - 06 Uhr auf 30 km/h begrenzt war, mit ca. 90 km/h bzw. kaum unter 80 km/h“ (UA S. 3) valide geschätzt und das Ergebnis in den Urteilsfeststellungen dargelegt (vgl. Senat, Beschluss vom 22. Februar 2021 a.a.O.). Zu den Straßenverhältnissen hat das Tatgericht zudem ausgeführt, dass es sich zum Teil in der A Straße um Baustellen bedingte Fahrbahnverengungen (UA S. 4) und um relativ dichten Verkehr (UA S. 5) und am B Platz um eine nicht weit einsehbare mit stark frequentierten Abendlokalitäten gesäumte Rechtskurve, die unübersichtlich ist (UA S. 6), gehandelt hat. Dass das Urteil keine Ausführungen zu den Witterungsbedingungen trifft, ist - wie die Generalstaatsanwaltschaft zurecht ausführt - revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Amtsgericht ist vielmehr aufgrund des dargelegten gegen Geschwindigkeitsbegrenzungen verstoßenden und der konkreten Verkehrssituation zuwiderlaufenden Fahrens unter Berücksichtigung der Straßenverhältnisse in zutreffender Weise zu der Feststellung gelangt, dass sich die Angeklagte mit nicht angepasster Geschwindigkeit fortbewegt hat.

bb) Die Feststellung tragen auch ein grob verkehrswidriges und rücksichtsloses Verhalten der Angeklagten.

Beide Tatbestandsmerkmale sind in gleicher Weise zu verstehen wie im Rahmen des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB (vgl. BVerfG a.a.O.; BGH, Beschluss vom 17. Februar 2021 a.a.O.; Senat, Beschluss vom 20. Dezember 2019 a.a.O.; BT-Drs. 18/12964, S. 5).
Danach handelt der Täter grob verkehrswidrig, wenn er einen besonders schweren und gefährlichen Verstoß gegen Verkehrsvorschriften begeht, der nicht nur die Sicherheit des Straßenverkehrs erheblich beeinträchtigt, sondern auch schwerwiegende Folgen zeitigen kann (vgl. Senat, Beschlüsse vom 20. Dezember 2019 a.a.O. und vom 25. Mai 2007 - (3) 1 Ss 103/07 (46/07) -, juris). Es muss sich mithin um einen besonders schweren Verstoß gegen die Verkehrsvorschriften handeln (vgl. Fischer, StGB 69. Aufl., § 315c Rn. 13).

Rücksichtslos handelt demgegenüber, wer sich im Bewusstsein seiner Verkehrspflichten aus eigensüchtigen Gründen über diese hinwegsetzt oder sich aus Gleichgültigkeit nicht auf seine Pflichten als Fahrzeugführer besinnt und unbekümmert um die Folgen seines Verhaltens drauflos fährt (vgl. Senat, Beschlüsse vom 20. Dezember 2019 und vom 25. Mai 2007, jeweils a.a.O.). Die Annahme rücksichtslosen Verhaltens kann nicht allein mit dem objektiven Geschehensablauf begründet werden, sondern verlangt ein sich aus zusätzlichen Umständen ergebendes Defizit, das - geprägt von Leichtsinn, Eigennutz oder Gleichgültigkeit - weit über das hinausgeht, was normalerweise jedem - häufig aus Gedankenlosigkeit oder Nachlässigkeit - begangenen Verkehrsverstoß innewohnt (vgl. Senat, Beschlüsse vom 20. Dezember 2019 und vom 25. Mai 2007, jeweils a.a.O.). Maßgeblich ist die konkrete Verkehrssituation unter Einschluss der Vorstellungs- und Motivlage des Täters (vgl. Fischer, a.a.O., § 315c Rn. 14a).
Neben der zum Teil mehr als doppelten Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit hat das Amtsgericht starke Beschleunigungen teils mit durchdrehenden Rädern bzw. quietschenden Reifen (UA S. 3), und rasche, ruckartige Wechsel auch auf Sonderfahrstreifen ohne Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers auf der C Straße und A Straße, wodurch Fahrzeugführer bremsen mussten, festgestellt (UA S. 4 f.). Auf Höhe der B Platzes 14 seien drei Personen, die im Begriff gewesen seien, in ein geparktes Fahrzeug zu steigen, wegen des sich nähernden Fahrzeuges der Angeklagten erschrocken mit einem Satz nach hinten zurückgesprungen, um sich vor dem Fahrzeug in Sicherheit zu bringen (UA S. 4 f.). Die Angeklagte habe ihrer Beifahrerin „aus übersteigertem Profilierungsstreben imponieren“ (UA S. 3), sich „eigensüchtig profilieren“ und auch einer weiteren Freundin und ihrer Schwester imponieren wollen (UA S. 5). Diese anschaulichen Feststellungen tragen das Vorliegen eines grob verkehrswidriges und rücksichtsloses Verhalten (vgl. zum grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen Verhalten beim ruckartigen Lückenspringen auch Senat, Beschluss vom 15. April 2019, (3) 161 Ss 36/19 (25/19) -, juris).

cc) Die Feststellungen erweisen schließlich auch, dass die Angeklagte handelte, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen.

Die Zielsetzung des Täters muss sich darauf richten, unter den konkreten situativen Gegebenheiten eine so hoch wie nur mögliche Geschwindigkeit auf einer nicht ganz unerheblichen Wegstrecke zu erreichen, wobei eine weitergehende Motivation des Täters nicht ausgeschlossen ist (vgl. BVerfG a.a.O.; BGH, Urteil vom 24. Juni 2021 - 4 StR 79/20 -, juris, Beschluss vom 17. Februar 2021 a.a.O.; Senat, Urteil vom 18. Januar 2022 - (3) 121 Ss 138/21 (59-60/21) -, juris, Beschlüsse vom 22. Februar 2021, vom 20. Dezember 2019 und vom 15. April 2019, jeweils a.a.O.). Maßgeblich ist dagegen nicht, dass der Täter die Leistungsfähigkeit seines Fahrzeuges vollständig ausreizt (vgl. Senat, Beschlüsse vom 20. Dezember 2019 und vom 15. April 2019, jeweils a.a.O.).

Die Feststellungen, dass die Angeklagte „die im innerstädtischen Verkehr unter den konkreten Bedingungen aus ihrer Sicht höchst mögliche Geschwindigkeit erzielen“ wollte (UA S. 5) auf einer Wegstrecke von - nicht unerheblichen (vgl. Senat, Beschluss vom 15. April 2019 a.a.O.) - 3,3 Kilometern (UA S. 3), ergeben eine diesen Maßstäben entsprechende „Höchstgeschwindigkeitserzielungsabsicht“ (vgl. Senat, Beschluss vom 22. Februar 2021 a.a.O.). Der Einwand der Revision, das Amtsgericht hätte Feststellungen zu Höchstgeschwindigkeit, Beschleunigungszeit und PS-Zahl des Tatfahrzeuges treffen müssen, geht insoweit fehl, als dass es auf das vollständige Ausreizen der Leistungsfähigkeit des Fahrzeuges gerade nicht ankommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. Februar 2022 a.a.O.).

c) Auch die Beweiswürdigung des Amtsgerichts hält rechtlicher Nachprüfung stand.
Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr. des BGH, vgl. nur NStZ-RR 2012, 148).

Das Amtsgericht hat insbesondere dargelegt, dass es durch die wiedergegebenen Aussagen der polizeilichen Zeugen die Erkenntnisse zu der gefahrenen Geschwindigkeit gewonnen hat, wobei das Amtsgericht auch Angaben zu den Abständen zwischen dem Tat- und dem Polizeifahrzeug getroffen hat (UA S. 6, vgl. zu diesem Erfordernis auch Senat, Beschluss vom 22. Februar 2021 a.a.O.). Soweit die Revision auf das Erfordernis eines gleichbleibenden Abstandes auf einer Strecke von 300 Metern abstellt, greift dieser Einwand nicht: Das Amtsgericht hat zutreffend die Abstandsangaben insoweit gewertet, als dass sie Auswirkungen auf die valide Schätzung der gefahrenen Geschwindigkeiten haben konnten. Eine „valide[…] Messung der wirklichen Geschwindigkeit des Fahrzeuges“ ist entgegen dem Revisionsvorbringen nicht erforderlich. Vielmehr sind die im Ordnungswidrigkeitenrecht entwickelten Grundsätze über die Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren zur Ermöglichung der Einordnung des Geschwindigkeitsverstoßes in das System der Regelbußen und des Regelfahrverbots der Bußgeldkatalog-Verordnung nicht auf § 315d StGB ohne Weiteres übertragbar (vgl. OLG Köln, Urteil vom 5. Mai 2020 - III-1 RVs 40/20 -, juris). Denn wegen des Renncharakters und da die Höhe der Sanktion nicht unmittelbar von der tatsächlich erreichten Höchstgeschwindigkeit abhängt, reicht eine valide Schätzung aus (vgl. Senat, Beschluss vom 22. Februar 2021 a.a.O.; OLG Köln, a.a.O.).
Das Amtsgericht hat in den Urteilsgründen, die eine Einheit bilden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. Juli 2020 - KRB 99/19 - und vom 14. April 2010 - 1 StR 131/10 -, beide juris; Senat, Beschluss vom 25. Februar 2022 - (3) 161 Ss 19/22 (3/22) -; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 267 Rn. 3), den von den polizeilichen Zeugen beobachteten Vorgang auch insoweit ausreichend aufgeklärt und dargestellt, dass andere Fahrzeugführer zum Bremsen veranlasst worden seien, was durch das Aufleuchten der Bremsleuchten zu erkennen gewesen sei, und dass drei Fußgänger zurückspringen mussten (UA S. 4, 5, 6, 8).
Zudem hat das Amtsgericht nachvollziehbar aufgrund der festgestellten Gesamtumstände geschlossen, dass die Angeklagte aus überbordendem Leichtsinn und Profilierungsstreben handelte (UA S. 8). Entgegen dem Revisionsvorbringen hat eine Vernehmung der Insassinnen der Fahrzeuge (der Beifahrerin und der Schwester und der weiteren Freundin aus dem anderen Fahrzeug) stattgefunden; die Angeklagte hat sich nicht zur Sache eingelassen.

d) Schließlich ist auch die Bemessung der Rechtsfolgen frei von Rechtsfehlern.

aa) Das Amtsgericht hat vorliegend in nachvollziehbarer Weise bei der Angeklagten Jugendstrafrecht angenommen und im Urteil tatsachenfundiert dargelegt, warum in Abweichung vom Regel/Ausnahmeprinzip nach § 105 JGG vorliegend Jugendstrafrecht zur Anwendung kommen soll (UA S. 9; vgl. auch OLG Frankfurt, Urteil vom 22. Dezember 2020 - 2 Ss 262/20 -, juris).

bb) Das Revisionsgericht hat auf eine unbeschränkt eingelegte und auch sonst zulässige Revision die vorinstanzlich angeordneten Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel ohne die Beschränkung in § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG auch dann auf Rechtsfehler zu überprüfen, wenn es den Schuldspruch unangetastet lässt (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Januar 2020 – 4 StR 605/19 –, juris; Senat, Beschluss vom 7. September 2020 - (3) 121 Ss 88/20 (43/20) -).

Die Entscheidung für eine der im Jugendgerichtsgesetz vorgesehenen Sanktionen unterliegt grundsätzlich dem Ermessen des Tatrichters. Denn nur er ist in der Lage, sich in der Hauptverhandlung einen umfassenden Eindruck von der Tat und der Täterpersönlichkeit zu verschaffen und auf dieser Grundlage die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Gemäß den für die Überprüfung der Strafzumessung nach den allgemeinen Vorschriften geltenden Maßstäben und auf Grund der Besonderheiten des Jugendstrafrechts beschränkt sich die Prüfung durch das Revisionsgericht daher auf Rechtsfehler und die Beachtung des im Jugendstrafrecht vorrangigen Erziehungsgedankens. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen (vgl. BGHSt 34, 345 m.w.N.). Der Tatrichter muss seine Zumessungserwägungen aber in einem die Nachprüfung ermöglichenden Umfang darlegen; dabei ist zu berücksichtigen, dass § 54 Abs. 1 JGG eine gegenüber § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO erweiterte Begründungspflicht enthält. Erforderlich sind danach eine sorgfältige Auseinandersetzung mit der Biografie des Angeklagten, eine Bewertung der Tat im Zusammenhang mit dessen Lebensverhältnissen sowie die Begründung der hiernach unter Berücksichtigung ihrer Eingriffsintensität erforderlichen Rechtsfolgen, wobei die Anforderungen an die Begründung tendenziell mit der Eingriffsintensität der erforderlichen Rechtsfolge ansteigen (vgl. KG, Beschlüsse vom 26. Januar 2017 - (4) 121 Ss 217/16 (3/17) - und vom 29. Juli 2013 - (4) 161 Ss 127/13 (138/13) -).

Dem wird die angefochtene Entscheidung gerecht. Das Amtsgericht hat zu Gunsten der Angeklagten insbesondere berücksichtigt, dass sie bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung ist.

Die Weisung, einen Verkehrserziehungskurs nach näherer Weisung der Jugendgerichtshilfe abzuleisten, stellt eine angemessene verkehrs-sozialisatorische Einflussnahme und ein Hinwirken auf eine höhere Konformität im Verkehrsverhalten dar (vgl. auch Kölbel in Eisenberg/Kölbel, JGG 23. Aufl. § 7 Rn. 66).

Gegen die erteilte Weisung gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 9 JGG ist deshalb nichts zu erinnern.

cc) Das Amtsgericht hat auch ohne Rechtsfehler die Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Anordnung einer Sperre nach §§ 69, 69a StGB angenommen.

Ausweislich der maßgeblichen Urteilsgründe liegen keine Umstände vor, die geeignet sind, die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 1a StGB (zur Anwendbarkeit der Regelvermutung im Jugendstrafrecht, § 7 JGG i.V.m. § 105 Abs. 1 JGG, vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 26. August 2011 - 1 St OLG Ss 156/11 -, juris) zu entkräften. Der Senat ist überzeugt, dass das Amtsgericht unter Beachtung von § 69a Abs. 4 StGB die Sperrfrist auf sechs Monate festgesetzt hat.

Der Schriftsatz des Verteidigers vom 20. April 2022 lag vor, gab aber zu einer anderen Bewertung keinen Anlass.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 StPO.

Es bestand kein Anlass, gemäß §§ 74, 109 Abs. 2 JGG von der Auferlegung der Rechtsmittelkosten abzusehen.


Einsender: RiKG U. Sandherr, Berlin

Anmerkung:


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