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Entscheidungen

Gebühren

Amtsgericht, Verfahrensgebühr, Terminsgebühr, Mittelgebühr

Gericht / Entscheidungsdatum: Gericht / Entscheidungsdatum: LG Ravensburg, Beschl. v. 16.05.2022 - 1 Qs 19/22

Eigener Leitsatz: Zur Festsetzung von Verfahrensgebühr und Terminsgebühr für den Nebenklägervertreter in einem amtsgerichtlichen Verfahren in Höhe der Mittelgebühr


1 Qs 19/22

Landgericht Ravensburg

Beschluss

In dem Strafverfahren
gegen pp.

Verteidiger:
Rechtsanwalt7

wegen vorsätzlicher Körperverletzung u.a.

hier: sofortige Beschwerde der Nebenklagevertreterin
hat das Landgericht Ravensburg - 1. Strafkammer - durch die unterzeichnenden Richter am 16. Mai 2022 beschlossen:

1. Auf die sofortige Beschwerde der Nebenklagevertreterin wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Bad Saulgau vom 31. Januar 2022 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die von dem früheren Angeklagten pp. nach dem Beschluss des Amtsgerichts Bad Saulgau vom 15. November 2021 an den Nebenkläger pp. zu erstattenden notwendigen Auslagen werden auf 1.003,11 € (in Worten: eintausenddrei 11/100 €) nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz gern. § 247 BGB
hieraus seit 18. November 2021 festgesetzt.
2. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde als unbegründet verworfen.
3. Von den Kosten und gerichtlichen Auslagen des Beschwerdeverfahrens sowie den der Nebenklagevertreterin im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen trägt der frühere Angeklagte 3/4. Die Nebenklagevertreterin trägt 1/4 der Kosten und gerichtlichen Auslagen des Beschwerdeverfahrens sowie der dem früheren Angeklagten im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe:

I.

Die Beschwerdeführerin war als Vertreterin des Nebenklägers pp. in einem Strafverfahren tätig, das bei dem Amtsgericht Bad Saulgau anhängig war. Dem Angeklagten pp. war zur Last gelegt worden, eine vorsätzliche Körperverletzung und eine Sachbeschädigung zum Nachteil des Nebenklägers begangen zu haben, indem er diesem in schmerzhafter Weise ins Gesicht gegriffen und ihm die Brille herunter gerissen habe, sodass der Nebenkläger eine leicht blutende Wunde am linken Auge erlitten habe und seine Brille - mit einem Reparaturaufwand von € 439 - beschädigt worden sei.

Die Beschwerdeführerin legitimierte sich im Ermittlungsverfahren als Vertreterin des Nebenklägers und beantragte Akteneinsicht, die ihr seitens der Staatsanwaltschaft gewährt wurde. Mit Aktenrückgabe beantragte sie die Übersendung einer Abschlussverfügung. Darüber hinaus reichte sie mit einem weiteren Schriftsatz die Rechnung für die Brillenreparatur ein.

Hinsichtlich des verfahrensgegenständlichen Sachverhalts erstattete der frühere Angeklagte pp. seinerseits Strafanzeige gegen den Mandanten der Beschwerdeführerin wegen Vortäuschens einer Straftat. Während die Staatsanwaltschaft das diesbezügliche Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO einstellte, beantragte sie beim Amtsgericht Bad Saulgau gegen pp. den Erlass eines Strafbefehls unter Festsetzung einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je € 100. Diesem Antrag wurde am 4. Mai 2021 entsprochen.

Am 10. Mai 2021 ging beim Amtsgericht Bad Saulgau der Antrag der Beschwerdeführerin auf Zulassung der Nebenklage ein. Der Zulassungsbeschluss erfolgte am 14. Juni 2021, nachdem der frühere Angeklagte über seinen Verteidiger Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt hatte.

Mit Schriftsatz vom 17. August 2021 machte die Beschwerdeführerin gegenüber dem früheren Angeklagten Schadensersatz, Schmerzensgeld und außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von insgesamt € 2.833 geltend. Dem trat der frühere Angeklagte mit Nachdruck entgegen.

Im Hauptverhandlungstermin vom 9. November 2021, der von 10:00 Uhr bis 12:15 Uhr dauerte und an dem die Beschwerdeführerin teilnahm, wurde das Verfahren gern. § 153a Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt. Dem Angeklagten wurde die Auflage erteilt, zur Schadenswiedergutmachung und als Schmerzensgeld binnen eines Monats € 1.000 an den Nebenkläger zu zahlen. Bereits am 15. November 2021 erfolgte nach Auflagenerfüllung die endgültige Verfahrenseinstellung, wobei angeordnet wurde, dass der frühere Angeklagte die notwendigen Auslagen des Nebenklägers zu tragen hat.

Im Kostenfestsetzungsverfahren machte die Beschwerdeführerin die Grundgebühr (Nr. 4100 VV RVG) sowie die Verfahrensgebühr für das vorbereitende Verfahren (Nr. 4104 VV RVG) und für das gerichtliche Verfahren (Nr. 4106 VV RVG) jeweils als Mittelgebühr geltend. Hinsichtlich der Terminsgebühr (Nr. 4108 VV RVG) beantragte sie die Festsetzung des oberhalb der Mittelgebühr liegenden Betrags von € 320. Auf die hierzu gewährte Anhörung beantragte der Verteidiger die Gebühren Nr. 4100 W und 4106 VV RVG jeweils deutlich unterhalb der Mittelgebühr und die Terminsgebühr als Mittelgebühr festzusetzen. Hinsichtlich der Grundgebühr verwies er insbesondere darauf, dass der Aktenumfang von 21 Seiten zum Zeitpunkt der Einsichtnahme in die Ermittlungs-akte gering gewesen sei.

Mit dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 31. Januar 2022 wurde den Einwendungen des Verteidigers entsprochen. Die Grundgebühr wurde auf € 130 (Mittelgebühr: € 200), die Verfahrensgebühr für das gerichtliche Verfahren auf € 100 (Mittelgebühr: € 165) und die Terminsgebühr auf die Mittelgebühr von € 275 herabgesetzt.

Hiergegen hat die Beschwerdeführerin sofortige Beschwerde erhoben und insbesondere darauf verwiesen, dass der frühere Angeklagte den Tatvorwurf vehement bestritten und sogar Gegenanzeige wegen Vortäuschens einer Straftat erstattet habe. Hinsichtlich der Terminsgebühr hat sie sich auf eine Entscheidung des Landgerichts Ravensburg berufen, wonach die durchschnittliche Verhandlungsdauer in amtsgerichtlichen Verfahren eine bis zwei Stunden betrage. Da dieser Zeit-rahmen vorliegend überschritten sei, müsse Terminsgebühr oberhalb der Mittelgebühr angesetzt werden.

Dem Rechtsmittel wurde nicht abgeholfen.

II.

Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg, soweit es sich gegen die Bewertung des Verfahrens als kostenrechtlich unterdurchschnittliche Angelegenheit wendet. Dagegen ist die Festsetzung einer gegenüber der Mittelgebühr erhöhten Terminsgebühr zu Recht unterblieben.

1. Sind keine Umstände erkennbar, die eine Erhöhung oder Ermäßigung rechtfertigen, so steht dem Verteidiger grundsätzlich die Mittelgebühr des einschlägigen Gebührenrahmens zu (Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl., § 14 Rn. 41). Vorliegend genügen die in der angefochtenen Entscheidung zur Absetzung der Gebühren angeführten Gesichtspunkte im Ergebnis der gebotenen Gesamtschau aller Umstände des konkreten Einzellfalls nicht, von der Mittelgebühr abzuweichen.

Soweit auf den geringen Aktenumfang zum Zeitpunkt der Einsichtnahmegewährung Bezug genommen wird, ist die genannte Blattzahl irreführend, da der überwiegende Teil der Ermittlungsakte - insbesondere der Ermittlungsbericht und die Vernehmungsprotokolle - beidseitig bedruckt waren. Hinzu kommt, dass diese Aktenteile in großem Umfang absatzlos als Fließtext abgefasst sind, was die Übersichtlichkeit und gedankliche Erfassung erschwert. Vor dem Hintergrund, dass die Verfahrensbearbeitung einen Abgleich der in entsprechender Weise niedergelegten Aussagen von drei Zeugen erforderlich macht, wiegt dies besonders schwer. Ein einfach gelagerter Sachverhalt, der jeder tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeit entbehrt, lag schon nach der im Ermittlungsverfahren übersandten Verfahrensakte nicht vor.

Unabhängig davon wurde bei der Gebührenfestsetzung die konkrete Bedeutung der Sache für den Mandanten der Beschwerdeführerin nicht in ausreichendem Maße in den Blick genommen:

a) So hing von der Bewertung des verfahrensgegenständlichen Sachverhalts durch die Staatsanwaltschaft und das Gericht in entscheidendem Maße ab, ob sich der Nebenkläger wegen des vom früheren Angeklagten erhobenen Vorwurfs des Vortäuschens einer Straftat zu verantworten haben würde. Der frühere Angeklagte hatte insoweit nicht nur zeitnah Strafanzeige erstattet. Vielmehr ist aus dem in der Akte (Blatt 47) enthaltenen E-Mail-Ausdruck zu entnehmen, dass er - nach der Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft Ravensburg - sein Anliegen gegenüber der Generalstaatsanwaltschaft im Beschwerdewege weiterverfolgte.

b) Darüber hinaus kam dem Ausgang des Strafverfahrens - von vornherein absehbar - erhebliche Bedeutung für die Erfolgsaussichten einer zivilrechtlichen Inanspruchnahme des früheren Angeklagten durch den Mandanten der Beschwerdeführerin zu. Mithin verlangte das von ihr übernommene Mandat auch eine Auseinandersetzung, ob der Weg des Adhäsionsverfahrens beschritten werden soll. Letztlich erfolgte tatsächlich eine (Teil-)Regulierung zivilrechtlicher Ansprüche im Wege des Strafverfahrens, was als weitere Option seitens der Beschwerdeführerin in die Abwägung sachgerechter Vorgehensweisen einzubeziehen war.

c) Eine besondere Erschwernis ergab sich für das Mandat der Beschwerdeführerin aus der Art und Weise, mit der sich der frühere Angeklagte gegen den Tatvorwurf verteidigte. Diese beinhaltete namentlich schwerwiegende Vorwürfe und ehrverletzende Angriffe gegen den Nebenkläger. So wurde dieser vom früheren Angeklagten in der mit der General-staatsanwaltschaft geführten Korrespondenz der „Aufwendung krimineller Energie", der „Zuhilfenahme von Gefälligkeitsaussagen", eines „persönlichen Rachefeldzugs", der Manipulation von Zeugen, der Selbstbeibringung der Verletzung und des Betreibens eines „rentablen Geschäftsmodells" zur Befriedigung finanzieller Interessen bezichtigt. All dies – so weiter der frühere Angeklagte - entspreche der "Charakterstruktur der Person pp. In vergleichbarer Weise äußerte sich pp. auch direkt gegenüber der Beschwerdeführerin als Reaktion auf deren anwaltliches Forderungsschreiben. Mit diesen Äußerungen wurde vom Auslagenschuldner selbst unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass er den Gegenstand und die Bedeutung des Verfahrens keineswegs als Bagatelle oder unterdurchschnittlich betrachtet. Dementsprechend stellte sich der Verfahrensgegenstand auch aus Sicht des mit massiven Schuldvorwürfen überzogenen Nebenklägers - dessen Ruf auf dem Spiel stand - und seines Rechtsbeistands nicht als Angelegenheit von unter-durchschnittlicher Bedeutung dar.

d) Schließlich war die tatsächliche Schwierigkeit, wonach es für das Kerngeschehen keinen Augenzeugen gab und insoweit von einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation aus zugehen, zu berücksichtigen.

e) Unter den dargelegten Umständen genügten die vergleichsweise geringfügige Verletzung, die überschaubare Höhe des Sachschadens, der zeitlich und sachlich eng umrissene Verfahrensgegenstand sowie die niedrige Straferwartung nicht, insgesamt von einer gebührenrechtlich unterdurchschnittlichen Angelegenheit auszugehen. Letztlich ist auch die Dauer der Hauptverhandlung, die keinesfalls als unterdurchschnittlich zu bewerten ist, ein Indiz für die Bedeutung und Schwierigkeit der Sache. Es verschließt sich der Kammer, weshalb dies für die zuvor angefallenen Gebühren anders zu bewerten sein sollte, zumal die Sach- und Rechtslage in der Hauptverhandlung keine Änderung durch neue Erkennt-nisse oder Beweismittel erfuhr.

Nach alledem war für die Gebühren Nr. 4100 und 4106 VV RVG der Ansatz der jeweils beantragten Mittelgebühr gerechtfertigt.

2. Dem gegenüber wurde die Erhöhung der Mittelgebühr hinsichtlich der Terminsgebühr zu Recht versagt. Es bedarf insoweit keiner Erörterung, ob ein Rechtsgrundsatz dahingehend besteht, dass bei einer amtsgerichtlichen Verhandlungsdauer von mehr als zwei Stunden eine über der Mittelgebühr liegende Terminsgebühr ausgelöst werde. Unter den konkreten Umständen des hier zu bewertenden Einzelfalls war jedenfalls keine Erhöhung veranlasst.

Dem Hauptverhandlungsprotokoll lässt sich entnehmen, dass die Beweisaufnahme weniger als zwei Stunden dauerte: Der letzte Zeuge wurde um 11:47 Uhr entlassen. Im Anschluss wurden nur noch drei wenig umfangreiche Urkunden „auszugsweise" verlesen und ein Lichtbild in Augenschein genommen. Sodann wurde ein Rechtsgespräch geführt, an dem - laut Protokoll - die Beschwerdeführerin nicht beteiligt war. Schließlich kam es zur vorläufigen Verfahrenseinstellung, bei welcher der Beschwerdeführerin schon kraft Gesetzes eine aktive Mitwirkung verwehrt war. Dass sie insoweit zumindest eine Stellungnahme abgegeben hätte, lässt sich dem Protokoll nicht entnehmen. Jedenfalls war infolge der Verfahrenseinstellung ein Schlussvortrag der Beschwerdeführerin entbehrlich.

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände ist nicht ersichtlich, wodurch eine Erhöhung der Mittelgebühr ausgelöst sein sollte.

3. Somit waren die Gebühren und Auslagen der Beschwerdeführerin wie folgt festzusetzen:

Grundgebühr (Nr. 4100) € 200
Verfahrensgebühr (Nr. 4104) € 165
Verfahrensgebühr (Nr. 4106) € 165
Terminsgebühr (Nr. 4108) € 275
Auslagenpauschale (Nr. 7002) € 20
Dokumentenpauschale (Nr. 7000 la) € 5,95
Aktenversendungspauschale € 12
Nettobetrag € 842,95
19 % Umsatzsteuer € 160,16
Gesamtbetrag € 1.003,11

4. Die Kostenentscheidung ergeht gern. § 473 Abs. 4 StPO entsprechend dem Umfang des Teilobsiegens der Beschwerdeführerin.


Einsender: RA S. Kabus, Bad Saulgau

Anmerkung:


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