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Entscheidungen

Gebühren

Vergütung, Sachverständiger, Tätigkeit einer Hilfskraft, Unverwertbarkeit des Gutachtens

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 18.05.2022 – 5 Ks 102 Js 2876/20

Eigener Leitsatz: Ein psychiatrischer Sachverständiger hat keinen Vergütungsanspruch, wenn sein Gutachten aufgrund nicht behebbarer Mängel im Verfahren unverwertbar ist.


In pp.

Die Vergütung des Sachverständigen Dr. T. wird gem. § 4 Abs. 1 S. 1 JVEG auf 0,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth beauftragte mit Verfügung vom 03.02.2021 den Sachverständigen Dr. T. mit der Erstattung eines Gutachtens zu der Frage des Vorliegens der medizinischen Voraussetzungen der §§ 20, 21, 64 StGB beim zwischenzeitlich Verurteilten S. (Bl. 265). Bei Auftragserteilung wurde er darauf hingewiesen, dass er sich seiner Mitarbeiter bedienen kann, wenn er bereit sei, die Verantwortung für den Inhalt des Gutachtens zu übernehmen.

Das Gutachten vom 28.04.2021 ging am 29.04.2021 bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth ein. Auf S. 2 des Gutachtens heißt es, dass die „ausführliche persönliche Untersuchung des Probanden in der JVA Nürnberg durch B., B.Sc. Psychologie und den Referenten am 10.03.2021 und 19.03.2021 in der JVA Nürnberg über insgesamt 2 Stunden 45 Minuten“ erfolgte.

Die Kostenrechnung des Sachverständigen vom 28.04.2021 in Höhe von 5.342,51 € wurde durch die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth am 11.05.2021 zur Zahlung freigegeben (Bl. 2 Kostenheft).

Das Gutachten veranlasste den Verurteilten zu einem - in Kopie beschlagnahmten - Brief (Bl. 372 ff.) an seine Lebensgefährtin, worin er unter anderem schilderte, dass das „Gutachten eine Frau B und kein T“ gemacht habe. Dieser habe lediglich ein paar Wochen später für „5 Minuten“ mit ihm gesprochen und das nur „über den § 64 und nicht über meine Gedanken oder sonst etwas“.

Der Sachverständige wurde daraufhin mit Verfügung vom 01.06.2021 aufgefordert, mitzuteilen, ob während der Exploration über 2 Stunden 45 Minuten beide Sachverständige anwesend waren und wenn nicht, welche Befunde durch welchen Sachverständigen erhoben wurden (Bl. 377).

Der Sachverständige teilte daraufhin mit, dass die Angaben des Verurteilten auf S. 31 - 50 des Gutachtens am 10.03.2021 gegenüber Frau B. in detaillierter Art und Weise gemacht und am 19.03.2021 ihm gegenüber in kompakter Form wiederholt worden seien (Bl. 381).

Die Kammer beabsichtigte daraufhin mit Verfügung vom 09.06.2021, dem Sachverständigen die weitere Gutachtenerstattung zu entziehen und einen anderen Sachverständigen mit der Begutachtung zu beauftragen, da der Sachverständige gegen das Verbot der Delegation der Exploration an eine Hilfsperson verstoßen habe (Bl. 382).

Die Staatsanwaltschaft trat dieser Einschätzung bei (Bl. 389), der Verteidiger des Angeklagten vertrat die Auffassung, dass die persönliche Exploration durch den Sachverständigen bis zur Hauptverhandlung noch nachgeholt werden könne (Bl. 390).

Mit Beschluss vom 22.06.2021 entband die Kammer gem. § 76 Abs. 1 Satz 2 StPO den Sachverständigen von der Verpflichtung zur Erstattung des Gutachtens und bestellte stattdessen einen anderen Sachverständigen (Bl. 391).

Mit rechtskräftigem Urteil vom 28.09.2021 wurde der Verurteilte zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren und Unterbringung in eine Entziehungsanstalt verurteilt (Bl. 577 ff.). Das zunächst vom Sachverständigen Dr. T. angefertigte vorläufige schriftliche Gutachten fand weder in der Hauptverhandlung noch bei der Verurteilung Verwendung. Im Urteil führte die Kammer aus, dass sie davon ausgehe, dass die bereits beglichenen Kosten des Gutachtens des Sachverständigen Dr. T. vom Sachverständigen zurückgefordert werden und daher nicht Teil der Verfahrenskosten werden, weshalb sie davon abgesehen hat, die Kosten der Staatskasse aus Billigkeitsgründen gem. § 465 Abs. 2 StPO aufzuerlegen (UA S. 15, 16).

Mit Verfügung vom 01.12.2021 wurde der Sachverständige Dr. T. zur Rückerstattung der beglichenen Kostenrechnung aufgefordert (Bl. 10 Kostenheft).

Mit Schreiben vom 21.12.2021 bat der Sachverständige um Erläuterung der Rückzahlungsbitte (Bl. 14 Kostenheft). Er habe, um die Justiz zu unterstützen und die Zeit bis zur Fertigstellung des Gutachtens auf eine zumutbare Frist zu begrenzen, Fachkräften die Mitarbeit an der Erstellung der Gutachten erlaubt. Dies sei in forensischen Instituten und Kliniken ein übliches Vorgehen. Er habe die gesamten schriftlichen Gutachtenstexte auf Richtigkeit überprüft und in jedem einzelnen Fall persönlich die Probanden exploriert. Er habe sich die Kernfragen der Exploration durch seine Mitarbeiterin notiert und diese danach in kürzerer Zeit mit dem Probanden besprochen.

Mit Verfügung vom 14.01.2022 wurde der Verurteilte um Mitteilung gebeten, wann und in welchem Umfang der Sachverständige Dr. T. ihn persönlich exploriert hat und welche Themen hierbei Gegenstand des Gesprächs waren (Bl. 15 Kostenheft).

Mit Schreiben vom 24.01.2022 teilte der Verurteilte mit, dass er mit dem Sachverständigen nicht in „Verbindung mit dem Gutachten“ gesprochen habe (Bl. 25 Kostenheft). Er habe ihn nur für 5 Minuten in der JVA besucht und mitgeteilt, dass er den § 64 StGB befürworte. Die Begutachtung habe Frau B. gemacht.

Mit Schreiben vom 20.04.2022 beantragte der Bezirksrevisor die Vergütung des Sachverständigen Dr. T. gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 JVEG auf 0,00 € festzusetzen (Bl. 28 Kostenheft).

Dem Sachverständigen wurde hierauf mit Verfügung vom 28.04.2022 Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben (Bl. 30 Kostenheft). Eine solche ging binnen der gesetzten Frist nicht ein.

II.

Der Antrag auf Festsetzung der Vergütung auf 0,00 € ist zulässig und begründet.

1. Gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 JVEG wird die Vergütung durch gerichtlichen Beschluss festgesetzt, wenn die Staatskasse dies, wie vorliegend, beantragt. Gem. § 4 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 JVEG ist nach Erhebung der öffentlichen Klage das für die Durchführung des Verfahrens zuständige Gericht zuständig.

2. Die Vergütung des Sachverständigen Dr. T. war auf 0,00 € festzusetzen, da der Anspruch auf Vergütung gem. § 8a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JVEG entfallen ist. Demnach erhält der Berechtigte eine Vergütung nur insoweit, als seine Leistung bestimmungsgemäß verwertbar ist, wenn er gegen die Verpflichtung aus § 407a Abs. 1 bis 4 ZPO verstoßen hat, es sei denn, er hat den Verstoß nicht zu vertreten. Nur soweit das Gericht die Leistung berücksichtigt hat, gilt sie als verwertbar, § 8a Abs. 2 Satz 2 JVEG.

a) Der Sachverständige hat gegen § 407a Abs. 3 Satz 1 ZPO verstoßen, indem er insbesondere die Exploration auf eine Hilfsperson übertragen hat. Zwar kann ein beauftragter Sachverständiger, der grundsätzlich zur persönlichen Erstellung und Erstattung des Gutachtens verpflichtet ist, Hilfskräfte in Anspruch nehmen, solange er sich von den Untersuchungsergebnissen selbst überzeugt und das Gutachten selbst verantwortet. Die Staatsanwaltschaft hat auch die Zuziehung einer Hilfskraft - wie üblich - genehmigt. Aufgrund der Pflicht zur persönlichen Gutachtenerstattung besteht jedoch ein Delegationsverbot, soweit durch Heranziehung anderer Personen die Verantwortung des Sachverständigen für das Gutachten in Frage gestellt wird (BGH, Beschluss vom 25.05.2011 – 2 StR 585/10; Löwe-Rosenberg, 27. Auflage 2017, StPO, § 73 Rn. 6). Das Gutachten eines psychiatrischen Sachverständigen muss eine Exploration des Probanden durch den Sachverständigen einschließen. Dabei handelt es sich um die zentrale Untersuchungsmethode. Deren Ergebnisse kann der gerichtliche Sachverständige nur dann eigenverantwortlich bewerten, wenn er sie selbst durchgeführt oder zumindest insgesamt daran teilgenommen hat. Dies gilt erst recht, wenn bei der Exploration auch Mimik und Gestik des Probanden aufgefasst werden. Die Durchführung der Exploration als Kernstück des Gutachtens darf daher nicht an eine Hilfsperson delegiert werden (vgl. BGH, Beschluss vom 25.05.2011 - 2 StR 585/10; BSG, Beschluss vom 18.09.2003 - B 9 VU 2/03 B; OLG Köln, Beschluss vom 20.07.2011 - 17 W 129/11; MüKoStGB, 4. Auflage 2020, § 20 StGB Rn. 171; Nedopil/Müller, Forensische Psychiatrie, 4. Auflage 2012, S. 407).

Laut Auskunft des Sachverständigen Dr. T erfolgte eine detaillierte Exploration durch Frau B., durch ihn lediglich eine kompakte Abfrage. Eine kompakte Abfrage reicht aber nicht aus, um sich – bei der Exploration als zentrale Untersuchungsmethode - ein eigenes Bild von der Richtigkeit der Befunderhebung zu machen. Dem Sachverständigen war es daher verwehrt, die Verantwortung für das Gutachten zu übernehmen, da er die Exploration nicht persönliche durchgeführt hat oder wenigstens anwesend war. Soweit er behauptet, er habe die Kernstücke der Exploration durch seine Mitarbeiterin mit dem Verurteilten in kürzerer Zeit besprochen, steht dies in Widerspruch zu den Angaben des Verurteilten, der von Beginn an angegeben hatte, dass der Sachverständige mit ihm nur fünf Minuten über § 64 StGB gesprochen habe. Die Kammer hat an den Ausführungen des Verurteilten keine Zweifel, hat er doch (durch den Brief an seine Lebensgefährtin) den Stein ins Rollen gebracht, obwohl das schriftliche Gutachtenergebnis für ihn günstig ausgefallen ist. Der Sachverständige hat dem auch nicht konkret widersprochen, sondern lediglich pauschal vorgetragen, dass die „Kernstücke“ in knapper Form mit dem Verurteilten besprochen worden seien, ohne hierbei vorzutragen, welche Inhalte dies gewesen seien. Der letzten Behauptung des Verurteilten, dass der Sachverständige lediglich fünf Minuten da gewesen sei und nur § 64 StGB befürwortet habe, brachte der Sachverständige schließlich nichts entgegen. Letztlich kann es aber auch dahinstehen, welche „Kernstücke“ in kompakter Form mit dem Verurteilten - vermeintlich - besprochen wurden. Der psychiatrische Sachverständige hat die gesamte Exploration selbst durchzuführen oder ihr wenigstens beizuwohnen, was er seinem eigenen Vorbringen nach zweifellos nicht ansatzweise getan hat. Er kann daher denknotwendig auch nicht, wie er anführt, den „gesamten schriftlichen Gutachtentext auf Richtigkeit überprüft“ haben. Soweit der Sachverständige sich nunmehr ergänzend darauf beruft, er habe die Justiz unterstützen wollen und die Zeit zur Fertigstellung des Gutachtens auf eine zumutbare Frist zu begrenzen, kann er damit nicht gehört werden. Die Exploration eines Beschuldigten/Angeklagten kann für diesen, insbesondere bei Gutachten zu §§ 20, 21, 63, 64 StGB, gravierende Konsequenzen im Falle einer Verurteilung haben. Für die Justiz und den Probanden ist es daher unerlässlich, dass derartige Überlegungen bei der Gutachtenerstellung keinen Einzug finden. Es ist zwar richtig, dass auch von anderen Gutachtern gelegentlich Fachkräfte hinzugezogen werden. Dies gilt jedoch nicht für den Bereich der Exploration.

Die Kammer sah sich daher gezwungen, den Sachverständigen vor Beginn der Hauptverhandlung von der weiteren Gutachtenerstattung zu entbinden. Daran vermochte auch eine hypothetisch ergänzende Exploration durch den Sachverständigen Dr. T. nichts zu ändern, da hierdurch verbleibende Zweifel an der notwendigen Objektivität des Sachverständigen bestehen blieben. Dies galt umso mehr, als der Verurteilte in dem beschlagnahmten Brief an seine Lebensgefährtin vom 10.05.2021 seine Verärgerung über der Sachverständigen Dr. T. zum Ausdruck gebracht hat. In dem Brief äußerte der Verurteilte unter anderem, dass er „richtig sauer auf den Sachverständigen“ sei, da das „Gutachten Frau B. und kein T. gemacht habe“, und er „mit ihm nur fünf Minuten über den § 64 und nicht über meine Gedanken gesprochen habe“. Eine unbefangene Mitwirkung des Verurteilten an einer weiteren Exploration durch Dr. T. war daher zweifelhaft.

b) Der Sachverständige hat den Verstoß auch zu vertreten. Zwar wurde er von der Staatsanwaltschaft darauf hingewiesen, dass er sich der Mitarbeit anderer bedienen könne. Dies umfasst jedoch nicht den Bereich der Exploration als zentrale Untersuchungsmethode (ausdrücklich für den Bereich der Schuldfähigkeitsbegutachtung: BGH, Beschluss vom 25.05.2011 - 2 StR 585/10). Dem Sachverständigen muss dies aus seiner berufsrechtlichen Stellung heraus auch bewusst gewesen sein, da die Exploration für das Gutachtenergebnis von wesentlicher Bedeutung ist. Jedenfalls hätte er aber vorher bei der Staatsanwaltschaft Rückfrage halten müssen, wie weit die Delegationsmöglichkeit reicht.

c) Die Leistung wurde gem. § 8a Abs. 2 Satz 2 JVEG nicht berücksichtigt. Das Gutachten wurde weder in der Hauptverhandlung noch im Urteil verwertet. Der neu hinzugezogene Sachverständige explorierte den Verurteilten selbst und berücksichtigte das Gutachten des Sachverständigen Dr. T. nicht. Da die Kammer Zweifel an der weiteren Objektivität des Sachverständigen Dr. T. hatte (s.o.), war auch eine Nachbesserung in Form einer persönlichen Exploration durch Dr. T. nicht mehr möglich.

III.

Das Verfahren ist gem. § 4 Abs. 8 JVEG gebührenfrei.


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