Gericht / Entscheidungsdatum: VG Koblenz, Beschluss vom 19. Mai 2022 4 L 455/22.KO
Leitsatz des Gerichts: Nach der Anlage 4 FeV ist die Fahreignung jedenfalls dann zu verneinen, wenn im Rahmen einer Dauerbehandlung Arzneimittel eingenommen werden, die als Wirkstoff Amphetamin enthalten und drogentypische Ausfallerscheinungen beim Fahrerlaubnisinhaber festgestellt werden.
In pp.
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500 festgesetzt.
Gründe
Der Antrag, mit dem der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die im Bescheid des Antragsgegners vom 22. April 2022 verfügte Entziehung seiner Fahrerlaubnis begehrt, hat keinen Erfolg.
1. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung dieses Bescheides begegnet keinen formellen Bedenken; insbesondere wurde sie ausreichend begründet.
Gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung eines Bescheides schriftlich zu begründen. Die Begründung soll auf den konkreten Fall abstellen und darf nicht lediglich formelhaft sein (vgl. W.-R. Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO-Komm., 27. Aufl. 2021, § 80 Rn. 85). Der Antragsgegner bezieht sich in seiner Begründung auf den konkreten Fall. Er erwähnt explizit, dass der Antragsteller am 20. Januar 2022 unter Einfluss von Amphetamin gestanden habe. Daraus schließt er auf erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung.
2. Die Anordnung des Sofortvollzugs ist ebenso wenig materiell-rechtlich zu beanstanden. Die im Rahmen von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Abwägung der gegenseitigen Interessen fällt zu Ungunsten des Antragstellers aus.
a) Das öffentliche Interesse an der sofortigen Entziehung seiner Fahrerlaubnis überwiegt sein Interesse, sie vorläufig behalten zu dürfen, da sich die Maßnahme bei der in Eilverfahren angezeigten summarischen Prüfung als rechtmäßig erweist.
Die Entziehung der Fahrerlaubnis findet ihre Rechtsgrundlage in § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) i.V.m. § 46 Abs. 1 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV). Danach ist die Verwaltungsbehörde verpflichtet, die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist.
Das ist nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV anzunehmen, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen. Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 (zu den §§ 11, 13 und 14) FeV im Folgenden: Anlage 4 FeV wird die Eignung bei der Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes grundsätzlich verneint. Für Cannabis gelten Besonderheiten. Bei dieser Droge wird die Fahreignung grundsätzlich verneint, wenn sie regelmäßig eingenommen wird; bei gelegentlicher Einnahme kann die Fahreignung nur bejaht werden, wenn zwischen Konsum und Fahren getrennt wird und kein Mischkonsum (zusätzlicher Gebrauch anderer psychoaktiver Stoffe) vorliegt (Nr. 9.2.2 der Anlage 4 FeV).
Bei der Dauerbehandlung mit Arzneimitteln enthält die Anlage 4 FeV in Nr. 9.6.2 eine vorrangige Sondervorschrift. Danach scheidet eine Fahreignung aus, sofern eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit zum Führen von Kraftfahrzeugen unter das erforderliche Maß vorliegt.
Damit ist nach der Anlage 4 FeV die Fahreignung jedenfalls dann zu verneinen, wenn im Rahmen einer Dauerbehandlung Arzneimittel eingenommen werden, die als Wirkstoff Amphetamin enthalten und wie hier drogentypische Ausfallerscheinungen beim Fahrerlaubnisinhaber festgestellt werden.
b) Nach Nr. 9.1 der Anlage 4 FeV scheidet eine Fahreignung des Antragstellers aus. Er hat Amphetamin, eine im Betäubungsmittelgesetz (Anlage III (zu § 1 Abs. 1)) genannte harte Droge konsumiert. Dies ergibt sich aus dem toxikologischen Befund des Instituts für Rechtsmedizin in A. vom 22. Februar 2022. Danach wurde durch die Untersuchung der bei dem Antragsteller am 20. Januar 2022 entnommenen Blutprobe die Aufnahme von Amphetamin belegt. Schon der einmalige Konsum dieser Droge genügt für den Eignungsausschluss unabhängig davon, ob ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss des Betäubungsmittels geführt wurde (vgl. VGH BW, Beschluss vom 7. April 2014 10 S 404/14 , juris, Rn. 5; OVG RP, Beschluss vom 16. Dezember 2021 10 B 11303/21.OVG , n.v., BA S. 2 f.). Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von Nr. 9.1 Anlage 4 FeV. Das Wort Einnahme erfasst auch ein erstes bzw. einmaliges Konsumieren eines Rauschmittels. Ferner spricht die in Nr. 9 Anlage 4 FeV verwendete Systematik dafür, von einem einmaligen Konsum harter Drogen auf eine mangelnde Fahreignung zu schließen. Der Verordnungsgeber differenziert dort nach der Art der Drogen (Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes, Cannabis, andere psychoaktiv wirkende Stoffe) und dem Konsumverhalten (Einnahme, regelmäßig, gelegentlich, Abhängigkeit). Demnach genügt regelmäßig schon die einmalige Einnahme von Amphetamin zum Ausschluss der Fahreignung (vgl. OVG RP, Beschlüsse vom 16. Dezember 2021 10 B 11303/21.OVG , n.v., BA S. 2 m.w.N.; und 25. Juli 2008 10 B 10646/08.OVG , juris, Rn. 4), sofern keine Umstände vorliegen, welche ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen. Solche Umstände sind im Fall des Antragstellers nicht gegeben.
c) Die auf die Dauerbehandlung mit Arzneimitteln abstellende Regelung in Nr. 9.6.2 der Anlage 4 FeV führt zu keinem anderen Ergebnis. Sie rechtfertigt nicht den Schluss, dass die Fahreignung des Antragstellers trotz der Einnahme des amphetaminhaltigen Arzneimittels Elvanse gegeben ist. Denn ihre Voraussetzungen liegen nicht vor.
Bei einer Dauerbehandlung mit einem betäubungsmittelhaltigen Arzneimittel i.S.v. Nr. 9.6.2 der Anlage 4 FeV ist zu prüfen, ob dessen Einnahme indiziert und ärztlich verordnet ist, es zuverlässig nach ärztlicher Verordnung eingenommen wird, keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit festzustellen sind, die Grunderkrankung bzw. die vorliegende Symptomatik keine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung aufweist, und ob zu erwarten ist, dass der Betroffene in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch die Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt ist, am Straßenverkehr teilnehmen wird (vgl. für Medizinal-Cannabis BayVGH, Beschluss vom 30. März 2021 11 ZB 20.1138 , juris, Rn. 19, m.w.N.; Beschluss der Kammer von 2. September 2021 4 L 784/21.KO , n.v., BA S. 4).
Bei einer Dauerbehandlung mit amphetaminhaltigen Arzneimitteln sind diese Voraussetzungen noch enger zu fassen. Der Gesetzgeber geht wie bereits dargelegt bei der Einnahme harter Drogen davon aus, dass wegen der Gefahr des Kontrollverlustes eine Fahreignung unabhängig davon auszuschließen ist, ob unter dem Drogeneinfluss ein Fahrzeug geführt wurde. Dass gerade Amphetamin im vorbezeichneten Sinne gefährlich ist, ergibt sich aus den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. B. bei der vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz im Verfahren 7 A 10667/05.OVG durchgeführten Beweisaufnahme (Beschluss vom 4. Oktober 2005, juris, Rn. 3). Der in der mündlichen Verhandlung angehörte Gutachter vom Institut für Rechtsmedizin der C.-Universität A. hat im Einzelnen erläutert, dass Amphetamin eine erheblich stimulierende Wirkung habe. Es vermittele subjektiv den Eindruck besonderer Leistungs- und hoher Konzentrationsfähigkeit. Dieses subjektive Leistungsempfinden weiche aber erheblich von der objektiven Leistungsfähigkeit ab. Die Antriebssteigerung führe zudem zu einem ichbezogenen Denken, aufgrund dessen eigene Wünsche unabhängig von den Gegebenheiten der Umgebung durchgesetzt würden. Die gesteigerte Wachheit und der stimulierte Antrieb führten zu einer Inanspruchnahme von Leistungsreserven, die später nicht mehr zur Verfügung stünden. Dem schließe sich ein plötzlicher Leistungsabfall an, der nicht absehbar sei, so dass sich der Konsument auf ihn nicht einstellen könne.
Stellt eine Medikation mit amphetaminhaltigen Medikamenten nicht sicher, dass beim Patienten Ausfallerscheinungen in der genannten Art und Weise ausgeschlossen werden, führt dies aufgrund der damit verbundenen Gefahr des Kontrollverlustes zur Ungeeignetheit des Betreffenden zum Führen von Kraftfahrzeugen.
Solche Ausfallerscheinungen lagen beim Antragsteller vor. Er hat ausweislich des Berichts der Polizeiinspektion D. im Zeitpunkt des Polizeieinsatzes am 20. Januar 2022 drogentypische Ausfallerscheinungen gezeigt. Die Polizeibeamten konnten gerötete/wässrige Augen und lichtstarre, geweitete Pupille feststellen. Der Antragsteller habe gezittert und sei unruhig gewesen. Damit lagen beim Antragsteller offensichtlich auf den Wirkstoff Amphetamin zurückzuführende drogentypische Beeinträchtigungen vor. Dies lässt den Schluss zu, dass sich der Antragsteller entweder nicht an die ärztlich verordnete Dosis gehalten hat bereits dies würde nach den dargelegten Grundsätzen die Annahme von Nr. 9.6.2 der Anlage 4 FeV ausschließen oder die Verordnung nicht sicherstellt, dass die Einnahme des amphetaminhaltigen Medikaments zu Ausfallerscheinungen führt, welche die Gefahr der Teilnahme am Straßenverkehr durch den Antragsteller begründen.
Darüber hinaus spricht nach Aktenlage vieles dafür, dass der Antragsteller in dem dargelegten Zustand, also trotz der festgestellten Ausfallerscheinungen, einen Pkw geführt hat. Nach dem Polizeibericht trug er den Schlüssel für den Pkw, mit dem der Antragsteller und seine Begleitperson von der Polizei angetroffen worden waren, bei sich.
Zudem entspricht nach der im Eilverfahren vorzunehmenden summarischen Prüfung die vom Antragsteller im Eilverfahren vorgelegte ärztliche Bescheinigung den genannten Anforderungen nicht. Dieser ist schon nicht zu entnehmen, aufgrund welcher Erkrankung das Medikament Elvanse verschrieben wird, sodass eine Indikation der Einnahme nicht dargelegt ist. Zudem fehlt es an Angaben dazu, wann das Medikament verschrieben worden ist und für welchen Zeitraum.
d) Ob der Antragsteller das Medikament Elvanse zudem missbräuchlich i.S.v. Nr. 9.4 der Anlage 4 FeV konsumiert (vgl. VG Neustadt a.d. Weinstraße, Beschluss vom 17. Mai 2018 1 L 367/18.NW , juris, Rn. 40) und auch aus diesem Grund seine Fahreignung verneint werden muss, kann im hiesigen Eilverfahren nicht abschließend beurteilt werden. Voraussetzung hierfür wäre, dass er regelmäßig das Medikament über die ärztlicherseits verordnete Dosis anwendet (vgl. VG Neustadt a.d. Weinstraße, Beschluss vom 17. Mai 2018 1 L 367/18.NW , juris, Rn. 40). Hierfür bietet die derzeitige Aktenlage keine Anhaltspunkte.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG in Anlehnung an die Ziffern 1.5 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (LKRZ 2014, 169).
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