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Entscheidungen

Zivilrecht

Dieselskandal, Abtretung Schadensersatzansprüche, Verjährung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Schleswig, Urt. v. 22.4.2022 – 1 U 36/21

Eigener Leitsatz:
Die Abtretung von Schadensersatzforderungen im sog. Diesel-Abgasskandal zur Geltendmachung im massenhaften Sammelklageverfahren ist wegen Verstoßes gegen § 3 RDG nichtig. Die Geltendmachung der abgetretenen Forderung im Sammelklageverfahren hemmt deshalb die Verjährung nicht.


In pp.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Itzehoe vom 28.04.2021, Az. 4 O 209/20, wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Itzehoe ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckten Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger erwarb mit Kaufvertrag vom 28.11.2014 bei A. in R. einen gebrauchten VW Golf 2.0l mit einem Kilometerstand von 56.550 km. Der Kaufpreis, für den der Kläger ein Darlehen aufnahm, betrug 14.200 € (Anl. K 1). Der Kläger leistete eine Anzahlung in Höhe von 3.000,-- € und nahm über den Restbetrag ein Darlehen auf. Die Darlehenssumme betrug ausweislich des Darlehensvertrags 13.520,80 €. Beginnend mit dem 01.01.2015 waren Ratenzahlungen in Höhe von 229.60 € zu leisten.

Im November 2015 veräußerte der Kläger das Fahrzeug zum Preis von angeblich 7.204,31 € (Anl. K 1a). Der Käufer übernahm die Ratenzahlung ab dem 01.12.2015 durch Überweisung der Beträge auf das Konto des Klägers. Vereinbart war diese Zahlungsweise für die ersten sechs Monate; wann der Käufer den Darlehensvertrag im eigenen Namen übernahm, ist nicht bekannt. Am 23.03.2017 jedenfalls löste der Kläger das Darlehen durch Zahlung der von der Volkswagenbank verlangten Ablösesumme über 7.204,31 € ab.

Das Fahrzeug ist mit einem Motor des Typs EA 189 ausgestattet. Motoren dieses Typs verfügen über eine Software, die erkennt, wenn sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befindet. In diesem Fall sorgt die Motorsteuerung für einen günstigeren Stickstoffausstoß als im realen Fahrbetrieb. Das Kraftfahrbundesamt beanstandete die Software im Jahr 2016 als unzulässig und ordnete den Rückruf der mit Motoren dieses Typs ausgestatteten Fahrzeuge an, sofern die sog. Umschaltlogik nicht mithilfe eines Updates beseitigt wurde.

Der Kläger sieht sich von der Beklagten in sittenwidriger Weise getäuscht. Er trat seinen angeblichen Schadensersatzanspruch am 29.07.2016 an die X GmbH ab (Anl. K 14). Diese machte am 11.12.2018 eine Sammelklage vor dem Landgericht Braunschweig anhängig, die auch den Anspruch des Klägers betraf. Nach einer Rückabtretung an den Kläger am 22.10.2020 (Anl. K 15) nahm die X GmbH ihre Klage insoweit am 23.02.2021 zurück.

Mit der im eigenen Namen am 30.12.2020 anhängig gemachten und der Beklagten am 21.12.2021 zugestellten Klage hat der Kläger zuletzt, gestützt insb. auf § 826 BGB, Schadenersatz in Höhe von 8.821,11 € sowie Erstattung vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten (962,80 €) verlangt. Der Schadenersatzbetrag ergibt sich aus der Differenz zwischen den Kaufpreisen bei An- und Weiterverkauf (6.500,31 €) und angeblichen Finanzierungskosten in Höhe von (2.320,80 €). Die Beklagte ist der Klage in der Sache und mit der Einrede der Verjährung entgegengetreten.

Der weitere Vortrag der Parteien sowie die im ersten Rechtszug zuletzt gestellten Anträge sind dem angefochtenen Urteil zu entnehmen, mit dem das Landgericht die Klage abgewiesen hat. Es ist davon ausgegangen, dass dem Kläger wegen des Weiterverkaufs des Fahrzeugs kein Schaden entstanden sei.

Der Kläger hat Berufung eingelegt. Er tritt der Auffassung entgegen, dass durch den Weiterverkauf sein Schaden entfallen sei. Er beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klagepartei 8.821,11 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.12.2020 zu zahlen;
2. die Beklagte zu verurteilen, außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 962,80 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.12.2018 zu zahlen;
hilfsweise
3. das angefochtene Urteil aufzuheben und zur erneuten Verhandlung an das Landgericht zurückzuverweisen;

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Der Senat hat mit Beschluss vom 16.09.2021 darauf hingewiesen, dass er die Zurückweisung der Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO beabsichtige. Der Anspruch sei verjährt. Auf den Einwand des Klägers, dass der Verjährung seine - offenbar übersehene - zeitweise Beteiligung an der Sammelklage der X GmbH entgegenstünde, hat der Senat die Sache mündlich verhandelt. Das Diktat der mündlichen Verhandlung ist aus ungeklärter Ursache nicht aufgezeichnet worden. Mit Zustimmung der Parteien hat der Senat daraufhin im schriftlichen Verfahren gem. § 128 Abs. 2 ZPO entschieden.

II.

Die Entscheidung ergeht in der aus dem Rubrum ersichtlichen Besetzung, die der geschäftsplanmäßigen Besetzung des Senats in dieser Sache entspricht. Die Vertreterbesetzung, in der der Senat mündlich verhandelt hatte, war nicht maßgeblich. Die Vorschrift des § 309 ZPO, wonach das Urteil nur von denjenigen Richtern gefällt werden kann, welche der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung beigewohnt haben, steht dem nicht entgegen. Die Vorschrift findet auf die Entscheidung im schriftlichen Verfahren gem. § 128 Abs. 2 ZPO weder unmittelbare noch entsprechende Anwendung, auch wenn ihr eine mündliche Verhandlung vorausgegangen ist (BGH NJW-RR 1992, 1065).

Die Entscheidung ergeht in der aus dem Rubrum ersichtlichen Besetzung, die der geschäftsplanmäßigen Besetzung des Senats in dieser Sache entspricht. Die Vertreterbesetzung, in der der Senat mündlich verhandelt hatte, war nicht maßgeblich. Die Vorschrift des § 309 ZPO, wonach das Urteil nur von denjenigen Richtern gefällt werden kann, welche der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung beigewohnt haben, steht dem nicht entgegen. Die Vorschrift findet auf die Entscheidung im schriftlichen Verfahren gem. § 128 Abs. 2 ZPO weder unmittelbare noch entsprechende Anwendung, auch wenn ihr eine mündliche Verhandlung vorausgegangen ist (BGH NJW-RR 1992, 1065).

Die Berufung ist unbegründet.

1. Dem Grunde nach hat der Kläger einen Anspruch gegen die Beklagte aus § 826 BGB auf Ersatz des Schadens, der ihm durch den Abschluss des Kaufvertrages über das mit der unzulässigen Motorsteuerungssoftware ausgestatteten Fahrzeugs entstanden ist. Der Kläger ist aktivlegitimiert. Sofern die Abtretung des Anspruchs an X GmbH wirksam war, hätte er den Anspruch jedenfalls am 22.10.2020 vor Klageerhebung wieder erworben.

Durch die Weiterveräußerung des Fahrzeugs ist der Anspruch des Klägers nicht entfallen. Sie hat nur zur Folge, dass der durch den Weiterverkauf erzielte Erlös an die Stelle des herauszugebenden Fahrzeugs tritt (BGH, Urteil vom 20.07.2021 - VI ZR 575/20 - ab Rn. 25, juris).

2. Der Anspruch ist aber verjährt.

Insoweit hatte der Senat seine im Hinweisbeschluss dargelegte Rechtsauffassung zu überdenken. Er hatte, wie der Kläger zu Recht beanstandet, den Vortrag zur Abtretung des Anspruchs an die X GmbH am 29.07.2016 übersehen, der allerdings mit dem weiteren Vortrag des Klägers nicht vereinbar ist, dass ihm die anspruchsbegründenden Umstände im Jahr 2016 noch nicht bekannt gewesen seien (Schriftsatz vom 23.02.2021 ab S. 68). Auch unter Berücksichtigung der Abtretung geht der Senat von einer Verjährung des Anspruchs aus. Die regelmäßige Verjährungsfrist ist abgelaufen (a). Das Aufspielen des Updates hat nicht zu einem Neubeginn der Verjährung geführt (b). Die Verjährung war nicht gehemmt (c) und es ist der Beklagten nicht aus Treu und Glauben verwehrt, sich auf Verjährung zu berufen (d). Ein Anspruch auf Restschadensersatz nach § 852 BGB besteht nicht (e).

a) Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Die notwendige Kenntnis ist vorhanden, wenn der Geschädigte erfolgversprechend, wenn auch nicht risikolos, Schadensersatzklage erheben kann, und sei es in Form der Feststellungsklage (BGH, Urteil vom 17.12.2020 - VI ZR 739/20 Rn. 8, NJW 2021, 938). In den Fällen des sog. Dieselabgasskandals hatten die Käufer der betroffenen Fahrzeuge bereits ab September 2015 die für eine Rechtsverfolgung notwendige Kenntnis von dem Sachverhalt allgemein und von der Betroffenheit ihrer Fahrzeuge. Ab diesem Zeitpunkt wäre es ihnen zumutbar gewesen, Klage zu erheben (BGH a. a. O. Rn. 20 i. V. m. Rn. 17). Dies gilt unabhängig davon, ob sie zu diesem Zeitpunkt bereits die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zogen (BGH a. a. O. Rn. 9). Die notwendige Kenntnis muss bei dem Kläger jedenfalls seit dem 29.07.2016 vorgelegen haben. An diesem Tage trat er seinen Schadensersatzanspruch an die X GmbH ab.

Die somit spätestens am 01.01.2017 beginnende Verjährung endete mit Ablauf des 31.12.2019. Da die Klage erst am 30.12.2020 anhängig gemacht wurde, ist die Beklagte berechtigt, die Leistung in Gänze zu verweigern.

b) Es kann offenbleiben, ob das zu einem unbekannten Zeitpunkt aufgespielte Update erneut eine unzulässige Abschalteinrichtung enthielt und die Beklagte auch diesbezüglich sittenwidrig handelte, wie der Kläger im Schriftsatz vom 23.02.2021 näher darlegt. Ansprüche für den Kläger ergäben sich daraus nicht. Er wäre hierdurch nicht geschädigt worden. Es erschließt sich nicht, wie die Beklagte durch die Entwicklung einer unzulässigen Software im Jahr 2016 auf die Entschluss- und Willensfreiheit des Klägers einwirken konnte - so der Kläger im Schriftsatz vom 23.02.2021 S. 17 -, nachdem er das Fahrzeug im Jahr 2015 verkauft hatte.

c) Die Abtretung hat die Verjährung nicht gehemmt. Nur die Klage des materiell Berechtigten hemmt die Verjährung (BGH NJW 2010, 2270, 2271 Rn., 38 Ls. 1; Grothe in MüKoBGB, 9. Aufl. 2021, § 204 Rn. 17; Prütting/Wegen/Weinreich/Deppenkemper, 16. Aufl. 2021, § 204 Rn. 3). Keine Hemmungswirkung hat deshalb die Klage des Zessionars, wenn die Abtretung unwirksam war (BGH NJW 2010, 2270, 2271 Rn. 39; MüKoBGB/ Grothe § 204 Rn. 18). So ist es hier. Die Abtretung ist wegen Verstoßes gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) unwirksam (nachfolgend aa). Auf Gutgläubigkeit des Klägers kommt es nicht an (bb).

aa) Nach § 3 RDG ist die selbständige Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen nur in dem Umfang zulässig, in dem sie gesetzlich erlaubt wird. § 4 RDG - alter und neuer Fassung - verbietet Rechtsdienstleistungen, die unmittelbaren Einfluss auf die Erfüllung einer anderen Leistungspflicht haben können, wenn hierdurch die ordnungsgemäße Erbringung der Rechtsdienstleistung gefährdet wird. Gegen § 3 RDG verstoßende Vereinbarungen und Verfügungen - wie etwa eine Abtretung - sind regelmäßig nach § 134 BGB nichtig, wenn sie auf die Erbringung einer nicht erlaubten Rechtsdienstleistung zielen (RegE BT-Drucks. 16/3655 S. 51; BGH NJW 2020, 208, 215 Rnrn. 58, 65; Deckenbrock/Henssler/Deckenbrock, RDG, 5. Aufl. 2021, § 4 Rn. 33a). Dies gilt allerdings nicht ausnahmslos. Eine geringfügige Überschreitung der Befugnis zur Inkassodienstleistung soll aus Gründen der Verhältnismäßigkeit insoweit folgenlos bleiben (BGH NJW 2020, 208, 218 Rnrn. 90 f). Ob auch ein Verstoß gegen § 4 RDG zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts führt, ist umstritten (dafür wohl BGH NJW 2020, 208, 231 Rn. 187; offengelassen in BGH NJW 2021, 3046, 3052 Rn. 45 - Airdeal; dafür Deckenbrock/Henssler/Deckenbrock § 4 Rn. 33), muss hier aber nicht entschieden werden. Die Abtretung verstößt schon gegen § 3 RDG.

Die X GmbH ist als Rechtsdienstleiterin im Bereich Inkassodienstleistungen registriert (§ 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 RDG). In welchem Umfang ihr hierdurch die Einziehung von Forderungen gestattet ist, hängt davon ab, wie der Begriff der Inkassodienstleistung zu bestimmen ist. Nach der Rechtsprechung des BGH darf der Begriff nicht zu eng verstanden werden. Auch sollen sich für die Beurteilung, ob sich die Tätigkeit eines registrierten Inkassodienstleisters innerhalb seiner Befugnis nach § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 RDG hält, keine allgemeingültigen Maßstäbe aufstellen lassen. Erforderlich sei eine am Schutzzweck des Rechtsdienstleistungsgesetzes orientierte Würdigung der Umstände des Einzelfalls einschließlich einer Auslegung der hinsichtlich der Forderungseinziehung getroffenen Vereinbarungen (BGH NJW 2020, 208 Ls. 2). Sog. Sammelklagen sind mit dem Begriff der erlaubten Inkassodienstleistung jedenfalls vereinbar. In der letzten hierzu ergangenen Entscheidung hat der BGH ausdrücklich klargestellt, dass der Inkassobegriff der §§ 10 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 2 S. 1 RDG auch Geschäftsmodelle umfasse, die ausschließlich oder vorrangig auf eine gerichtliche Forderung abzielten. Dies gelte auch im Fall des sog. "Sammelklage-Inkasso" (BGH NJW 2021, 3046 Ls. 1 - Airdeal).

Daraus ist der Schluss gezogen worden, dass auch die von X in den Fällen des "Dieselabgasskandals" erhobenen Sammelklagen nicht zu beanstanden und die ihnen zugrunde liegenden Abtretungen mithin wirksam seien. Die Rechtsdienstleistungsvereinbarung, die der geschädigte Fahrzeugerwerber mit X geschlossen habe, entspreche inhaltlich im Wesentlichen derjenigen, die der Entscheidung des Bundesgerichtshofs zugrunde gelegen habe. Auch sei die Interessenlage der Beteiligten gleich (OLG Nürnberg, U. v. 20.10.2021 - 12 U 143/20 - Rn. 53 - juris). Der 7. Zivilsenat des hiesigen Oberlandesgerichts hat die Gleichartigkeit der Fälle hingegen verneint, die Sammelklagen für erlaubniswidrig und die Abtretungen für unwirksam gehalten (Urteil vom 11.01.2022 - 7 U 130/21 -, SchlHAnz 2022, 61). Der Senat schließt sich dieser Auffassung an.

Der BGH ist in der Airdeal-Entscheidung davon ausgegangen, dass jede Einschränkung des Begriffs der Inkassodienstleistung einen Eingriff in die nach Art. 12 Abs. 1 GG gewährte Freiheit der Berufsausübung darstelle und dementsprechend nur gerechtfertigt sei, wenn sie sich auf ausreichende Gründe des Gemeinwohls unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit stützen lasse. Der BGH hat den Schutzzweck des RDG - der Schutz der Rechtsuchenden, des Rechtsverkehrs und der Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen - grundsätzlich als beachtlichen Grund des Gemeinwohls anerkannt, im entschiedenen Fall aber nicht erkennen können, dass er einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit rechtfertigen könne (BGH NJW 2021, 3046, 3049 Rnrn. 23 f).

Bei dieser Entscheidung hatte der BGH eine Sammelklage aus abgetretenen Forderungen von sieben Kunden einer Fluggesellschaft zu beurteilen, die Flüge gebucht und bezahlt hatten, die nach Insolvenz der Fluggesellschaft aber nicht mehr durchgeführt wurden. Allen Fällen lag damit erkennbar ein einheitlicher Sachverhalt zugrunde. Es lässt sich nachvollziehen, dass der BGH in der gesammelten Geltendmachung der Forderungen keinen unangemessenen Nachteil für den einzelnen Bürger sah. Angesichts des für alle gleichen anspruchsbegründenden Sachverhalts traten Umstände des Einzelfalles, die gesondert hätten ausgewertet werden müssen, in den Hintergrund. Im vorliegenden Fall ist dies anders. Die Beklagte hat unbestritten vorgetragen, dass in den bis zu 19.000 in einem Verfahren gebündelten Fällen Ansprüche unterschiedlichster Ausprägung zusammengefasst worden seien. Die Sachverhalte hätten Neu- und Gebrauchtwagenkäufe, Leasing- und Finanzierungskonstellationen, weiterveräußerte und unfallgeschädigte Fahrzeuge umfasst. Auch wenn alle Ansprüche ihre Grundlage in § 826 BGB haben mögen, kann von einem einheitlichen Sachverhalt keine Rede mehr sein. Deutlich wird dies etwa bei einem Vergleich zwischen den Fällen des Fahrzeugkaufs und -leasings. Während sich der Käufer nur den Vorteil anrechnen lassen muss, der ihm durch die tatsächlich gefahrene Strecke gefallen lassen muss, muss sich der Leasingnehmer ggf. - auch dies ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig - einen Nutzungswert in Höhe der gezahlten und zurückverlangten Leasingraten anrechnen lassen (zu einem solchen Fall s. BGH NJW 2022, 321 Ls. 2 und insb. Rnrn. 45, 47). Dementsprechend beurteilt sich nicht nur die Frage, wie sinnvoll eine Klage ist und welches Risiko die klagende Partei eingehen sollte, unterschiedlich. Es bedarf im Rechtsstreit auch unterschiedlichen Vortrags. Dass unabhängig davon eine sinnvolle Bearbeitung der Einzelfälle angesichts der schieren Masse ausgeschlossen war, zeigen zudem die von der Beklagten im Schriftsatz vom 07.01.2022, Bl. 535 f. d. A., genannten Beispiele.

Die den Zessionaren nachteilige Art der Prozessführung nimmt die X GmbH bereits zur Zeit der Abtretung wissentlich in Kauf. Airdeal hatte sich in ihren AGB immerhin das Recht vorbehalten, Ansprüche der Geschädigten gesammelt geltend zu machen, soweit sie gleichartig sind. Bei fehlender Gleichartigkeit sollte Airdeal berechtigt sein, nach Ermessen Gruppen zu bilden. Dies sollte insb. für die Gruppen der Fluggäste gelten, die vor und nach dem 16.08.2017 gebucht hatten (Ziff. 1.6 der AGB). Ersichtlich zielt diese Regelung darauf ab, die Ansprüche nach gleichartigem Sachverhalt ordnen und entsprechend geordnet in verschiedenen Sammelklagen gerichtlich durchzusetzen. Eine solche Ordnungsabsicht hat X in ihren AGB nicht zu erkennen gegeben. Dementsprechend hat sie in der Folge Ansprüche ohne Rücksicht auf die Umstände des jeweiigen Sachverhalts gebündelt und gemeinsam eingeklagt.

Darüberhinaus hat der BGH in der Airdeal-Entscheidung darauf hingewiesen, dass Geschäftsmodelle, die darauf angelegt seien, streitige aber tatsächlich unbegründete Ansprüche zu bündeln, um mittels einer hierdurch erzielten Verhandlungsmacht den Anspruchsgegner zum Abschluss eines Vergleichs zu zwingen, möglicherweise bedenklich seien (BGH NJW 2021, 3046, 3051 Rn. 34). Unverkennbar aber ist das Geschäftsmodell der X GmbH darauf ausgelegt. Den vorformulierten Rückabtretungsurkunden zufolge stand die Rückabtretung unter der auflösenden Bedingung, dass die "Vertragsanwälte" - gemeint offenkundig die von dem Anspruchsinhaber anstelle der X beauftragte Anwaltskanzlei - nach Prüfung der Erfolgsaussichten das Mandat zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs gegen die Beklagte nicht übernähmen. Die Ansprüche fielen in diesem Fall in vollem Umfang an die X GmbH zurück (Bl. 332 des Anlagenkonvoluts zum Schriftsatz vom 07.01.2022). Zu Recht weist die Beklagte darauf hin, dass der Sinn des Anspruchsrückfalls an die X nur der sein kann, durch eine Vielzahl von - auch offenkundig unbegründeten - Ansprüchen Verhandlungsmacht aufzubauen. In der Geltendmachung als unbegründet erkannter Ansprüche mit dem schlichten Ziel, Druck auf den Gegner auszuüben, liegt nichts weiter als ein Missbrauch der Rechtsweggarantie. Ein einen solchen Missbrauch einkalkulierendes Geschäftsmodell ist nicht schutzwürdig.

bb) Der Kläger meint, dass zumindest aufgrund seiner gutgläubigen Annahme, die Abtretung sei wirksam, von hemmender Wirkung der Klage ausgegangen werden müsse (Schriftsatz vom 01.03.2022 S. 22). Zur Begründung verweist er darauf, dass die Klage des Berechtigten die Verjährung auch dann hemme, wenn sie ein Dritter in unzulässiger Prozessstandschaft erhoben habe (BGHZ 78, 1 = NJW 1980, 2461). Die Hemmung hat der BGH aber auch dort gerade damit begründet, dass Gegenstand der Klage der Anspruch des Berechtigten gewesen sei. Daran ändere die Unzulässigkeit der Klage nichts. Dieser Entscheidung kann nicht entnommen werden, dass der Hemmungstatbestand der Klageerhebung auf Fälle ausgedehnt werden dürfte, in denen ein Berechtigter gutgläubig von der Klageerhebung absah.

d) Die Erhebung der Einrede der Verjährung ist nicht rechtsmissbräuchlich. Die Beklagte mag ihr Fehlverhalten jahrelang uneinsichtig abgestritten haben. Dadurch hat sie den Kläger aber nicht davon abgehalten, den bekanntgewordenen Sachverhalt anders zu bewerten und Schadensersatz zu verlangen. Dass die Beklagte nicht den Eindruck erweckte, zur Rückabwicklung der Kaufverträge bereit zu sein, sondern sich noch im Herbst 2018 im Gegenteil uneinsichtig dagegen stemmte, trägt der Kläger selbst vor (Schriftsatz vom 01.03.2022 S. 8). Abgesehen davon hat der Kläger sich nicht von einer rechtzeitigen Klageerhebung abhalten lassen, sondern seinen Anspruch innerhalb unverjährter Zeit eben zum Zweck gerichtlicher Durchsetzung - vermeintlich - an X abgetreten.

e) Ein Anspruch auf Restschadensersatz aus § 852 BGB steht dem Kläger nicht zu. Der Schädiger hat nach § 852 BGB das aus der unerlaubten Handlung Erlangte herauszugeben. Der Senat hat bereits im Hinweisbeschluss dargelegt, dass die Beklagte aus einem Gebrauchtwagenkauf - wie hier - keinen Vorteil erlangt hat.

Nunmehr liegt auch eine entsprechende höchstrichterliche Entscheidung vor. Hat der Geschädigte einen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen, bereits in Verkehr gebrachten Pkw von einem Dritten erworben, so führt dieser Erwerbsvorgang zu keiner Vermögensverschiebung im Verhältnis zwischen dem Geschädigten und der Herstellerin. Sie hat den ihr zugeflossenen Vorteil bereits mit dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs als Neuwagen erlangt. Ihr fließt im Zusammenhang mit dem im Abschluss des ungewollten Vertrags liegenden Vermögensschaden des Geschädigten durch ihre unerlaubte Handlung kein weiterer Vorteil zu. Sie ist an einem etwaigen Gewinn des Verkäufers aus diesem Kaufvertrag weder unmittelbar noch mittelbar beteiligt, unabhängig davon, ob der Gebrauchtwagen von einer Privatperson oder von einem Händler an den Geschädigten verkauft wurde. Deshalb scheidet in diesen Fällen ein Anspruch nach § 852 Satz 1 BGB aus (BGH, Urteile vom 10.02.2022 in den Verfahren VII ZR 365/221, VII ZR 679/21, VII ZR 692/21 und VII ZR 717/21 gem. Pressemitteilung 18/2022).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 709 ZPO.

4. Die Revision war zuzulassen, weil die Wirksamkeit der Abtretungen von Schadensersatzansprüchen in den Fällen des "Dieselabgasskandals" an die X GmbH in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt wird. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung bedarf es deshalb einer Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO).


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