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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Rücktritt, Urteilsgründe, fehlgeschlagener Versuch

Gericht / Entscheidungsdatum: BayObLG, Urt. v. 23.03.2022 - 202 StRR 27/22

Leitsatz des Gerichts: 1. Die Verurteilung wegen eines versuchten Delikts weist einen sachlich-rechtlichen Mangel auf, wenn das Tatgericht einen strafbefreienden Rücktritt nach § 24 Abs. 1 StGB nicht in Erwägung zieht und den Urteilsfeststellungen nicht zu entnehmen ist, ob der Versuch fehlgeschlagen ist.
2. Ein Fehlschlag des Versuchs, der einen freiwilligen Rücktritt nach § 24 Abs. 1 StGB ausschließt, liegt dann vor, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält, wobei es auf die Vorstellungen des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung ankommt.


In pp.

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts vom 02.11.2021 aufgehoben. Jedoch bleiben die getroffenen Feststellungen bestehen.
II. Im Umfang der Aufhebung (Ziffer I.) wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere (kleine) Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
III. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe

I.
Das Amtsgericht – Schöffengericht – verurteilte den Angeklagten am 28.06.2021 wegen versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten. Auf die hiergegen seitens der Staatsanwaltschaft eingelegte Berufung hat das Landgericht das erstinstanzliche Urteil dahin abgeändert, dass es den Angeklagten wegen „schwerer räuberischer Erpressung“ in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung schuldig gesprochen und deshalb gegen ihn eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten festgesetzt hat. Die auch vom Angeklagten gegen das Ersturteil eingelegte Berufung hat das Landgericht als unbegründet verworfen. Ausweislich der rechtlichen Würdigung ging das Landgericht hinsichtlich der schweren räuberischen Erpressung von einem Versuch aus, was offensichtlich versehentlich in der Entscheidungsformel nicht zum Ausdruck kommt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Mit Zuleitungsschrift vom 18.01.2022 hat die Generalstaatsanwaltschaft neben einer Berichtigung des Tenors des Berufungsurteils im Schuldspruch beantragt, die Revision des Angeklagten gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die statthafte und auch sonst zulässige Revision führt auf die Sachrüge hin – die Verfahrensrüge ist mangels Ausführung (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) unzulässig - zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache in dem aus Ziff. I. des Beschlusstenors ersichtlichen Umfang, weil das Landgericht keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob die Voraussetzungen für einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch der besonders schweren räuberischen Erpressung gegeben sind; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Soweit für die Entscheidung des Senats relevant, hat die Berufungskammer folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

a) Der erst am Tattag aus der Strafhaft entlassene Angeklagte begab sich am Vormittag des 05.02.2021 zur Asylbewerberunterkunft in S., wo er ein Zimmer beziehen sollte. Dort traf er den ihm von früher bekannten Geschädigten, mit dem er am Abend in einem Lebensmittelmarkt Whiskey einkaufte und sich dann etwa zwischen 20.25 und 20.45 Uhr im Bereich eines gegenüber dem Markt gelegenen Skaterparks aufhielt. Obwohl der Angeklagte wusste, dass ihm gegenüber dem Geschädigten keine Zahlungsansprüche zustanden, forderte er dort vom Geschädigten erstmals eine (noch) nicht bezifferte Geldzahlung. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, bewegte er dabei ein von ihm mitgeführtes Küchenmesser mit einer Klingenlänge von ca. 11 cm und einer Klingenbreite von ca. 4 cm vor dem Körper des Geschädigten hin und her. Nachdem der Geschädigte erklärt hatte, dass er nur ca. 10-12 Euro bei sich habe, erklärte der Angeklagte, dass dies nicht reiche. Der Geschädigte flüchtete daraufhin in sein Zimmer in der Asylbewerberunterkunft, wo er kurz vor 21.00 Uhr eintraf. Ca. 5-6 Minuten später betrat der Angeklagte das Zimmer des Geschädigten und forderte dort vom Geschädigten, dass dieser ihm sein gesamtes Geld überlassen oder monatlich 200 Euro zahlen solle, wobei er wiederum das Messer vor dem Körper des Geschädigten hin und her schwenkte, um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen. Nachdem der Geschädigte dem Angeklagten jedoch kein Geld gab, fügte sich der Angeklagte mit dem Messer an der rechten Kopfseite selbst eine blutende Schnittwunde zu. Als der Geschädigten dem Angeklagten ein Tuch zur Blutstillung reichte, schubste der Angeklagte den Geschädigten von sich weg und erklärte diesem, dass er sich selber verletzt habe, damit der Geschädigte sehe, dass er keinen Spaß mache und der Geschädigte ihm Geld geben solle. Der Geschädigte griff in diesem Augenblick mit einer Hand nach dem vom Angeklagten weiterhin gehaltenen Messer und zog an der Klinge, um den Angeklagten zu entwaffnen. Die nur locker mit dem Griff verbunden Klinge löste sich daraufhin aus dem Messergriff. Der Geschädigte warf die Klinge hinter einen im Zimmer befindlichen Schrank, woraufhin der Angeklagte den Geschädigten in den ‚Schwitzkasten‘ nahm und ihn auf dessen Bett drückte, wodurch dem Geschädigten für etwa 1 Minute nur noch wenig Luft blieb, was der Angeklagte zumindest billigend in Kauf nahm. Zudem erlitt der Geschädigte, wie vom Angeklagten vorhergesehen und zumindest billigend in Kauf genommen, Schmerzen am Hals und am Rücken, sowie zwei etwa handgroße Hämatome am linken Oberschenkel. Während der Angeklagte den Geschädigten würgte, versuchte dieser um Hilfe zu rufen. Nachdem der Angeklagte den Geschädigten aufgefordert hatte, ruhig zu sein, dann werde er ihn loslassen, verhielt sich der Geschädigte still. Der Angeklagte ließ den Geschädigten daraufhin los, verließ den Raum, schloss die Zimmertür und hielt diese zu, wodurch es dem Geschädigten, wie vom Angeklagten beabsichtigt, über einen Zeitraum von etwa 10 Minuten nicht möglich war, den Raum zu verlassen. Erst nach dem Eintreffen einer von zwei anderen Zeugen alarmierten Polizeistreife konnte der Geschädigte sein Zimmer wieder verlassen.

b) In rechtlicher Hinsicht hat das Landgericht diesen Sachverhalt im Hinblick auf den Schuldspruch als „versuchte schwere räuberische Erpressung“ in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung gewertet.

2. Das Landgericht hat einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch der besonders schweren räuberischen Erpressung i.S.d. § 24 Abs. 1 StGB gar nicht in Erwägung gezogen und demgemäß auch keine Feststellungen getroffen, die dem Senat die Prüfung erlauben würden, ob die Verurteilung wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung zu Recht erfolgt ist. Das Urteil würde nur dann nicht auf dem Erörterungsmangel beruhen, wenn der Versuch zweifelsfrei fehlgeschlagen wäre, weil in einem solchen Fall ein strafbefreiender Rücktritt von vornherein ausgeschlossen ist (vgl. nur BGH, Beschl. v. 15.01.2020 – 4 StR 587/19 = NStZ-RR 2020, 102; 09.01.2020 – 4 StR 324/19 = DAR 2020, 342 = NStZ 2020, 402 = StV 2020, 598 = BGHR StGB § 315c Abs 1 Nr 2a Vorfahrt 2; 27.11.2019 – 2 StR 609/18, bei juris Urt. v. 16.01.2019 – 2 StR 312/18 = StV 2020, 114). Allerdings kann davon aufgrund der lückenhaften Feststellungen des Landgerichts nicht ausgegangen werden. Ein Versuch ist fehlgeschlagen, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält (st.Rspr., vgl. nur BGH, Beschl. v. 24.11.2021 - 4 StR 345/21 = NStZ-RR 2022, 39 m.w.N.). Maßgeblich dafür ist nicht der ursprüngliche Tatplan, sondern dessen Vorstellung nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung. Ein Fehlschlag liegt nicht bereits darin, dass der Täter die Vorstellung hat, er müsse von seinem Tatplan abweichen, um den Erfolg herbeizuführen. Hält er die Vollendung der Tat im unmittelbaren Handlungsfortgang noch für möglich, wenn auch mit anderen Mitteln, so ist der Verzicht auf ein Weiterhandeln als freiwilliger Rücktritt vom unbeendeten Versuch zu bewerten (BGH a.a.O. m.w.N).

Da sich die Urteilsgründe nicht dazu verhalten, ob die Tatvollendung endgültig gescheitert war und welches Vorstellungsbild der Angeklagte spätestens nach dem Ablassen von dem Geschädigten im Anschluss an die verübten Würgehandlungen und damit an die nach Sachlage mit Blick auf den Tatvorwurf der versuchten besonders schweren Erpressung mögliche letzte Ausführungshandlung hatte, sind die Urteilsgründe lückenhaft und halten deshalb einer sachlich-rechtlichen Nachprüfung nicht stand (st.Rspr.; vgl. neben BGH a.a.O. u.a. BGH, Beschl. v. 09.01.2020 – 4 StR 324/19 = NStZ 2020, 402 = StV 2020, 598 = BGHR StGB § 315c Abs 1 Nr 2a = DAR 2020, 342 = BeckRS 2020, 3848 und 11.01.2022 – 6 StR 431/21 bei juris, jeweils m.w.N.).

III.

Der aufgezeigte sachlich-rechtliche Rechtsfehler führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils in dem aus Ziff. I. des Beschlusstenors ersichtlichen Umfang, d.h. einschließlich der nach Auffassung des Landgerichts tateinheitlich mitverwirklichten gefährlichen Körperverletzung und der Freiheitsberaubung. Der Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des gesamten Schuldspruchs (vgl. nur BGH, Beschl. v. 11.01.2022 – 6 StR 431/21 = StV 2022, 292). Darauf, dass die bisher getroffenen Feststellungen eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB nicht tragen, kommt es deshalb nicht mehr an. Jedoch können die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des angefochtenen Urteils bestehen bleiben, weil sie von dem die Aufhebung bedingenden Rechtsfehler nicht betroffen sind (vgl. § 353 Abs. 2 StPO). Die neue Berufungskammer kann und darf deshalb ergänzende Feststellungen treffen, sofern sie zu den bisherigen nicht in Widerspruch treten (st.Rspr., vgl. zuletzt u.a. BGH, Beschl. v. 29.04.2021 – 5 StR 104/21 und 12.08.2021 – 1 StR 242/21, jew. bei juris).

IV.

Aufgrund der aufgezeigten Rechtsfehler ist das angefochtene Urteil im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 353 StPO) und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere (kleine) Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).

V.

Die Entscheidung ergeht durch einstimmigen Beschluss gemäß § 349 Abs. 4 StPO.


Einsender: RiBayObLG Dr. G. Gieg, Bamberg

Anmerkung:


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