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Entscheidungen

OWi

Einstellung, Verjährung, Auslagenerstattung, Tatverdacht

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Saarbrücken, Beschl. v. 08.02.2022 – 8 Qs 3/22

Eigener Leitsatz: Zum Absehen von der Auferlegung der notwendigen Auslagen auf den Betroffenen nach Einstellung des Bußgeldverfahrens wegen Verjährung.


In pp.

1. Auf die sofortige Beschwerde des ehemals Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts St. Ingbert vom 17.01.2022 (25 OWi 3361/19) hinsichtlich der Auslagenentscheidung dahingehend abgeändert, dass die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse auferlegt werden.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des ehemals Betroffenen trägt die Staatskasse.
Gründe:
I.
Die Zentrale Bußgeldbehörde beim Landesverwaltungsamt des Saarlandes in St. Ingbert erließ gegen den Beschwerdeführer am 04.11.2019 einen Bußgeldbescheid wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 16 km/h und der tateinheitlich begangenen vorschriftswidrigen Nutzung eines elektronischen Gerätes, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient oder zu dienen bestimmt ist. Wegen dieser Verstöße setzte die Bußgeldbehörde eine Geldbuße von 100 € nebst einem einmonatigen Fahrverbot fest.
Gegen diesen Bußgeldbescheid erhob der Beschwerdeführer mit anwaltlichem Schriftsatz vom 11.11.2019 Einspruch. Zuvor hatte er bereits mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 23.10.2019 Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt, soweit die Behörde ihm Einsicht in verschiedene Unterlagen bzw. Messdaten verweigert hatte. Gegen den ablehnenden Beschluss des Amtsgerichts St. Ingbert vom 13.12.2019 erhob er zudem sofortige Beschwerde, über die die hiesige Kammer mit Beschluss vom 13.01.2020 entschied.
Hiernach geriet die Akte auf nicht mehr nachvollziehbare Weise in Verlust und wurde, nachdem sie auch in der Folgezeit nicht mehr auffindbar war (vgl. Bl. 63 und Bl. 70 ff.), Ende des Jahres 2021 mittels der dem Verteidiger in Kopie vorliegenden Aktenbestandteile rekonstruiert.
Sodann wurde das Verfahren durch das Amtsgericht St. Ingbert mit Beschluss vom 17.01.2022 wegen Verfolgungsverjährung eingestellt und die dem Verteidiger mit Schreiben vom 05.01.2022 angekündigte Kosten- und Auslagenentscheidung unter Anwendung von § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO getroffen, wonach die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers der Staatskasse nicht auferlegt wurden.
Gegen diesen, dem Verteidiger am 24.01.2022 förmlich zugestellten Beschluss wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner am selben Tage bei dem Amtsgericht St. Ingbert eingegangenen sofortigen Beschwerde, mit der er eine Abänderung der Auslagenentscheidung zu seinen Gunsten begehrt.
II.
1.
Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 464 Abs. 3 Satz 1 StPO zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben.
Die Beschränkung des § 464 Abs. 3 Satz 1 Hs 2 StPO findet vorliegend, da der Beschwerdeführer die Entscheidung in der Hauptsache lediglich in Ermangelung einer eigenen Beschwer nicht anzufechten vermag, keine Anwendung (vgl. Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 464 Rn. 19 m.w.N.).
2.
Auch in der Sache hat das Rechtsmittel Erfolg. Zwar dürfte – was vorliegend keiner abschließenden Entscheidung bedarf – das Amtsgericht zutreffend davon ausgegangen sein, dass der Beschwerdeführer nur deshalb wegen einer Ordnungswidrigkeit nicht verurteilt worden ist, weil ein Verfahrenshindernis besteht und das Gericht daher nach§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO im Rahmen eines ihm eingeräumten Ermessens davon absehen kann, seine notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen (vgl. zum Streitstand und zu der von der Kammer vertretenen Auffassung die Beschlüsse der Kammer vom 07.11.2017, 8 Qs 121/17, vom 24.11.2017, 8 Qs 133/17 und vom20.05.2019, 8 Qs 44/19).
Allerdings kommt ein Absehen von der Auslagenerstattung nur dann in Betracht, wenn die weiter gebotene Ermessensentscheidung ergibt, dass auf Grund besonderer Umstände die Belastung der Staatskasse ausnahmsweise als grob unbillig erscheint. Da dieses Ermessen erst darin eröffnet ist, wenn das Gericht bereits davon überzeugt ist, dass der Betroffene ohne das Verfahrenshindernis verurteilt worden wäre, müssen zu dem Verfahrenshindernis als dem alleinigen der Verurteilung entgegenstehendem Umstand demnach weitere besondere Umstände hinzutreten, die es billig erscheinen lassen, dem Betroffenen die Auslagenerstattung zu versagen. Diese Umstände dürfen folglich nicht in der voraussichtlichen Verurteilung des Betroffenen und der ihr zugrunde liegenden Tat gefunden werden (vgl. Gieg in: KK-StPO, 8. Aufl. 2019, § 467 Rn. 10b mit zahlreichen w.N.). Teilweise wird sogar angenommen, dass Grundlage des Unbilligkeitsurteils immer nur ein hinzutretendes vorwertbares prozessuales Fehlverhalten des Betroffenen sein kann (vgl. KK-StPO a.a.O.; a.A. Celle StraFo 14, 438).
Vorliegend verhält es sich so, dass der Eintritt der Verfolgungsverjährung allein darauf zurückzuführen ist, dass die Verfahrensakte bei einer Übersendung zwischen den am Verfahren beteiligten Behörden bzw. Gerichten Anfang des Jahres 2020 in Verlust geriet und der Vorgang offenbar erst als Reaktion auf den Schriftsatz des Verteidigers vom 07.10.2021 wieder rekonstruiert wurde, mithin zu einem Zeitpunkt, zu dem bereits Verjährung eingetreten war. Daher liegt der Eintritt des für die Verfahrensbeendigung maßgeblichen Verfahrenshindernisses allein in Sphäre der Behörden, weshalb es vorliegend nicht grob unbillig erscheint, die notwendigen Auslagen des ehemals Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen (vgl. Hilger in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, § 467 Rn. 58 m.w.N.; LG Ulm, Beschluss vom 06.11.2020, Az. 2 Qs 46/20 m.w.N.).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung der §§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. 467 Abs. 1 StPO.


Einsender: Verkehrsrechtsblog entnommen

Anmerkung:


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