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Entscheidungen

StPO

Terminierung, Anfechtung, Statthaftigkeit der Beschwerde

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 15.03.2022 – 2 Ws 27/22

Leitsatz des Gerichts: 1. Die Beschwerde gegen Terminsverfügungen des Vorsitzenden ist grundsätzlich unstatthaft.
2. Zu einem Antrag eines Angeklagten auf Terminsverlegung wegen mehrmonatiger Elternzeit seines Verteidigers in einer Haftsache bei einer Mehrzahl von Angeklagten.


KAMMERGERICHT

Beschluss

Geschäftsnummer:
2 Ws 27/22161 AR 18/22

In der Strafsache
gegen pp.

wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges u.a.

hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 15. März 2022 beschlossen:

Die Beschwerde der Angeklagten gegen die Verfügung des Vorsitzenden der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Berlin vom 18. November 2021 (in Gestalt seiner Entscheidung vom 17. Dezember 2021) wird als unzulässig verworfen.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.

Beim Landgericht Berlin – 1. große Strafkammer – ist ein Strafverfahren gegen sechs Angeklagte (darunter solche, die vom Vollzug der Untersuchungshaft verschont sind) wegen (u.a.) gewerbs- und bandenmäßigen Betruges in insgesamt über 300 Fällen anhängig. Sie sollen (im Wesentlichen) in betrügerischer Absicht gemeinschaftlich als Bande und gewerbsmäßig Pflegedienstleistungen gegenüber mehreren Krankenkassen abgerechnet haben, obwohl sie dies im Hinblick auf die mangelnde Qualifikation der eingesetzten ausländischen Pflegekräfte nicht hätten tun dürfen. Die Anklage datiert vom 15. Mai 2020. Das Hauptverfahren ist unter Zulassung der Anklage (mit einigen Änderungen) durch Beschluss der Kammer vom 7. Mai 2021 eröffnet worden.

Mit seiner Terminsverfügung vom 18. November 2021 beraumte der Vorsitzende der Strafkammer 31 Termine zur Durchführung der Hauptverhandlung ab dem 9. Juni 2022 bis zum 25. Oktober 2022 an und forderte alle bisherigen Verteidiger auf, binnen zwei Wochen Vorschläge für die Bestellung von je einem weiteren Pflichtverteidiger oder einer Pflichtverteidigerin zur Verfahrenssicherung zu unterbreiten. Am 6. Dezember 2021 beantragte die Angeklagte M., mit der Hauptverhandlung erst ab dem 29. September 2022 zu beginnen und alle früheren Termine aufzuheben und ggf. notwendige weitere Termine erst nach dem 25. Oktober 2022 anzusetzen, weil sich ihr (Wahl-) Verteidiger Rechtsanwalt L. vom 18. März bis zum 17. September 2022 in Elternzeit befinden werde. Mit E-Mail an ihren Verteidiger vom 17. Dezember 2021 lehnte der Vorsitzende diesen Antrag unter Hinweis auf den Beschleunigungsgrundsatz ab.

Dagegen wendet sich die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz ihres Verteidigers vom 22. Dezember 2021. Der Vorsitzende der Strafkammer hat der Beschwerde am 3. Januar 2022 nicht abgeholfen.

II.

Die Beschwerde ist bereits gemäß § 305 Satz 1 StPO unstatthaft und deshalb unzulässig. Sie wäre jedoch auch unbegründet.
1. Termine zur Hauptverhandlung werden gemäß § 213 Abs. 1 StPO von dem Vorsitzenden des Gerichts anberaumt. Die Frage, ob die Terminsverfügung des Vorsitzenden (insbesondere wie hier die Ablehnung einer Terminsverlegung) mit der Beschwerde anfechtbar ist, ist umstritten.

a) Teilweise wird vertreten, zwar unterlägen Entscheidungen, die der Urteilsfällung vorausgehen, insbesondere auch Terminsverfügungen des Vorsitzenden, grundsätzlich nicht der Beschwerde. Damit seien aber nur solche Entscheidungen gemeint, die im inneren Zusammenhang mit dem nachfolgenden Urteil stehen, ausschließlich seiner Vorbereitung dienen und keine weiteren Verfahrenswirkungen erzeugen (vgl. KG, Beschluss vom 9. Dezember 2016 – 4 Ws 191/16 – = StV 2018, 167 = BeckRS 2016, 113622). Maßnahmen, die eine vom Urteil nicht umfasste, selbstständige Beschwer eines Verfahrensbeteiligten bewirkten sowie vom erkennenden Gericht nicht bei Erlass des Urteils und auch nicht im Rahmen einer Urteilsanfechtung nachprüfbar seien, blieben dagegen selbstständig anfechtbar. Mit der dann ausnahmsweise zulässigen Beschwerde sei aber nur die fehlerhafte Ausübung des Ermessens durch den Vorsitzenden angreifbar (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 18. November 2011 – 1 Ws 453/11 – = NJW 2012, 246; KG aaO; jeweils mwN).
b) Nach anderer Ansicht (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Juni 1995 – 1 Ws 477/95 – = VRS 90, 127; vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 1. September 2009, – 2 Ws 233/09 – = NStZ-RR 2010, 283; Beschluss vom 22. September 1988, – 4 Ws 436/88 – = NStZ 1989, 133; Kropp, NStZ 2004, 668; OLG Hamburg, Beschluss vom 14. April 2020 – 2 Ws 54 - 55/20 –, juris) ist die Beschwerde gegen Terminsbestimmungen des Vorsitzenden stets unstatthaft. Denn aus der Rechtswidrigkeit einer Entscheidung könne eine selbständige Beschwer nicht hergeleitet werden, da sich eine Beschwer nur aus dem Entscheidungsausspruch, nicht aber aus den Gründen eines Beschlusses oder eines Urteils ergeben könne. Außerdem werde so die Begründetheitsprüfung systemwidrig in die Zulässigkeitsprüfung vorverlagert (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 15. Mai 2003, – 2 Ws 141/03 –).

c) Einer vermittelnden Ansicht nach (vgl. etwa OLG Stuttgart, Beschluss vom 21. Juni 2005 – 5 Ws 81/05 – = OLGSt § 305 StPO Nr. 8) soll die Beschwerde gegen Terminsbestimmungen nur in Fällen evidenter Ermessensfehler des Vorsitzenden statthaft sein.

d) Der Senat ist der Auffassung, dass die Beschwerde gegen Terminsverfügungen des Vorsitzenden grundsätzlich unstatthaft ist. Die Terminierung stellt geradezu einen „Musterfall“ für den vom Gesetzgeber gewollten Ausschluss der Beschwerde nach § 305 Satz 1 StPO dar. Dem Angeklagten stehen auch ohne die (gegen den Wortlaut der Vorschrift konstruierte) Fiktion einer ausnahmsweise doch statthaften Beschwerde effektive Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung. So kann er im Falle der Verhinderung des Verteidigers sein Vorbringen ohne weiteres in der Hauptverhandlung gemäß §§ 228 Abs. 2, 265 Abs. 4 StPO im Rahmen eines Aussetzungsantrages geltend machen. Wird der Antrag zu Unrecht abgelehnt, kann der Angeklagte seine Revision auf eine Verletzung des § 338 Nr. 8 StPO stützen, so dass für eine selbständige Beschwerdemöglichkeit kein Bedarf besteht (vgl. MüKo-StPO/Arnoldi, 1. Aufl., StPO, § 213 Rn. 16). In Betracht käme in anderen Fällen mangelnder Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen eines Angeklagten auch die Rüge einer Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens (Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK).

Etwas Anderes hat nur dann zu gelten, wenn die Terminsverfügung im Revisionsverfahren nicht überprüfbar ist (z.B. weil sie die ersatzlose Absetzung der Hauptverhandlung zum Inhalt hat). Dann geht sie allerdings der Urteilsfällung auch gerade nicht voraus.


2. Im Ergebnis wäre die Beschwerde hier zudem unbegründet.

Der Vorsitzende hat erkannt, dass die Organisation der Hauptverhandlung in seinem Ermessen steht (vgl. KK-StPO/Gmel, 8. Aufl., StPO § 213 Rn. 1). Er hat in seinem Schreiben an den Verteidiger der Angeklagten das von ihm ausgeübte Ermessen erläutert und seine Abwägungsentscheidung sachlich mit dem Beschleunigungsgrundsatz in Straf- und – insbesondere – in Haftsachen und der Rücksicht auf die Interessen der weiteren Verfahrensbeteiligten begründet. Die von der Verteidigung vertretene Auffassung, die von ihr erstrebte Verzögerung des Beginns der Hauptverhandlung von über drei Monaten sei „allenfalls marginal“, ist gerade mit Blick auf die bereits eingetretenen Verzögerungen nicht nachvollziehbar.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.


Einsender: VorsRiKG O. Arnoldi, Berlin

Anmerkung:


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