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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Anstaltsunterbringung, Haft, Absehen von Bestellung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Hannover, Beschl. v. 08.04.2022 - 40 Qs 12/22

Eigener Leitsatz: 1. Zu der Anstaltsunterbringung im Sinne des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO gehören insbesondere die verschiedenen Formen der Haft sowie die Unterbringung nach §§ 63, 64 StGB, ebenso indes auch - in analoger Anwendung - die stationäre Behandlung in einer Drogentherapieeinrichtung nach § 35 BtMG sowie ein die persönliche Freiheit erheblich einschränkender Aufenthalt in einer stationären Alkoholentzugsbehandlung.
2. Die Regelung des § 141 Abs. 2 Satz 3 StPO ist sowohl ihrem Wortlaut als auch ihrer systematischen Stellung nach lediglich auf Fälle der Pflichtverteidigerbestellung von Amts wegen nach § 141 Abs. 2 StPO anzuwenden, nicht jedoch auf Fälle der Bestellung auf Antrag des Beschuldigten nach § 141 Abs. 1 StPO.


Landgericht Hannover

40 Qs 12/22


Beschluss

In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.

wegen Diebstahls

Verteidiger: Rechtsanwalt Jan-Robert Funck, Schleinitzstraße 14, 38106 Braunschweig

hat die 2. große Strafkammer des Landgerichts Hannover auf die sofortige Beschwerde des Beschuldigten vom 25. März 2022 am 8. April 2022 beschlossen:

Der Beschluss des Amtsgericht Hannover vom 18. März 2022 wird aufgehoben.

Für den Beschuldigten wird rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragstellung Herr Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger bestellt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die dem Beschuldigten insoweit entstandenen Auslagen trägt die Landeskasse.

Gründe:

Die nach § 142 Abs. 7 Satz 1 StPO statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist die Beschwer des Beschwerdeführers nicht entfallen, weil das Ermittlungsverfahren noch nicht eingestellt ist.

Es liegt ein Fall notwendiger Verteidigung bereits im Ermittlungsverfahren nach §§ 140 Abs. 1 Nr. 5, 141 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO vor. Zu der Anstaltsunterbringung im Sinne des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO gehören insbesondere die verschiedenen Formen der Haft sowie die Unterbringung nach §§ 63, 64 StGB, ebenso indes auch — in analoger Anwendung — die stationäre Behandlung in einer Drogentherapieeinrichtung nach § 35 BtMG sowie ein die persönliche Freiheit erheblich einschränkender Aufenthalt in einer stationären Alkoholentzugsbehandlung (Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, 64. Auflage, § 140 Rn. 16). Der Beschuldigte befand sich vom 13. Juli 2021 bis zum 8. März 2022 auf Grundlage des § 35 BtMG in der Suchttherapieeinrichtung „pp".

Unverzüglich ist einem Beschuldigten nach dem eindeutigen Wortlaut des § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO ein Pflichtverteidiger dann zu bestellen, wenn er noch keinen Verteidiger hat. Zwar hat sich mit Schreiben vom 19. November 2021 Herr Rechtsanwalt Pp. für den Beschuldigten als Wahlverteidiger bestellt. Einem unverteidigten Beschuldigten steht jedoch gleich, dass der Wahlverteidiger ankündigt, mit der Bestellung als Pflichtverteidiger sein Wahlmandat niederzulegen (Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, 64. Auflage, § 141 Rn. 4). Dies hat der Verteidiger mit demselben Schreiben getan.

Die Bestellung eines Pflichtverteidigers kann vorliegend auch nicht nach § 141 Abs. 2 Satz 3 StPO unterbleiben. Hiernach kann im Ermittlungsverfahren die Bestellung zwar dann unterbleiben, wenn — wie hier — beabsichtigt ist, das Verfahren alsbald einzustellen und keine anderen Untersuchungshandlungen als die Einholung von Registerauskünften oder die Beiziehung von Urteilen oder Akten vorgenommen werden soll. Sowohl ihrem Wortlaut als auch ihrer systematischen Stellung nach ist diese Regelung indes lediglich auf Fälle der Pflichtverteidigerbestellung von Amts wegen nach § 141 Abs. 2 StPO anzuwenden, nicht jedoch auf Fälle der Bestellung auf Antrag des Beschuldigten nach § 141 Abs. 1 StPO. (ebenso: LG Hamburg, Beschluss vom 15. Juli 2021 — 622 Qs 22/21; LG Freiburg, Beschluss vom 26. August 2020 — 16 Qs 40/20; LG Würzburg, Beschluss vom 10. November 2020 — 6 Qs 197/20). Einer analogen Anwendung der Regelung steht bereits entgegen, dass eine planwidrige Regelungslücke nicht erkennbar ist: Die fehlende, dem § 142 Abs. 2 Satz 3 StPO entsprechende Regelung im Absatz 1 derselben Norm ist derart augenfällig, dass der Gesetzgeber diese geschlossen, bzw. gar nicht erst eröffnet hätte, wenn dies seinem Willen entsprochen hätte.

Die Staatsanwaltschaft Hannover hat nach dem Vorausgeführten im Ergebnis zutreffend mit Verfügung vom 25. Februar 2022 (BI. 16 R d.A.) die Akten der Ermittlungsrichterin beim Amtsgericht mit dem Antrag übersandt, dem Beschuldigten bereits für das Ermittlungsverfahren Herrn Rechtsanwalt Pp. als Pflichtverteidiger beizuordnen. Ein Fall nachträglicher Pflichtverteidigerbestellung liegt nicht vor.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 467, 473 StPO.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar, § 310 Abs. 2 StPO.


Einsender: RA J. R. Funck, Braunschweig

Anmerkung:


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