Gericht / Entscheidungsdatum: LG Saarbrücken, Urt. v. 08.04.2022 - 13 S 103/21
Leitsatz des Gerichts:
Der allgemeine Aufwand für die Beschaffung von Desinfektionsmaterial aus Anlass der Corona-Pandemie und der Zeitaufwand für die Desinfektion des Kundenfahrzeugs sind den durch das Grundhonorar des Schadengutachters abgegoltenen Gemeinkosten zuzuordnen; die Abrechnung einer Desinfektionspauschale Covid-19 als Nebenkosten kommt damit nicht in Betracht.
In pp.
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Neunkirchen vom 5.7.2021 - Az.: 4 C 98/21 (02) - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
3. Das Berufungsurteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger nimmt die Beklagte auf restliche Sachverständigenkosten nach einem Verkehrsunfall in Anspruch, der sich am 22.12.2020 in pp. ereignet hat. Die alleinige Haftung der Beklagten steht nicht im Streit. Der Kläger beauftragte das Sachverständigenbüro pp. mit der Erstattung eines Schadengutachtens. Diese stellte dem Kläger einen Betrag von 1.266,58 Euro in Rechnung, den die Beklagte vorgerichtlich in Höhe von 1.042,70 Euro regulierte.
Erstinstanzlich hat der Kläger die Beklagte auf Zahlung der restlichen Sachverständigenkosten in Höhe von 223,88 Euro in Anspruch genommen. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
Das Amtsgericht, auf dessen tatsächlichen Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, hat die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen zur Zahlung weiterer 169,91 Euro nebst Zinsen verurteilt. Zur Begründung hat es - soweit in der Berufung noch von Interesse - ausgeführt, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme seien Fahrtkosten des Schadengutachters zwar angefallen. Dem Kläger sei aber ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht anzulasten, da er einen Schadengutachter im Umkreis von 25 km habe finden können, weshalb er Fahrkosten lediglich für insgesamt 50 km verlangen könne. Kosten für einen 3. Fotosatz und Schreibkosten für den 3. Satz könne der Kläger nicht verlangen, da nach den Angaben des Zeugen pp. lediglich jeweils eine Ausfertigung an den Geschädigten und den Rechtsanwalt geschickt worden sei und die Archivierung für eigene Zwecke des Schadengutachters dem Geschädigten nicht in Rechnung gestellt werden könne. Auch der in Rechnung gestellte "Aufwand Fremdrechnung" in Höhe von 10,- Euro (netto) sei nicht zu erstatten, da ein tatsächlicher Aufwand in entsprechender Höhe zweifelhaft und ferner durch das Grundhonorar abgegolten sei. Die Desinfektionspauschale von 5,- Euro (netto) sei ebenfalls nicht zu erstatten, da Hygienemaßnahmen primär dem Eigenschutz der Mitarbeiter des Schadengutachters dienten und es sich daher um allgemeine Betriebsausgaben handele.
Hiergegen richtet sich die zugelassene Berufung des Klägers, mit der er die Klage im Umfang der Abweisung weiterverfolgt. Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung.
II.
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. In der Sache hat sie keinen Erfolg. Weitere Sachverständigenkosten über den erstinstanzlich zuerkannten Betrag hinaus stehen dem Kläger nicht zu.
1. Das Erstgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass dem Kläger dem Grunde nach ein Anspruch gegen die Beklagte auf Ersatz der Kosten des eingeholten Schadengutachtens aus §§ 7, 18 StVG, 115 VVG zusteht. Denn die Kosten für die Begutachtung des bei einem Verkehrsunfall beschädigten Fahrzeugs gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist (vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 2017 - VI ZR 76/16, NJW 2017, 1875).
2. Fehlt es dabei - wie hier - sowohl an einer vom Geschädigten beglichenen Rechnung als auch an einer plausiblen Honorarvereinbarung und einer damit korrespondierenden Rechnung, ist die Höhe der nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB erforderlichen Kosten unabhängig von der Rechnung und Vereinbarung zu ermitteln (vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 2019 - VI ZR 104/19, VersR 2020, 245).
3. Der für die Erstellung des Gutachtens erforderliche Aufwand kann in diesem Fall in Höhe der gemäß § 632 Abs. 2 BGB üblichen Vergütung für einen Kraftfahrzeugsachverständigen geschätzt werden. Denn der verständige Geschädigte wird bei Fehlen einer Honorarvereinbarung davon ausgehen, dass dem Sachverständigen die übliche Vergütung zusteht (vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 2017 - VI ZR 76/16, NJW 2017, 1875).
4. Die hier von dem Schadengutachter gewählte Abrechnung eines pauschalierten Grundhonorars zuzüglich Nebenkosten entspricht kammerbekannt der üblichen Abrechnung der Schadengutachter im Gerichtsbezirk und begegnet keinen grundsätzlichen Bedenken (vgl. BGH, Urteil vom 04. April 2006 - X ZR 80/05, NJW-RR 2007, 56). In diesem Fall können mit den Nebenkosten indes nur tatsächlich angefallene Aufwendungen verlangt werden, wohingegen die üblichen Gemeinkosten bereits mit dem Grundhonorar abgegolten sind. Zu den Gemeinkosten zählen dabei diejenigen Kosten, die nicht nur anlässlich des zu vergütenden Gutachtenauftrages entstanden sind, insbesondere die mit dem Bürobetrieb verbundenen Kosten (vgl. die Nachweise im Urteil der Kammer vom 02. Juli 2021 - 13 S 141/20, NJW-RR 2021, 1150).
a) Zu den mit dem Grundhonorar abgegoltenen Gemeinkosten zählen dabei auch die Kosten zur Herstellung von Ablichtungen für das Archiv des Gutachters (vgl. Kammer, Urteil vom 02. Juli 2021 - 13 S 141/20, NJW-RR 2021, 1150 mwN). Mit Recht hat das Erstgericht daher einen Anspruch betreffend die Schreibkosten für den 3. Satz und Kosten für den 3. Fotosatz verneint.
b) Auch den "Aufwand Fremdrechnung" hat das Erstgericht mit Recht den Gemeinkosten zugerechnet. Der Zeuge pp. hat hierzu bekundet, dass diese "Handlingpauschale" von 10,- Euro (netto) dafür erhoben wird, dass das Sachverständigenbüro mit dem von der Fremdfirma in Rechnung gestellten Betrag in Vorkasse treten muss und dadurch dessen Liquidität geschmälert wird. Er hat weiter ausgeführt, dass es dabei gerade nicht nur um das Fahrzeug des Klägers gehe, sondern auch um diverse andere Fahrzeuge. Bei der geltend gemachten Pauschale handelt es sich daher nicht um konkret bei dem Auftrag des Klägers angefallene Kosten, sondern solche des allgemeinen Geschäftsbetriebs.
c) Die "Desinfektionspauschale COVID-19" hat das Erstgericht ebenfalls mit Recht den Gemeinkosten zugeordnet (vgl. AG Saarbrücken, Urteil vom 25. September 2020 - 120 C 279/20 (05) -, juris; AG Völklingen, Urteil vom 13. November 2020 - 16 C 283/20 (11) -, juris; a. A. AG Pinneberg, Urteil vom 03. März 2021 - 62 C 86/20 -, juris). Der Zeuge pp. hat hierzu bekundet, dass Masken, Handschuhe und Desinfektionsmittel benötigt würden und ein höherer Zeitaufwand entstehe. Der Zeitaufwand ist indes grundsätzlich bereits mit dem Grundhonorar abgegolten (vgl. OLG Bremen, Urteil vom 26. September 2018 - 1 U 14/18 -, juris). Gleiches gilt aber auch für das Hygieneverbrauchsmaterial. Denn die Pauschale betrifft auch insoweit ersichtlich nicht solche tatsächlichen Aufwendungen, die konkret anlässlich des Gutachtenauftrags des Klägers angefallen sind, sondern die von dem konkreten Auftrag unabhängige generelle Beschaffung des Verbrauchsmaterials. Die Berufung führt insoweit selbst aus, dass gerade keine konkrete Abrechnung des verbrauchten Materials erfolgt. Auch das Hygieneverbrauchsmaterial unterfällt daher den Gemeinkosten (vgl. SG Mainz, Beschluss vom 17. September 2020 - S 2 R 250/19 -, juris für einen medizinischen Sachverständigen; s. a. Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 15. November 2021 - L 2 SB 128/21 B -, juris, dass allerdings einen pauschalierten Ersatz für besondere Aufwendungen nach § 12. Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 JVEG zuerkennt; ebenso Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 18. November 2020 - L 4 SB 122/19 -, juris). Diese Kosten sind daher nicht gesondert neben dem Grundhonorar als Nebenkosten zu vergüten. Ob die Kosten bei der Bemessung des Grundhonorars tatsächlich Berücksichtigung gefunden haben, ist bei der von dem Schadengutachter gewählten Abrechnung dabei ohne Belang.
5. Der Kläger kann auch keine weiteren Fahrtkosten verlangen. Mit Recht ist das Erstgericht davon ausgegangen, dass die Beauftragung eines weiter entfernten Sachverständigen einen Verstoß gegen die dem Geschädigten gemäß § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB obliegende Schadenminderungspflicht darstellen kann (vgl. LG Stuttgart, NJW-RR 2016,102; Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 249 BGB (Stand: 31.01.2022), Rn. 252). Dies ist hier der Fall. Ausweislich des Schadengutachtens war das Klägerfahrzeug nicht mehr verkehrssicher. Es war daher für den Kläger offensichtlich, dass die Begutachtung des Fahrzeugs - wie geschehen - in der pp. Garage in pp. würde erfolgen müssen. Bei dieser Sachlage war der Kläger gehalten, einen ortsnahen Schadengutachter zu beauftragen. Die Beauftragung des in pp. ansässigen Schadengutachters stellt sich unter diesen Umständen als Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht dar, ohne dass es darauf ankäme, ob - wie die Berufung geltend macht - der Gutachter je nach Fahrtstrecke noch innerhalb eines Radius von 25 km lag.
6. Der Verweis auf das "Prognose- und Werkstattrisiko" verhilft der Berufung ebenfalls nicht zum Erfolg. Denn die Erstattungsfähigkeit der Sachverständigenkosten ist hier unabhängig von einer Preisvereinbarung und der - nicht bezahlten - Rechnung zu ermitteln. Nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB ist daher alleine die rechtlich geschuldete übliche Vergütung zu erstatten. Selbst darauf, ob der Geschädigte erkennen konnte, dass die in Rechnung gestellten Kosten deutlich überhöht sind, kommt es bei dieser Sachlage nicht an (vgl. KG Berlin, VersR 2017, 638).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m. § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache erlangt keine grundsätzliche über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert nicht die Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).
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