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Entscheidungen

StPO

Wiedereinsetzung, Glaubhaftmachung, Briefumschlag

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Münster, Beschl. v. 23.03.2022 - 7 Qs 27/21

Eigener Leitsatz: Ist der Briefumschlag, mit dem ein Beschwerdeführer die rechtzeitige Absendung eines Rechtsmittels belegen könnte, nicht mehr vorhanden, kann auf eine Glaubhaftmachung verzichtet werden und. die "schlichte Erklärung als geeignet angesehen werden, die richterliche Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit des behaupteten Versäumungsgrundes zu begründen.


7 Qs 27/21

Landgericht Münster

Beschluss

In dem Beschwerdeverfahren

betreffend pp.
Verteidiger:

hat die 7. Strafkammer - Wirtschaftsstrafkammer - des Landgerichts Münster auf die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Münster vom 09.09.2021 - Az: 53 Cs 119/21 - durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, den Richter am Landgericht pp. und die Richterin am Landgericht pp. am 23.03.2022 beschlossen:

Dem Beschwerdeführer wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betreffend die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gewährt,
Der Beschluss des Amtsgerichts Münster vom 09.09.2021, Az. 53 Cs 119/21, wird aufgehoben.
Dem Beschwerdeführer wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betreffend die Frist zur Einlegung des Einspruchs gegen den Strafbefehl des Amtsgerichts Münster vom 28.07.2021 gewährt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens nebst den notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers (soweit sie nicht die Wiedereinsetzung betreffen) werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

I.

Unter dem 28.07.2021 erging gegen den Beschwerdeführer. ein Strafbefehl, mit dem gegen ihn wegen Steuerhinterziehung u.a. eine Gesamtgeldstrafe in Höhe von 160 Tagessätzen zu je 50,00 € festgesetzt wurde.

Der Strafbefehl wurde dem Beschwerdeführer ausweislich der Postzustellungsurkunde am 30.07.2021 durch Einlegung. in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt.

Mit Schreiben vom 12.08.2021, eingegangen laut Eingangsstempel beim Amtsgericht Münster am 16.08.2021, legte er dagegen Einspruch ein.

Nach gerichtlichem Hinweis auf die Verspätung des Einspruchs mit Verfügung vom 16.08.2021, ausgefertigt am 18.08.2021, erklärte er mit Schreiben vom 25.08.2021, eingegangen am 27.08.2021, er habe die Sendung am 12.08.2021 als PRIO Sendung-abgeschickt. und laut der Sendungsverfolgung sei der Brief am 13.08.2021 abgeliefert worden. Des Weiteren gab er die Sendungsnummer der Deutschen Post an und teilte mit, der gerichtliche Hinweis vom 16.08.2021 sei ihm am 20.08.2021 zugegangen.

Die Staatsanwaltschaft nahm Stellung und erklärte, aus dortiger Sicht dürfe Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sein.

Mit dem angefochtenen' Beschluss vom 09.09.2021, zugestellt am 15.09.2021, verwarf das Amtsgericht Münster den Einspruch und wies den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurück. Zur Begründung führte das Amtsgericht insbesondere aus, es könne zwar. anhand der Sendungsnummer nachvollzogen werden, dass das Schreiben mit der angegebenen. Sendungsnummer am 13.08.2021 zugestellt worden sei, nicht ersichtlich, sei aber, ob es sich um das Einspruchsschreiben an das Amtsgericht Münster handele.

Gegen den Beschluss legte der Beschwerdeführer mit. Schreiben vom 20.09.2021, eingegangen laut Eingangsstempel am 23.09.2021, „Einspruch" ein. Zur Begründung führte er u.a. aus, es sei nicht verständlich, wieso die Sendungsnummer nicht nachvollzogen werden könne, sie könne doch mit dem Briefumschlag, der beim Amtsgericht eingegangen sei, abgeglichen werden. Dann könne auch nachvollzogen werden, dass es sich bei dem am 13.08.2021 zugestellten Schriftstück um den Einspruch gehandelt habe.

Mit Verfügung vom 13.10.2021 wies die Kammer auf die Verfristung der als sofortige Beschwerde auszulegenden Eingabe vom 20.09.2021 hin.

Mit Schriftsatz vom 28.10.2021, eingegangen am selben Tag, beantragte der Beschwerdeführer, nunmehr anwaltlich vertreten,- Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde. U.a. führte er aus, er sei vom 16.10. bis 23.10.2021 im Urlaub in Dänemark gewesen. Als er am Morgen des 16.10.2021 in den Urlaub aufgebrochen. sei, habe er das Schreiben der Kammer vom 13.10.2021 noch nicht gekannt; er habe es erst am 24.10.2021 in seinem Briefkasten vorgefunden und zur Kenntnis genommen. Im Übrigen wird auf den Inhalt des Schriftsatzes vom 28.10.2021 (BI. 307 ff. d.A.) Bezug genommen.

Nach Hinweis der Kammer hat der Beschwerdeführer des Weiteren eine eidesstattliche Versicherung seiner Lebensgefährtin. zu den Akten gereicht; Auf den Inhalt der eidesstattlichen Versicherung (BI. 342 f. d.A.) wird Bezug genommen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet.

1. Die gem. § 411 Abs.. 1 S. 1 StPO statthafte sofortige Beschwerde ist – unter Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand — zulässig.

a) Soweit der Beschwerdeführer in seinem Schreiben vom 20.09.2021 „Einspruch" eingelegt hat, ist dieses Begehren offensichtlich als sofortige Beschwerde, dem gem. § 411 Abs. 1 S. 1 StPO allein statthaften Rechtsmittel, auszulegen.

b) Das Schreiben vom 20.09.2021 ist zwar nach Ablauf der in § 311 Abs. 2 StPO vorgesehenen Frist von einer Woche, die mit Zustellung am 15.09.2021 begann und am 22:09.2021 ablief, nämlich laut Eingangsstempel erst. am 23.09.2021 eingegangen. Etwas anderes kann auch nicht zugrunde gelegt werden, denn es steht nicht fest, dass das Schreiben vom 20.09.2021 früher eingegangen ist.

Dem Beschwerdeführer war aber Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 44 S. 1 StPO zu gewähren.

aa) Der Beschwerdeführer hat mit Schriftsatz vom 28.10.2021 binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses den Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt, § 45 Abs. 1 S. 1 StPO.

Die Wochenfrist des § 45 Abs. 1 S. 1 StPO ist eingehalten, denn der Beschwerdeführer hat vorgetragen und glaubhaft gemacht, von dem verspäteten Zugang des Beschwerdeschreibens vorn 20.09.2021 erst am 24.10.2021- Kenntnis erlangt zu haben. Danach hat er das Schreiben der Kammer vom 13.10.2021, mit dem auf den verspäteten Eingang hingewiesen worden ist, vor dem Urlaubsbeginn am 16.10.2021 nicht zur Kenntnis genommen, sondern erst nach Rückkehr in seinem Briefkasten vorgefunden.

bb) Es ist auch davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer unverschuldet gehindert war, die Beschwerdefrist einzuhalten, § 44 S. 1 StPO.

Denn es ist ohne weitere Glaubhaftmachung zu unterstellen, dass der Beschwerdeführer die Beschwerde am 21.09.2021 versandt hat. Der Briefumschlag, mit dem er dies hätte belegen können,- ist nicht mehr vorhanden. In dem Fall kann auf eine Glaubhaftmachung verzichtet werden und. die „schlichte" Erklärung als geeignet angesehen werden, die richterliche Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit des behaupteten Versäumungsgrundes zu begründen (vgl. BVerfG NJW 1995, 2545; OLG Hamm, 2 Ws 179/08, NStZ-RR 2009, 112; OLG Düsseldorf NStZ 1990, 149; OLG Brandenburg NZV 2006, 316; OLG Schleswig NJW 1994, 2841; Löwe-Rosenberg/Graalmann-Scheerer, StPO, 27. Auflage, § 45 Rn. 21; MüKoStPONalerius, StPO, 1. Auflage, § 45 Rn. 13; BeckOK. StPO/Cirener, StPO, 42. Ed., § 45 Rn. 11; möglicherweise a.A. OLG Hamm, 111-3 Ws 9/12, NStZ-RR 2012, 315).

Auch wenn es erstaunlich ist, dass ein vergleichbares Geschehen, nämlich ein Abweichen des Datums des Eingangsstempels von dem des Zustellnachweises der Post, den der Beschwerdeführer ' erhalten hat, zweimal hintereinander auftritt, bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte, dass der von dem Beschwerdeführer vorgetragene Zustellnachweis offensichtlich einem anderen Schreiben zuzuordnen ist. Vor dem Hintergrund der weiteren Unaufklärbarkeit aufgrund Vernichtung des Briefumschlages reicht im vorliegenden Fall die Erklärung des Beschwerdeführers, um von einer Wahrscheinlichkeit der Absendung am Tag vor- Fristablauf auszugehen.
Ist die Beschwerde aber am Tag vor Fristablauf zur Post gegeben worden, ist die Nichteinhaltung der Frist unverschuldet. Denn wenn der Beschwerdeführer das Schreiben am Tag vor Fristablauf zur Post gegeben hat, durfte er - zumal wenn er die Sendung per PRIO Brief versendet - mit einer Zustellung binnen eines Tages rechnen (vgl. OLG Hamm, 2 Ws 179/08, NStZ-RR 2009, 112; OLG Hamm, 3 Ws 37, 38/09, NJW 2009, 2230; MükoStPONalerius, StPO, 1. Auflage, § 44 Rn. 65 m.w.N.; a.A. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Auflage, § 44 Rn. 16 m.w.N.). Dies gilt auch bei einer Einlieferung bei der Post um 16:26 Uhr (BL 313 (LA.) angesichts der noch überschaubaren Distanz zwischen Bohmte und Münster von ca. 85-90 km.

2. Die sofortige Beschwerde ist auch begründet.

Denn aus den gleichen Gründen ist dem Beschwerdeführer Wiedereinsetzung in die nicht eingehaltene Einspruchsfrist zu gewähren, so dass eine Verwerfung des Einspruchs nicht in Betracht kommt. Der Wiedereinsetzungsantrag betreffend die Einspruchsfrist, der in dem Schreiben vom 25.08.2021 zu sehen ist und vom Amtsgericht auch so gesehen worden ist, ist auch binnen der Frist des § 45 Abs. 1 S. 1 StPO beim Amtsgericht eingegangen. Im Übrigen wird auf die obigen Ausführungen zur Wiedereinsetzung verwiesen, die im Hinblick auf die Einspruchsfrist entsprechend gelten.

3. Die Kostenentscheidung betreffend das Beschwerdeverfahren beruht auf § 467 Abs. 1 StPO analog; hinsichtlich der Wiedereinsetzungen beruht sie auf § 473 Abs. 7 StPO.


Einsender: RA T. Schäck, Dortmund

Anmerkung:


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