Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 03.02.2022 2 Ws 12/22
Eigener Leitsatz: 1. Einem inhaftierten Beschuldigten kann es ausnahmsweise zumutbar sein, ein Rechtsmittel schriftlich einzureichen statt eine Erklärung zu Protokoll bei der für ihn nach § 299 Abs. 1 StPO zuständigen Geschäftsstelle des Amtsgerichts abzugeben.
2. Im Exequaturverfahren ist es nicht möglich, im Ausland verbüßte Haft anders als im Verhältnis 1 : 1 anzurechnen.
3. Zur Bestellung eines Pflichtverteidigers im Exequaturverfahren.
2 Ws 12/22 121 AR 10/22
In der Strafsache
gegen pp.
wegen qualifizierten Totschlags nach Art. 148 § 2 des polnischen StGB u.a.
hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin zu 3. durch den Vorsitzenden am 3. Februar 2022 beschlossen:
1. Der Antrag des Verurteilten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin Strafvollstreckungskammer vom 20. Dezember 2021 wird als unzulässig zurückgewiesen.
2. Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen vorgenannten Be-schluss wird als unzulässig verworfen.
3. Der Antrag des Beschwerdeführers, ihm für das Beschwerdeverfahren Rechtsanwalt P. als Pflichtverteidiger beizuordnen, wird abgelehnt.
4. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
I.
Der Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Bezirksgerichts Bydgoszcz (Republik Polen) vom 18. Januar 2019 wegen Tötung im Zusammenhang mit der Begehung eines Raubes und wegen Raubes zu einer Freiheitsstrafe von 25 Jahren verurteilt. Mit Beschluss vom 12. Mai 2020 erklärte das Landgericht Berlin Strafvollstreckungskammer die Vollstreckung der Freiheitsstrafe für zulässig, setzte diese auf 25 Jahre fest und ordnete an, dass die in Polen seit dem 27. Juli 2016 vollzogene Untersuchungshaft und die anschließende Strafhaft auf die Strafe angerechnet werden. Der Beschluss erlangte durch die Beschwerdeentscheidung des Kammergerichts vom 2. Juli 2020 4 Ws 47/20 Rechtskraft. Nachdem der Beschwerdeführer am 14. Oktober 2020 nach Deutschland überstellt worden war, wurde die Strafe bis zu seiner Verlegung in die Justizvollzugsanstalt T. am 2. März 2021 zunächst in der Justizvollzugsanstalt M. vollzogen. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 20. Dezember 2021, der dem Beschwerdeführer am 23. Dezember 2021 zugestellt worden ist, lehnte die Strafvollstreckungskammer die von dem Beschwerdeführer begehrte Anrechnung der in Polen vollstreckten Strafe im Verhältnis von 1 : 2 ab.
Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit seiner am 11. Januar 2022 zu Protokoll des Urkundsbeamten des Amtsgerichts Wedding erklärten sofortigen Beschwerde und beantragt zugleich, ihm für das Beschwerdeverfahren Rechtsanwalt P. als Pflichtverteidiger beizuordnen.
II.
Das Rechtsmittel, das der Beschwerdeführer entgegen seiner Ankündigung nicht begründet hat, hat keinen Erfolg.
1. Die statthafte (§ 463 Abs. 3 Satz 1, § 454 Abs. 3 Satz 1 StPO) sofortige Beschwerde ist bereits unzulässig, weil sie die Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO nicht wahrt. Der Beschluss der Strafvollstreckungskammer ist dem Beschwerdeführer am 23. Dezember 2021 (Donnerstag) zugestellt worden. Die Wochenfrist endete daher gemäß § 43 Abs. 1 StPO mit Ablauf des 30. Dezember 2021 (Donnerstag). Die sofortige Beschwerde ist aber erst am 11. Januar 2022 und deshalb verspätet eingelegt worden (§ 299 Abs. 2 StPO).
2. Der in dem Vortrag, die Wochenfrist habe aufgrund der Quarantäne, die bereits vor Zustellung des Beschlusses bis zum 7. Januar 2022 in der Teilanstalt verhängt worden sei, nicht gewahrt werden können, weil eine Vorführung zum Urkundsbeamten erst am 11. Januar 2022 möglich gewesen sei, liegende Wiedereinsetzungsantrag ist unzulässig. Denn er genügt nicht den formellen Anforderungen des § 45 Abs. 2 Satz 1 StPO. Danach gehört es zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Wiedereinsetzungsantrages, dass der Antragsteller einen Sachverhalt vorträgt, der ein Verschulden, dass der Wiedereinsetzung entgegenstünde (§ 44 Abs. 1 StPO) ausschließt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 64. Aufl., § 45 Rdn. 5a m.w.N.). Daran fehlt es hier.
Die Behauptung des Beschwerdeführers, dass er die sofortige Beschwerde nicht rechtzeitig habe einlegen können, weil der Urkundsbeamte erst am 11. Januar 2022 wieder in die Anstalt gekommen sei, enthält insoweit keinen ausreichenden Tatsachenvortrag. Der Beschwerdeführer war nach § 306 Abs. 1 StPO, der auch für die sofortige Beschwerde gilt, nicht verpflichtet, das Rechtsmittel zur Niederschrift des Urkundsbeamten zu erklären. Die Möglichkeit der schriftlichen Einlegung war ihm der Rechtsmittelbelehrung entsprechend unbenommen. Dass er stattdessen von der zeitaufwändigeren und letztlich das Fristversäumnis verursachenden Möglichkeit des § 299 StPO Gebrauch gemacht hat, stellt ein eigenes Verschulden des Beschwerdeführers dar, denn § 299 StPO lässt die Befugnis des Gefangenen, seine Erklärung anders als auf dem Weg des § 299 StPO abzugeben, unberührt (vgl. KG, Beschlüsse vom 30. Juni 2008 [4] 1 Ss 249/08 [126/08] und vom 28. Februar 2000 [4] 1 Ss 26/00 [20/00], jeweils juris). Der historische Gesetzgeber wollte bei der Schaffung des § 341 der Strafprozessordnung für das Deutsche Reich, der dem heutigen § 299 StPO entspricht, dem Umstand Rechnung tragen, dass der Gefangene Schriftstücke nicht selbst, sondern nur durch Vermittlung eines Beamten befördern konnte, und ihn vor einer Fristversäumnis durch dessen Säumnis schützen (vgl. Hahn, Materialien zur Strafprozessordnung, 2. Aufl., Abt. I S. 246). Im Vergleich zu den damaligen Verhältnissen ist indes die Absendung an das Gericht adressierter Post heute auch aus der Haft heraus problemlos möglich. Zwar darf der Gefangene nicht generell darauf verwiesen werden, eine Erklärung schriftlich abzugeben. Im Einzelfall kann dies jedoch zumutbar sein und deshalb eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließen (vgl. MüKo/Allgayer, StPO, § 299 Rdn. 13 m.w.N.). Da dem Beschwerdeführer hier bereits bei Zustellung des Beschlusses bekannt war, dass es aufgrund der verhängten Quarantäne und damit aus nicht von der Vollzugsanstalt zu verantwortenden Gründen gänzlich ungewiss war, wann eine Vorführung zum Urkundsbeamten wieder möglich sein würde, hätte er die sofortige Beschwerde zur Fristwahrung vorliegend schriftlich einlegen müssen (vgl. Senat, Beschluss vom 28. Februar 2000 5 Ws 137/00 , juris; OLG Karlsruhe Justiz 2003, 490).
Dass er hieran gehindert war, macht er nicht geltend. Dies gilt hier insbesondere deshalb, weil der Beschwerdeführer offensichtlich keine Formulierungshilfe des Rechtspflegers in Anspruch nehmen wollte (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O.), sondern eine Begründung des Rechtsmittels binnen 14 Tagen angekündigt hat.
3. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass das Rechtsmittel auch in der Sache unbegründet wäre. Denn die Strafvollstreckungskammer hat zu Recht festgestellt, dass es für die begehrte Anrechnungsentscheidung an einer gesetzlichen Grundlage fehlt. Auf die von dem Beschwerdeführer geltend gemachten Erschwernisse während seiner Inhaftierung in Polen kommt es deshalb aus Rechtsgründen nicht an.
a) Durch die Trennung von Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren kann eine zu-grundeliegende Verurteilung im Vollstreckungsverfahren nicht in Frage gestellt wer-den. Dies gilt auch im Vollstreckungshilfeverfahren für ausländische Urteile. Gemäß § 54 Abs. 1 Satz 3 IRG ist für die nach deutschem Recht festzusetzende Strafe die Höhe der ausländischen Sanktion verbindlich. Eine Anpassung des Strafmaßes nach deutschem Strafzumessungsrecht ist nicht möglich. Auf der Grundlage von § 54 Abs. 4 Satz 1 IRG hat das Landgericht am 12. Mai 2020 über die Anrechnung der bereits im Ausland erlittenen Haft entschieden. Die darüber hinaus begehrte Anrechnung in einem bestimmten Maßstab scheidet hingegen unabhängig davon, ob es sich um Untersuchungshaft oder Strafhaft handelt aus (vgl. Senat StraFo 2017, 435, NStZ-RR 2014, 227 und Beschlüsse vom 3. August 2006 5 Ws 443/06 und vom 16. April 2003 5 Ws 173/03 ).
Dies folgt aus der Natur des Exequaturverfahrens, mit dem kein eigenes Strafverfahren durchgeführt, sondern lediglich ein ausländisches unterstützt wird. Es ist auch nicht Sinn der Vollstreckungshilfe, im Ausland verurteilten und inhaftierten deutschen Staatsangehörigen Nachteile zu ersparen, die ihnen aus der Vollstreckung ausländischer, von der deutschen Rechtspraxis abweichender Urteile erwachsen können (vgl. OLG München StV 1997, 372, 373). Das ausländische Urteil wird weder im Hinblick auf seine tatsächlichen Feststellungen und seine rechtliche Würdigung, noch in Bezug auf die Strafzumessung überprüft. Die Übernahme der Vollstreckung begründet keine Befugnis eines Gerichtes der Bundesrepublik Deutschland, das der Vollstreckung zugrundeliegend Erkenntnis zu ändern (vgl. Senat StraFo 2017, 435 und Beschluss vom 3. August 2006 5 Ws 443/06 ). Dem entspricht die Regelung in Art. 1 des Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 21. März 1983 über die Überstellung verurteilter Personen in Verbindung mit Art 10 dieses Übereinkommens, das für Polen am 1. März 1995 In Kraft getreten ist (BGBl. 1991 II, S. 1007, 1011; 1992 II S. 98, 107). Danach ist im Falle der Fortsetzung der Vollstreckung der Vollstreckungsstaat an die rechtliche Art und die Dauer der Sanktion, wie sie vom Urteilsstaat festgelegt worden sind, gebunden. Eine Entscheidung über einen Anrechnungsmaßstab wäre ein solcher unzulässiger Eingriff in das ausländische Urteil (vgl. Senat StraFo 2017, 435, NStZ-RR 2014, 227 und Beschlüsse vom 3. August 2006 5 Ws 443/06 und vom 16. April 2003 5 Ws 173/03 ; OLG Bamberg, Beschluss vom 7. August 2019 1 Ws 385/19 , juris).
Danach eröffnet das Vollstreckungshilfeverfahren nicht die Möglichkeit, im Ausland verbüßte Haft in einem bestimmten Verhältnis anzurechnen.
b) Auch scheidet § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB als Rechtsgrundlage für das erstrebte Anrechnungsverhältnis aus. Nach dieser Vorschrift kann durch das erkennende Gericht ausländische Haft durch einen Ausspruch im Urteilstenor angerechnet werden. Sie setzt eine Verurteilung durch ein deutsches Gericht voraus. Daran fehlt es hier. Im Vollstreckungshilfeverfahren für ein ausländisches Urteil ist diese Vorschrift nach einhelliger Auffassung nicht anwendbar (vgl. Senat a.a.O.; KG, Beschluss vom 12. März 2009 4 Ws 20/09 ; OLG Bamberg a.a.O.; OLG Rostock NStZ-RR 2010, 340; OLG Hamm NStZ-RR 1999, 384; OLG Düsseldorf, wistra 1991, 199)
Nach alldem ist die begehrte Anrechnung der in Polen verbüßten Haft in einem bestimmten Verhältnis ausgeschlossen.
III.
Die Voraussetzungen für die Bestellung eines Pflichtverteidigers liegen nicht vor; der entsprechende Antrag des Beschwerdeführers war daher abzulehnen.
Im Vollstreckungsverfahren hat sich der Gesetzgeber darauf beschränkt, für wenige Einzelfälle vor allem in Bezug auf die Sicherungsverwahrung (vgl. § 463 Abs. 3 Satz 5 und Abs. 8 StPO) die Bestellung eines Pflichtverteidigers vorzuschreiben. Jenseits dessen wendet die Rechtsprechung die für das Erkenntnisverfahren geltende Generalklausel des § 140 Abs. 2 StPO entsprechend an, wenn und soweit dies verfassungsrechtlich geboten ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn ein Verfahren außergewöhnliche Schwierigkeiten aufweist oder der Verurteilte aufgrund besonderer, in seiner Person liegender Umstände ersichtlich nicht in der Lage ist, sich selbst angemessen zu äußern (vgl. Senat NJW 2015, 1897 und Beschluss vom 11. Februar 2015 2 Ws 29/15 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen jedoch im Vollstreckungsverfahren nur ausnahmsweise vor, weil dieses anders als das Erkenntnisverfahren nicht kontradiktorisch ausgestaltet ist. Der Verurteilte muss sich hier auch nicht gegen einen Tatvorwurf verteidigen, vielmehr ist das Vollstreckungsgericht an die rechtskräftigen Feststellungen des Tatrichters in dem der Vollstreckung zugrunde liegenden Urteil gebunden. Schließlich ergehen im Vollstreckungsverfahren gerichtliche Entscheidungen ohne mündliche Verhandlung (vgl. dazu Senat a.a.O. m.w.N.). Insgesamt besteht danach im Vollstreckungsverfahren in deutlich geringerem Maße ein Bedürfnis für die Mitwirkung eines Pflichtverteidigers. Maßgeblich ist letztlich, in welchem Umfang die vollstreckungsrechtliche Entscheidung in die Rechte des Verurteilten eingreift.
Bei Anlegung dieser Maßstäbe sind vorliegend die Voraussetzungen für eine Beiordnung ersichtlich nicht gegeben. Das Beschwerdeverfahren wirft angesichts der eindeutigen Rechtslage in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keine Fragen auf, die über die Probleme hinausgehen, die in einem die Anrechnung von Haftzeiten betreffenden Verfahren regelmäßig zu beurteilen sind. Schwierige Fragestellungen etwa psychiatrischer Art , die das Verständnis des Verurteilten und seine Fähigkeit über-stiegen, sich damit angemessen auseinanderzusetzen (vgl. Senat NStZ-RR 2006, 211 und Beschluss vom 23. September 2005 5 Ws 469-470/05 ), fehlen.
Es ist auch nicht über eine sehr lange (Rest-)Strafdauer zu entscheiden, die für eine Pflichtverteidigerbestellung sprechen könnte. Zwar beträgt die in Deutschland zu ver-büßende Restfreiheitsstrafe 7396 Tage. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist jedoch nicht diese rechtskräftig verhängte (Rest-)Strafe, sondern lediglich der Anrechnungsmaßstab der nach der Entscheidung des Landgerichts vom 12. Mai 2020 auf die Strafe anzurechnenden ausländischen Haft. Ungeachtet dessen ist die von der Rechtsprechung für die Pflichtverteidigerbestellung im Erkenntnisverfahren als bedeutsam erachtete Grenze von einem Jahr Freiheitsstrafe aus den vorgenannten Gründen nicht ohne weiteres auf das Vollstreckungsverfahren übertragbar (vgl. Senat, Beschlüsse vom 7. April 2016 2 Ws 111/16 und vom 11. Februar 2015 2 Ws 29/15 ). Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer, der sich in seinem Antrag auf Neuberechnung der Strafzeit selbst ausführlich und nachvollziehbar zur Sache geäußert hat, aufgrund persönlicher Defizite nicht in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen, fehlen.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
Einsender: VorsRiKG O. Arnoldi, Berlin
Anmerkung:
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