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Entscheidungen

StPO

Rechtliches Gehör, Vollstreckungsverfahren, spätester Zeitpunkt

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 29.12.2021 - 2 Ws 147/21

Leitsatz des Gerichts:
Spätestens in der mündlichen Anhörung iSd § 454 Abs. 1 Satz 3 StPO sind dem Verurteilten die Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt und der Staatsanwaltschaft bekannt zu geben, dies insbesondere dann, soweit sie belastende und entscheidungserheblich Umstände enthalten.


KAMMERGERICHT

Beschluss

2 Ws 147/21161 AR 266/21

In der Strafsache
gegen pp.

wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge

hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 29. Dezember 2021 beschlossen:

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts Berlin – Strafvollstreckungskammer – vom 3. Dezember 2021 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Entscheidung – auch über die Kosten und Auslagen des Beschwerdeverfahrens – an die Strafvollstreckungs-kammer zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Landgericht Deggendorf verurteilte den Beschwerdeführer am 7. Mai 2018 wegen „vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben tatmehrheitlichen Fällen“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten. Zwei Drittel der Strafe waren am 26. Dezember 2021 verbüßt, das Haftende ist auf den 26. Januar 2024 notiert. Mit dem angefochtenen Beschluss hat es die Strafvollstreckungskammer abgelehnt, die Restfreiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen. Das dagegen gerichtete Rechtsmittel des Verurteilten hat (vorläufigen) Erfolg.

II.

1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 454 Abs. 3 Satz 1 StPO) und gemäß § 311 Abs. 2 StPO rechtzeitig erhoben.

2. Sie hat auch in der Sache (zumindest vorläufigen) Erfolg und führt zur Aufhebung des Beschlusses des Landgerichts sowie zur Zurückverweisung der Sache.

Die angefochtene Entscheidung beruht auf einem durchgreifenden Verfahrensfehler.

Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat zu dem Rechtsmittel wie folgt Stellung genommen:

„Soweit die Strafvollstreckungskammer die Aussetzung der Reststrafen zur Bewährung abgelehnt hat, ist ihre Entscheidung verfahrensfehlerhaft zustande gekommen und kann daher keinen Bestand haben; denn sie hat ihre Entscheidung ohne ausreichende Anhörung des Verurteilten getroffen.

Der Zweck der gemäß § 454 Abs. 1 Satz 3 StPO zwingend erforderlichen Anhörung des Verurteilten liegt zum einen in der Gewährung rechtlichen Gehörs, zum anderen darin, den Sachverhalt zu ermitteln und sich durch einen unmittelbaren und aktuellen persönlichen Eindruck von dem Verurteilten eine zuverlässige Entscheidungsgrund-lage zu verschaffen (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 19. September 2012 – 2 Ws 269 - 270/12 –, juris, m. w. N.). Daher müssen spätestens im Zeitpunkt der mündlichen Anhörung dem Verurteilten die Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt und der Staatsanwaltschaft bekannt sein oder bekannt gemacht werden, insbesondere so-weit darin belastende Umstände, die entscheidungserheblich sind, enthalten sind (vgl. KG a.a.O.). Diesen Anforderungen wird das Verfahren der Kammer nicht gerecht.

Die Kammer hat das rechtliche Gehör des Verurteilten in entscheidungserheblicher Weise verletzt, indem sie aufgrund von Tatsachen entschieden hat, zu denen er in der mündlichen Anhörung nicht gehört werden konnte, weil sie zu diesem Zeitpunkt allen Beteiligten noch unbekannt waren. Denn sie hat ihrer Entscheidung die Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Tegel vom 3. Dezember 2021 zugrunde gelegt, die nach dem glaubhaften Vortrag des Verteidigers nicht Gegenstand der am selben Tage durchgeführten mündlichen Anhörung war und nach Aktenlage weder dem Verurteilten noch dem Verteidiger vor der Anhörung bekannt gemacht worden ist. Vielmehr dürfte die Stellungnahme, die erst am 3. Dezember 2021 um 15:47 Uhr von der Justizvollzugsanstalt versandt wurde, ausweislich des Protokolls der Anhörung erst nach dem Anhörungstermin bei der Strafvollstreckungskammer eingegangen sein. Die Stellungnahme vom 3. Dezember 2021 entsprach zwar in weiten Teilen der vorangegangenen Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt vom 13. August 2021, die Gegenstand der Erörterungen im Anhörungstermin war. Sie enthielt indes auch neue entscheidungserhebliche Gesichtspunkte. Dies gilt insbesondere für die Ausführungen zu den Stimmungsschwankungen und Verhaltensweisen des Verurteilten. Der Fehler hat sich auch auf die Entscheidung ausgewirkt; denn die Strafvollstreckungs-kammer hat die Stellungnahme vom 3. Dezember 2021 – was sich aus deren voll-ständiger Einrückung in den Beschluss ergibt – auch auf die erst in der neuen Stellungnahme mitgeteilten Tatsachen gestützt.

Unter diesen Umständen wird die Anhörung ihrem Zweck, dem entscheidenden Gericht einen aktuellen persönlichen Eindruck von dem Verurteilten zu verschaffen, nicht mehr gerecht.

Das Beschwerdegericht kann in der Sache entgegen § 309 Abs. 2 StPO nicht selbst entscheiden. Zwar kann das rechtliche Gehör grundsätzlich im Beschwerdeverfahren nachgeholt werden (vgl. KG a.a.O.). Vorliegend ist die Zurückverweisung jedoch unumgänglich, weil das Landgericht die nach § 454 Abs. 1 Satz 3 StPO zwingend vor-geschriebene mündliche Anhörung des Verurteilten nicht ordnungsgemäß durchgeführt hat und dies einen im Beschwerderechtszug nicht heilbaren Verfahrensmangel darstellt (vgl. KG a.a.O.).“

Diese Ausführungen treffen zu. Der Senat schließt sich ihnen an.

III.

Das Landgericht wird im Rahmen seiner neuen Entscheidung auch über die Kosten und Auslagen des Beschwerdeverfahrens zu befinden haben.


Einsender: VorsRiKG O. Arnoldi, Berlin

Anmerkung:


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