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Entscheidungen

OWi

Prämienrückstand, Pflegeversicherung, Urteilsgründe, Geldbuße

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Brandenburg, Beschl. v. 10.01.2022 – 1 OLG 53 Ss-OWi 554/21

Eigener Leitsatz: 1. Wird der Betroffene wegen eines Prämienrückstandes bei der privaten Pflegeversicherung verurteilt, muss sich aus den Urteilsgründen die Leistungsfähigkeit des Betroffenen ergeben.
2. Wird der Betroffene zu einer nicht unerheblich hohen Geldbuße verurteilt, müssen Feststellungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen getroffen werden.


In pp.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Oranienburg vom 30. August 2021 mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens, an das Amtsgericht Oranienburg zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Oranienburg verhängte gegen den Betroffenen mit Urteil vom 30. August 2021 wegen „vorsätzlicher Ordnungswidrigkeit gemäß §§ 121 Abs. 1 [Nr.] 6 in Verbindung mit §§ 23 I 1, 51 Abs. 1 Satz 2 SGB XI“ eine Geldbuße von 582,00 €. Nach den getroffenen Feststellungen schloss der Betroffene bei der privaten Krankenversicherung pp. am 1. März 2002 zusammen mit einer privaten Krankenversicherung einen Vertrag zur Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit. Bereits im Jahr 2014 sei der Vertrag „notleidend“ geworden, da der Betroffene mit Prämienzahlungen in Rückstand geraten sei. Die Pflegeversicherung sei seit dem 1. Januar 2015 „unbezahlt“.

Unter dem Datum des 19. Mai 2020 habe die pp. Krankenversicherung dem Betroffenen ein Erinnerungsschreiben zugesandt. Da für den Zeitraum 1. Juni 2021 bis zum 2. Dezember 2021 keine Beiträge gezahlt worden seien, habe die pp. das Bundesversicherungsamt informiert (vgl. § 51 Abs. 1 S. 1 SGB XI). Die Höhe des Beitragsrückstandes zwischen dem 1. Juni 2021 und dem 2. Dezember 2021 belaufe sich auf 1.809,48 €.

Gegen dieses Urteil hat der Betroffene vor der Rechtspflegerin des Amtsgerichts Oranienburg Rechtsbeschwerde eingelegt und sinngemäß die Sachrüge erhoben.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat unter dem Datum des 15. Dezember 2021 beantragt, auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das Urteil des Amtsgerichts Oranienburg vom 30. August 2021 mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Oranienburg zurückzuverweisen.

II.

Der Senat folgt dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere entsprechend den § 79 Abs. 3 OWiG, § 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht bei Gericht angebracht worden.

2. Das Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg.

Die Rechtsbeschwerde ist begründet, weil das angefochtene Urteil einer materiell-rechtlichen Überprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht standhält. Die getroffenen Feststellungen sind unzureichend und tragen den Vorwurf der Begehung einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 121 Abs. 1 Nr. 6 SGB XI nicht, wonach ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder leichtfertig mit der Entrichtung von sechs Monatsprämien zur privaten Pflegeversicherung in Verzug gerät.

a) Den Beschlussgründen ist zwar zu entnehmen, dass sich der Betroffene gegen das Risiko Krankheit bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen versichert hat und demgemäß auch zur Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit bei diesem Unternehmen verpflichtet war (§ 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XI). Der Tatbestand des § 121 Abs. 1 Nr. 6 SGB XI, der einen Rückstand von mindestens sechs Monatsprämien zur privaten Pflegeversicherung sanktioniert (vgl. Bassen in: Udsching, SGB XI, 3. Aufl. § 121 Rn. 8; Krahmer/Stier in: Klie/Krahmer/Plantholz, SGB XI, 4. Aufl., § 212 Rn. 12), setzt voraus, dass aufgrund des Abschlusses einer privaten Krankenversicherung eine Pflicht zur privaten Pflegeversicherung besteht (vgl. BT-Drucksache 12/5262, S. 155f.; 12/5952, S. 50). Die Versicherungspflicht entfällt insoweit erst bei – zulässiger – Beendigung der privaten Krankenversicherung.

Das Amtsgericht hat jedoch nicht berücksichtigt, dass die Verwirklichung des Tatbestandes eine Leistungsfähigkeit des Betroffenen voraussetzt, und hat hierzu Näheres nicht festgestellt. Bei § 121 Abs. 1 Nr. 6 SGB XI handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt (vgl. zur Abgrenzung KK-Rengier, OWiG, 6. Aufl., § 8 Rdnr. 8), das nach allgemeinen Grundsätzen als zusätzliches Tatbestandsmerkmal voraussetzt, dass dem Handlungspflichtigen die Erfüllung seiner gesetzlichen Pflicht möglich und zumutbar ist (vgl. BGHSt 47, 318ff.; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 04. Januar 2012, L 5 AS 455/11, zit. n. juris; Gürtler/Thoma in: Göhler, OWiG, 18. Aufl., § 8 Rnr. 7; Fischer, StGB, 68. Aufl., § 13 Rn. 44; siehe auch § 266a Rdnr. 14f.). Deshalb fehlt es an der Vorwerfbarkeit der Nichtentrichtung der Versicherungsprämien, wenn dem Betroffenen aufgrund schlechter finanzieller und wirtschaftlicher Verhältnisse eine Prämienzahlung im Einzelfall nicht möglich oder jedenfalls nicht zumutbar ist. Dass er nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts für seine finanzielle Leistungsfähigkeit verschuldensunabhängig einzustehen hat, ist für die Frage der Vorwerfbarkeit eines bußgeldbewehrten Unterlassens irrelevant.

Das Amtsgericht hat in den Entscheidungsgründen lediglich ausgeführt, dass sich der Betroffene dahin eingelassen habe, nicht in der Lage zu sein, die Beiträge zu entrichten (Bl. 3 UA); konkrete Feststellungen dazu hat die Bußgeldrichterin jedoch nicht getroffen. Hinsichtlich des Beitragsrückstandes zwischen dem 1. Juni 2020 und dem 2. Dezember 2020 ist überdies unklar, ob sich die genannte Summe von 1.809,48 € auf die Krankenversicherung, auf die Pflegeversicherung oder auf beides bezieht.

b) Auch die Bemessung der Rechtsfolge ist nicht frei von Rechtsfehlern, weil das Amtsgericht trotz der nicht unerheblichen Höhe der verhängten Geldbuße zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen Feststellungen nicht getroffen hat (§ 17 Abs. 3 Satz 2 OWiG).

Auch wenn an die Urteilsgründe in Ordnungswidrigkeitsverfahren keine hohen Anforderungen zu stellen sind, sind Ausführungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen nur bei geringfügigen Geldbußen entbehrlich (§ 17 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz OWiG). Zu den persönlichen (Unterhaltsverpflichtungen) und wirtschaftlichen Verhältnissen gehören die Umstände, die geeignet sind, die Fähigkeit des Täters zu beeinflussen, eine bestimmte Geldbuße aufzubringen. Enthält das Beschluss bei einer nicht nur geringfügigen Ordnungswidrigkeit keine oder nur unzureichende Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen, sind die Zumessungserwägungen materiell-rechtlich unvollständig und unterliegen der Aufhebung (vgl. Senatsbeschluss vom 16. März 2012 - 1 Ss (OWi) 71 B/12 - ; Senatsbeschluss vom 30. März 2012 - 1 Ss (OWi) 76 B/12 - ; Senatsbeschluss vom 18. April 2012 - 1 Ss (OWi) 81 B/12 -).

Die Wertgrenze einer nicht mehr “geringfügigen Ordnungswidrigkeit“, die die Erörterung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse erfordert, wird durch die überwiegende Mehrheit der Oberlandesgerichte in Anlehnung an die für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde maßgebliche Wertgrenze (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG) bei über 250 Euro angenommen (vgl. OLG Celle NJW 2008, 3079; OLG Jena VRS 110, 443, 446; OLG Jena VRS 113, 351; OLG Köln ZfSch 2006, 116; OLG Düsseldorf NZV 2000, 426; OLG Düsseldorf NZV 2008, 161; KG VRS 111, 202; OLG Bamberg GewArch 2007, 389, 390; BayObLG DAR 2004, 594; OLG Zweibrücken NZV 1999, 219; OLG Zweibrücken NZV 2002, 97; Senatsbeschluss vom 8. Juni 2010 - 1 Ss (OWi) 109 B/10 -; Senatsbeschluss vom 16. März 2012 - 1 Ss (OWi) 71 B/12 - ; Senatsbeschluss vom 30. März 2012 - 1 Ss (OWi) 76 B/12 - ; Senatsbeschluss vom 18. April 2012 - 1 Ss (OWi) 81 B/12 -; eine Mindermeinung setzt die Wertgrenze mit Blick auf § 80 Abs. 2 OWiG schon bei 100,00 € an: vgl. OLG Düsseldorf VRS 97, 214; OLG Hamm VRS 92, 40; OLG Hamm SchlHA 2004, 264).

Da gegen den Beschwerdeführer mit dem angefochtenen Urteil eine Geldbuße in Höhe von 582,00 Euro festgesetzt worden ist, hätte dir erkennende Richterin in den Urteilsgründen in jedem Fall auch insoweit Feststellungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen treffen müssen, woran es hier fehlt.

Zu einer Schätzung der Einkommensverhältnisse oder zur Annahme durchschnittlicher Vermögensverhältnisse kann das Tatgericht jedoch dann kommen, wenn der Betroffene Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen verweigert oder das Gericht den Angaben dazu keinen Glauben schenken kann. Ob ein solcher Fall vorliegt, ist den Urteilsgründen ebenfalls nicht zu entnehmen.


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