Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 24.01.2022 3 Ws (B) 354/21
Leitsatz des Gerichts:
1. Geht das Fahren über die Haltlinie bei grünem Licht und das Einfahren in den Kreuzungsbereich nicht nahtlos ineinander über, weil es zwischen beiden Verkehrsvorgängen zu einem verkehrsbedingten Halt (z. B. infolge eines Fahrzeugstaus) vor der Lichtzeichenanlage kommt, so darf der Kraftfahrzeugführer nicht in den geschützten Bereich einfahren, wenn er diesen erst nach Rotlichtbeginn erreicht. Denn für ihn gilt ab dem Zeitpunkt des Umschaltens der Lichtzeichenanlage auf Rot das Haltgebot vor der Kreuzung, auch wenn er zuvor bei Grün die vorgelagerte Haltlinie überfahren hat.
2. Um dem Einzelfall bei dieser besonderen Verkehrssituation gerecht zu werden, bedarf es, auch unter Berücksichtigung der indiziellen Wirkung des Regelbeispiels des BKatV nach §§ 1 Abs. 1, 4 Abs. 1 Nr. 3 Anlage 1 lfd. Nr. 132.1, der sorgfältigen Prüfung, ob der Kraftfahrzeugführer mit dem Einfahren in den Kreuzungsbereich bei Rotlicht seine Pflichten grob i.S.d. § 25 Abs. 2 Satz 1 StVG verletzt hat.
In der Bußgeldsache
gegen pp.
wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit
hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Kammergerichts am 24. Januar 2022 beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts X vom 27. September 2021 wird nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen am 27. September 2021 wegen eines fahrlässigen Rotlichtverstoß mit Gefährdung anderer zu einer Geldbuße von 250,00 Euro und einem Fahrverbot von einem Monat verurteilt sowie eine Wirksamkeitsbestimmung nach § 25 Abs. 2a StVG angeordnet.
Den Urteilsgründen ist u.a. zu entnehmen, dass sich der Betroffene in der rechten Spur vor der Kreuzung S. A./E. Straße befand, als die Ampel für seine Fahrtrichtung grünes Licht abstrahlte. Aufgrund hohen Verkehrsaufkommens - er war das 3. Fahrzeug - gelang es ihm nur, mit den Vorderrädern über die Haltelinie zu fahren und musste bereits 50 cm danach wegen Rechtsabbiegern vor der noch vier Meter von seinem Fahrzeug entfernten Lichtzeichenanlage halten. Seine Fahrt konnte er erst fortsetzen, als die Ampel rot zeigte. Er scherte nach links aus, um an den ihn an der Weiterfahrt hindernden Fahrzeuge vorbeizufahren, wobei ein Zusammenstoß mit der Straßenbahn in der Mitte der Fahrbahn nur durch deren starkes Abbremsen vermieden werden konnte.
Der Betroffene hat Rechtsbeschwerde gegen dieses Urteil eingelegt, die er auf die Verletzung materiellen und formellen Rechts stützt.
Zur Begründung lässt er u.a. vortragen, dass das Gericht den Beweisantrag auf Vernehmung des/r Fahrzeugführers/in der Straßenbahn fehlerhaft abgelehnt habe. Auch habe er, der Betroffene, kein Rotlichtverstoß begangen, weil er berechtigter Kreuzungsräumer gewesen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz seines Verteidigers vom 24. November 2021 verwiesen.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit ihrer Zuschrift vom 23. Dezember 2021 beantragt, die Rechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe den Beweisantrag des Betroffenen zu Unrecht abgelehnt, ist aus den Gründen der dem Betroffenen bekannt gemachten Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 23. Dezember 2021 unzulässig.
2. Die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft zur Sachrüge lediglich ergänzend merkt der Senat Folgendes an:
Soweit der Betroffene meint, der Verurteilung wegen eines Rotlichtverstoßes stehe der Umstand, dass er ein berechtigter Kreuzungsräumer, also bei Grün ordnungsgemäß in die Kreuzung eingefahren sei, entgegen, teilt der Senat diese Auffassung nicht.
Bereits das Einfahren legt einen Verstoß gegen § 11 Abs. 1 StVO nahe. Danach darf trotz grünem Lichtzeichen bei stockendem Verkehr nicht in die Kreuzung eingefahren werden, wenn auf ihr gewartet werden müsste.
Nach den Feststellungen, die auf einer beanstandungsfreien Beweiswürdigung beruhen, ist der Betroffene als 3. Fahrzeug bei für ihn grünes Licht abstrahlenden Lichtzeichenanlage über die Haltelinie gefahren, musste aber schon ca. 50 cm danach wieder verkehrsbedingt halten.
Dieser Sachverhalt legt den Schluss nahe, dass es für den Betroffenen beim Überfahren der Haltelinie erkennbar war, dass er die Kreuzung wegen der abbiegenden Fahrzeuge nicht rechtzeitig wird passieren können.
Unabhängig davon, missachtete der Betroffene das Haltgebot vor der Kreuzung nach § 37 Abs. 2 Satz 7 StVO und beging einen Rotlichtverstoß. Geht das Fahren über die Haltelinie und das Einfahren in den Kreuzungsbereich nicht nahtlos ineinander über, so darf der Kraftfahrzeugführer, wenn er vor dem durch die Flucht- oder Fahrlinien gebildeten Kreuzungsraum aufgehalten wurde, nach Rotlichtbeginn nicht weiterfahren (BGHSt 45, 134).
So liegt der Fall hier. Nach den Urteilsgründen steht fest, dass der Betroffene, der zunächst in einem Abstand von vier Meter hinter Haltelinie vor der Ampel stand, seine Fahrt fortgesetzte, als die Lichtzeichenanlage für ihn rotes Licht abstrahlte, obwohl er gefahrlos in diesem Bereich hätte bis zur nächsten Grünphase hätte warten können.
Dies wäre nur anders zu beurteilen, wenn er sich beim Farbwechsel bereits in dem geschützten Bereich befunden hätte, dann hätte er ihn vorsichtig und unter sorgfältiger Beachtung des einsetzenden Gegen- und Querverkehr mit Vorrang verlassen können (vgl. Senat, Beschluss vom 1. September 2000 - 3 Ws (B) 291/20 -, juris; König in: Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht 46. Aufl., § 37 Rn. 41 m.w.N.). Entsprechende Feststellungen sind die Urteil nicht zu entnehmen.
Um dieser besonderen Verkehrssituation - hier das Überfahren der Haltelinie bei Grünlicht, Unterbrechen der Fahrt aufgrund verkehrsbedingten Haltens, Einfahrt in den geschützten Kreuzungsbereich bei Rotlicht und Gefährdung anderer - bedarf es im Grundsatz insbesondere unter Berücksichtigung der indiziellen Wirkung des Regelbeispiels nach §§ 25 StVG,1, 4 Abs. 1 Nr. 1 Anlage I zu § 1 BKatV, Abschnitt I lfd. Nr. 132.1 BKatV der sorgfältigen Prüfung, ob der Betroffene als Fahrzeugführer mit dem Einfahren bei Rot in den geschützten Kreuzungsbereich seine Pflichten grob im Sinne des §§ 25 StVG, 4 Abs. 1 Nr. 3 BKatV verletzt hat (vgl. BGH a.a.O.). Anhaltspunkte für einen vom Regelfall abweichenden Sachverhalt, der die Anordnung des Fahrverbotes entfallen lassen könnte, ergeben sich aus den allein maßgeblichen Urteilsgründe nicht.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 StPO.
Einsender: RiKG U. Sandherr, Berlin
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