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Entscheidungen

Gebühren

Adhäsionsverfahren, Gebühren des Wahlverteidigers, Erstattung Staatskasse, PKH

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Brandenburg, Beschl. v. 24.01.2022 – 1 Ws 108/21 (S)

Eigener Leitsatz: Der Wahlverteidiger des Angeklagten kann nur dann Erstattung von Gebühren für Tätigkeiten im Adhäsionsverfahren aus der Staatskasse verlangen, wenn er dem Angeklagten im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnet worden ist.


In pp.

Die weitere Beschwerde des Wahlverteidigers des Angeklagten …. gegen die Entscheidung der 4. großen Strafkammer – Beschwerdekammer – des Landgerichts Potsdam vom 10. März 2021 wird zurückgewiesen.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Gründe

I.

Der Wahlverteidiger des Angeklagten R., zugleich Beschwerdeführer, wendet sich mit der zugelassenen weiteren Beschwerde gegen die Beschwerdeentscheidung der 4. großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam vom 10. März 2021. Der Beschwerdeführer erstrebt die Festsetzung und Erstattung seiner für das Adhäsionsverfahren entstandenen Gebühren und Auslagen aus der Landeskasse. Dem liegt folgender Verfahrensgang zu Grunde:

1. Der Beschwerdeführer war im Strafverfahren gegen R. (459 Js 44697/17 Staatsanwaltschaft Potsdam, 75 Ls 30/18 Amtsgericht Potsdam) dessen Wahlverteidiger. Das Amtsgericht Potsdam – Jugendschöffengericht – verurteilte am 19. Juni 2019 den Angeklagten R. wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 160 Tagessätzen zu je 30,00 €. Die Kostenentscheidung erging dahin, dass dem Angeklagten R. sowie dem Mitangeklagten und Mitverurteilten A. die Kosten des Verfahrens sowie die Kosten des Adhäsionsklägers und der Nebenklage auferlegt wurden. In der Hauptverhandlung erreichten die beiden Angeklagten mit dem Opfer der Straftat einen Täter-Opfer-Ausgleich dahingehend, dass sie unmittelbar an Gerichtsstelle 1.000,00 € Schmerzensgeld zahlten und sich verpflichteten, weitere 2.000,00 € bis zum 31. Juli 2019 an den Geschädigten zu zahlen. Das vorgenannte Urteil ist seit dem 26. Juni 2019 rechtskräftig.

2. a) Während der Hauptverhandlung am 19. Juni 2019 beantragte der Beschwerdeführer seine „Beiordnung“ für das Adhäsionsverfahren. Hieraufhin beschloss das Jugendschöffengericht: „Den Angeklagten werden ihrer jeweiligen Wahlverteidiger für das Adhäsionsverfahren beigeordnet“ (S. 5 Hauptverhandlungsprotokoll, Bd. II, 233). Im Folgenden schlossen die Angeklagten und der Nebenkläger, der zugleich Adhäsionskläger ist, den oben erwähnten Vergleich: „Die Angeklagten verpflichten sich, als Gesamtschuldner einen Schmerzensgeldbetrag in Höhe von 3.000,00 € an den Geschädigten […] zu zahlen. […]“ (Hauptverhandlungsprotokoll a.a.O.). Mit Beschluss vom 10. Juli 2019 setzte die Vorsitzende des Jugendschöffengerichts den Streitwert für das Adhäsionsverfahren auf 3.000,00 € fest.

Zuvor, mit Schriftsatz vom 27. Juni 2019, beantragte der Beschwerdeführer beim Amtsgericht Potsdam die Festsetzung der Gebühren für das Adhäsionsverfahren auf 741,37 €. Mit Schreiben vom 17. Juli 2019 weist die Rechtspflegerin den Beschwerdeführer darauf hin, dass mangels Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Adhäsionsverfahren eine entsprechende Kostenfestsetzung nicht möglich, vielmehr der Antrag zurückzuweisen sei. Mit Schriftsatz vom 25. Juli 2019 erwiderte der Beschwerdeführer, dass die Beiordnung „lege artis“ war und es „auf irgendwelche PKH-Anträge nicht ankommt“.

b) Mit Beschluss vom 6. Mai 2020 hat das Amtsgericht Potsdam, Rechtspflegerin, den Antrag des Beschwerdeführers auf Kostenfestsetzung für das Adhäsionsverfahren vom 27. Juni 2019 zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass es an der nach § 404 Abs. 5 Satz 1 StPO erforderlichen Bewilligung von Prozesskostenhilfe fehle. Gegen diese Entscheidung hat der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 14. Mai 2020 Rechtsmittel eingelegt. Auf das als Erinnerung nach § 56 Abs. 1 RVG auszulegende Rechtsmittel hat das Amtsgericht Potsdam – Jugendschöffengericht – unter dem Datum des 18. August 2020 den Beschluss der Rechtspflegerin vom 6. Mai 2020 aufgehoben und der Rechtspflegerin aufgegeben, die Kosten „für die Beiordnung des Adhäsionsverfahrens“ festzusetzen. Mit Beschluss vom 10. November 2020 hat die Rechtspflegerin beim Amtsgericht Potsdam die dem Beschwerdeführer „aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren und Auslagen auf 0,00 € (i.B. Null und 00/100 Cent) festgesetzt.“ Abermals hat die Rechtspflegerin ihre Entscheidung damit begründet, dass es an einer Bewilligung von Prozesskostenhilfe mangele.

Auf die Erinnerung des Beschwerdeführers vom 16. November 2020 hat das Amtsgericht Potsdam – Jugendschöffengericht – mit Entscheidung vom 29. Dezember 2020 den Beschluss der Rechtspflegerin des Amtsgerichts Potsdam vom 10. November 2020 „nicht abgeändert und nicht aufgehoben.“ Hiergegen hat der Beschwerdeführer mit dem bei Gericht am 18. Januar 2021 angebrachten Schreiben Beschwerde eingelegt. Unter dem Datum des 20. Januar 2021 hat das Amtsgericht Potsdam – Jugendschöffengericht – der Beschwerde nicht abgeholfen.

Die Einzelrichterin der 4. großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam hat mit Beschluss vom 9. März 2021 die Sache wegen der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 56 Abs. 2 S. 1 iVm. § 33 Abs. 8 S. 2 RVG der Kammer übertragen. Die 4. große Strafkammer des Landgerichts Potsdam als Beschwerdekammer hat am 10. März 2021 die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Potsdam – Jugendschöffengericht – vom 29. Dezember 2021 als unbegründet verworfen; das Landgericht hat die weitere Beschwerde gegen seine Entscheidung gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 33 Abs. 6 RVG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtfrage einer Gebührenfestsetzung für den Fall einer Beiordnung für das Adhäsionsverfahren ohne Gewährung von Prozesskostenhilfe und ohne Pflichtverteidigerbestellung zugelassen, die der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 29. März 2021 eingelegt hat. Das Landgericht hat der weiteren Beschwerde unter dem Datum des 27. April 2021 nicht abgeholfen.

c) Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat mit der am 6. September 2021 beim Oberlandesgericht eingegangenen Stellungnahme beantragt, den Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 10. März 2021 aufzuheben; der Bezirksrevisor bei dem Amtsgericht Potsdam hat mit Stellungnahme vom 2. Dezember 2021 beantragt, die weitere Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 10. März 2021 zurückzuweisen. Dem Beschwerdeführer wurde rechtliches Gehör gewährt.

II.

Die nach § 56 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 33 Abs. 6 RVG zulässige weitere Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht Potsdam die Beschwerde als unbegründet verworfen und zugleich einen Gebührenanspruch des Beschwerdeführers gegenüber der Staatskasse verneint.

1. Das Landgericht hat zutreffend dargelegt, dass ein Vergütungsanspruch des Beschwerdeführers aus § 45 RVG nicht besteht. § 45 Abs. 1 RVG erfordert die Beiordnung des Rechtsanwalts im Wege der Prozesskostenhilfe nach § 114 ff. ZPO; in welchem Verfahren die Prozesskostenhilfe gewährt wird, ist gleichgültig. Im strafrechtlichen Bereich finden sich hierzu Regelungen beispielsweise für das Klageerzwingungsverfahren (§ 172 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz StPO), für das Privatklageverfahren (§ 379 Abs. 3 StPO) oder für das Adhäsionsverfahren (§ 404 Abs. 5 StPO), die jeweils auf die Vorschriften für die Prozesskostenhilfe in „bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten“ verweisen (siehe auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl. § 404 Rn. 14 f.; KK-Zabeck, StPO, 7. Aufl., § 404 Rn. 6). Ein Antrag auf Prozesskostenhilfe nach § 114 ff. ZPO für das vorliegende Adhäsionsverfahren, dem nach § 117 Abs. 2 ZPO auch eine Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten beizufügen gewesen wäre, ist jedoch weder von dem Beschwerdeführer gestellte noch ist Prozesskostenhilfe gemäß § 119 ZPO durch das Amtsgericht Potsdam – Jugendschöffengericht – bewilligt worden. Dem Schriftsatz des Beschwerdeführers vom 29. August 2021 ist sogar zu entnehmen, dass sein Mandant aufgrund seines Einkommens „möglicherweise keinen Anspruch auf Prozesskostenhilfe hat“. Dies zu klären hätte es eines Antrags auf Prozesskostenhilfe nach § 117 ZPO bedurft.

Auch der Hinweis auf § 121 Abs. 2 ZPO in § 404 Abs. 5 Satz 2 StPO führt im vorliegenden Fall zu keinem Anspruch des Beschwerdeführers gegen die Staatskasse. Denn auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Adhäsionsverfahren setzt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach §§ 114 ff. ZPO voraus, woran es hier fehlt. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts hängt vom Bestand der Prozesskostenbewilligung ab. Eine ohne die erforderliche Prozesskostenhilfe-Entscheidung erklärte Beiordnung geht ins Leere (vgl. Ebert in: Mayer/Kroiß, RVG 8. Aufl., § 48 Rn. 55), eine Beiordnung entsteht nicht, wenn Prozesskostenhilfe nicht bewilligt worden ist, sie fällt weg, wenn die Bewilligung von Prozesskostenhilfe wieder aufgehoben wird (vgl. Bischof in: Bischof/Jungbauer/Brauer u.a. RVG, 9. Aufl., § 45 Rn. 11; Fölsch/Volpert in: Schneider/Volpert (Hrsg.), RVG, 9. Aufl., § 45 Rn. 30 a.E.).

2. Anders stellt sich die Beiordnungsentscheidung dar, wenn ein Fall der notwendigen Verteidigung (§§ 140 ff. StPO) gegeben ist. In diesem Fall erstreckt sich die Pflichtverteidigerbestellung auch auf das Adhäsionsverfahren (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juli 2021, 6 StR 307/21, in: NJW 2021, 2901 f.), was sich bereits aus der engen tatsächlichen und rechtlichen, in der Regel untrennbaren Verbindung zwischen Verteidigung gegen den Tatvorwurf und der Abwehr des aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruchs des Verletzten im Sinne von § 403 StPO ergibt (BGH a.a.O.; siehe auch BGH, Beschluss vom 30. März 2001, 3 StR 25/01, in: BGHR StPO § 397a Abs. 1 Beistand 4). Ein solcher Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 2 StPO lag hier zweifelsohne nicht vor. Der dem Urteil zugrunde liegende Sachverhalt war überaus einfach gelagert und warf keine schwierigen tatsächlichen oder rechtlichen Probleme auf, auch lässt die erkannte Geldstrafe von lediglich 160 Tagessätzen auf schwere Rechtsfolgen nicht rückschließen. Eine Pflichtverteidigerbestellung ist weder beantragt noch auf eine solche erkannt worden.

3. Ein Gebührenanspruch gegen die Landeskasse ergibt sich auch nicht aus § 45 Abs. 3 RVG. Es ist bereits fraglich, ob es sich hierbei nicht um eine Zuständigkeitsnorm zur Frage handelt, welche Staatskasse die Gebühren schuldet (Hartung in: Hartung/Schons/Enders, RVG, 3. Aufl., § 45 Rn. 52). Aber selbst wenn diese Norm („sonst“) dahin auszulegen ist, dass sonstige Fälle von Beiordnungen in Strafsachen erfasst sind (vgl. Fölsch/Volpert in: Schneider/Volpert, RVG, 9. Aufl. § 45 Rn. 23), kann sie sich nur auf Bereiche beziehen, die ohne Bewilligung von Prozesskostenhilfe die Beiordnung eines Rechtsanwalts ermöglichen wie beispielsweise der Rechtsbeistand eines Nebenklägers (§ 397a Abs. 1 StPO) oder des nebenklageberechtigten Verletzten (§ 406h Abs. 3 Nr. 1 StPO), der Zeugenbeistand (§ 68b Abs. 2 Satz 2 StPO), der nach dem Therapieunterbringungsgesetz gerichtlich beigeordnete Rechtsanwalt (§ 7 ThUG), der Rechtsbeistand eines Verfolgten in Auslieferungsverfahren nach dem Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (§§ 31 Abs. 2 S. 3, 40 IRG) oder der notwendige Verteidiger (§ 140 Abs. 1, Abs. 2 StPO), auch wenn er den Angeklagten – wie oben dargelegt – im Adhäsionsverfahren vertritt. § 45 Abs. 3 RVG erstreckt sich dagegen nicht auf Fälle von Beiordnungen in Strafsachen, die mit der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach den Bestimmungen des Zivilverfahrens verknüpft sind wie beispielsweise bei Klageerzwingungsverfahren (§ 172 Abs. 3, Satz 2, 2. Halbsatz StPO), Privatklageverfahren (§ 379 Abs. 3 StPO) oder Adhäsionsverfahren ohne notwendige Verteidigung (§ 404 Abs. 5 StPO). Der vorliegende Fall der Beiordnung für das Adhäsionsverfahrens ohne notwendige Verteidigung nach § 140 StPO ist mithin kein Fall der „sonstigen“ Beiordnung nach § 45 Abs. 3 RVG, vielmehr findet sich eine abschließende Regelung in § 45 Abs. 1 RVG, so dass auf die obigen Ausführungen zu verweisen ist.

4. Der Beschwerdeführer kann sich auch nicht auf Vertrauensgesichtspunkte berufen, weil das Tatgericht eine Beiordnung ohne Bewilligung von Prozesskostenhilfe und ohne Pflichtverteidigerbestellung ausgesprochen hat. Denn dem Beschwerdeführer musste als Fachanwalt für Strafrecht bekannt sein, dass es in erster Linie ihm als Verteidiger nach § 404 Abs. 5 Satz 1 StPO oblag, für das Adhäsionsverfahren einen „Antrag auf Prozesskostenhilfe“ „nach denselben Vorschriften wie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten“ zu stellen. Daran fehlt es hier, wie bereits oben dargelegt ist. Zwar mag in der erfolgten Beiordnung des Beschwerdeführers für das Adhäsionsverfahren ohne Antrag auf Prozesskostenhilfe und ohne dass ein Fall der Pflichtverteidigerbestellung vorlag, ein Fehler durch das Amtsgericht Potsdam gegeben sein, jedoch kann daraus – wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat (S. 7 BA) – keine Hinweispflicht resultieren, wenn das Gericht den Fehler selbst nicht erkennt.

Es kann auch keine Rede davon sein, dass der Beschwerdeführer „unentgeltlich“ arbeiten müsste („die Sklaverei ist abgeschafft“, Schriftsatz des Beschwerdeführers vom 29.03.2021); es bleibt dem Beschwerdeführer unbenommen, seine Gebühren gegenüber dem Angeklagten bzw. Verurteilten geltend zu machen.

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 56 Abs. 2 Satz 2, Satz 3 RVG).


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