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Entscheidungen

beA

Elektronisches Dokument, aktive Nutzungspflicht, beA, VwGO, Beschwerdebegründung

Gericht / Entscheidungsdatum: OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 25.01.2022 - 4 MB 78/21

Leitsatz des Gerichts: 1. Die aktive Nutzungspflicht der elektronischen Form (§ 55d Satz 1 VwGO) ist nicht von einem weiteren Umsetzungsakt abhängig und gilt ab dem 1. Januar 2022 für sämtliche Verfahren einschließlich solcher, die bereits zuvor anhängig gemachten wurden.
2. Die (rechtzeitige) Einhaltung der in § 55d Satz 1 VwGO vorgeschriebenen Form ist eine Frage der Zulässigkeit und daher von Amts wegen zu beachten; sie steht nicht zur Disposition der Beteiligten.
3. § 55d Satz 3 VwGO enthält eine einheitliche Heilungsregelung. Unerheblich ist, ob die Ursache für die vorübergehende technische Unmöglichkeit der elektronischen Einreichung in der Sphäre des Gerichts oder in der Sphäre des Einreichenden zu suchen ist. Die Möglichkeit der Ersatzeinreichung ist verschuldensunabhängig ausgestaltet.
4. Die vorübergehende technische Unmöglichkeit ist vorrangig zugleich mit der Ersatzeinreichung glaubhaft zu machen. Lediglich dann, wenn der Rechtsanwalt erst kurz vor Fristablauf feststellt, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist und bis zum Fristablauf keine Zeit mehr verbleibt, die Unmöglichkeit darzutun und glaubhaft zu machen, genügt eine unverzügliche Glaubhaftmachung (§ 55d Satz 4 VwGO).


In pp.

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 7. Kammer - vom 15. Dezember 2021 wird verworfen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.750,- Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 15. Dezember 2021, dem Bevollmächtigten des Antragstellers am selben Tag gegen Empfangsbekenntnis zugegangen, ist unzulässig. Nach form- und fristgerechter Einlegung der Beschwerde per Fax beim Verwaltungsgericht am 29. Dezember 2021 (§ 147 Abs. 1 VwGO) hätte die Begründung der Beschwerde gemäß § 55d, § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO innerhalb eines Monats ab Bekanntgabe, mithin am Montag, dem 17. Januar 2022, beim Oberverwaltungsgericht in elektronischer Form eingehen müssen. Dies ist nicht geschehen. Eingegangen ist lediglich ein Fax.

Nach dem seit dem 1. Januar 2022 geltenden § 55d VwGO (eingefügt durch Gesetz v. 10.10.2013, BGBl. I S. 3786) sind vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die u.a. durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln. Ist eine Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen.

Die aktive Nutzungspflicht der elektronischen Form ist nicht von einem weiteren Umsetzungsakt abhängig und gilt ab sofort für sämtliche Verfahren, entsprechend auch für Schriftsätze, die in Verfahren eingereicht werden, die - wie hier - bereits vor dem 1. Januar 2022 anhängig gemachten wurden (Müller, NJW 2021, 3281 Rn. 1; vgl. auch LAG Kiel, Beschluss vom 25. März 2020 - 6 Sa 102/20 -, juris Rn. 13 zur Parallelvorschrift des § 46g ArbGG). Sie bezieht sich auf alle an das Gericht adressierten Schriftsätze, Anträge und Erklärungen. Die Einhaltung der Vorschrift ist eine Frage der Zulässigkeit und daher von Amts wegen zu beachten; sie steht nicht zur Disposition der Beteiligten (BT-Drs. 17/12634 S. 27 zur Parallelvorschrift des § 130d ZPO; Schmitz in: BeckOK, VwGO, 59. Ed. 01.10.2021, § 55d Rn. 2). Eine herkömmliche Einreichung - etwa auf dem Postweg oder per Fax - ist prozessual unwirksam (Braun Binder in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 55d Rn. 7).

Die Einreichung der Beschwerdebegründung wahrt damit nicht die Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO, da sie bis zum Fristablauf entgegen § 55d Satz 1 VwGO nur per Fax und damit nicht formgerecht erfolgt ist. Eine vorübergehende, aus technischen Gründen bestehende Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung, die eine (fristwahrende) Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften ausnahmsweise zulässt (§ 55d Satz 3 VwGO), könnte zwar in den am 19. Januar 2022 vorgetragenen Problemen "bei der Nutzung des Internets" mit dem einzigen PC des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers liegen, da es nach dem Willen des Gesetzgebers keine Rolle spielen soll, ob die Ursache für die vorübergehende technische Unmöglichkeit in der Sphäre des Gerichts oder in der Sphäre des Einreichenden zu suchen ist. Auch ein vorübergehender Ausfall der technischen Einrichtungen des Rechtsanwalts soll dem Rechtsuchenden nicht zum Nachteil gereichen (BT-Drs. 17/12634 S. 27 zur Parallelvorschrift des § 130d ZPO; Schmitz in: BeckOK, VwGO, 59. Ed. 01.10.2021, § 55d Rn. 5). Angesichts der Vielzahl denkbarer Störungsfälle handelt es sich um eine einheitliche Heilungsregelung. Die Beteiligten sollen nicht damit belastet werden, den Ursprung der technischen Störung zu eruieren. Aus diesem Grund ist die Möglichkeit der Ersatzeinreichung verschuldensunabhängig ausgestaltet und erfordert nur die (unverzügliche) Glaubhaftmachung der technischen Störung als solcher (ArbG Lübeck, Urteil vom 01. Oktober 2020 - 1 Ca 572/20 -, juris Rn. 85 zur Parallelvorschrift des § 46g ArbGG).

Allerdings ist die vorgetragene vorübergehende technische Unmöglichkeit nach Maßgabe des § 55d Satz 4 VwGO nicht rechtzeitig glaubhaft gemacht worden. Die Glaubhaftmachung muss "bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach" erfolgen. Im Interesse des dahinterstehenden Beschleunigungsgedankens versteht der Senat diese Formulierung so, dass die Glaubhaftmachung mit der Ersatzeinreichung grundsätzlich vorrangig zu erfolgen hat ("soll möglichst": BT-Drs. 17/12634 S. 28 zur Parallelvorschrift des § 130d ZPO; "idealerweise": Siegmund, NJW 2021, 3617, Rn. 13). Lediglich dann, wenn der Rechtsanwalt erst kurz vor Fristablauf feststellt, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist und bis zum Fristablauf keine Zeit mehr verbleibt, die Unmöglichkeit darzutun und glaubhaft zu machen, genügt es, die Glaubhaftmachung unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern nachzuholen ("In diesem Fall": BT-Drs. 17/12634 S. 28 zur Parallelvorschrift des § 130d ZPO; LAG Kiel, Urteil vom 13. Oktober 2021 - 6 Sa 337/20 -, juris Rn. 128; so wohl auch zu verstehen: Schmitz in: BeckOK, VwGO, 59. Ed. 01.10.2021, § 55d Rn. 6; Braun Binder in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 55d Rn. 10).

Hiervon ausgehend hätte die Glaubhaftmachung bereits am Tag des Fristablaufs am 17. Januar 2022 mit der Ersatzeinreichung erfolgen können und müssen. Nach dem Vortrag des Prozessbevollmächtigten hätten sich bereits am Nachmittag des Freitags, den 14. Januar 2022 Probleme bei der Nutzung des Internets gezeigt. Am Wochenende sei die Nutzung des beA nicht möglich gewesen. Das Fax, mit dem die Beschwerdebegründung dann am Montag, dem 17. Januar 2022 erfolgt ist, wurde ausweislich des Statusberichts in der Fußzeile um 9.59 Uhr übermittelt. Eine Erklärung oder gar Glaubhaftmachung etwaiger technischer Gründe, warum eine fristgerechte elektronische Übermittlung nicht möglich sei, war darin nicht enthalten oder beigefügt. Diese ist erst nach einem gerichtlichen Hinweis auf die Vorschrift des § 55d VwGO am 19. Januar 2022 erfolgt. Es wurde mitgeteilt, dass sich der Prozessbevollmächtigte sogleich am Montag, dem 17. Januar 2022 vormittags mit der ihn betreuenden EDV-Firma in Verbindung gesetzt habe, wo man ihm aber aus Zeitgründen nicht unmittelbar habe helfen können. Dies sei erst am 18. Januar 2022 vormittags möglich gewesen. Eine entsprechende Rechnung der Firma über die vorgenommenen Arbeiten wurde beigefügt.

Bei dieser Sachlage kann nicht angenommen werden, dass die technische Unmöglichkeit einer elektronischen Einreichung erst "kurz vor Fristablauf" festgestellt worden wäre und dem Prozessbevollmächtigten bis zum Fristablauf - am 17. Januar 2022 bis 24.00 Uhr - keine Zeit mehr verblieben wäre, die Unmöglichkeit darzutun und glaubhaft zu machen. Wenn das Problem bereits seit Freitag, den 14. Januar 2022 bekannt gewesen und die Beschwerdebegründung am Montag, den 17. Januar 2022 um 9.59 Uhr gefaxt wird, ist nicht ersichtlich, warum nicht zugleich oder jedenfalls bis 24.00 Uhr eine Erläuterung und Glaubhaftmachung der technischen Unmöglichkeit hätte erfolgen können.

Dass der Prozessbevollmächtigte möglicherweise die Rechtslage verkannt und hierauf erst durch den gerichtlichen Hinweis aufmerksam geworden wäre, wird nicht vorgebracht, würde aber auch am Ergebnis nichts ändern. Als Rechtsanwalt und Organ der Rechtspflege musste ihm die Rechtslage auch ohne den gerichtlichen Hinweis bekannt sein. Der Rechtsanwalt hat das Recht zu kennen (LAG Kiel, Urteil vom 13. Oktober 2021 - 6 Sa 337/20 -, juris Rn. 134).

Nach alledem wäre eine Übermittlung und Glaubhaftmachung nach den allgemeinen Vorschriften entsprechend § 55d Satz 3 und 4 VwGO möglich gewesen und dem Prozessbevollmächtigten hätten die gesetzlichen Anforderungen auch bekannt sein müssen. Für die Annahme einer zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand führenden unverschuldeten Fristversäumnis wäre daher kein Raum (vgl. dazu Siegmund, NJW 2021, 3617 Rn. 14).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2, § 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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