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Entscheidungen

StPO

EncroChat, Verwertung der Erkenntnisse, Beweisverwertungsverbot

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Brandenburg, Beschl. v. 16.12.2021 – 2 Ws 197/21

Eigener Leitsatz: Die Verwertung der durch die französischen Ermittlungsbehörden im Zusammenhang mit der Überwachung des Dienstleistungsanbieters für sogenannte Krypto-Handys (EncroChat) durch Entschlüsselung von Chat-Nachrichten gewonnenen, sichergestellten und ausgewerteten Chat-Daten unterliegt keinem Verbot.


In pp.

Gegen den Angeschuldigten wird die Fortdauer der Untersuchungshaft mit der Maßgabe angeordnet, dass der Haftgrund der Fluchtgefahr besteht.
Für die Dauer von drei Monaten wird die Haftkontrolle dem Landgericht Cottbus übertragen.

Gründe

I.

Der Angeschuldigte befindet sich seit dem 4. Juni 2021 aufgrund des Haftbefehls des Landgerichts Cottbus vom 27. April 2021 in Untersuchungshaft.

In dem Haftbefehl wird dem Angeschuldigten vorgeworfen, in mindestens fünf Fällen mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben haben. Konkret wird ihm zur Last gelegt, in der Zeit vom 3. April bis 18. Mai 2020 insgesamt ein Kilogramm Kokain, ca. zwei Kilogramm Methamphetamin Crystal und 10 Kilogramm Marihuana vom (bisher nicht identifizierten) EncroChat-Nutzer „(A)@...com“ sowie drei Kilogramm Methamphetamin Crystal und 10 Kilogramm Marihuana vom EncroChat-Nutzer „(B)@...com“, identifiziert als …., erworben zu haben. Wegen der Einzelheiten nimmt der Senat auf den Haftbefehl des Landgerichts Bezug.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt, die Fortdauer der Untersuchungshaft anzuordnen.

II.

Der Senat entscheidet antragsgemäß.

Die Voraussetzungen für den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft liegen vor.

1. Der Angeschuldigte ist dringend verdächtig, die in dem Haftbefehl bezeichneten Taten begangen zu haben (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO). Dies ergibt sich aus dem in den Haftbefehl bezeichneten Beweismitteln und dem in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Cottbus vom 1. November 2021 zutreffend zusammengefassten, wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen. Die eindeutige Identifizierung des Angeschuldigten als Nutzer von „(C)@...“ konnte aufgrund der Entschlüsselung der anonymisierten Nutzerkennungen und der Kommunikation durch die französischen Strafverfolgungsbehörden erfolgen. Der Auswertung des unter der Nutzerkennung „(C)@...“ genutzten Mobiltelefons des Angeschuldigten ließ sich eine auf die jeweiligen Tat bezogene Kommunikation des Angeschuldigten mit weiteren gesondert Verfolgten entnehmen.

Soweit sich der dringende Tatverdacht aus der Auswertung der durch die französischen Ermittlungsbehörden im Zusammenhang mit der Überwachung des Dienstleistungsanbieters für sogenannte Krypto-Handys (EncroChat) durch Entschlüsselung von Chat-Nachrichten gewonnenen Daten beruht, unterliegen diese keinem Beweisverwertungsverbot.

Der Senat teilt die hierzu in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertretene Auffassung (OLG Bremen, Beschl. v. 18. Dezember 2020 – 1 Ws 166/20; OLG Hamburg, Beschl. v. 29. Januar 2021 – 1 WS 2/21 - 7 OBL 3/21; OLG Schleswig, Beschl. v. 29. April 2021 – 2 Ws 47/21; OLG Rostock, Beschl. v. 23. März 2021 – 20 Ws 70/21; ebenso LG Flensburg, Beschl. v 11. Juni 2021 – V Qs 26/21, jeweils zitiert nach Juris) und folgt insoweit nicht der entgegenstehenden, soweit ersichtlich nicht rechtskräftigen Entscheidung des Landgerichts Berlin (Beschl. v. 1. Juli 2021 – [525 KLs] 254 Js 592/20 [10/21]; ein Verwertungsverbot ebenfalls bejahend Wahl ZIS 2021, 452ff.). Hierfür sind für den Senat zusammengefasst im Wesentlichen folgende Überlegungen maßgeblich (vgl. Senat, Beschluss vom 26. Juli 2021, Az.: 2 Ws 94/21):

a) Ein zu einem Beweisverwertungsverbot führender Verstoß gegen wesentliche Grundsätze der deutschen Rechtsordnung liegt nicht vor (§ 73 Satz 1 IRG).

Die Art und Weise der in Frankreich betriebenen Beweisgewinnung (näher dargestellt in der Entscheidung OLG Hamburg v. 29. Januar 2021, aaO.) unterliegt dabei nicht uneingeschränkter Überprüfung. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs steht den deutschen Gerichten eine Nachprüfung der im Ausland getroffenen Maßnahmen nach dem dortigen innerstaatlichen Recht grundsätzlich nicht zu, soweit die dortige Beweiserhebung – wie hier – nicht auf einem inländischen Rechtshilfeersuchen beruht (BGH, Beschl. v. 21. November 2012 – 1 StA 310/12; eingehend Pauli NStZ 2021, 146ff.).

Dass die Anordnung der von den französischen Behörden durchgeführten Ermittlungsmaßnahmen nach bisherigem Erkenntnisstand nicht den Anforderungen zu genügen scheint, die nach deutschem Recht an eine Überwachung des internetbasierten Datenaustausches und der Telekommunikation zu stellen wären, verbietet nach der hierbei zu treffenden Gesamtabwägung nicht die Verwertung der hieraus gewonnenen Erkenntnisse. Dabei ist auf der einen Seite zu berücksichtigen, dass zwar entsprechend der deutschen Rechtsordnung im Hinblick auf die hiermit verbundenen Eingriffe in Grundrechte (Art. 10 GG, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) eine Überwachung nur aus Anlass eines konkreten Geschehens und gegen bestimmte Beschuldigte bei Vorliegen eines qualifizierten Verdachtes erlaubt, eine verdachtslose Überwachung der Kommunikation dagegen grundsätzlich unzulässig ist (§§ 100a, b, StPO; BVerfG, Urt. v. 27. Februar 2008 – 1 BvR 370/07, 1 BvR 595/07, NJW 2008, 822). Dass entsprechende in Frankreich angeordnete und gerichtlich beschlossene Ermittlungsmaßnahmen, denen nach derzeitigen Erkenntnissen zunächst anscheinend nicht in jedem Einzelfall ein konkret gegen bestimmte Personen begründeter Verdacht der Begehung schwerwiegender Straftaten zu Grunde lag, in Deutschland so nicht hätten veranlasst werden dürfen, begründet dabei jedoch in der Gesamtschau der hierbei zu würdigenden Umstände noch kein Beweisverwertungsverbot, denn eine Verletzung allgemeiner rechtsstaatlicher und völkerrechtlicher Grundsätze, gemessen u.a. an Art. 6 Abs. 1 EMRK und dem ordre public, liegt nicht vor.

Zum einen erlaubt § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO im Grundsatz und unter bestimmten Voraussetzungen die Verwendung und Verwertung von Daten zur Aufklärung von Straftaten, aufgrund derer Überwachungsmaßnahmen gemäß §§ 100a, b StPO hätten angeordnet werden können (vgl. hierzu OLG Hamburg, OLG Schleswig, aaO.): Dementsprechend stellen im vorliegenden Fall die dem Angeklagten zur Last gelegten Delikte besonders schwerwiegende Katalogtaten im Sinne der Norm dar und die gewonnenen Daten berühren soweit ersichtlich keine den Kernbereich der privaten Lebensführung betreffenden Informationen. Ferner ist insbesondere das hohe Gewicht der dem Angeklagten vorgeworfenen Straftaten und das Ausmaß der durch den Betäubungsmittelhandel bedrohten Rechtsgüter der Gesundheit der Allgemeinheit im Rahmen der hinsichtlich der Zulässigkeit der Beweisverwertung vorzunehmenden Abwägung zu berücksichtigen. Darüber hinaus begründete die Nutzung der mit Verschlüsselungstechnik versehenen, hochpreisigen Endgeräte nach derzeitigen Erkenntnissen jedenfalls einen gewissen Anfangsverdacht gegen deren Nutzer, wobei die Geräte nach bisherigen Erkenntnissen auch überwiegend bestimmungsgemäß für Absprachen krimineller Vorhaben verwendet; hierauf deutet auch ein ermittelter „Leitfaden“ zur Vermarktung der offensichtlich nicht von einem regulären Kommunikationsanbieter vertriebenen Geräte hin, gemäß dem Zahlungen vorzugsweise in „Krypto-Währung“ (Bitcoin) erfolgen sollten, man sich gegenüber der Polizei verdeckt halten müsse und zu vermeiden habe, durch mengenmäßig zu große Lieferungen aufzufallen (vgl. hierzu OLG Hamburg, aaO.).

Hinzukommt, dass hier nicht ein Fall vorliegt, bei dem deutsche Behörden durch ein planmäßiges Vorgehen zur Umgehung der maßgeblichen Vorschriften zur Kommunikationsüberwachung an der Datengewinnung mitgewirkt hätten. Vielmehr war Deutschland an den von den französischen Ermittlungsbehörden geführten Operationen nach gegenwärtigem Erkenntnisstand nicht beteiligt. Die ermittelten Daten sind vielmehr ohne vorherige Absprache spontan an die deutsche Polizei übermittelt worden; die deutschen Behörden sind insoweit erst nachträglich aufgrund eines Ersuchens der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/Main um Genehmigung der Verwendung der übermittelten Daten tätig geworden (vgl. hierzu im Einzelnen OLG Bremen, aaO.). Bei dieser Sachlage ist der Fall einer gezielten und systematischen Umgehung von Vorschriften, die den Einzelnen gegenüber deutschen Behörden vor staatlichen Eingriffen in die verschlüsselte Kommunikation schützen sollen, und der ein Beweisverbot begründen würde (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 9. November 2010 – 2 BvR 2101/09, zitiert nach Juris), nicht gegeben.

b) Ein Verbot der Beweisverwertung ergibt sich auch nicht aufgrund von Verstößen gegen rechtshilferechtliche Bestimmungen zur grenzüberschreitenden Überwachung der Telekommunikation sowie der Informationsübermittlung.

Soweit nach derzeitigem Ermittlungsstand anzunehmen ist, dass seitens der französischen Behörden für die grenzüberschreitenden Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung eine gemäß Art. 31 der Richtlinie 2014/41/EU über die europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen vom 3. April 2014 (RL EEA) vorgesehene Unterrichtung des Mitgliedstaats, in dem sich die Zielpersonen der Überwachung befanden, unterblieben ist, steht dies der Verwertung der Beweise nicht entgegen. Dass die zuständigen Behörden des unterrichteten Mitgliedstaates in Fällen, in denen die Überwachung in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall nicht genehmigt würde, hätten widersprechen können, hat hinsichtlich der Zulässigkeit einer Beweisverwertung im unterrichteten Staat keine unmittelbare Bedeutung, sondern vermag nach der Konzeption der Regelung gegebenenfalls einen Beweisausschluss im überwachenden Staat auszulösen (vgl. hierzu Wahl ZIS 2021, 452, 457). Darüber hinaus ist jedenfalls aus den zu a) dargelegten Gründen nicht anzunehmen, dass allgemeine völkerrechtlicher Grundsätze wie das allgemeine Fairnessgebot nach Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht gewahrt wurden und eine Beweisverwertung mit Rücksicht darauf ausgeschlossen wäre (vgl. OLG Bremen, OLG Hamburg, OLG Schleswig aaO.). Dies gilt auch insoweit, als die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/Main nicht zuständige Bewilligungsbehörde im Verfahren nach Art. 31 RL EEA, § 92d Abs. 1 Nr. 1 IRG war und insoweit aus formalen Gründen eine nachträgliche Heilung des Richtlinienverstoßes nicht herbeiführen konnte (so aber Wahl ZIS 2021, 452, 458).

Darüber hinaus begründet auch der Umstand kein Verwertungsverbot, dass die französischen Behörden den gemäß Art. 7 des Rahmenbeschlusses 2006/960/JI des Rates vom 18. Dezember 2006 (RB-Informationsaustausch) spontan übermittelten Daten anscheinend eine konkrete Verfahrenszuordnung oder bestimmende Zweckbindung nicht beigefügt haben (vgl. OLG Hamburg, aaO. Rn. 112ff., aA Wahl ZIS 2021, 452, 458ff.). Den insoweit entsprechend Art. 1 Nr. 4 RB-Informationsaustausch geltenden Anforderungen, dass im Falle der beabsichtigten Verwendung der Daten als Beweismittel die Einwilligung des Mitgliedstaats einzuholen ist, der die Informationen oder Erkenntnisse bereitgestellt hat, ist durch die am 2. Juni 2020 durch die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main beantragt Europäische Ermittlungsanordnung Genüge getan, aufgrund der die französischen Behörden einer Verwendung der Daten sodann zugestimmt haben; auch handelt es sich bei den übermittelten Daten um solche, bei denen konkrete Gründe für die Annahme bestehen, dass die Informationen und Erkenntnisse dazu beitragen können, die in Art. 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl benannten Delikte aufgeklärt werden können (OLG Bremen, OLG Hamburg, aaO.). Allein aufgrund des Umstandes, dass im Rahmen der pauschal gefassten Europäischen Ermittlungsanordnung einzelne konkretisierte Strafverfahren noch nicht bestimmt worden sind und insoweit auch ein gerichtlicher Beschluss nicht ergangen ist, besteht insoweit unter Berücksichtigung der vorgenannten Abwägungskriterien kein Beweisverwertungsverbot (a.A. aber Wahl ZIS 2021, 458, 460).

2. Gegen die Angeschuldigten besteht auch der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Der einschlägig vorbestrafte und bereits wiederholt zu unbedingten Freiheitsstrafen verurteilte Angeschuldigte hat mit der Verhängung einer hohen Freiheitstrafe zu rechnen, was einen erheblichen Fluchtanreiz begründet. Soziale oder persönliche Bindungen, die diesem Anreiz entgegenwirken könnten, sind nicht gegeben.

Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Zweck der Untersuchungshaft auch ohne ihren Vollzug erreicht werden könnte.

Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu der Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung für die Angeschuldigten zu erwartenden hohen Freiheitsstrafe nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Bei Abwägung der Freiheitsgrundrechte des Angeklagten mit dem Gebot einer effektiven Strafverfolgung überwiegt der Gesichtspunkt der Gewährleistung eines verfahrensmäßigen Abschlusses der Strafsache, weil dem Angeschuldigten schwerwiegende Straftaten zur Last gelegt werden und die Förderung des Verfahrens dem besonderen Beschleunigungsgebot gerecht wird.

3. Wichtige Gründe im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO haben bisher ein Urteil noch nicht zugelassen. Sie rechtfertigen den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft.

Die Ermittlungen sind aufgrund des großen Umfangs der Sache bis zur Erhebung der Anklage noch ohne durchgreifende Verstöße gegen das in Haftsachen geltende besondere Beschleunigungsgebot gefördert worden (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, Art. 5 Abs. 3 Satz 2 MRK).

Die Staatsanwaltschaft Cottbus hat unter dem 4. November 2021 Anklage zum Landgericht Cottbus erhoben. Unter dem 5. November 2021 hat das Landgericht diese zur Zustellung mit einer Frist zur Stellungnahme bis zum 30. November 2021 verfügt. Im Fall der Eröffnung des Hauptverfahrens soll die mündliche Verhandlung am 21. Januar 2022 beginnen.

Bei dieser Sachlage ist eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes bislang nicht zu erkennen.

Die Übertragung der Haftkontrolle beruht auf § 122 Abs. 3 Satz 3 StPO.


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