Gericht / Entscheidungsdatum: AG Friedberg (Hessen), Beschl. v. 30.12.2021 - 47 a OWi 103/21
Eigener Leitsatz: 1. Eine unterlassene Beweismittelvervollständigung ist keine Maßnahme einer Behörde, die von dem Rechtsbehelf des § 62 OWiG umfasst wäre.
2. Ein Anspruch auf Herausgabe der gesamten Messreihe besteht nicht, da diese nicht aufgrund des konkreten Ermittlungsverfahrens entstanden ist.
Amtsgericht Friedberg (Hessen) 30.12.2021
47 a OWi 103/21
Beschluss
In der Bußgeldsache gegen
Verteidiger:
wegen Ordnungswidrigkeit
hat das Amtsgericht - Strafprozessabteilung - Friedberg (Hessen) durch den Richter am Amtsgericht am 30.12.2021 beschlossen:
Der Antrag auf. gerichtliche Entscheidung wird verworfen. Die Kostenentscheidung bleibt der verfahrensabschließenden Entscheidung vorbehalten.
Gründe
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unzulässig.
In der Sache macht der Verteidiger eine unterlassene Beweismittelvervollständigung durch das Regierungspräsidium Kassel geltend. Eine solche unterlassene Beweismittelvervollständigung ist aber keine Maßnahme einer Behörde, die von dem Rechtsbehelf des § 62 OWiG umfasst wäre.
Der Rechtsbehelf des § 62 OWiG umfasst nur die Überprüfung von behördlichen Maßnahmen, die eine selbstständige Bedeutung haben. So z.B. Durchsuchungen, die Anordnung erkennungsdienstlicher Behandlungen oder einer körperlichen Untersuchung.
Keine selbständige Bedeutung haben dagegen die Einleitung des Bußgeldverfahrens, der Abschlussvermerk nach § 61 OWiG, die Vernehmung eines Zeugen, die Einholung eines Sachverständigengutachtens, die Ablehnung eines Beweisantrags oder eines Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit. Diese Maßnahmen stehen in einem inneren Zusammenhang zur Sachaufklärung und können daher nur im Rahmen der Rechtsmittel gegen die Sachentscheidung als solcher angefochten werden (vgl. BeckOK OWiG/Euler, 30. Ed. 1.4.2021, OWiG S 62 Rn. 8; Göhler OWiG, 17. Aufl., § 62 Rn. 4.).
Dies ist auch sachgerecht, da diese Maßnahmen der Verwaltungsbehörde im gerichtlichen Verfahren zu überprüfen sind und ggfl. erforderliche Beweiserhebungen durchgeführt werden können (BeckOK OWiG/Euler OWiG § 62 Rn. 8.). Insoweit wird dem Betroffenen auch ausreichender Rechtsschutz gewährt.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wäre auch unbegründet.
Ein Anspruch auf Herausgabe der gesamten Messreihe besteht nicht, da diese nicht aufgrund des konkreten Ermittlungsverfahrens entstanden sind. Vielmehr sind diese Daten in anderen Ermittlungsverfahren entstanden. Das Bundeverfassungsgericht hat dem Betroffenen aber nur ein Akteneinsichtsrecht hinsichtlich der Beweismittel eingeräumt, die im konkreten Ermittlungsverfahren entstanden sind (BVerfG, NJW 2021, 455ff.). Im Übrigen stände der Herausgabe der gesamten Messreihe auch der Vorbehalt des Gesetzes aus Art. 20 Abs. 3 GG entgegen. Die Herausgabe der gesamten Messreihe würde in das Recht. auf informationelle Selbstbestimmung der anderen gemessenen Verkehrsteilnehmer aus Art. 1, 2 GG eingreifen. Ein solcher Eingriff ergibt sich bereits daraus, dass mit diesen Daten auch Messbilder der gemessenen Fahrzeuge herauszugeben wären, die u.a. Fahrzeugkennzeichen, Fotos der Insassen oder andere individualisierende Merkmale enthalten. für ein solchen Eingriff wäre aber eine einfachgesetzliche Grundlage erforderlich. Auch eine Anonymisierung vermag daran nichts zu ändern.
Im Übrigen bestände auch kein Anspruch auf eine Anonymisierung. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem oben zitierten Beschluss entschieden, dass der Informationsanspruch der Verteidigung auch in Bußgeldverfahren nicht in unbegrenzter Form besteht. Vielmehr kann dieser Informationszugang sachgerecht eingegrenzt werden (BVerfG a.a.O., 455, 458 Rn. 56.). Dies wäre hier vorzunehmen, da eine vollständige Anonymisierung mit einem kaum noch händelbaren Aufwand einhergehen würde. Zumal sichergestellt werden müsste, dass diese Anonymisierung nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Bei dieser Bewertung war auch noch zu berücksichtigen, dass nach den überzeugenden Ausführungen der PTB der Informationswert der gesamten Messreihe gegen null geht.
Die Kostenentscheidung ist gem. § 109 Abs. 1 Nr. 1 OWiG der verfahrensabschließenden Entscheidung vorbehalten.
Diese Entscheidung ist gem. § 62 Abs. 2 S. 3 OWiG unanfechtbar.
Einsender: RA M. Rakow, Rostock
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