Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Nürnberg, Beschl. v. 16.11.2021 - Ws 1069-1070/21
Leitsatz des Gerichts: 1. Befindet sich der Beschuldigte zum Zweck der Auslieferung im Ausland in Auslieferungshaft, führen dortige menschenunwürdige Haftbedingungen nicht zur Unverhältnismäßigkeit des nationalen Haftbefehls.
2. Die Dauer der Auslieferungshaft ist bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit des nationalen Haftbefehls zu berücksichtigen (Anschluss an KG Berlin, Beschluss vom 15.03.2019, 4 Ws 24/19).
Oberlandesgericht Nürnberg
Ws 1069/21
Ws 1070/21
In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.
Verteidiger:
wegen Verbrechens nach § 30 BtMG
hier: weitere Haftbeschwerde des Beschuldigten
erlässt das Oberlandesgericht Nürnberg - Strafsenat - durch die unterzeichnenden Richter am 16. November 2021 folgenden
Beschluss
1. Die weitere Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 14.09.2021, mit dem seine Beschwerde gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Nürnberg vom 19.04.2021 als unbegründet verworfen wurde, wird als unbegründet verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
I.
Gegen den Beschuldigten besteht ein Haftbefehl des Amtsgerichts Nürnberg vom 19.04.2021, der Grundlage eines am 06.05.2021 erlassenen Europäischen Haftbefehls ist. Der Beschuldigte wurde am 04.06.2021 in Albanien festgenommen und befindet sich dort aufgrund des gestellten Auslieferungsersuchens in Auslieferungshaft, nach Angaben seines Verteidigers in der Haftanstalt K.
Mit Beschluss vom 14.09.2021 hat das Landgericht Nürnberg-Fürth die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Nürnberg vom 19.04.2021 als unbegründet verworfen.
Mit Schreiben seines Verteidigers vom 20.09.2021 hat der Beschuldigte weitere Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts vom 14.09.2021 eingelegt und diese begründet. Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat mit Beschluss vom 21.10.2021 der Beschwerde nicht abgeholfen.
Mit Schreiben vom 29.10.2021 beantragte die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg die Beschwerde als unzulässig, hilfsweise unbegründet, kostenfällig zu verwerfen.
Über seinen Verteidiger hatte der Beschuldigte Gelegenheit, zu dem dem Verteidiger am 08.11.2021 übermittelten Antrag der Generalstaatsanwaltschaft bis 15.11.2021 Stellung zu nehmen. In seiner Stellungnahme vom 15.11.2021 rügt der Verteidiger im Wesentlichen die Verwertung der EncroChat-Daten, die Nichteröffnung der getroffenen Entscheidungen an den Beschuldigten persönlich, die Einschränkung der Verteidigung durch Akteneinsicht lediglich in Bl. 1 bis 207 der Ermittlungsakten, die Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes sowie die Nichtberücksichtigung der albanischen Haftbedingungen.
II.
Das Rechtsmittel des Beschuldigten ist als weitere Haftbeschwerde statthaft und zulässig (§§ 304 Abs. 1, 306 Abs. 1, 310 Abs. 1 StPO), hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
1. Der Beschuldigte ist der im Haftbefehl des Amtsgerichts Nürnberg vom 19.04.2021 bezeichneten Taten dringend verdächtig (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO). Der Senat nimmt insoweit auf die Ausführungen des Haftbefehls und des Beschlusses des Landgerichts vom 14.09.2021 und die dort benannten Beweismittel Bezug.
Ein Beweisverwertungsverbot, wie vom Verteidiger unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Landgerichts Berlin vom 01.07.2021 (525 KLs 254 Js 592/20 (10/21) - zitiert nach juris) vorgetragen, besteht nicht. Der Senat teilt insoweit die Rechtsauffassung des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 29.04.2021 (2 Ws 47/21 - zitiert nach juris), macht sich diese zu eigen und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Begründung des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vollumfänglich Bezug. Nachdem zwischenzeitlich auch die Entscheidung des Landgerichts Berlin vom 01.07.2021 unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 29.04.2021 und weiterer Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte vom Kammergericht Berlin auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft hin mit Beschluss vom 02.09.2021 (2 Ws 79/21, 2 Ws 93/21, vgl. Hinweis vom 02.09.2021 in juris) aufgehoben und die dortige Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet wurde, bedarf es zusätzlicher Ausführungen seitens des Senats zu der Entscheidung des Landgerichts Berlin vom 01.07.2021 und der darauf gestützten Argumentation der Verteidigung im vorliegenden Haftbeschwerdeverfahren nicht.
2. Bei dem Beschuldigten besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Dem Beschuldigten wird unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (1 kg Kokain) und unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (3 kg Kokain) zur Last gelegt. Unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge wird gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft. Ihm droht deshalb bei einer Verurteilung eine erhebliche Freiheitsstrafe.
Seine sozialen Bindungen sind nicht geeignet bei dem drohenden Freiheitsentzug die bestehende Fluchtgefahr entscheidend zu verringern. Dass der Beschuldigte vor seiner Festnahme in Albanien am 04.06.2021 von dem gegen ihn in Deutschland geführten Ermittlungsverfahren wohl keine Kenntnis hatte, ändert daran nichts.
3. Die Anordnung der Untersuchungshaft ist verhältnismäßig.
a) Da sich der Beschuldigte in A aufhält, stellt die Anordnung der Untersuchungshaft die einzige Möglichkeit dar, das Verfahren nach der Auslieferung des Beschuldigten durchzuführen. Die Anordnung der Untersuchungshaft und die Durchführung des Auslieferungsverfahrens mit der bisherigen Dauer der Einlieferungshaft in Albanien von mehr als fünf Monaten ist unter Berücksichtigung der zu erwartenden Freiheitsstrafe verhältnismäßig (vgl. Beschluss des Kammergerichts Berlin vom 15.03.2019, 4 Ws 24/19 - 121 AR 47/19). Die Dauer der zu erwartenden Freiheitsstrafe übersteigt die Dauer der bislang vollzogenen Auslieferungshaft bei weitem.
b) Die vom Beschuldigten im Schreiben seines Verteidigers vom 11.10.2021 vorgebrachten Haftbedingungen in der albanischen Haftanstalt K. führen nicht zur Unverhältnismäßigkeit der angeordneten Untersuchungshaft.
(1.) Derzeit wird die Untersuchungshaft nicht vollzogen. Grundlage des derzeitigen Freiheitsentzugs ist die Anordnung der Auslieferungshaft in A. Einwendungen gegen den Vollzug der Auslieferungshaft sind im ersuchten Staat geltend zu machen.
Das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 25. März 1981 2 BvR 1258/79 , BVerfGE 57, 9-28) führt dazu aus, dass das Auslieferungsersuchen weder unmittelbar noch mittelbar einen der Bundesrepublik Deutschland zurechenbaren Eingriff in die Freiheit des Beschwerdeführers darstellt. Es ist eine innerstaatliche Angelegenheit des ersuchten Staates, ob und unter welchen Voraussetzungen er die betroffene Person zum Zwecke der Auslieferung in Haft nimmt. Auch die Art. 16 Abs. 1 und Art. 22 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens enthalten keine Beschränkungen des Rechts des ersuchten Staates, die Voraussetzungen einer Auslieferungshaft und den Umfang der Prüfung dieser Voraussetzungen durch seine Behörden zu regeln. Nach diesen Vorschriften entscheiden die zuständigen Behörden des ersuchten Staates über ein Ersuchen um vorläufige Verhaftung nach dessen Recht. Soweit in diesem Übereinkommen nichts anderes vereinbart ist, findet auf das Verfahren der Auslieferung ausschließlich das Recht des ersuchten Staates Anwendung.
(2.) Aus der Andeutung des Bundesverfassungsgerichts (a.a.O.), dass diese Frage anders zu beurteilen sein könnte, wenn infolge des deutschen Auslieferungsersuchens eine Behandlung der betroffenen Person durch den ersuchten Staat zu gewärtigen wäre, die den völkerrechtlich verbindlichen menschenrechtlichen Mindeststandard unterschreitet, ergibt sich nichts anderes. Die im dortigen Verfahren erhobene Verfassungsbeschwerde richtete sich gegen einen Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt, mit dem ein Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23ff GVG gegen das gestellte Auslieferungsersuchen als unzulässig verworfen worden war. Die Frage, ob Haftbedingungen im ersuchten Staat zu prüfen sind, wurde vom Bundesverfassungsgericht bei der Prüfung aufgeworfen, ob der Beschwerdeführer durch das Auslieferungsersuchen unmittelbar in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2, 104 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt worden sein kann. Die Verhältnismäßigkeit des dem Ersuchen zu Grunde liegenden Haftbefehls war nicht Gegenstand der Entscheidung.
Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts betreffen somit nur das Auslieferungsersuchen, nicht aber den dem Ersuchen zu Grunde liegenden nationalen Haftbefehl. Damit kann der Einwand menschenunwürdiger Haftbedingungen in der Einlieferungshaft nicht im Beschwerdeverfahren gegen den Haftbefehl geprüft werden.
Müsste ein Haftbefehl aufgrund menschenunwürdiger Haftbedingungen im ersuchten Staat aufgehoben werden, entfiele damit auch die Fahndung im Inland und in den Ländern, für die keine Zweifel an der Einhaltung der Mindeststandards bei Inhaftierungen bestehen. Der Beschuldigte hätte es damit in der Hand, sich durch eine Flucht in einen entsprechenden Staat dem Strafverfahren dauerhaft zu entziehen und sich weiter frei bewegen zu können.
4. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, wie von Seiten der Verteidigung gerügt, liegt nicht vor. Der nationale Haftbefehl wird dem Beschuldigten eröffnet werden, sobald er überstellt ist. Die Zustellung der übrigen Entscheidungen an den hierfür bevollmächtigten Verteidiger beruht auf § 145a StPO. Die mit Schreiben vom 11.10.2021 vorgelegte schriftliche Verteidigervollmacht vom 24.08.2021 enthält die Befugnis, Zustellungen und Ladungen für den Beschuldigten entgegenzunehmen.
5. Auch die gerügte Beschränkung der Verteidigung liegt nicht vor. Laut Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 31.08.2021 auf Bl. 207 der Akten wurde dem Verteidiger Akteneinsicht in die gesamte Ermittlungsakte und in die Sonderbände bewilligt. Die nachfolgenden Seiten enthalten nur den Beschwerdevorgang, über den der Verteidiger umfassend informiert ist.
6. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.
Einsender: Strafsenat des OLG Nürnberg
Anmerkung:
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