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Entscheidungen

Zivilrecht

Corona, Desinfektionskosten, Erstattung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Hamburg, Urt. v. 21.10.2021 – 323 S 14/21

Leitsatz: 1. Die Kosten für eine Desinfektion des Fahrzeuges nach einer durchgeführten Reparatur sind als erforderlich im Sinne des § 249 Abs. 2 BGB anzusehen und vom Schutzeffekt dieser Norm erfasst.
2. Den als erforderlich anzusehenden Betrag kann der Tatrichter nach § 287 ZPO auf eine Größenordnung von 33,00 € schätzen.
3. Dies kann dem Geschädigten auch entgegengehalten werden, wenn insoweit ein gut erkennbar viel zu hoher Betrag von 158,00 € gefordert wird und der Geschädigte durch die Zahlung dieses Betrages gegen seine Schadensminderungsplicht verstoßen hat.


Landgericht Hamburg

323 S 14/21

Urteil

IM NAMEN DES VOLKES

In der Sache pp.

erkennt das Landgericht Hamburg - Zivilkammer 23 - durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht, den Richter am Landgericht und den Richter am Landgericht auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 30.09.2021 für Recht:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Harburg vom 07.04.2021, Az. 647 C 422/20, unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen wie folgt abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 33,18 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus EUR 30,86 seit dem 17.10.2020 und aus EUR 2,32 sei dem 10.01.2021 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin zu 79 % und die Beklagte zu 21 % zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien können die Vollstreckung der jeweils anderen Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall.

Der in Rede stehende Verkehrsunfall ereignete sich am 25.08.2020 und ist zwischen den Parteien ebenso wie die vollständige Einstandspflicht der Beklagten nicht streitig.

Die Klägerin ließ ihr Fahrzeug nach vorheriger Einholung eines Gutachtens über die voraussichtlichen Kosten einer Reparatur (vgl. Gutachten vom 27.08.2020, Anlage K 2) in einer markengebundenen Fachwerkstatt reparieren (vgl. Rechnungen vom 03.09.2020, Anlage K 5, und 27.11.2020, Anlage K 9). Das Reparaturgutachten weist Kostenpositionen für Schutzmaßnahmen gegen das neuartige Coronavirus in Höhe von insgesamt EUR 136,40 (netto) im Einzelnen wie folgt aus:
- Covid Maßnahme vor Rep. 4 AW EUR 53,20
- Covid Maßnahme nach Rep. 4 AW EUR 53,20
- Schutzmat. Cov.19 vor Rep. EUR 15,00
- Schutzmat. Cov.19 nach Rep. EUR 15,00.

Der Klägerin wurden von der Werkstatt nach der Reparatur insgesamt EUR 157,99 für folgende Positionen in Rechnung gestellt:
Schutzmaßnahmen COVID-19 vor Rep. EUR 60,60
Schutzmaßnahmen COVID-19 nach Rep. EUR 60,60
Schutzmaßnahmen COVID-19 EUR 15,00
Umsatzsteuer (16 %) EUR 21,79.

Dabei wurden in einer ersten Rechnung vom 03.09.2020 (Anlage K 5) lediglich die „Schutzmaßnahmen COVID-19 vor Rep. und nach Rep." in Höhe von zweimal EUR 60,60 zuzüglich 16 % Umsatzsteuer und in einer zweiten Rechnung vom 27.11.2020 (Anlage K 9) weitere EUR 15,00 zuzüglich 16 % Umsatzsteuer für „Schutzmaßnahmen COVID-19" in Ansatz gebracht.

Die Beklagte lehnte eine Zahlung auf diese Positionen ab, nachdem sie die übrigen Unfall-schäden in Höhe von EUR 1.991,64 vollständig reguliert hatte.

Das Amtsgericht hat der Klage mit Urteil vom 07.04.2021 vollen Umfangs stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung von EUR 157,99 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus EUR 140,59 seit dem 17.10.2020 und aus EUR 17,40 seit dem 10.01.2021 verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klägerin aufgrund des Schadensgutachtens davon ausgehen durfte, dass die ihr berechneten Desinfektionskosten zur Beseitigung des Schadens erforderlich im Sinne des § 249 BGB seien. Die Kosten seien auch als zur Schadensbeseitigung notwendig anzusehen, da der Schaden während der COV1D-19 Pandemie aufgetreten sei und unter Berücksichtigung der damit verbundenen und als erforderlich anzusehenden Vorsichtsmaßnahmen zu beheben gewesen sei. Angesichts der öffentlichen Diskussionen, der zwischenzeitlichen Empfehlungen von Desinfektionsmaßnahmen auf der Website der Beklagten und anderer Haftpflichtversicherer sowie der bundesweit üblichen Durchführung solcher Maßnahmen hätten die Klägerin ebenso wie die Reparaturwerkstatt und der Sachverständige davon ausgehen dürfen, dass die Desinfektionsmaßnahmen geboten gewesen seien. Die Maßnahmen seien auch als im Zusammenhang mit der Reparatur stehend anzusehen. Eine Berufung ist ausdrücklich zugelassen worden.

Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 08.04.2021 zugestellte Urteil, auf das wegen der weiteren Einzelheiten und des Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird, hat die Beklagte mit einem am 21.04.2021 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 08.06.2021 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Beklagte verfolgt die Ansicht einer fehlenden Erstattungsfähigkeit der Desinfektions-kosten dem Grunde und der Höhe nach weiter und führt hierzu aus:

Es sei evident erkennbar, dass es sich nicht um erforderliche Kosten für die Reparatur eines Unfallschadens handele, da sie nichts mit der Reparatur, sondern allenfalls einem Schutzbedürfnis der Reparaturwerkstatt in Bezug auf die dortigen Mitarbeiter zu tun habe. Diese Kosten seien keinesfalls gesondert abrechnungsfähig, sondern würden im allgemeinen Aufwand als Maßnahmen des Arbeitsschutzes untergehen. Auch wenn man den Schutz der Werkstattkunden als Nebenpflicht des Werkstattunternehmers ansehe, sei die Überwälzung der Kosten auf die Kunden nicht möglich, weil es sich von vornherein um als allgemeiner Aufwand geschuldete Maßnahmen handele. Es sei auch in anderen Branchen wie dem Einzelhandel nicht überwiegende unternehmerische Praxis, selbst gesetzlich vorgeschriebene Schutzmaßnahmen den Kunden gesondert in Rechnung zu stellen. Es handele sich nicht um einen Fall des sog. Werkstattrisikos. Insgesamt seien die Kosten nicht adäquat kausal durch das Schadensereignis verursacht worden.

Auch sei die hier abgerechnete Höhe der Desinfektionskosten nicht nachzuvollziehen. Als Vergleich könne die im Bereich der ärztlichen Behandlungen vereinbarte analoge Abrechnung der Nr. 245 GOÄ herangezogen werden, wonach Kosten in Höhe von EUR 14,75 er-hoben würden.

Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Amtsgerichts Hamburg-Har-burg die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie behauptet, die Rechnungen gegenüber der Werkstatt bezahlt zu haben und ist der An-sicht, dass es sich um erforderliche und erstattungsfähige Kosten der Schadensbeseitigung handele. Sie habe sich auf das Gutachten des Sachverständigen verlassen und habe dies auch tun dürfen, da sie keine Expertin für Reparatur- oder Covid-19-Desinfektionskosten sei. Das Werkstattrisiko gehe zu Lasten der Beklagten. Es sei auch nicht Aufgabe der Ge-schädigten, sich mit der Werkstatt über Positionen zu streiten, die der Haftpflichtversicherer für unnötig erachte. In einem solchen Fall habe ein Prozess zwischen Werkstatt und Versicherer stattzufinden.

Die Klägerin hat vorsorglich die Abtretung aller ihr eventuell gegen die Werkstatt in Bezug auf die Desinfektionskosten zustehenden Erstattungsansprüche an die Beklagte erklärt.

Wegen des weitergehenden Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden. Die Berufung ist aber nur teilweise begründet, da die Kosten für die Maßnahmen zur Fahrzeugdesinfektion gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB lediglich in Höhe von EUR 33,18 ersatzfähig sind.

1. Die Haftung dem Grunde nach steht nicht im Streit, Ausführungen dazu erübrigen sich.

2. Bei den von der Kfz-Werkstatt in Rechnung gestellten Desinfektionskosten handelt es sich um einen kausal auf den Unfall zurückzuführenden Schaden, der auch als konkrete Position ersatzfähig ist.

Ist wegen der Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Geschädigte gern. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Der Anspruch ist auf Befriedigung des zur Wiederherstellung objektiv erforderlichen Geldbetrags und nicht auf Ausgleich bezahlter Rechnungsbeträge gerichtet. Der Ge-schädigte ist nach schadensrechtlichen Grundsätzen in der Wahl der Mittel zur Schadens-behebung frei. Denn Ziel der Schadensrestitution ist es, den Zustand wiederherzustellen, der wirtschaftlich gesehen der hypothetischen Lage ohne das Schadensereignis entspricht. Der Geschädigte kann jedoch nur die Kosten erstattet verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen. Er ist nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlichsten Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann. Bei der Beurteilung, welcher Herstellungsaufwand erforderlich ist, ist auch Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, etwa auf seine Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten, sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen (sog. subjektbezogene Schadensbetrachtung). Der Geschädigte ist grundsätzlich nicht zu einer Erforschung des zugänglichen Markts verpflichtet. Aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot ergibt sich allerdings eine Obliegenheit zu einer gewissen Plausibilitätskontrolle der bei Vertragsabschluss geforderten bzw. später berechneten Preise (BGH, VI ZR 315/18, r+s 2020, 232, s.a. BGH VI ZR 171/16, NJW 2019, 430 und BGH VI ZR 61/17, NJW 2018, 693, zitiert n. beck-online).

a) Gemessen hieran ist die Beklagte zur Übernahme von im Zusammenhang mit der Fahrzeugdesinfektion anfallenden Kosten grundsätzlich verpflichtet. Die Klägerin durfte die Reparatur nach dem Gutachten auch hinsichtlich der Positionen der Desinfektionskosten durchführen lassen,

Es ist allgemein anerkannt, dass angesichts der durch das besonders ansteckende Coronavirus ausgelösten Pandemie als Gemeinschaftsaufgabe von jedem einzelnen wirksame Schutzmaßnahmen zu ergreifen und einzuhalten sind. Im Fall der Übergabe eines Kraftfahrzeugs zur Reparatur kann es zu einem Aufenthalt einer für den Kunden nicht sicher nachvollziehbaren Zahl von Werkstattangehörigen im Innenraum des Kfz und einem Berühren von Oberflächen durch diese Personen kommen. Auch für den Werkunternehmer ist nicht ohne weiteres überschaubar, welche Personen das Fahrzeug vor der Übergabe zur Reparatur genutzt und Oberflächen berührt haben. Es ist deshalb jedenfalls im Jahr 2020 vernünftig und zweckmäßig gewesen, einfache Maßnahmen zum Schutz vor einer Übertragung durch kontaminierte Oberflächen zu treffen und hierzu beispielsweise eine Desinfektion der betroffenen Flächen durchzuführen.

Dem steht nicht entgegen, dass nach den Behauptungen der Beklagten von einem nur geringen Infektionsrisiko durch Übertragungen über kontaminierte Oberflächen auszugehen war. Angesichts der öffentlichen Diskussion und allgemeinen Verhaltensempfehlungen durfte eine Desinfektion subjektiv als notwendig wahrgenommen und entsprechend durchgeführt werden. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass zum Zeitpunkt der Reparaturdurchführung ein Immunschutz gegen das neuartige Coronavirus noch nicht in der Bevölkerung vorlag. Insofern ist von einer nur vorübergehend erforderlichen Maßnahme auszugehen, insbesondere, da ab Oktober 2021 davon auszugehen sein dürfte, dass aufgrund eines grundsätzlich für jeden verfügbaren Impfangebots ein derartige Desinfektionsmaßnahmen verzichtbar machender Schutz im Allgemeinen vorhanden ist. Insofern dürfte die Situation dann vergleichbar sein mit derjenigen, die sich bereits vor der Coronapandemie im Hinblick auf andere Viren ergeben hat. Ob ein erhöhter Schutz vor dem Coronavirus durch eine Desinfektion angesichts einer nur geringen Übertragungswahrscheinlichkeit im Jahr 2020 objektiv gar nicht erzielt werden konnte, ist demgegenüber ohne Belang, weil dies in jenem Zeitraum jedenfalls nicht allgemein bekannt war, sondern im Gegenteil das Desinfizieren von Oberflächen häufig im Rahmen von verschiedenen Schutzkonzepten durchgeführt wurde.

Die Klägerin wurde durch die Desinfektion auch nicht besser gestellt — also bereichert — gegenüber dem vorbestehenden Zustand. Durch die aufgrund des Schadensereignisses notwendige Reparatur kamen zwangsläufig unbekannte Dritte mit unklarem Infektionsstatus mit dem Fahrzeug in Kontakt, sodass ein Zustand einer potentiellen Infektionsquelle geschaffen wurde, der vor der Reparatur nicht bestand.

Ebenfalls nicht zu einer anderen Bewertung führt die Behauptung der Beklagten, die Desinfektion des Fahrzeugs sei Teil des allgemeinen Aufwands und eine Berechnung auch in an-deren Branchen unüblich, weshalb eine gesonderte Berechnung ausscheiden müsse. Die Klägerin hat die Reparatur nach dem Gutachten durchführen lassen, in welchem Desinfektionskosten bereits ausgewiesen waren. Auf die Frage der Üblichkeit gern. § 632 Abs. 2 BGB kommt es deshalb nicht an. Soweit die Beklagte damit meint, dass diese Kosten schon im Ansatz nicht berechnungsfähig seien, ist dies unzutreffend. Es ist eine betriebs-wirtschaftliche Frage und damit grundsätzlich den Marktteilnehmern selbst überlassen, ob und in welchem Umfang bestimmte Gemein- oder auch Einzelkosten in die kaufmännische Kalkulation eingestellt werden und ob einzelne Positionen pauschal oder konkret berechnet werden. Dies sind jedoch keine rechtlichen, sondern unternehmerische Entscheidungen. Die Behauptung, dass, wie hier, konkret in Bezug auf einen Kundenauftrag erbrachte Leistungen nicht abgerechnet werden dürften, sondern diese als Gemeinkosten kalkuliert wer-den müssten, trifft nicht zu. Diese Beurteilung gilt auch angesichts des Verweises der Be-klagten auf andere Branchen, wie etwa den Einzelhandel. Die Beschreibung der dortigen Abläufe in Form einer nicht gesonderten Berechnung von Desinfektionsmaßnahmen und ist für die Frage der Weitergabe an Kunden in Reparaturwerkstätten nicht von Bedeutung. Dort bestehen völlig andere Abläufe, und dementsprechend liegen andere unternehmerische (bspw. Praktikabilitäts-) Erwägungen zugrunde.

b) Die Höhe der Kostenpositionen ist jedoch evident zu hoch angesetzt. Nach dem oben genannten Maßstab ergibt sich aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot eine Obliegenheit des Geschädigten zu einer gewissen Plausibilitätskontrolle der bei Vertragsabschluss geforderten bzw. später berechneten Preise. Sind etwa die Kosten, welche der Sachverständige im Rahmen der Gutachtenerstellung verlangt, für den Geschädigten erkennbar deutlich über-höht, kann die Beauftragung des Sachverständigen als nicht erforderlich im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB anzusehen sein (BGH, VI ZR 315/18, r+s 2020, 232). Dabei kann es ein Indiz für die Bestimmung des zur Herstellung erforderlichen Betrages sein, wenn der tatsächlich erbrachte Aufwand in Übereinstimmung mit der Rechnung und der ihr zugrunde liegenden Preisvereinbarung steht (BGH VI ZR 357/13, NJW 2014, 3151, s.a. BeckOK StVR, 12. Edition, § 249, Rn. 228).

Diese Grundsätze sind auf den vorliegenden Fall der Erstattungsfähigkeit von Desinfektionskosten zu übertragen. Bei einer Plausibilitätskontrolle der notwendigen Tätigkeiten und Materialien zur Fahrzeugdesinfektion und der für erforderlich gehaltenen Kosten musste sich einem wirtschaftlich denkenden Geschädigten geradezu aufdrängen, dass die veranschlagten Kosten deutlich überhöht sind. Eine Fahrzeugdesinfektion beinhaltet Maßnahmen, welche gerade in der Pandemielage im Jahr 2020 typischerweise für jedermann und ohne weiteres einer überschlägigen Plausibilitätskontrolle zugänglich waren. Als Arbeitsschritte kamen in Betracht ein Abwischen bzw. Besprühen von Kontaktflächen innerhalb und außerhalb des Fahrzeugs sowie als Materialbedarf das Reinigungs- bzw. Desinfektionsmittel und ggf. Wischtücher sowie Schutzmaterialien für den jeweiligen Mitarbeiter. Ein erhöhter Zeitbedarf ist hierin nicht zu erkennen. Sonderkenntnisse in technischer Hinsicht zur Bewertung der angeführten Arbeitsschritte waren zur Überprüfung nicht erforderlich. Hieraus folgt aber auch, dass der tatsächlichen Bezahlung der Rechnung bei Übereinstimmung mit der Preisvereinbarung eine Indizwirkung für die subjektive Annahme einer Erforderlichkeit nicht zukommt. Für den Geschädigten bestehen im Fall von Desinfektionskosten aufgrund der Nähe zum durchschnittlichen Erfahrungswissen keine eingeschränkten Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten oder anderweitige besondere Schwierigkeiten, sondern er kann eine Überhöhung im Rahmen der Plausibilitätskontrotle eigenständig feststellen. Auf die Behauptung der Klägerin, sie habe tatsächlich einen Betrag in Höhe von EUR 157,99 für die Fahrzeugdesinfektionsmaßnahmen aufgewendet, kommt es daher nicht an.

Den tatsächlich erforderlichen Betrag bestimmt die Kammer im Rahmen der Schadens-schätzung nach § 287 ZPO wie folgt: Erforderlich und angemessen ist ein Desinfizieren der Kontaktflächen. Hierfür schätzt die Kammer als Aufwand eine Dauer von fünf Minuten jeweils bei Hereinnahme und Rückgabe des Fahrzeugs, was einem Arbeitswert (1 AW) je Durchführung entspricht. Angesichts der Tatsache, dass keine besonderen Fähigkeiten vorauszusetzen sind und die Tätigkeiten auch von Aushilfskräften erledigt werden können, ist hier eine Kalkulation des jeweils niedrigsten Arbeitslohnes angemessen. Dies ist im konkreten Fall der Wert von EUR 13,30 netto (vgl. Anlagen K 2 und K 5), entsprechend EUR 15,43 brutto (Umsatzsteuer von 16 %). Hinzu kommt ein Materialeinsatz für Desinfektionsmittel, ggf. Reinigungstücher, sowie Einmalhandschuhe und Schutzmasken. Die damit einhergehenden Kosten schätzt die Kammer mit Blick auf den im Rahmen einer Massenbestellung zu erwartenden Rabatt auf EUR 1,00 netto bzw. EUR 1,16 brutto. Insgesamt ergibt sich damit ein Betrag von EUR 33,18.

3. Die Zinsansprüche ergeben sich aus dem Gesichtspunkt des Verzuges (§§ 286 Abs. 1, 288 I ZPO).

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1, 92 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vor-
läufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 709 S. 2 ZPO.

5. Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Frage, ob der Geschädigte ein Recht auf Erstattung von Des-infektionskosten hat, ist für eine Vielzahl vergleichbarer Fälle relevant. Zudem findet sich dazu abweichende Rechtsprechung der Instanzgerichte, nicht aber eine höchstrichterliche Entscheidung.


Einsender: RA M. Nugel, Essen

Anmerkung:


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