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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, rückwirkende Bestellung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Düsseldorf, Beschl. v. 29.10.2021 – 17 Qs 33/21

Leitsatz: Die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers ist jedenfalls dann zulässig, wenn der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt, wurde, die Voraussetzungen für eine Beiordnung gemäß § 140 Abs. 1, 2 StPO vorlagen und die Entscheidung durch behördeninterne Vorgänge unterblieben ist, auf die ein Außenstehender keinen Einfluss hatte.


Landgericht Düsseldorf

Beschluss

In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.

Verteidiger: Rechtsanwalt Udo Vetter, Lützowstraße 2, 40476 Düsseldorf,

hat die 17. große Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf auf die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Düsseldorf vom 22.09.2021 -Az: 152 Gs 1607/21 - durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, den Richter am Landgericht und die Richterin am 29.10.2021 beschlossen:

Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Amtsgerichts Düsseldorf vom 22.09.2021 aufgehoben.

Dem Beschwerdeführer wird Rechtsanwalt pp. rückwirkend als Pflichtverteidiger beigeordnet.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

I.

Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf führte gegen den Beschwerdeführer ein Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung. Das Verfahren wurde mit polizeilicher Abverfügung vom 19.04.2021 (BI. 67) an die Staatsanwaltschaft Düsseldorf abgegeben.

Bereits mit Schreiben vom 13.04.2021, adressiert an das Polizeipräsidium Düsseldorf, zeigte der Verteidiger pp. die anwaltliche Vertretung des Beschwerdeführers an und beantragte Akteneinsicht sowie seine Beiordnung als Pflichtverteidiger (BI. 69). Der Beschwerdeführer befand sich zu diesem Zeitpunkt im Maßregelvollzug im LVR Klinikum Bedburg-Hau, nachdem er aufgrund eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetzes zunächst vom 24.02.2018 bis zum 27.05.2019 eine Strafe im geschlossenen Vollzug der JVA Willich verbüßt hatte, anschließend in das LVR Klinikum Bedburg-Hau verlegt worden ist und von diesem seit dem 24.12.2020 zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft dauerbeurlaubt worden war. Nach Eingang der Strafanzeige im hiesigen Verfahren wurde der bewilligte Dauerurlaub am 29.03,2021 aufgehoben und der Beschwerdeführer erneut in das Klinikum eingewiesen,

Der Beiordnungsantrag des Verteidigers vom 13.04.2021 ging am 16.04.2021 beim Polizeipräsidium ein, welches das Schreiben am 23.04.2021 an die Staatsanwaltschaft Düsseldorf weiterleitete, woraufhin es dort am 28.04.2021 einging.

Am 14.06.2021 erfolgte durch die Staatsanwaltschaft Düsseldorf die Einstellung des Verfahrens gemäß § 170 Abs. 2 StPO. Die Einstellung wurde dem Verteidiger mit dem Zusatz „Es wird davon ausgegangen, dass sich damit Ihr Akteneinsichtsgesuch erledigt hat. Sollte dies nicht so sein, wird um kurze Mitteilung gebeten" formlos mitgeteilt.

Mit Schriftsatz vom 25.06.2021 teilte der Verteidiger der Staatsanwaltschaft mit, dass er weiterhin um Bescheidung seines Antrags auf Beiordnung bitte, da ein Fall notwendiger Verteidigung vorgelegen habe und die Beiordnung rechtzeitig beantragt worden sei (BI. 80).

Das Amtsgericht Düsseldorf hat den Antrag auf Beiordnung mit Beschluss vom 22.09.2021 abgelehnt (BI, 84 f.). Zur Begründung führte das Amtsgericht an, dass eine nachträgliche Beiordnung unzulässig sei, da der Verteidiger nach Verfahrenseinstellung keinen Einfluss mehr auf das Verfahren nehmen könne, weshalb kein Bedürfnis mehr für eine Verteidigung bestehe. Der Beschluss wurde dem Verteidiger am 28.09.2021 zugestellt.

Hiergegen legte der Beschwerdeführer durch seinen Verteidiger mit Schriftsatz vom 28.09.2021 (BI. 98 f.), eingegangen per Fax am selben Tag, „das zulässige Rechtsmittel" ein und führte im Wesentlichen aus, dass eine nachträgliche Beiordnung geboten sei, da zum maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung die Voraussetzungen einer Beiordnung vorgelegen hätten und es aufgrund der belastenden Situation für den Beschwerdeführer auch Gespräche mit seinem Mandanten und mit dem Beistand der Zeugin gegeben habe.

Mit Verfügung vom 05.10.2021 (BI. 95) hat das Amtsgericht Düsseldorf die Sache dem erkennenden Gericht zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde vorgelegt. Mit Verfügung vom 18.10.2021 (BI. 105 R.) hat die Staatsanwaltschaft Düsseldorf Stellung genommen und erklärt, die Entscheidung des AG Düsseldorf sei vertretbar. Zudem habe der zuständigen Staatsanwältin die Sachakte sowie der Beiordnungsantrag erstmals am Tag der Einstellung, dem 14.06.2021 vorgelegen.
Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers ist zulässig und erweist sich in der Sache als begründet.

II.
1. Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 142 Abs. 7 Satz 1 StPO gegen gerichtliche Entscheidungen über die Bestellung eines Pflichtverteidigers, mithin auch gegen deren Ablehnung, der statthafte Rechtsbehelf. Die Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO wurde gewahrt, da die Zustellung am 28.09.2021 erfolgte und die sofortige Beschwerde am gleichen Tage eingegangen ist. Die Formulierung, es werde das "zulässige Rechtsmittel" . eingelegt, ist gern. § 300 StPO unschädlich, da der Rechtsmittelführer keinen Nachteil daraus erleiden soll, dass er sein Rechtsmittel nicht richtig oder gar nicht bezeichnet (BGH GA 1982, 219; OLG Düsseldorf 23.3.2018, 111-2 Ws 94/18; vgl. auch BGH 2.6.1989, 2 StR 112/89; ferner BVerfG NJW 1991, 3140).

2. Die Beschwerde ist auch in der Sache begründet.

Der Beiordnungsantrag wurde zu Unrecht abgelehnt. Dabei kann dahinstehen, ob eine rückwirkende Pflichtverteidigerbestellung nach Verfahrensabschluss grundsätzlich als zulässig (so LG Frankenthal, Beschl: v. 16.06.2020 — 7 Qs 114/20; LG Mannheim, Beschl. v. 26.03.2020 — 7 Qs 11/20; LG Hamburg Beschl. v. 28.3.2018 — 632 Qs 9/18) oder grundsätzlich als unzulässig (so LG Hechingen, Beschl. v. 20.05.2020 — 3 QS 35/20; LG Osnabrück, Beschl. v. 16.11.2020 — 1 Qs 47/20; LG Wiesbaden, Beschl. v. 04.03.2020 — 1 Qs 8/20 und 10/20) erachtet wird, da eine solche auch nach Ansicht der letztgenannten Gerichte jedenfalls dann möglich sein soll, wenn — wie vorliegend — die unterlassene Beiordnung auf justizinternen Umständen beruht.

Die Kammer hält eine rückwirkende Beiordnung für zulässig, da der Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde, die Voraussetzung für eine Beiordnung gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO zum damaligen Zeitpunkt vorlagen und die Entscheidung allein aufgrund justizinterner Vorgänge unterblieben ist, auf die der Beschwerdeführer keinen Einfluss hatte (so auch LG Freiburg (Breisgau), Beschl. v. 4.11.2020 — 16 Qs 62/20; LG Aurich, Beschl. v. 05.05.2020 — 12 Qs 78/20; LG Hechingen, Beschl. v. 20.05.2020 — 3 Qs 35/20; LG Magdeburg, Beschl. v. 20.02.2020 — 29 Qs 2/20).

a) Zum Zeitpunkt der Antragstellung am 13.04.2021 lag ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO vor. Der Beschwerdeführer befand sich zu diesem Zeitpunkt wegen einer Unterbringung nach § 64 StGB in der LVR Klinik Bedburg Hau und somit auf Grund richterlicher Anordnung in einer Anstalt. Dabei ist unerheblich, dass die Unterbringung aus einem anderen Verfahren herrührt (OLG Düsseldorf StV 2001, 609; BeckOK StPO/Krawczyk, 40. Ed. 1.7.2021, StPO § 140 Rn. 10).

b) Bereits mit Schriftsatz vom 13.04.2021, welcher bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf nach Weiterleitung durch das Polizeipräsidium Düsseldorf am 28.04.2021 eingegangen ist, lag der Antrag des Wahlverteidigers pp. auf Bestellung zum Pflichtverteidiger vor.

Allein aufgrund justizinterner Vorgänge unterblieb eine Entscheidung über den Beiordnungsantrag, da die Staatsanwaltschaft Düsseldorf zu Unrecht davon abgesehen hat, diesen dem Amtsgericht Düsseldorf gemäß § 142 Abs. 1 Satz 2 StPO unverzüglich zur Entscheidung vorzulegen. Der Staatsanwaltschaft kommt hierbei kein Ermessensspielraum zu, vielmehr ist sie unverzüglich zur Vorlage verpflichtet. Insbesondere spielt es dabei keine Rolle, ob eine etwaige Stellungnahme des Verteidigers Einfluss auf die Entscheidung der Staatsanwaltschaft hätte. Dabei muss die Pflichtverteidigerbestellung zwar nicht sofort erfolgen, doch so rechtzeitig, dass die Verteidigungsrechte gewahrt werden können, was einer Prüfungs- und Überlegungsfrist von ein bis maximal zwei Wochen entspricht (LG Erfurt, Beschl. v. 11.11.2020 — 7 Qs 199/20; AG Düsseldorf, Beschl. v. 09.11.2020 — 152 Gs 1822/20).

Zwischen dem Eingang des Antrages bei der Polizeiinspektion und der Einstellung des Ermittlungsverfahrens sind mehr als sieben Wochen vergangen, ohne dass der Antrag beschieden wurde. Die zuständige Staatsanwältin hat in Ihrer Verfügung vom 18.10.2021 vermerkt, dass ihr die Akte nebst Beiordnungsantrag erst am 14.06.2021 und damit am Tag der Einstellungsverfügung vorlagen. Gründe dafür, warum der Antrag der zuständigen Staatsanwältin erst an diesem Tag vorgelegt wurde, obwohl der Beiordnungsantrag bereits am 28.04.2021 bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf eingegangen ist, sind nicht ersichtlich und liegen somit im Verantwortungsbereich der Staatsanwaltschaft Düsseldorf, auf die ein Außenstehender keinen Einfluss hatte (vgl. LG Aurich, Beschl. v. 05.05.2020 — 12 Qs 78/20; LG Mannheim, Beschl. V. 26.03.2020 — 7 Qs 11/20; LG Magdeburg, Beschl. v. 20.02.2020 — 29 Qs 2/20).

c) Auch § 141 Abs. 2 Satz 3 StPO steht im vorliegenden Fall der Beiordnung nicht entgegen. Nach dieser gesetzlichen Regelung kann die Bestellung unterbleiben, wenn beabsichtigt ist, das Verfahren alsbald einzustellen und keine anderen Untersuchungshandlungen als die Einholung von Registerauskünften oder die Beiziehung von Urteilen oder Akten vorgenommen werden sollen, Diese Regelung bezieht sich nach ihrem Wortlaut und der systematischen Stellung jedoch nicht auf den vorliegenden Fall einer Antragstellung durch den Beschwerdeführer nach § 141 Abs. 1 StPO, sondern nur auf den, vorliegend nicht einschlägigen Fall der Bestellung eines Pflichtverteidigers von Amts wegen nach § 141 Abs. 2 StPO (LG Freiburg (Breisgau), Beschl. v. 4.11.2020 — 16 Qs 62/20).

d) Gründe, die der Bestellung von Rechtsanwalt pp. gemäß § 142 Abs. 5 Satz 3
StPO entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich.

Auf die sofortige Beschwerde hin war die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts Düsseldorf daher aufzuheben und Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger beizuordnen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 467 StPO analog.


Einsender: RA U. Vetter, Düsseldorf

Anmerkung:


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