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Entscheidungen

Haftfragen

Fluchtgefahr, Außervollzugsetzung, Höhe der Freiheitsstrafe, soziale Bindungen

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Halle, Beschl. v. 16.09.2021 - 3 Qs 503 Js 6064/21 (96/21)

Leitsatz: Zur Verneinung des weiteren Vollzugs der U-Haft, wenn einerseits eine Freiheitsstrafe von nicht über vier Jahren droht, aber andererseits erhebliche soziale Bindungen des Beschuldigten gegenüberstehen.


Landgericht Halle

3 Qs 503 Js 6064/21 (96/21)

Beschluss
In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.

Verteidiger:

wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge

hat die 3. Große Strafkammer des Landgerichts Halle - Beschwerdekammer - durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht, den Richter am Landgericht und die Richterin am Landgericht am 16. 09. 2021 beschlossen:

Auf die Beschwerde des Beschuldigten wird der Haftbefehl des Amtsgerichts Halle (Saale) vorn 22. 06. 2021 - Az.: 395 Gs 503 Js 6064/21 (447/21) - dahingehend abgeändert, dass der Vollzug des Haftbefehls unter folgenden Auflagen ausgesetzt wird:

Dem Beschuldigten wird aufgegeben,
- jeden Wohnsitzwechsel dem Gericht unverzüglich anzuzeigen,
- sich dreimal wöchentlich, nämlich montags, mittwochs und sonnabends,
-bei dem Polizeirevier Saalekreis, Hallesche Straße 96, 06217
Merseburg, zu melden,
-bei Gericht — einzuzahlen beim Amtsgericht Halle, Hinterlegungsstelle,
Thüringer Straße 16, 06112 Halle (Saale) -, eine Sicherheitsleistung
(Kaution) in Höhe von 15.000,00 EUR zu hinterlegen
-allen Ladungen des zuständigen Gerichts pünktlich Folge zu leisten.

Gründe

I.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Halle erließ das Amtsgericht Halle (Saale) am 22. 06. 2021 — Az.: 395 Gs 503 Js 6064/21 (447/21) — einen Haftbefehl gegen den Beschuldigten. Zur Begründung führte es aus, der Beschuldigte sei dringend verdächtig, am 18. 05. 2021 in Landsberg unerlaubt mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, nämlich mit ca. 5 Kilogramm Cannabis, Handel getrieben zu haben, §§ 1, 3, 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG Weiterhin nahm das Amtsgericht Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO an. Wegen der Einzelheiten wird auf den Haftbefehl vom 22. 06. 2021 (Bd. 1 BI. 50f HSH) verwiesen.

Der Beschuldigte befindet sich aufgrund des Haftbefehls seit dem 29. 06. 2021 in Untersuchungshaft

Mit anwaltlichem Schreiben vom 09. 08. 2021 beantragte der Beschuldigte Haftprüfung und trug dazu vor, die bisherige Begründung zur Fluchtgefahr sei rein schematisch und stütze angesichts der Beziehung des Angeklagten, dessen Familie, fester Arbeit und fehlender Kontakte ins Ausland die Annahme eines Haftgrundes nicht. Hilfsweise werde eine Außervollzugsetzung unter den Auflagen einer Meldepflicht und einer Kautionszahlung in Höhe von 15 000 EUR beantragt.

Mit Beschluss vom 31 08. 2021 hielt das Amtsgericht Halle (Saale) den Haftbefehl aufrecht und in Vollzug. Zur Begründung führte es aus, angesichts der Menge von über fünf Kilogramm Cannabis habe der Beschuldigte mit der Verurteilung zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe zu rechnen, die die Strafgewalt des Amtsgerichts übersteigen dürfte. Vor diesem Hintergrund könne auch unter Heranziehung der vom Beschuldigten vorgetragenen festen Bindungen nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass sich der Beschuldigte dem weiteren Gang des Verfahrens freiwillig zur Verfügung halte.

Gegen diesen Beschluss legte der Beschuldigte mit anwaltlichem Schreiben vom 01. 09. 2021 Beschwerde ein und führte dazu aus, das Amtsgericht berücksichtige sowohl bei der Frage der Fluchtgefahr als auch bei der Verhältnismäßigkeit nicht, dass es sich um eine weiche Droge handele, die nicht in den Verkehr gelangt sei, dass das Geschäft unter den Augen der Ermittlungsbehörden gelaufen sei sowie dass eine Kautionszahlung angeboten worden sei.

Das Amtsgericht Halle (Saale) hat der Beschwerde mit Verfügung vom 09. 09. 2021 nicht abgeholfen und die Sache dem Landgericht zur Entscheidung vorgelegt, wo die Akten am 15. 09. 2021 eingingen.

II.

Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Haftfortdauerbeschluss vom 31. 08. 2021 ist zulässig und hat auch in der Sache zum Teil Erfolg.

Allerdings geht auch die Kammer von einem dringenden Tatverdacht dahingehend aus, dass der Beschuldigte am 18. 05. 2021 mit hoher Wahrscheinlichkeit auf dem Parkplatz des Sportvereins SV Sietzsch in der Landsberger Straße 13 in Landsberg, Ortsteil Lohnsdorf, dem gesondert Verfolgten pp. gewinnbringend einen Karton mit insgesamt 4.950 Gramm Cannabis mit einem Wirkstoffgehalt von 757 Gramm Tetrahydrocannabinol übergeben hat. Dies folgt aus dem Observationsbericht des KR pp. vom 18. 05. 2021, wonach die Übergabe polizeilich beobachtet wurde und aus den Angaben der Polizeibeamten pp. und pp., die den pp. anschließend einer Verkehrskontrolle unterzogen und auf dem Rücksitz einen Karton mit Marihuana fanden, wobei auf dem Karton mit dem Marihuana später Fingerabdrücke des Beschuldigten gesichert werden konnten, wie sich aus dem daktyloskopischen Gutachten des Landeskriminalamtes Sachsen-Anhalt vorn 28. 07. 2021 ergibt Die exakte Menge und der Wirkstoffgehalt ergeben sich aus dem Wirkstoffgutachten des Landeskriminalamtes Sachsen-Anhalt vom 22. 06. 2021. Dass der Beschuldigte das Cannabis mit hoher Wahrscheinlichkeit gewinnbringend veräußert hat, ergibt sich für die Kammer aus der hohen, weit über lediglich einige Konsumeinheiten hinausgehenden Menge der Drogen.

Die Kammer hält wie das Amtsgericht den Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO für gegeben. Im Falle einer Verurteilung hat der Beschuldigte — bei einer Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe gemäß § 29a Abs. 1 BtMG —aufgrund der hohen Menge Cannabis eine mehrjährige Freiheitsstrafe zu erwarten. Die Kammer teilt die Ansicht des Amtsgerichts, dass die bestehenden sozialen Bindungen des Beschuldigten nicht ausreichen, um den daraus resultierenden Fluchtanreiz zu hemmen.

Allerdings geht die Kammer davon aus, dass die zu erwartende Freiheitsstrafe auch ohne strafmildernd zu berücksichtigendes Geständnis voraussichtlich nicht in einem Bereich von über vier Jahren liegen wird. Dabei sind insbesondere die vom Verteidiger vorgetragenen strafmildernden Umstände zu berücksichtigen und dass der Beschuldigte zwar bereits wegen eines Betäubungsmitteldelikts auffällig geworden ist, sich diese Vorstrafe aus dem Jahr 2019 jedoch lediglich auf eine Tat des unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit 'Verstoß gegen das Waffengesetz" aus dem Jahr 2017 bezieht, die im Strafbefehlsverfahren mittels einer Geldstrafe geahndet wurde, sowie die zwar erhebliche, aber nicht äußerst hohe Menge des Betäubungsmittels. Angesichts dieser Straferwartung ist die Kammer der Auffassung, dass unter Berücksichtigung der sozialen Bindungen des Beschuldigten zu seiner Freundin, mit der er vor seiner Inhaftierung in einer eigenen Wohnung zusammenlebte und seiner festen Arbeitsstelle mit dem nicht unerheblichen Netto-Einkommen von ca. 2.300 EUR im Monat die erteilte engmaschige Meldeauflage und die Hinterlegung einer Kaution in Höhe von 15.000,00 EUR die hinreichende Erwartung begründen, dass der Beschuldigte sich dem Strafverfahren stellen wird und so der Zweck der Untersuchungshaft auch auf diese Weise erreicht werden kann, so dass der Haftbefehl gemäß § 116 StPO außer Vollzug gesetzt werden konnte.

Den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO, der der Außervollzugsetzung gegen die erteilten Auflagen entgegenstehen könnte, hält die Kammer nicht für gegeben. Zwar ergibt sich aus den Akten, insbesondere die pp. als Betäubungsmittelverkäufern und —abnehmern hatte. Allein dies rechtfertigt jedoch nicht die Annahme, der Beschuldigte werde mit hoher Wahrscheinlichkeit in Freiheit Verdunkelungshandlungen vornehmen. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit durch bestimmte Handlungen auf sachliche oder persönliche Beweismittel einwirken und dadurch die Wahrheit erschweren werde, sind nicht ersichtlich. Die bloße Möglichkeit, dass solche Handlungen vorgenommen werden, genügt nicht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Auflage, § 112 Rn. 27).

Der Beschuldigte wird zudem darauf hingewiesen, dass gemäß § 124 Abs. 1 StPO eine noch nicht freigewordene Sicherheit (Kaution) der Staatskasse verfällt, wenn er sich dem Strafverfahren oder dem Antritt einer erkannten Freiheitsstrafe entziehen sollte,
Wird den vorgenannten Anweisungen zuwidergehandelt, ist mit der Anordnung des Vollzugs des Haftbefehls zu rechnen.


Einsender: RA W. Siebers, Braunschweig

Anmerkung:


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