Gericht / Entscheidungsdatum: AG Osnabrück, Beschl. v. 11.10.2021 - 202 Ds (211 Js 11318/21) 235/21
Leitsatz: Die Aufhebung des Beschlusses über die Pflichtverteidigerbestellung hat grundsätzlich keine Auswirkungen auf bereits entstandenen Gebühren.
Amtsgericht Osnabrück
Beschluss
202 Ds (211 Js 11318/21) 235/21
(ehemals 258 Ls (211 Je 11318/21) 50/21)
In der Strafsache
gegen pp.
Verteidiger:
wegen Bedrohung
hat das Amtsgericht Osnabrück durch den Vizepräsidenten des Amtsgerichts pp. am 11.10.2021 beschlossen:
1. Auf die Erinnerung vom 04.08.2021 wird der Beschluss des Amtsgerichts Osnabrück vom 27.07.2021 aufgehoben und die Vergütung des Rechtsanwalts Schäck antragsgemäß auf 405,79 festgesetzt.
2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
I.
Der Staatsanwaltschaft Osnabrück erhob mit Anklageschrift vom 22.04.2021 Anklage gegen pp. (u.a.) zum Jugendschöffengericht Osnabrück. Bei Übersendung der Anklageschrift an die Angeschuldigte durch Schreiben vom 27.04.2021 (BI. 72 f. Bd.ld.A.) wies das Amtsgericht darauf hin, dass ihr ein Pflichtverteidiger zu bestellen sei und sie Gelegenheit zur Benennung eines Rechtsanwaltes / einer Rechtsanwältin binnen einer Woche habe. Weiterhin wurde angekündigt, dass für den Fall der Nichtbenennung ein Pflichtverteidiger durch das Gericht bestellt werde.
Mit Schreiben vom 29.04.2021 (BI. 77 f. Bd. I d.A.) meldete sich der Beschwerdeführer für die Angeschuldigte zur Akte und beantragte seine Bestellung als Pflichtverteidiger.
Im weiteren Verlauf erfolgte auf Antrag der Staatsanwaltschaft eine Einstellung des Verfahrens bzgl. des Mitbeschuldigten und eine Eröffnung vor dem Strafrichter. Die Staatsanwaltschaft beantragte, von einer Beiordnung wegen nicht mehr bestehender Voraussetzungen abzusehen; das Amtsgericht ordnete gleichwohl den Verteidiger mit Beschluss vom 17.06.2021 bei (BI. 94 d.A.). Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft vom 28.06.2021 hob das Landgericht Osnabrück durch Beschluss vom 14.07.2021 (BI. 104 ff.) die Pflichtverteidigerbestellung auf.
Den Antrag auf Pflichtverteidigervergütung vom 20.07.2021 lehnte das Amtsgericht durch Beschluss vom 27.07.2021 ab. Hiergegen richtet sich der Rechtsbehelf vom 04.08.2021. Der Bezirksrevisor ist gehört worden und beantragt Zurückweisung des Rechtsmittels.
II.
Der Rechtsbehelf gegen den Beschluss vom 27.07.2021 ist als Erinnerung gemäß § 56 Abs. 1 S. 1 RVG statthaft und auch in der Sache begründet. Die nachträgliche Aufhebung des Bestellungsbeschlusses vom 17.06.2021 hat im vorliegenden Fall keine Auswirkung auf die dem Beschwerdeführer zustehenden Pflichtverteidigergebühren.
Für die Entstehung eines Vergütungsanspruchs gegen die Staatskasse ist grundsätzlich der Bestellungsakt nach § 48 Abs. 1 S. 1 RVG entscheidend. Mit der Ausführung anwaltlicher Tätigkeiten auf Basis einer Beiordnung entstehen die Grund- und Verfahrensgebühren nach Nr. 4100, 4106 WRVG (vgl. Gerold /Schmidt, RVG-Kommentar, 25. Auflage, RVG VV 4100 Rn. 12).
Eine zeitlich nachfolgende Aufhebungsentscheidung hinsichtlich der Pflichtverteidigerbestellung hat grundsätzlich keine Auswirkungen auf diese bereits entstandenen Gebühren. Dies folgt aus der Vorschrift des § 15 Abs. 4 RVG, wonach nachträgliche Änderungen hinsichtlich der Angelegenheit ohne Bedeutung für den Vergütungsanspruch sind. Diese Norm gilt nach ihrem Sinn und Zweck auch für die Staatskasse (vgl. Volpert in: Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse (§§ 44, 45, 50) Rn. 2400). Eine Ausnahme vom normierten Grundsatz kann sich gemäß § 15 Abs. 4 RVG nur aus dem RVG selbst ergeben, wofür hier keine Anhaltspunkte ersichtlich sind.
Ob für Fälle einer äußerst kurzfristigen Beiordnung, die ein bereits bestehendes Wahlmandat gleichsam "überlagert", eine Ausnahme im Hinblick auf die ohnehin bereits entstandene Wahlverteidigervergütung und fehlende Schutzbedürftigkeit / fehlenden Vertrauensschutz zu begründen sind (so die Argumentation in der Stellungnahme des Bezirksrevisors vom 23.08.2021), bedarf hier keiner Entscheidung: Es ist im vorliegenden Fall nicht ansatzweise ersichtlich, dass schon vor der Anhörung der Angeschuldigten zur Pflichtverteidigerbestellung ein Wahlmandat bestanden hätte. Im Gegenteil meldete sich der Verteidiger erst auf die Anhörung der Angeschuldigten zur Akte und beantragte seine Beiordnung. Eine Tätigkeit des Verteidigers im Vertrauen auf eine Wahlverteidigervergütung und daher ggf. mangelnde Schutzbedürftigkeit im Hinblick auf eine potentiell aufhebbare Bestellung als Pflichtverteidiger sind fernliegend. Der Beschwerdeführer hat von einer Mandantin bevollmächtigen lassen, welche ausdrücklich durch das Amtsgericht auf eine notwendige Verteidigung hingewiesen wurde. Dies lässt hinsichtlich der Bevollmächtigung nur den Schluss zu, dass diese vor dem Hintergrund der für sicher gehaltenen Bestellung als Pflichtverteidiger erfolgte. Bei Beginn der anwaltlichen Tätigkeit (und somit zum Zeitpunkt der Entstehung der Gebühren) war sein Vertrauen auf die gerichtlich angekündigte und letztlich ausgesprochene - Beiordnung schutzwürdig, auch wenn sich die maßgeblichen Umstände später geändert haben. Eine Abweichung vom Grundsatz der Vergütung auch bei nachträglicher Aufhebung des Beiordnungsbeschlusses ist daher nicht gerechtfertigt.
Der gesetzliche Kontext spricht ebenfalls dafür, dass der Gebührenanspruch schon vor Bestandskraft der Beiordnung entsteht und bei nachträglicher Aufhebung erhalten bleibt. So ist es Ratio der Rückwirkungsvorschrift des § 48 Abs. 6 S. 1 RVG, das Tätigwerden schon vor Bestellung als Pflichtverteidiger ohne Verlust der entsprechenden Ansprüche gegen die Staatskasse ausdrücklich zuzulassen. Erst recht muss dies bei einer später tatsächlich erfolgten und noch später wieder aufgehobenen Beiordnung gelten.
Unter Aufhebung des Beschlusses vom 27.07.2021 ist die der Höhe nach nicht zu beanstandende Vergütung daher wie beantragt in Höhe von 405,79 E festzusetzen.
Einsender: RA T. Schäck, Dortmund
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