Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 10.08.2021 5 RBs 187/21
Leitsatz: Im Anwendungsbereich eines Bußgeldkatalogs hat das Tatgericht bei der Bemessung der Geldbuße auch dessen tatsächliche Handhabung durch die Bußgeldstellen - hier Anwendung der Vorgängerfassung infolge eines Nichtanwendungserlasses betreffend die aktuelle Fassung Stichwort: 54. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, die am 27.04.2020 im Bundesgesetzblatt (BGBl. I S. 814) - in seine Zumessungserwägungen einzubeziehen.
In pp.
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Hagen vom 13.04.2021 wird zur Fortbildung des Rechts zugelassen (Alleinentscheidung des mitunterzeichnenden Einzelrichters).
Die Sache wird auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern einschließlich der Vorsitzenden übertragen (Alleinentscheidung des mitunterzeichnenden Einzelrichters).
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das vorbezeichnete Urteil wird mit der Maßgabe, dass die Geldbuße auf 48 EUR reduziert wird, als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens fallen dem Betroffenen zur Last, jedoch wird die Gebühr hierfür um die Hälfte herabgesetzt; in diesem Umfang fallen auch die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse zur Last (§ 46 Abs. 1 OWiG iVm. § 473 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 StPO).
Gründe
I.
Durch das angefochtene Urteil wurde gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts um 17 km/h eine Geldbuße von 112 EUR festgesetzt. Bei der Bemessung der Geldbuße hat das Amtsgericht den Bußgeldkatalog in der Fassung vom 28.04.2020 zu Grunde gelegt und die Regelbuße in Höhe von 70 EUR aufgrund der Voreintragungen des Betroffenen (um 60%) erhöht.
Mit seiner hiergegen gerichteten Rechtsbeschwerde, deren Zulassung er beantragt, rügt der Betroffene insbesondere die Verfassungswidrigkeit des angewendeten Bußgeldkatalogs wegen der unzureichenden Angabe der Ermächtigungsgrundlage. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
II.
Die Rechtsbeschwerde war zur Fortbildung des (materiellen) Rechts (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG) zuzulassen und die Sache auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen (§ 80a Abs. 3 S. 1 OWiG). Die Fragen, welche Auswirkungen der nach allgemeiner Auffassung anzunehmende Verstoß gegen des Zitiergebot aus Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG bei der 54. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 20.04.2020 (BGBl. I S. 814) hat und ob im Rahmen der Geldbußenzumessung zu berücksichtigen ist, dass die meisten Bundesländer - hierunter auch NRW (vgl. Erlass des Innenministeriums 03.07.2020, Az: 432 - 57.04.13) - die Bußgeldbehörden angewiesen haben, laufende und zukünftige Bußgeldverfahren nach der Rechtslage vor dem 28.04.2020 zu bescheiden, sind höchstrichterlich nicht entschieden und erscheinen klärungsbedürftig.
III.
Die zugelassene und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat in Bezug auf den Rechtsfolgenausspruch teilweise Erfolg.
1. Die aufgrund der Sachrüge veranlasste umfassende Nachprüfung des Urteils zum Schuldspruch hat keinen den Betroffenen beschwerenden Rechtsfehler ergeben.
2. Der Rechtsfolgenausspruch hält der Nachprüfung hingegen nicht stand.
Der Bemessung der Geldbuße hat das Amtsgericht den Bußgeldkatalog in der Fassung vom 28.04.2020 zu Grunde gelegt. Dieser sieht für die hier in Rede stehende Geschwindigkeitsüberschreitung eine Regelgeldbuße in Höhe von 70 EUR vor, die das Amtsgericht sodann im Hinblick auf die Voreintragungen des Betroffenen um 60% auf 112 EUR erhöht hat. Nach der Vorgängerfassung vom 01.05.2014 betrug die Regelgeldbuße hingegen lediglich 30 EUR.
a) Die 54. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, die am 27.04.2020 im Bundesgesetzblatt (BGBl. I S. 814) verkündet und am 28.04.2020 in Kraft vertreten ist, verstößt nach allgemeiner Auffassung gegen das Zitiergebot aus Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG, da versäumt wurde, im dritten Spiegelstrich der Präambel die Regelung des § 26a Abs. 1 Ziff. 3 StVG als Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung von Fahrverboten zu nennen (vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 04.03.2021, 2 Ss Owi 63/21 - juris; OLG Braunschweig, Beschluss vom 04.12.2020, 1 Ss (Owi) 173/20, juris, OLG Zweibrücken, Beschluss vom 05.11.2020, 1 Owi 2 SsRs 124/20, Sandherr, DRiZ 2020, 386 ff.; Will, NZV 2020, 601 ff.; Fromm, DAR 2020, 527 ff.; Krumm DAR 2020, 476 ff.; Ipsen NVwZ 2020, 1326 ff.; Grube in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 4 BKatV Stand: 12.01.2021, Rn. 12.4, offengelassen BayObLG ZfSch 2020, 712). Umstritten ist, ob dieser Zitierfehler nur die Unwirksamkeit der Änderungen bezüglich der Fahrverbote (so OLG Braunschweig, Beschluss vom 04.12.2020, 1 Ss (Owi) 173/20, juris; Sandherr, DRiZ 2020, 386 ff.; Will, NZV 2020, 601 ff.; Ipsen NVwZ 2020, 1326 ff.; Grube in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl., § 4 BKatV Stand: 12.01.2021, Rn. 12.4; Wienbracke NJW 2020, 3351) oder auch bezüglich der Regelgeldbußen zur Folge hat (Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages WD 3-3000-174/20; wohl auch Erlass des Innenministeriums NRW vom 03.07.2020, Az: 432-57.04.14).
b) Dieser Streit bedarf indes vorliegend keiner Entscheidung. Denn der Senat tritt der Auffassung des OLG Oldenburg bei (OLG Oldenburg, Beschluss vom 04.03.2021, 2 Ss Owi 63/21 - juris), wonach im Rahmen der Bemessung der Geldbuße auch die tatsächliche Handhabung des Bußgeldkatalogs durch die Bußgeldstellen zu berücksichtigen ist.
Bußgeldkataloge sollen bei massenhaft auftretenden gleichartigen Verstößen eine möglichst adäquate, gleichmäßige und damit gerechte Ahndung auf der Grundlage geringen Verfahrensaufwandes gewährleisten (Mitsch, in: Karlsruher Kommentar, 5. Aufl. 2018, § 17 OWiG Rn. 93; Schall NStZ 1986, 1; Gürtler, in: Göhler, 18. Aufl. 2021, § 17 OWiG Rn 27; König, in: Hentschel/König/Dauer, 46. Aufl. 2021, § 24 StVG Rn 60). Die angestrebte Gleichbehandlung vergleichbarer Fallgestaltungen kann indes nur erreicht werden, wenn die tatsächliche Handhabung der Bußgeldkataloge durch die Bußgeldstellen nicht außer Blick gerät. Dem steht nicht entgegen, dass die Gerichte nicht unmittelbar an die Bußgeldkataloge gebunden sind (vgl. Mitsch, in: Karlsruher Kommentar, a.a.O., § 17 OWiG Rn. 103 m.w.N.). Denn es ist allgemein anerkannt, dass erhebliche Abweichungen von den Regelsätzen des Bußgeldkataloges zugunsten oder zuungunsten des Betroffenen im Urteil näher zu begründen sind (OLG Düsseldorf NStZ 1986, 35; KG Berlin NZV 1989, 284, beck-online). Dies gilt nach Auffassung des Senats gleicher Maßen, wenn das Gericht von der tatsächlichen Handhabung durch die Bußgeldstelle erheblich abweichen will.
c) Wie das Land Niedersachen hat auch das Land Nordrhein-Westfalen mit Erlass vom 03.07.2020 (Az: 432 - 57.04.14) die Bußgeldstellen gebeten, "laufende und zukünftige Bußgeldverfahren (...) nach der Rechtslage vor dem 28.04.2020 zu bescheiden." Im Zeitpunkt des Urteilserlasses am 14.04.2021 bestand im Land NRW somit die tatsächliche Handhabung, bei der Bußgeldbemessung an die Regelsätze des Bußgeldkatalogs in der Fassung vom 01.05.2014 anzuknüpfen. Abweichend hiervon ist das Amtsgericht im angefochtenen Urteil hingegen von der Regelgeldbuße des Bußgeldkatalogs vom 28.04.2020 ausgegangen und hat diese im Hinblick auf die Voreintragungen des Betroffenen um 60% erhöht. Dass diese Abweichung von der tatsächlichen Handhabung nicht näher begründet wurde, erweist sich nach den vorangegangenen Ausführungen als rechtsfehlerhaft. Die Regelgeldbuße für die in Rede stehende Geschwindigkeitsüberschreitung im Bußgeldkatalog in der Fassung vom 28.04.2020 beträgt 70 EUR und ist damit mehr als doppelt so hoch als die Regelgeldbuße in der Vorgängerfassung des Bußgeldkatalogs, welche sich nur auf 30 EUR beläuft.
d) Die somit rechtsfehlerhafte Zumessung der Geldbuße nötigt gleichwohl nicht zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache. Vielmehr kann der Senat im zugrundeliegenden Fall nach § 79 Abs. 6 OWiG auf der Grundlage der Urteilsfeststellungen in der Sache selbst entscheiden. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass das Amtsgericht, dass sich mit dem Nichtanwendungserlass des Innenministeriums nicht argumentativ auseinandergesetzt hat, von diesem bewusst abweichen wollte. Zudem sind sämtliche sonstigen relevanten Zumessungsumstände durch das Amtsgericht ermittelt worden. Ausgehend von der Regelgeldbuße in Höhe von 30 EUR erachtet der Senat daher im Hinblick auf die Voreintragungen des Betroffenen die Erhöhung der Regelgeldbuße des Bußgeldkataloges in der Fassung vom 01.05.2014 in Höhe von 30 EUR um 60 Prozent auf 48 EUR für angemessen.
3. Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO. Da sich die Rechtsbeschwerde auch gegen den Schuldspruch richtet, war es trotz der deutlichen Reduzierung der Geldbuße angemessen, die Gebühr lediglich um die Hälfte zu ermäßigen und auch nur in dieser Höhe eine Auslagenerstattung anzuordnen.
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