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Entscheidungen

Verwaltungsrecht

Asylverfahren, Besorgnis der Befangenheit, Äußerungen in einem anderen Verfahren

Gericht / Entscheidungsdatum: BVerfG, Beschl. v. 01.07.2021 - 2 BvR 890/20

Leitsatz: Zur Besorgnis der Befangenheit eines Richters im Asylverfahren, der sich in einem anderen Verfahren zur Migration geäußert hat.


In pp.

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 29. April 2020 - 4 K 2860/17.GI.A - verletzt den Beschwerdeführer in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 Grundgesetz. Er wird aufgehoben.

Das Land Hessen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

Gründe

I.

1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger. Seinen im September 2016 gestellten Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) durch Bescheid vom 23. März 2017 ab. Das hiergegen eingeleitete Klageverfahren übertrug die zuständige Kammer des Verwaltungsgerichts auf den Einzelrichter. Mit Schriftsatz vom 19. Februar 2020 lehnte der Beschwerdeführer den Einzelrichter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung berief er sich auf ein Urteil des abgelehnten Richters vom 9. August 2019 (4 K 2279/19.GI, juris), in dem dieser einer Klage der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) gegen die Beseitigung eines Wahlplakats mit dem Slogan „Stoppt die Invasion: Migration tötet! Widerstand jetzt“ stattgegeben hatte. Es dränge sich der Eindruck auf, die Urteilsbegründung sei geeignet, rechtsextremistische, völkische und islamophobe Bestrebungen in der Bundesrepublik zu bestätigen und dadurch das teilweise asylfeindliche gesellschaftliche Klima zu verstärken. Insbesondere die Beschreibung der Situation im Herbst 2015, im Urteil als „Eindringen von außen in das Bundesgebiet“ und „invasive Einreise“ bezeichnet, lasse den Anfang 2016 eingereisten Beschwerdeführer befürchten, seine Klage werde bei diesem Richter unabhängig von seinem Klagevorbringen erfolglos bleiben.

2. Durch die vom Beschwerdeführer in Bezug genommene Entscheidung hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass die angegriffene Beseitigungsanordnung wegen eines Anhörungsmangels rechtswidrig sei (dort Rn. 18 bis 23). Im Anschluss daran (Rn. 39 bis 63) heißt es in der Entscheidung unter anderem: „Nach vorstehenden Ausführungen ist der Wortlaut des inkriminierten Wahlplakats der Klägerin ‚Migration tötet‘ nicht als volksverhetzend zu qualifizieren, sondern als die Realität teilweise darstellend zu bewerten. In der Tat hat die Zuwanderungsbewegung nach Deutschland ab dem Jahr 2014/2015 zu einer Veränderung innerhalb der Gesellschaft geführt, die sowohl zum Tode von Menschen geführt hat als auch geeignet ist, auf lange Sicht zum Tod der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu führen. [...] Allein dem erkennenden Gericht sind Fälle bekannt, in denen Asylbewerber zu Mördern wurden. Zu nennen ist hier [...]“.

3. In einer dienstlichen Erklärung führte der abgelehnte Richter aus, er halte sich nicht für befangen. Er unterscheide zwischen allgemeinen und indifferenten Wanderungsbewegungen einerseits und den individuellen guten Fluchtgründen eines Asylbewerbers andererseits, die er immer ernst nehme. Er hege für keine extremen Positionen oder Gewalt jedweder Art Sympathie, weder für rechts noch für links oder für religiösen Terror, die er allesamt ablehne.

4. Mit Beschluss vom 29. April 2020 wies das Verwaltungsgericht durch eine Kammerentscheidung ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters das Ablehnungsgesuch des Beschwerdeführers zurück. Werde die Besorgnis der Befangenheit aus einer früheren Entscheidung des Richters hergeleitet, sei zu beachten, dass eine solche nicht allein deshalb begründet sei, weil der Richter bei der Würdigung des maßgeblichen Sachverhalts oder dessen rechtlicher Beurteilung eine andere Rechtsauffassung vertrete als ein Beteiligter. Das gelte selbst für irrige Ansichten, solange sie nicht willkürlich oder offensichtlich unhaltbar seien und damit Anhaltspunkte dafür böten, dass der Abgelehnte Argumenten nicht mehr zugänglich und damit nicht mehr unvoreingenommen sei. Das Ablehnungsverfahren diene – vom Ausnahmefall eines Verstoßes gegen das Willkürverbot abgesehen – nicht dazu, richterliche Entscheidungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen.

Der Bevollmächtigte des Beschwerdeführers berücksichtige in seiner Beurteilung des Urteils vom 9. August 2019, in dem in der Sache die Strafbarkeit eines Wahlplakats der NPD mit dem Slogan „Stoppt die Invasion: Migration tötet! Widerstand jetzt“ zu beurteilen gewesen sei, bereits nicht die gerade zu diesem Plakat vorliegende höchstrichterliche Rechtsprechung. So habe der Sächsische Verfassungsgerichtshof in einem die Entfernung dieses Plakats betreffenden Verfahren ausgeführt, dass die zugrundeliegenden angegriffenen Beschlüsse sächsischer Verwaltungsgerichte auf der Beurteilung schwieriger rechtlicher Fragen beruhten, bezüglich derer von einer gefestigten Rechtsprechung keine Rede sein könne. Vor allen Dingen habe das Bundesverfassungsgericht in seinem das Plakat und die vorgenannten verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen betreffenden Beschluss vom 24. Mai 2019 - 1 BvQ 45/19 - ausgeführt, es bestünden Zweifel an der Einschätzung der Verwaltungsgerichte, dass die Plakate als Volksverhetzung zu beurteilen seien. Schließlich habe das Thüringer Oberverwaltungsgericht die Frage, ob das streitgegenständliche Plakat den Tatbestand der Volksverhetzung erfülle und deshalb einen Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit darstelle, ausdrücklich verneint und das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht gehe davon aus, dass diese Frage als offen anzusehen sei.

Zudem sei auch sonst nicht ersichtlich, dass die Ausführungen des abgelehnten Richters in dem Urteil vom 9. August 2019 zur polizei- beziehungsweise strafrechtlichen Beurteilung des Plakats geeignet sein könnten, vernünftigerweise bei einem Ausländer Zweifel an dessen Unparteilichkeit in einem Asylverfahren hervorzurufen, dem internationale Sachverhalte zugrunde lägen und für das der Achtungsanspruch der universellen Genfer Flüchtlingskonvention und die EU-Grundrechte-Charta maßgebend seien. Insbesondere lasse sich aus dem Urteil nicht ableiten, der Richter hege eine gewisse Sympathie für die NPD oder deren verfassungsfeindliche Ziele, was dieser in seiner dienstlichen Erklärung ausdrücklich verneint habe.

5. Mit durch den abgelehnten Richter als Einzelrichter gefasstem Urteil vom 29. Juni 2020 hob das Verwaltungsgericht den gegen den Beschwerdeführer ergangenen Bescheid des Bundesamts teilweise auf und verpflichtete das Bundesamt, dem Beschwerdeführer den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen; im Übrigen wies es die Klage ab. Im Umfang der Klageabweisung ist ein Berufungszulassungsverfahren bei dem zuständigen Verwaltungsgerichtshof anhängig, mit dem der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG geltend macht.

6. Der Beschwerdeführer hat Verfassungsbeschwerde erhoben. Er rügt allein eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Das Verwaltungsgericht habe ihn in seinem Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt, weil es sein Ablehnungsgesuch zu Unrecht zurückgewiesen habe. Dabei habe es die Begründung des Befangenheitsantrags nicht hinreichend zur Kenntnis genommen und insbesondere den dort aufgezeigten gesellschaftlichen und politischen Kontext der zum Gegenstand des Ablehnungsgesuchs gemachten Entscheidung ausgeblendet. Der Beschwerdeführer habe nicht lediglich die Rechtsmeinung des abgelehnten Richters kritisiert, sondern umfassend dargelegt, dass die tendenziöse, durch die Sache nicht geforderte ausufernde Begründung die Besorgnis begründe, der abgelehnte Richter könne mit den verfassungs- und ausländerfeindlichen Zielen der NPD sympathisieren.

Das Rechtsschutzinteresse für die Verfassungsbeschwerde sei durch die Teilstattgabe nicht entfallen, da über den Antrag auf Zulassung der Berufung im Umfang der Klageabweisung noch zu entscheiden sei.

7. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und das Hessische Ministerium der Justiz hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

II.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die hier maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet.

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 29. April 2020 verstößt gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Die Ablehnung des Befangenheitsantrags des Beschwerdeführers durch das Verwaltungsgericht erweist sich als willkürlich (1.). Der Grundsatz der materiellen Subsidiarität steht der Annahme der Verfassungsbeschwerde nicht entgegen; der Beschwerdeführer war nicht gehalten, den Abschluss des Berufungszulassungsverfahrens und gegebenenfalls des Berufungsverfahrens abzuwarten, um die ihn belastende Entscheidung über seinen Befangenheitsantrag erst dann dem Bundesverfassungsgericht durch Verfassungsbeschwerde zur Prüfung vorzulegen (2.).

1. a) Nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG darf niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Das bedeutet zunächst, dass in jedem Einzelfall kein anderer als derjenige Richter tätig werden und entscheiden soll, der in den allgemeinen Normen der Gesetze und der Geschäftsverteilungspläne der Gerichte dafür vorgesehen ist (vgl. BVerfGE 4, 412 <416>). Der Verfassungsbestimmung muss aber eine weitergehende Bedeutung beigemessen werden. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG kann nicht als eine nur formale Bestimmung verstanden werden, die stets dann schon erfüllt ist, wenn die Richterzuständigkeit allgemein und eindeutig geregelt ist (vgl. BVerfGE 21, 139 <145>).

Das Grundgesetz gewährleistet den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens darüber hinaus, vor einem unabhängigen und unparteilichen Richter zu stehen, der die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber allen Verfahrensbeteiligten und dem Verfahrensgegenstand bietet. Neben der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit des Richters (Art. 97 Abs. 1 und Abs. 2 GG) ist es wesentliches Kennzeichen der Rechtsprechung im Sinne des Grundgesetzes, dass die richterliche Tätigkeit von einem „nicht beteiligten Dritten“ ausgeübt wird. Diese Vorstellung von neutraler Amtsführung ist mit den Begriffen „Richter“ und „Gericht“ untrennbar verknüpft. Die richterliche Tätigkeit erfordert daher unbedingte Neutralität gegenüber den Verfahrensbeteiligten. Das Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gewährt deshalb nicht nur einen Anspruch auf den sich aus dem Gerichtsverfassungsgesetz, den Prozessordnungen sowie den Geschäftsverteilungs- und Besetzungsregelungen des Gerichts ergebenden Richter, sondern garantiert auch, dass der Betroffene nicht vor einem Richter steht, der aufgrund persönlicher oder sachlicher Beziehungen zu den Verfahrensbeteiligten oder zum Streitgegenstand die gebotene Neutralität vermissen lässt. Dieses Verlangen nach Unvoreingenommenheit und Neutralität des Richters ist zugleich ein Gebot der Rechtsstaatlichkeit (vgl. BVerfGE 133, 168 <202 f., Rn. 62> m.w.N.). Die Frage, ob Befangenheitsgründe gegen die Mitwirkung eines Richters sprechen, berührt so die prozessuale Rechtsstellung der Verfahrensbeteiligten (vgl. BVerfGE 89, 28 <36>).

Allerdings reicht für die Annahme eines Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht jede irrtümliche Überschreitung der den Fachgerichten gezogenen Grenzen aus (vgl. BVerfGE 29, 166 <172 f.>). Auch ist nicht jede sonst fehlerhafte Anwendung oder Nichtbeachtung einer einfachgesetzlichen Verfahrensvorschrift zugleich eine Verfassungsverletzung; andernfalls würde die Anwendung einfachen Rechts auf die Ebene des Verfassungsrechts gehoben werden (vgl. BVerfGE 82, 286 <299>; 87, 282 <284 f.>). Die Grenze zur Verfassungswidrigkeit ist erst überschritten, wenn die – fehlerhafte – Auslegung und Anwendung einfachen Rechts willkürlich ist (grundlegend BVerfGE 3, 359 <364 f.>), also in einer bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlichen und offensichtlich unhaltbaren Weise erfolgt (vgl. BVerfGE 29, 45 <49>), oder wenn das Gericht Bedeutung und Tragweite von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt (vgl. BVerfGE 82, 286 <299>). Der Grundsatz, dass Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nur dann verletzt ist, wenn willkürliche Erwägungen für die Bestimmung des entscheidenden Richters maßgebend waren oder diese auf einer grundlegenden Verkennung von Bedeutung und Tragweite von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG beruht, gilt auch dann, wenn ein Ablehnungsgesuch infolge fehlerhafter Anwendung einfachen Rechts zurückgewiesen wird (vgl. BVerfGE 29, 45 <48 f.> m.w.N.; 31, 145 <164>).

b) Hieran gemessen erweist sich die Ablehnung des Befangenheitsantrags des Beschwerdeführers durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen vom 29. April 2020 als offensichtlich unhaltbar und damit willkürlich.

Das Verwaltungsgericht hat bei Anwendung der einfachrechtlichen Befangenheitsvorschriften in nicht mehr nachvollziehbarer Weise übergangen, dass sich das Gesuch des Beschwerdeführers nicht als Kritik an der Rechtsmeinung des abgelehnten Richters in der vom Beschwerdeführer in Bezug genommenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 9. August 2019 oder an der Beantwortung der – hier nicht entscheidungsbedürftigen – Rechtsfrage, ob der von der NPD verwendete Slogan den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt, darstellt, sondern dass der Beschwerdeführer die – allesamt nicht entscheidungstragenden – Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Migration zum Anlass für die Richterablehnung nimmt.

Diese Ausführungen im Urteil vom 9. August 2019 durften den Beschwerdeführer veranlassen, an der Unvoreingenommenheit des abgelehnten Richters zu zweifeln. Das gilt schon für die ausufernde historische Begründung für die Behauptung, Einwanderung stelle „naturgemäß eine Gefahr für kulturelle Werte an dem Ort dar, an dem die Einwanderung“ stattfinde, und den Verweis darauf, dass die bestehende „Gefahr für die deutsche Kultur und Rechtsordnung sowie menschliches Leben“ „nicht von der Hand zu weisen“ sei. In hervorgehobenem Maße gilt es auch für die Passagen der Urteilsbegründung, in denen das Verwaltungsgericht ausführt, es handele sich bei der Wendung „Migration tötet“ um eine empirisch zu beweisende Tatsache, und im Folgenden ihm vermeintlich bekannte Einzelfälle von Asylsuchenden anführt, die im Nachhinein wegen Mordes, anderer Tötungsdelikte oder sonstiger schwerer Straftaten verurteilt wurden. Diese Einzelfälle nimmt das Verwaltungsgericht sodann als Beleg dafür, dass Migration etwas mit Tod und Menschenverachtung zu tun haben könne und dass Zuwanderer durchaus in der Lage seien, Tötungsdelikte und Kapitalverbrechen in Deutschland zu begehen. Damit verengt das Verwaltungsgericht den weitergreifenden Begriff der Migration auf die Gruppe der Asylsuchenden – die indes auf dem zu beurteilenden Wahlplakat keine Erwähnung fand – und stellt aus dieser Gruppe die später mit schweren Straftaten straffällig gewordenen Personen als prägend nicht nur für die Gruppe der Asylsuchenden, sondern für den gesamten Bereich der Migration dar. Vor diesem Hintergrund kommt es zu der Wertung, dass für den Fall, dass der deutsche Staat „einmal in die Handlungsunfähigkeit abrutschen“ sollte, „das Recht zum Widerstand aus Art. 20 Abs. 4 GG ohnehin “. Hinzu kommt schließlich der Umstand, dass die Ausführungen zum Anhörungsmangel im Urteil vom 9. August 2019 – die die Entscheidung für sich genommen tragen würden – nur etwa 15% der Urteilsgründe zur Unbegründetheit der Klage umfassen, während die vom Beschwerdeführer zur Begründung seiner Besorgnis der Befangenheit herangezogenen Passagen etwa 85% umfassen. Damit steht es dem genannten Urteil gleichsam auf die Stirn geschrieben, dass der Richter, der es abgefasst hat, Migration für ein grundlegendes, die Zukunft unseres Gemeinwesens bedrohendes Übel hält.

Die genannten und zahlreiche weitere Passagen waren offensichtlich geeignet, Misstrauen des Beschwerdeführers gegen die Unparteilichkeit des abgelehnten Richters zu begründen, insbesondere weil der Beschwerdeführer vor diesen Richter als ein Asylsuchender hätte treten müssen, der Anfang 2016 in das Bundesgebiet eingereist ist und sich daher als Teil jener „Zuwanderungsbewegung nach Deutschland ab dem Jahr 2014/2015“ angesprochen sehen durfte, die nach Auffassung des Verwaltungsgerichts im Urteil vom 9. August 2019 zu einer Veränderung innerhalb der Gesellschaft geführt habe, die sowohl zum Tode von Menschen geführt habe als auch geeignet sei, auf lange Sicht zum „Tod“ der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu führen. Das Verwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Beschluss den Vortrag des Beschwerdeführers zu diesen Aspekten in sachlich nicht mehr nachvollziehbarer Verkennung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG fehlgewichtet.

Der Umstand, dass das Verwaltungsgericht durch den vom Beschwerdeführer abgelehnten Richter inzwischen der Klage des Beschwerdeführers teilweise – soweit die Klage auf Verpflichtung zur Zuerkennung subsidiären Schutzes gerichtet ist – stattgegeben hat, steht dem nicht entgegen. Maßgeblich für die Entscheidung über den Befangenheitsantrag ist die Lage, wie sie sich im Entscheidungszeitpunkt, also vor der Sachentscheidung, darstellt. Im Übrigen ist das Urteil zwar hinsichtlich der Zuerkennung subsidiären Schutzes rechtskräftig geworden, da insoweit kein Rechtsmittel eingelegt worden ist. Soweit die Klage indes abgewiesen worden ist, beruht dies auf der Entscheidung eines Richters, dessen Verhalten begründeten Anlass zur Besorgnis der Befangenheit gegeben hat. In diesem Umfang ist das Verfahren noch beim Verwaltungsgerichtshof anhängig und bedarf der Entscheidung unter Wahrung der Gewährleistung aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

2. Der in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zum Ausdruck kommende Grundsatz der Subsidiarität steht der Annahme der Verfassungsbeschwerde und einer Stattgabe im vorliegenden Einzelfall nicht entgegen. Nach diesem Grundsatz muss ein Beschwerdeführer über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden weiteren Möglichkeiten ergreifen, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erreichen oder diese zu verhindern (vgl. BVerfGE 81, 22 <27>; 104, 65 <70>, stRspr). Diese Voraussetzungen liegen hier indes nicht vor.

Zwar hätte der Beschwerdeführer versuchen können, durch die Zulassung der Berufung wegen Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erreichen. Denn auch wenn nach überwiegender Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte ein Antrag auf Zulassung der Berufung grundsätzlich nicht darauf gestützt werden kann, dass ein Befangenheitsantrag während des der Sachentscheidung vorausgehenden Verfahrens zu Unrecht abgelehnt worden sei, lässt eine verbreitete Auffassung hiervon eine Ausnahme für den Fall zu, dass eine auf willkürlichen oder manipulativen Erwägungen beruhende Zurückweisung des Befangenheitsgesuchs geltend gemacht wird (vgl. BVerfGK 13, 72 <75> m.w.N.).

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat sich jedoch, soweit erkennbar, bislang noch nicht zur Zulässigkeit eines auf einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gestützten Berufungszulassungsantrags geäußert, so dass die Erfolgsaussichten des vorliegend gestellten Berufungszulassungsantrags als offen bezeichnet werden müssen. Dem Beschwerdeführer war es deshalb – und wegen des breit gefächerten Medienechos, das die von ihm in Bezug genommene Entscheidung ausgelöst hat – nicht zumutbar, sich einer mündlichen Verhandlung zu stellen, ohne dass die Frage der Befangenheit des an sich zuständigen Richters zuvor abschließend geklärt war.

III.

1. Eine Zurückverweisung an das Verwaltungsgericht kommt nicht in Betracht, da die Sache beim Verwaltungsgerichtshof anhängig ist.

2. Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.


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