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Entscheidungen

StPO

Unterbrechung der Hauptverhandlung, Berechnung der Unterbrechungsfrist

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 26.04.2021 – 1 Rv 36 Ss 217/21

Leitsatz: Die Fristen des § 229 StPO stellen keine Fristen im Sinne der §§ 42, 43 StPO dar. Bei der in § 229 Abs. 1 StPO normierten Unterbrechungsfrist handelt es sich um eine eigenständige Zwischenfrist , das heißt um einen zwischen zwei Verhandlungstagen eingeschobenen Unterbrechungszeitraum, in dessen Berechnung weder der Tag, an dem die Unterbrechung angeordnet wird, noch derjenige, an dem die Verhandlung fortgesetzt wird, einzurechnen ist.


In pp.

Auf die Revision des Angeklagten wird das angefochtene Urteil des Landgerichts Karlsruhe – 9. Kleine Strafkammer – vom 19. November 2020 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Karlsruhe zurückverwiesen.

Gründe

I.

Auf die Berufungen des Angeklagten gegen Urteile des Amtsgerichts Karlsruhe vom 26.08.2015 (8 Ds 240 Js 8405/15) und des Amtsgerichts Karlsruhe-Durlach vom 08.01.2019 (1 Cs 550 Js 25377/18) sowie auf die Berufungen der Staatsanwaltschaft Karlsruhe gegen das Urteil vom 26.08.2015 und ein (freisprechendes) Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe vom 16.03.2017 (10 Ds 240 Js 30420/16) wurde der Angeklagte nach Verbindung der Verfahren in der Berufungsinstanz mit Urteil des Landgerichts – 9. Kleine Strafkammer – Karlsruhe vom 19.11.2020 unter Aufhebung und Neufassung der genannten drei Urteile der vorsätzlichen Körperverletzung in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung, in einem weiteren Fall in Tateinheit mit Bedrohung, sowie der Beleidigung schuldig gesprochen und deshalb zu der Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde; die weitergehenden Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft Karlsruhe wurden verworfen.

Das Berufungsurteil enthält – zusammengefasst – die Feststellungen, dass der am pp. im pp. geborene, seit 1976 in Deutschland lebende und seit 1990 vielfach vorbestrafte Angeklagte, der unter einer unbehandelten bipolaren Störung leidet und dessen Steuerungsfähigkeit bei Begehung der Taten deshalb nicht ausschließbar erheblich vermindert war,

1. den Geschädigten pp. am 08.02.2015 am Hauptbahnhof in Karlsruhe in leicht alkoholisiertem Zustand als "schwule Sau", "Arschficker" und mit ähnlichen Äußerungen beleidigte, ihn sodann zu Boden riss und ihm zweimal mit der Hand ins Gesicht schlug; anschließend ihm mit seinem beschuhten Fuß unter erneuter Beleidigung gegen den Oberkörper trat, wodurch der Geschädigte eine Schädel- und Orbitalprellung, eine Nasenbeinprellung, eine kleine oberflächliche Platzwunde an der Oberlippe, eine Nierenprellung rechts sowie eine Flankenprellung links erlitt (UA III., 1.);

2. dem Geschädigten pp. am 20.07.2016 im Bereich des Otto-Dullenkopf-Parks ins Gesicht schlug, so dass dieser rückwärts zu Boden fiel, worauf der Angeklagte äußerte, der Geschädigten werde das nächste Mal tot sein (UA III., 2.);

3. am 23.04.2018 nach einer vorangegangenen Auseinandersetzung mit Fahrkartenkontrolleuren den Geschädigten pp. mit den Worten "Arschloch" und "Bimbo" beleidigte (UA III., 3.).

Drei weitere in der Berufung anhängige und hinzuverbundene Strafverfahren, in denen der Angeklagte durch (drei weitere) Urteile des Amtsgerichts Karlsruhe bzw. Karlsruhe-Durlach zu kurzen Freiheitsstrafen (in zwei Fällen) bzw. zu einer Geldstrafe (in einem Fall) verurteilt worden war, stellte die Kammer im Verlauf der Berufungshauptverhandlung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft nach § 154 Abs. 2, 154 Abs. 1 Nr. 1 StPO vorläufig ein.

Gegen das Urteil der Strafkammer hat der Angeklagte Revision eingelegt, die er mit Verfahrensrügen und der näher ausgeführten Sachrüge begründet hat. Er beantragt, das Urteil des Landgerichts aufzuheben, den Angeklagten wegen der "angeklagten Beleidigung" freizusprechen und die Sache im Übrigen zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Karlsruhe zurückzuverweisen.

II.

Die Revision dringt mit der zulässig erhobenen Verfahrensrüge eines Verstoßes gegen § 229 Abs. 1 StPO durch.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Antragsschrift vom 31.03.2021 hierzu ausgeführt:

"Die Rüge, mit der ein Verstoß gegen § 229 Abs. 1 StPO geltend gemacht wird, ist zulässig erhoben und in der Sache begründet.

Die Hauptverhandlung vor der 9. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Karlsruhe fand im Zeitraum 07.08.2020 bis 19.11.2020 an insgesamt sieben Verhandlungstagen statt. Nach § 229 Abs. 1 StPO darf eine Hauptverhandlung bis zu drei Wochen unterbrochen werden. Die Fristen des § 229 StPO stellen keine Fristen im Sinne der §§ 42, 43 StPO dar. Bei der in § 229 Abs. 1 StPO normierten Unterbrechungsfrist handelt es sich um eine eigenständige "Zwischenfrist", das heißt um einen zwischen zwei Verhandlungstagen eingeschobenen Unterbrechungszeitraum, in dessen Berechnung weder der Tag, an dem die Unterbrechung angeordnet wird, noch derjenige, an dem die Verhandlung fortgesetzt wird, einzurechnen ist (BGH, Beschluss vom 28.07.2020 - 6 StR 114/20; vgl. auch BGH, Beschluss vom 26.05.2020 - 5 StR 65/20; BGH, Beschluss vom 24.09.2019 - 2 StR 194/19; BGH, Beschluss vom 29.11.2016 - 3 StR 235/16; BGH, Beschluss vom 18.02.2016 - 1 StR 590/15; BGH, Beschluss vom 20.03.2014 - 3 StR 408/13). Die Auslegung des § 229 Abs. 1 StPO ergibt, dass der Zeitraum von drei Wochen höchstens 21 Tage umfasst (BGH, Beschluss vom 28.07.2020 - 6 StR 114/20). Zwischen den Verhandlungstagen am 14.09.2020 (Montag) und 07.10.2020 (Mittwoch) liegen mehr als 21 Tage, da die Unterbrechungsfrist des § 229 Abs. 1 StPO am Dienstag, 15.09.2020 zu laufen begann und am Montag, 05.10.2020 endete. Die Hauptverhandlung hätte daher spätestens am Dienstag, 06.10.2020 wiederaufgenommen werden müssen. Tatsächlich war die Hauptverhandlung jedoch erst nach einer mehr als dreiwöchigen Unterbrechung am Mittwoch, 07.10.2020 fortgesetzt worden.

Das Beruhen des Urteils auf einem Verstoß gegen § 229 StPO kann nur in Ausnahmefällen ausgeschlossen werden (BGH, Beschluss vom 28.07.2020 - 6 StR 114/20; BGH, Beschluss vom 26.05.2020 - 5 StR 65/20; BGH, Urteil vom 25.07.1996 - 4 StR 172/96; BGH, Urteil vom 05.02.1970 - 4 StR 272/68). Da solche besonderen Umstände vorliegend nicht ersichtlich sind, ist auf die Revision des Angeklagten die angefochtene Entscheidung mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Karlsruhe zurückzuverweisen."

Diesen Ausführungen schließt sich der Senat mit folgender Bemerkung an:

1. Der 1. Strafsenat des BGH hat in einem Beschluss vom 18.02.2016 (1 StR 590/15, BeckRS 2016, 5667) eine Unterbrechungsfrist von 22 Tagen unbeanstandet gelassen. Sollte es sich hierbei nicht nur – wie teilweise angenommen wird (LR-StPO/Becker, 27. Aufl. 2019, § 229 Rn. 6 [dort Fn. 31]; BeckOK StPO/Cirener, 39. Ed. 1.1.2021, StPO § 42 Rn. 2) – um einen Berechnungsfehler im konkreten Einzelfall gehandelt haben, würde der Senat der zugrunde gelegten Berechnungsmethode, die auf einer (analogen) Heranziehung des § 43 Abs. 1 StPO beruht (Gräbener, a.a.O., S. 516; so für die Zwischenfrist des § 217 Abs. 1 StPO auch: LR-StPO/Jäger, 27. Aufl. 2019, § 217 Rn. 3), nicht folgen. Gegen sie spricht insbesondere, dass es sich bei der Frist des § 229 Abs. 1 StPO nach allgemeiner Auffassung nicht um eine Frist nach §§ 42, 43 StPO, sondern um eine eigenständige Zwischenfrist handelt (BGH, Beschl. v. 26.05.2020 – 5 StR 65/20, juris Rn. 3; BGH, Beschl. v. 29.11.2016 – 3 StR 235/16; BGH, Beschl. 20.03.2014 – 3 StR 408/13; LR/Becker-StPO, 27. Aufl. 2019, § 229 Rn. 6; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 229 Rn. 9). Dieser eigenständige Charakter zeigt sich insbesondere an § 229 Abs. 4 Satz 2 StPO, der eine dem § 43 Abs. 2 StPO entsprechende Regelung enthält. Dieser Vorschrift bedürfte es nicht, wenn es sich bei der Zwischenfrist des § 229 Abs. 1 StPO um eine Frist im Sinne § 43 StPO handeln würde, für die § 43 Abs. 2 StPO dann unmittelbar gelten würde. Hinzu kommt, dass die § 43 Abs. 1 StPO zugrunde liegende ratio legis, wonach der Tag des Fristbeginns nicht mitgezählt wird, bei § 229 Abs. 1 StPO nicht besteht: Die Regelung des § 43 Abs. 1 StPO will verhindern, dass es zu einer faktischen Fristverkürzung für einen Verfahrensbeteiligten dadurch kommt, dass das fristauslösende Ereignis (etwa die Verkündung eines Urteils im Fall der §§ 314 Abs. 1, 341 Abs. 1 StPO) in den Lauf eines Tages fällt. Ohne die Regelung des § 43 Abs. 1 StPO würde in diesem Fall – beispielsweise – die Frist zur Einlegung der Berufung/Revision regelmäßig weniger als die vom Gesetz zugebilligte volle Woche betragen. Diese Gefahr einer faktischen Fristverkürzung besteht im Rahmen des § 229 Abs. 1 StPO schon deshalb nicht, weil bei Berechnung der Zwischenfrist bereits nach dem Wortlaut dieser Vorschrift – und deshalb auch nach einhelliger Auffassung – weder der Tag, an dem die Unterbrechung angeordnet wird, noch derjenige, an dem die Verhandlung fortgesetzt wird, einzurechnen ist (so ausdrücklich auch BGH 1 StR 590/15, BeckRS 2016, 5667; allg. Meinung). Insoweit besteht kein Grund, die in jedem Fall ungeschmälerte Zwischenfrist von 21 (vollen) Tagen auf 22 Tage zu verlängern, zumal ein Zeitraum von 22 Tagen mit dem Verständnis von "drei Wochen" im natürlichen Sprachgebrauch nicht vereinbar ist (vgl. etwa https://de.wikipedia.org/wiki/Woche und den dortigen Hinweis auf die Definition durch die Internationale Organisation für Normung in ISO 8601: Kalenderwochen haben 7 Tage). Im Übrigen steht auch der Gesetzeszweck des § 229 Abs. 1 StPO, das Gericht an eine möglichst enge Aufeinanderfolge der Verhandlungstage zu binden, damit die zu erlassende Entscheidung unter dem lebendigen Eindrucke des zusammenhängenden Bildes des gesamten Verhandlungsstoffes ergeht (BGH NJW 1952, 1149), einer extensiven Auslegung des § 229 Abs. 1 StPO entgegen.

Auch die Mehrheit der Strafsenate des BGH hält einen Unterbrechungszeitraum von mehr als 21 Tagen für unzulässig (BGH, Beschl. vom 28.07.2020 – 6 StR 114/20, juris Rn. 4-8; BGH, Beschl. v. 24.09.2019 – 2 StR 194/19, juris Rn. 4; BGH, Beschl. v. 26.05.2020 – 5 StR 65/20, juris Rn. 2-4; BGH, Beschl. v. 29.11.2016 – 3 StR 235/16, juris; anders noch der dritte Strafsenat im Beschl. v. 20.03.2014 – 3 StR 408/13, juris, wobei in diesem Fall wiederum eine fehlerhafte Fristberechnung im konkreten Einzelfall vorgelegen haben könnte – so der damalige Vorsitzende des 3. Strafsenats Becker in LR-StPO/Becker, 27. Aufl. 2019, § 229 Rn. 6 [dort Fn. 31]). Die vorgenannten Strafsenate des Bundesgerichtshofs legen somit die auch aus Sicht des Senats zutreffende Berechnungsweise zugrunde, wonach die maximale Unterbrechungsfrist nach § 229 Abs. 1 StPO 21 und nicht 22 Tage beträgt.

2. Ein Beruhen kann ungeachtet der Überschreitung der zulässigen Höchstfrist um nur einen Tag nicht ausgeschlossen werden, zumal die gesamte Hauptverhandlung, die sich insgesamt über sieben Verhandlungstage erstreckte, auch im Übrigen nicht "verdichtet" geführt wurde, sondern mehrfach durch Zeiträume von zwei und sogar drei Wochen unterbrochen war.

III.

Hinsichtlich des Vorwurfs der Beleidigung am 23.04.2018 ist der Angeklagte weder – wie von der Revision beantragt – freizusprechen noch das Verfahren insoweit nach § 206a StPO einzustellen. Eine Verfahrenseinstellung – nicht hingegen ein Freispruch – müsste erfolgen, wenn das vom Landgericht abgeurteilte tatsächliche Geschehen von der verfahrensgegenständlichen, durch die Anklage umgrenzten prozessualen Tat nicht umfasst wäre.

Entgegen der Auffassung der Revision handelt es sich bei dem angeklagten und dem vom Landgericht abgeurteilten Geschehen am 23.04.2018 nicht um unterschiedliche prozessuale Taten im Sinne des § 264 StPO. Hieran ändert nichts, dass der – nach § 407 Abs. 1 Satz 4 StPO die Funktion der Anklageschrift übernehmende – Strafbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft Karlsruhe vom 22.10.2018 den Tatortbereich mit den Worten "auf Höhe der Haltestelle Friedrich-Realschule" umschrieben hat, wohingegen das Landgericht als Tatort die Haltestelle Durlach-Untermühlstraße (nicht wie von der Revision auf S. 20 der Revisionsbegründung fälschlich wiedergegeben die "Haltestelle Untermühlsiedlung") festgestellt hat (UA. III., S. 12).

Der Begriff der Tat im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO bestimmt sich nach dem von der zugelassenen Anklage umschriebenen geschichtlichen Vorgang, innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll. Sie erstreckt sich auf das gesamte Verhalten des Täters, das nach natürlicher Auffassung ein mit diesem geschichtlichen Vorgang einheitliches Geschehen bildet (st. Rspr.; z.B. BGH, Beschluss vom 23. September 2020 - 2 StR 606/19; BGH, Urt. v. 17.10.2019 – 3 StR 170/19, NStZ 2021, 120; BGH, Beschluss vom 24. November 2004 - 5 StR 206/04, BGHSt 49, 352, 362 f.). Die Frage der Einheitlichkeit des Vorgangs beurteilt sich dabei nach den Umständen des Einzelfalles auf der Grundlage des Ergebnisses der Hauptverhandlung und der darin durchgeführten Beweisaufnahme (BGH Urt. v. 20.12.1995 – 2 StR 113/95, NStZ 1996, 243). In tatsächlicher Hinsicht hat das Gericht danach seine Untersuchung mithin auch auf diejenigen Tatumstände zu erstrecken, die erst in der Hauptverhandlung zu Tage getreten sind; die Grenze dieser Verpflichtung ist erst erreicht, wenn das zugrundeliegende Geschehen vollständig verlassen und durch ein anderes ersetzt wird, mithin die Identität der von der Anklage bezeichneten Tat nicht mehr gewahrt ist (Meyer-Goßner/Schmitt StPO, 63. Aufl. 2020, § 264 Rn. 21, 25 mwN). Ohne Bedeutung ist insoweit allerdings, ob abweichende Umstände aus den Akten ersichtlich waren oder erst nach Eröffnung des Hauptverfahrens bekannt geworden oder eingetreten sind, welche rechtliche Beurteilung die Tat in der zugelassenen Anklage gefunden hatte oder dass der Anklagevorwurf aufgrund der neuen Umstände in eine andere Richtung weist (KK-StPO/Kuckein/Ott 8. Aufl., § 264 Rn. 39 mwN). Bedeutsam ist vielmehr, ob bestimmte Merkmale die Tat als ein einmaliges unverwechselbares Geschehen kennzeichnen, wobei insbesondere Ort und Zeit des Vorgangs, das Täterverhalten, die ihm innewohnende Richtung und das Objekt, auf das sich der Vorgang bezieht, in den Blick zu nehmen sind, ohne dass ein Kriterium allein ausschlaggebend ist. Maßgeblich ist zur Abgrenzung darauf abzustellen, ob die gleich gebliebenen Umstände den betreffenden Vorgang noch hinreichend individualisieren, folglich Zweifel an der Tatidentität und eine Verwechslungsgefahr mit anderen ähnlichen Taten ausschließen (Löwe/Rosenberg/Stuckenberg StPO, 26. Aufl., § 264 Rn. 95 f. mwN).

Nach diesem Maßstab handelt es sich bei der im Strafbefehl umschriebenen und der durch das Landgericht abgeurteilten Tat Ziff. 3. um eine einheitliche prozessuale Tat. Allein der Tatort wurde aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung etwas anders lokalisiert als im Strafbefehl. Beide Orte liegen jedoch – gerichtsbekannt – fußläufig nur etwa 1 km voneinander entfernt und befinden sich innerhalb der Gemarkung Durlach (vgl. https://rp.baden-wuerttemberg.de/filead-min/RP-Internet/Karlsruhe/Abteilung_5/Referat_55/_DocumentLibrariesLibraries/natur-park_schwarzwald_mn/Detailkarten/detailkarte_01.pdf). Hinzu kommt, dass sich die Identität der Tat vorliegend in erster Linie nach dem spezifischen Wortlaut der festgestellten Beleidigung ("Arschloch", "Bimbo") bestimmt. Weiterhin ergibt sich aus einer Übereinstimmung von weiteren individualisierenden Merkmalen des im Strafbefehl und im Urteil jeweils beschriebenen Tatgeschehens – neben dem Wortlaut der Beleidigung sind auch Täter, Opfer (pp.) und die Tatzeit (23.04.2018 gegen 17.30 Uhr) identisch –, dass das Geschehen hierdurch so hinreichend individualisiert und umgrenzt ist, dass ungeachtet der Verschiedenheit der Tatorte eine Verwechslung ausgeschlossen ist.

IV.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Randnummer22

1. Der zeitliche Verfahrenslauf im Berufungsverfahren wird insbesondere bei den Taten Ziff. 1 und 2. Anlass zur Erörterung geben, ob und inwieweit aufgrund einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung die Regeln über die Kompensation im Wege der Vollstreckungslösung anzuwenden sind.

2. An die Unerlässlichkeit der Verhängung kurzer Freiheitsstrafen im Sinne des § 47 Abs. 1 StGB sind strenge Anforderungen zu stellen (vgl. OLG Karlsruhe Beschl. v. 18.11.2004 – 2 Ss 60/04, BeckRS 2004, 16313). Angesichts der im Fall Ziff. 3. nunmehr drei Jahre zurückliegenden Tatzeit bestehen Zweifel, ob die für diese Tat verhängte kurze Freiheitsstrafe von 2 Monaten zur Einwirkung auf den Angeklagten (noch) unerlässlich ist. Dies würde umso mehr gelten, wenn der Angeklagte – was zu klären sein wird – seit der Tat am 23.04.2018 nicht mehr (erheblich) strafrechtlich in Erscheinung getreten ist.


Einsender: RA Dr. D. Beisel, Karlsruhe

Anmerkung:


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