Gericht / Entscheidungsdatum: AG Bad Waldsee, Beschl. v. 23.01.2021 - 2 OWi 1/21
Leitsatz: Zur Frage, wann in der Bezahlung der Geldbuße eine Rücknahme des Einspruchs zu sehen ist
Amtsgericht Bad Waldsee
Beschluss
In dem Bußgeldverfahren
gegen pp.
Verteidiger:
wegen Verstoß gegen die StVO
hat das Amtsgericht Bad Waldsee durch den Richter am Amtsgericht am 23. Juni 2021 beschlossen:
1. Auf den Antrag des Betroffenen hin wird festgestellt, dass in der Bezahlung der Geldbuße am 31.7.2020 keine Einspruchsrücknahme liegt.
2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe:
Am 1.7.2020 erging gegen den Betroffenen ein Bußgeldbescheid, da er am 17.5.20 die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 21 km/h überschritten haben soll. Eine Geldbuße von 100 und ein Fahrverbot von 1 Monat sollten verhängt werden. Zugestellt
wurde dieser Bußgeldbescheid dem Betroffenen am 4.7.2020.
Mit Schriftsatz vom 3.7.2020 - eingegangen am 6.7.2020 - legitimierte sich der Verteidiger für den Betroffenen. Am 8.7.2020 ging der Einspruch des Verteidigers ein. Angehängt war eine Strafprozessvollmacht.
Am 21.7.2020 erging ein neuer Bußgeldbescheid, nunmehr ohne Fahrverbot. Dem Betroffenen wurde dieser Bußgeldbescheid am 24.7.2020 zugestellt. Hiergegen legte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 27.7.2020, der am 28.7.2020 einging, Einspruch ein.
Am 31.7.2020 bezahlte der Betroffene die Geldbuße. Die Bußgeldbehörde teilte mit E-Mail vom 4.8.2020 dem Verteidiger mit, dass deswegen eine Rücknahme des Einspruchs von Seiten des Betroffenen erfolgt sei. Das Verfahren sei rechtskräftig und abgeschlossen, so die Stadt Bad Waldsee.
Mit Schriftsatz vom 28.1.21 trug der Betroffene vor, dass der Zahlung der Geldbuße ein eindeutiger Erklärungswert fehle.
Die Bußgeldbehörde erklärte darauf, dass ihrer Auffassung nach eine Rücknahme des Einspruchs auch dann angenommen werde, wenn der Betroffene nach Einlegung des Einspruchs die Geldbuße unter Verwendung des Überweisungsträgers zahle. Das Verfahren sei rechtskräftig abgeschlossen.
Darauf stellte der Verteidiger Antrag auf gerichtliche Entscheidung.
II.
Der Antrag des Betroffenen ist zulässig und begründet.
Der Antrag ist zulässig.
Der Maßnahmenbegriff des § 62 OWiG ist weit auszulegen, um einen möglichst umfassenden Rechtsschutz gewährleisten zu können (BeckOK OWiGlEuler, 30. Ed. 1.4.2021, § 62 Rn. 4). Die Entscheidung der Bußgeldbehörde, den Bußgeldbescheid für rechtskräftig zu erklären greift in den Rechtskreis des Betroffenen ein und erweist sich damit als zulässiger Anfechtungsgegenstand.
Der Antrag ist begründet.
Im vorliegenden Fall kann in der schlichten Bezahlung der Geldbuße keine Einspruchsrücknahme gesehen werden.
Grundsätzlich hat die Rücknahmeerklärung dieselbe Form wie der Einspruch, also schriftlich oder Niederschrift bei der zuständigen Stelle. Die Erklärung muss den Rücknahmewillen unmissverständlich enthalten. Hierzu soll es nach teilweise vertretener Ansicht bereits genügen; wenn der Betroffene die Geldbuße unter Verwendung des Überweisungsvordrucks, auf dem er selbst als Aussteller und das Aktenzeichen vermerkt sind, zahlt, weil er damit hinreichend deutlich mache, dass er eine gerichtliche Überprüfung seiner Sache nicht mehr wolle (vgl. KK-OWiG/Ellbogen, 5. Aufl. 2018, § 67 Rn. 103 mit Verweis auf OLG Stuttgart, NStZ 1982, 13). In einem weiteren Fall entschied das OLG Stuttgart, dass in einem Schreiben des Betroffenen, mit welchem dieser mitteilte, dass er gewillt sei, die Geldbuße und die Gerichtskosten zu zahlen, eine Rechtsmittelrücknahme zu sehen sei. Auch wenn der Erklärende nicht ausdrücklich von Rücknahme spreche, könne die Erklärung diesen Inhalt haben, wenn der hierauf gerichtete Wille deutlich zum Ausdruck komme. Der Wille sei im Wege der Auslegung zu ermitteln. In aller Regel enthalte die Bezahlung einer verhängten Geldbuße durch Überweisung eine wirksame Rechtsmittelrücknahme. Für die Auslegung seien ferner die Umstände, unter denen die Erklärung abgegeben worden sei, mit heranzuziehen (OLG Stuttgart, Beschl. vom 12.12.1989 - 1 Ws 455/89, NJW 1990, 1494). Diese Entscheidung des OLG Stuttgart deutet darauf hin, dass - wie es auch im Schrifttum gefordert wird - bei einer kommentarlosen Zahlung einer Geldbuße sorgfältig zu prüfen ist, ob dies als Rücknahme des Einspruchs zu verstehen ist (vgl. Gassner/Seith/Blum/Stahnke , Ordnungswidrigkeitengesetz, 2. Aufl. 2020, § 67 Rn. 35).
Vorliegend war zu sehen, dass sich vor Erlass des neuen Bußgeldbescheides ein Verteidiger legitimierte. Dem Verteidiger wurde auch eine Abschrift des Bußgeldbescheides vom 21.7.2020 übermittelt. Am 31.7.2020 bezahlte der Betroffene die Geldbuße und darauf schrieb die Bußgeld-behörde dem Verteidiger, dass das Verfahren durch Bezahlung rechtskräftig abgeschlossen sei. Hieraus wird deutlich, dass die Bußgeldbehörde in dem Verteidiger des Betroffenen den maßgeblichen Ansprechpartner für das Bußgeldverfahren sah. Indes vertraute die Bußgeldbehörde offen-sichtlich darauf, dass der Verteidiger und der Betroffene diese Rechtsauffassung teilen, weshalb auch keine Abgabe des Verfahrens erfolgte. Als der Verteidiger in das Verfahren kam, wurde aber sogleich deutlich, dass nicht nur ein Wegfall des Fahrverbots erfolgen sollte, sondern dieser regte eine Einstellung des Verfahrens an. Damit nahm das Verfahren ab Anfang Juli eine Wendung da-hin, dass auch nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden konnte, dass ein abgemilderter" Bußgeldbescheid akzeptiert werde, was durch den erhobenen Einspruch auch zum Ausdruck kam. In dieser Konstellation war in der bloßen, Bezahlung der Geldbuße eine wirksame Rechtsmittelrücknahme nicht zu sehen. Vielmehr hätte diese Bezahlung mit einer darüber hinausgehen-den Erklärung verknüpft sein müssen, was angesichts des schlichten Schweigens auf die E-Mail vom 4.8.2020 nicht der Fall war.
Da der Antrag vollständigen Erfolg hatte, waren, die Kosten einschließlich die notwendigen Auslagen des Antragstellers gemäß § 62 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 467 StPO der Staatskasse aufzuerlegen.
Einsender: RA S. Kabus, Bad Saulgau
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