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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, rückwirkende Bestellung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Magdeburg, Beschl. v. 10.06.2021 - 23 Qs 39/21

Leitsatz: Eine rückwirkende Bestellung des Pflichtverteidigers ist zulässig, wenn der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde, die Voraussetzungen für eine Beiordnung gern. § 140 Abs. 1, Abs. 2 StPO zum Zeitpunkt der Antragstellung vorlagen und die Entscheidung durch gerichtsinterne Vorgänge unterblieben ist, auf die ein Außenstehender keinen Einfluss hatte.


Landgericht Magdeburg

Beschluss

23 Qs 39/21

In der Strafsache
gegen pp.

Verteidiger:
Rechtsanwalt

wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis

hat die 3. Strafkammer des Landgerichts Magdeburg durch die unterzeichnenden Richter am 10. Juni 2021 beschlossen:

Auf die sofortige Beschwerde des ehemaligen Angeklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts Quedlinburg vom 11.01.2021 — Az.: 2 Ds 955 Js 73440/20 —, mit dem der Antrag des ehemals Angeklagten, ihm Rechtsanwalt pp. als notwendigen Verteidiger beizuordnen, abgelehnt wurde, aufgehoben.

Dem ehemaligen Angeklagten wird Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger beigeordnet.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des ehemals Angeklagten trägt die Staatskasse.

Gründe:

Gegen den Beschwerdeführer wurde ein Verfahren wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis geführt. Mit Anklageerhebung am 26.03.2020 beantragte die Staatsanwaltschaft die Verbindung dieses Verfahrens mit einem weiteren bei dem Strafrichter des Amtsgerichts Quedlinburg anhängigen Verfahren und beantragte die Beiordnung eines Pflichtverteidigers gern. § 140 Abs. 2 StPO.

Am 07.04.2020 stellte das Amtsgericht Quedlinburg dem Beschwerdeführer die Anklage zu und verwies gleichzeitig darauf, dass die Voraussetzungen für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers gern. § 140 Abs. 2 StPO vorlägen und gab dem Beschwerdeführer die Möglichkeit, einen entsprechenden Rechtsanwalt seiner Wahl zu benennen.

Am 16.04.2020 meldete sich Rechtsanwalt pp. für den Angeklagten, beantragte Akteneinsicht und stellte unter gleichzeitiger Niederlegung des Wahlmandates den Antrag auf Beiordnung als Pflichtverteidiger. Nach Akteneinsichtsgewährung erließ das Amtsgericht Quedlinburg am 30.06.2020 einen Eröffnungs- und Verbindungsbeschluss hinsichtlich der beiden anhängigen Anklagen wegen des Vorwurfs des Fahrens ohne Fahrerlaubnis und beraumte einen Hauptverhandlungstermin am 30.09.2020 an. An diesem Hauptverhandlungstermin nahm Rechtsanwalt pp. als Verteidiger des Angeklagten teil. Nach durchgeführter Hauptverhandlung wurde der Angeklagte durch Urteil des Amtsgerichts Quedlinburg zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Danach erinnerte Rechtsanwalt pp. nochmals an seine Beiordnung als Pflichtverteidiger.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Quedlinburg vom 11.01.2021 wies das Amtsgericht Quedlinburg den Antrag auf Bestellung als Pflichtverteidiger mit der Begründung zurück, dass eine rückwirkende Beiordnung eines Verteidigers nicht in Betracht komme, da das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen worden sei. Dies gälte auch trotz des Umstandes, dass es das Gericht verabsäumt habe, rechtzeitig über den Antrag auf Bestellung als Pflichtverteidiger. gestellt am 16.04.2020, zu entscheiden.

Dieser Beschluss wurde dem Verteidiger ohne Rechtsmittelbelehrung über das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde ausweislich des bei den Akten befindlichen Empfangsbekenntnisses am 26.01.2021 zugestellt. Mit anwaltlichem Schreiben vom 28.01.2021 legte der Verteidiger Beschwerde gegen diesen Beschluss ein, die am 28. Januar 2021 einging.

Das als sofortige Beschwerde zu behandelnde Rechtsmittel ist zulässig und begründet.

Auf die Beschwerde des ehemals Angeklagten war die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts Quedlinburg aufzuheben und Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger beizuordnen.

Zum Zeitpunkt der Antragstellung lagen die Voraussetzungen der notwenigen Verteidigung gern. § 140 Abs. 2 StPO im Hinblick auf die Rechtsfolgenerwartung vor. Der Angeklagte war bereits mehrfach vorbestraft. Ihm wurde ein zweifaches Fahren ohne Fahrerlaubnis vorgeworfen, so dass die Verhängung einer ein Jahr übersteigenden Gesamtfreiheitsstrafe möglich gewesen wäre. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch das Gericht waren zu diesem Zeitpunkt ebenfalls vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO ausgegangen. Zwar ist zwischenzeitlich das Verfahren durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossen. Diesbezüglich folgt die Kammer zwar der überwiegenden Ansicht, dass nach dem endgültigen Abschluss eines Strafverfahrens die nachträgliche Beiordnung eines Verteidigers grundsätzlich nicht mehr in Betracht kommt. Allerdings hält die Kammer in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung anderer Landgerichte und auch der Kammern des Landgerichts Magdeburg eine rückwirkende Bestellung für zulässig, wenn der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde, die Voraussetzungen für eine Beiordnung gern. § 140 Abs. 1, Abs. 2 StPO zum Zeitpunkt der Antragstellung vorlagen und die Entscheidung durch gerichtsinterne Vorgänge unterblieben ist, auf die ein Außenstehender keinen Einfluss hatte (vgl. Beschluss des Landgerichts Magdeburg vom 20.02.2020, Az.: 29 Qs 2/20, Rn. 15, jeweils m. w. N., zitiert nach juris).

Diese Fallkonstellation ist vorliegend gegeben. Nachdem das Amtsgericht sogar den Angeklagten selber dazu aufgefordert hatte, einen Pflichtverteidiger zwecks Beiordnung zu benennen und dieser Antrag unmittelbar nach Aufforderung gestellt worden war, hat das Amtsgericht diesen Antrag versehentlich nicht beschieden. Vielmehr wurde die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren unter Verbindung mit einem weiteren Verfahren eröffnet und eine Hauptverhandlung durchgeführt, an der der Verteidiger auch teilgenommen hat. Der Beschwerdeführer durfte im Hinblick auf das Anschreiben des Amtsgerichts. dass eine Beiordnung eines Pflichtverteidigers beabsichtigt sei und sein Verteidiger sich rechtzeitig für ihn zu den Akten gemeldet hatte, auch darauf vertrauen, dass eine Beiordnung erfolgen würde. Insofern bedurfte es auch keiner Erinnerung durch den Beschwerdeführer bzw. seines Anwaltes im Hinblick auf die Beiordnungsentscheidung. Die Nichtbescheidung des Antrags lag daher außerhalb seines Verantwortungsbereichs und beruhte auf rein internen Vorgängen beim Gericht.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 467 StPO.


Einsender: RA T. Reulecke, Wernigerode

Anmerkung:


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