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Entscheidungen

StPO

Ladungsvollmacht, Verteidiger, bisheriger Wahlverteidiger

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamburg, Beschl. v. 24.06.2021 – 2 Ws 52/21

Leitsatz: 1. Nach § 145a Abs. 2 Satz 1 StPO darf eine Ladung an den Verteidiger nur zugestellt werden, wenn er in einer bei den Akten – vom Beschuldigten unterschriebenen – befindlichen Vollmacht ausdrücklich und eindeutig zur Empfangnahme von Ladungen ermächtigt ist.
2. Wird der bisherige Wahlverteidiger, der nach § 145a Abs. 2 StPO besonders ermächtigt ist, zum Pflichtverteidiger bestellt, ist eine erneute Bevollmächtigung erforderlich, da der Wahlverteidiger durch einen Antrag auf Bestellung als Pflichtverteidiger konkludent sein Mandat niederlegt, wodurch das zivilrechtlich begründete Geschäftsbesorgungsverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Beschuldigten und damit auch die im Rahmen des Wahlverteidigermandats erteilte – rechtsgeschäftliche – Zustellungsvollmacht, erlischt.


In pp.

Auf die Beschwerden des Angeklagten werden die Haftbefehle des Landgerichts Hamburg, Kleine Strafkammer 4, vom 27. Mai 2021 mit den Aktenzeichen 704 Ns 140/16 und 704 Ns 87/17 aufgehoben.

Die Kosten der Beschwerdeverfahren und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

I.

Das Amtsgericht Hamburg hat den Angeklagten am 26. Mai 2015 (Az.: 249 Ds 12/15) wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen sowie wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Die gegen das Urteil eingelegte Berufung hat das Landgericht durch Urteil vom 13. November 2015 verworfen. Auf die Revision des Angeklagten hat der Senat das Urteil des Landgerichts am 13. November 2015 (Az.: 2 Ws 32/16) zum Teil aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen (Az.: 707 Ns 21/17 später dann Az.: 704 Ns 140/16).

Ferner hat das Amtsgericht Hamburg (Az.: 256 Ds 44/16) den Angeklagten am 13. Dezember 2016 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil haben sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte durch seinen beigeordneten Verteidiger Berufung eingelegt. Die Kleine Strafkammer 4 hat das Verfahren, welches zunächst bei der Kleinen Strafkammer 7 unter dem Aktenzeichen 707 Ns 21/17 anhängig war, übernommen (Az.: 704 Ns 87/17) und sodann durch Beschluss vom 6. September 2017 zum Verfahren 704 Ns 140/16 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden, wobei das Verfahren 704 Ns 140/16 führte.

Als Anlage zum Hauptverhandlungsprotokoll vom 27. Januar 2021 findet sich eine Erklärung des Angeklagten, wonach er seinem Verteidiger Vertretungsvollmacht im Sinn von § 329 StPO erteilt.

Zu dem auf den 7. Mai 2021 anberaumten Hauptverhandlungstermin ist nur der Verteidiger, nicht aber der Angeklagte, dessen Ladung an den Verteidiger zugestellt worden ist, erschienen. Daraufhin hat die Vorsitzende die Hauptverhandlung unterbrochen, einen Fortsetzungstermin auf den 25. Mai 2021 anberaumt und die anwesenden Prozessbeteiligten vor dem Protokoll geladen. Mit Beschluss vom 12. Mai 2021 hat sie das persönliche Erscheinen des Angeklagten angeordnet und verfügt, den Angeklagten über seinen Verteidiger unter Beifügung des Beschlusses vom 12. Mai 2021 zu laden. Tatsächlich erfolgte die Zustellung an eine nicht mehr aktuelle Adresse des Angeklagten, wo die Ladung nicht zugestellt werden konnte. Am 25. Mai 2021 hat die Vorsitzende daher einen Fortsetzungstermin auf den 27. Mai 2021 anberaumt und die Prozessbeteiligten erneut vor dem Protokoll geladen und die sich wohl im Rücklauf befindliche Ladung für den 25. Mai 2021 nebst Beschluss vom 12. Mai 2021 dem Verteidiger mit dem Hinweis überreicht, dass die Ladung für den neuen, auf den 27. Mai 2021 anberaumten, Termin gelte.

Da der Angeklagte auch zum Hauptverhandlungstermin am 27. Mai 2021 nicht erschienen war, hat die Vorsitzende in dem Verfahren 704 Ns 140/16 (zurückverwiesenes Verfahren) einen Haftbefehl nach § 329 Abs. 3 StPO erlassen und verkündet und dann die Verfahren getrennt. Sodann hat es in dem abgetrennten Verfahren mit dem Aktenzeichen 704 Ns 87/17 die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 13. Dezember 2016 nach § 329 Abs. 4 StPO verworfen und einen Haftbefehl (Berufung der Staatsanwaltschaft) nach § 329 Abs. 3 StPO erlassen und verkündet. Gegen das Verwerfungsurteil hat der Angeklagte durch seinen Verteidiger am 3. Juni 2021 Revision eingelegt.

Mit zwei am 11. Juni 2021 bei dem Landgericht eingegangenen und auf den selben Tag datierten Verteidigerschriftsätzen hat der Angeklagte jeweils Beschwerde gegen die Haftbefehle vom 27. Mai 2021 eingelegt und jeweils beantragt, den Haftbefehl aufzuheben. Mit Beschluss vom 14. Juni März 2021 hat der Vorsitzende der Kleinen Strafkammer 2, als Vertreter der Kleinen Strafkammer 4, den Beschwerden nicht abgeholfen und diese – ohne Beteiligung der Staatsanwaltschaft – direkt an das Hanseatische Oberlandesgericht übersandt.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift vom 22. Juni 2021 angetragen, auf die Beschwerden des Angeklagten die Haftbefehle des Landgerichts, Kleine Strafkammer 4, vom 27. Mai 2021 aufzuheben.

II.

Die (Haft-) Beschwerden gegen die Haftbefehle sind ist gemäß § 304 Abs. 1 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 306 Abs. 1 StPO). Sie haben auch in der Sache Erfolg.

Die Haftbefehle in den Verfahren unter den Aktenzeichen 704 Ns 140/16 und 704 Ns 87/17 waren aufzuheben. Die Voraussetzungen, unter denen das Berufungsgericht gemäß § 329 Abs. 3 StPO die Verhaftung des Angeklagten anzuordnen hat, lagen nicht vor.

Der Erlass eines Haftbefehls im Berufungsverfahren nach § 329 Abs. 3 StPO setzt die ordnungsgemäße Ladung des Angeklagten zum Hauptverhandlungstermin voraus. Ordnungsgemäß ist die Ladung dann, wenn sie entweder dem Angeklagten in der durch §§ 216, 323 Abs. 1 Satz 1 StPO vorgeschriebenen Form oder dessen Verteidiger zugestellt wird, soweit dieser über die besondere Ladungsvollmacht gemäß § 145a Abs. 2 StPO verfügt.
Der Angeklagte selbst ist nicht unter einer eigenen ladungsfähigen Anschrift geladen worden. Auch konnten die Ladungen des Angeklagten zu den Hauptverhandlungsterminen im Berufungsverfahren nicht wirksam an seinen Verteidiger zugestellt werden. Die in den Verfahren dem Verteidiger erteilten Ladungsvollmachten konnten vorliegend keine Wirksamkeit entfalten.

1. Nach § 145a Abs. 2 Satz 1 StPO darf eine Ladung an den Verteidiger nur zugestellt werden, wenn er in einer bei den Akten – vom Beschuldigten unterschriebenen – befindlichen Vollmacht ausdrücklich zur Empfangnahme von Ladungen ermächtigt ist. Damit hebt § 145a Abs. 2 Satz 1 StPO die Bedeutung einer solchen Bevollmächtigung gegenüber der Befugnis des Verteidigers zur Entgegennahme von sonstigen Zustellungen im Sinne des § 145a Abs. 1 StPO hervor (vgl. OLG Düsseldorf StV 1990, 536). Dies hat zur Folge, dass die Vollmacht des Verteidigers zur Entgegennahme von Ladungen nur dann wirksam ist, wenn sie eindeutig, d.h. für jeden auf Anhieb zweifelsfrei als solche zu erkennen ist (vgl. OLG Köln NStZ 1998, 240; OLG Köln NStZ-RR 1999, 334; LR/Jahn, StPO, 27. Aufl., § 145a Rdn. 12; MüKoStPO/Thomas/Kämpfer StPO § 145a Rdn. 10; SK/Wohlers, StPO, 5. Aufl., § 145a Rdn. 20). Im Zweifel, wobei die Erklärung wegen der Bedeutung der Ladung im allgemeinen restriktiv auszulegen ist (vgl. OLG Düsseldorf StV 1990, 536; OLG Köln NStZ-RR 1999, 334; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 145a Rdn. 12; MüKoStPO/Thomas/Kämpfer StPO § 145a Rdn. 10; HK/Julius/Schiemann, StPO, 8. Aufl.; Rdn. 8), liegt eine Bevollmächtigung daher nicht vor.

Eine ausdrückliche Ermächtigung im Sinn des § 145a Abs. 2 StPO ist nicht nur gegenüber dem Wahlverteidiger sondern auch gegenüber dem Pflichtverteidiger zu erklären (vgl. OLG Hamm NStZ 2017, 432; OLG Karlsruhe StraFo 2011, 509; OLG Köln NStZ-RR 1999, 334). Wird der bisherige Wahlverteidiger (§ 138 StPO), der nach § 145a Abs. 2 StPO besonders ermächtigt ist, zum Pflichtverteidiger bestellt, so ist eine erneute Bevollmächtigung erforderlich. Denn der Wahlverteidiger legt durch einen Antrag auf Bestellung als Pflichtverteidiger konkludent sein Mandat nieder, wodurch das zivilrechtlich begründete Geschäftsbesorgungsverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Beschuldigten und damit auch die im Rahmen des Wahlverteidigermandats erteilte – rechtsgeschäftliche – Zustellungsvollmacht, erlischt (vgl. OLG Düsseldorf StV 1982, 127; OLG Köln NStZ-RR 1999, 334; MüKo/Thomas/Kämpfer, StPO, § 145a Rdn. 10; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 145a Rdn. 12; SK/Wohlers, StPO, 5. Aufl., § 145a Rdn. 18; KMR/Staudinger, StPO, § 145a Rdn. 9; einschränkend KG NStZ 2012, 175, danach soll dies nicht gelten, wenn der Beschuldigte den Wahlverteidiger ausdrücklich als Zustellungs- und Ladungsbevollmächtigten benannt hat). Eine vorher bestehende Ladungszustellungsvollmacht muss daher erneut durch den Beschuldigten erteilt werden. Eine solche Behandlung erfordert das Gebot der Rechtsklarheit.

2. Legt man diese Maßstäbe zugrunde, so genügen die in den Verfahren 704 Ns 140/16 und 704 Ns 87/17 erteilten Ladungsvollmachten nicht den Anforderungen, mit der Folge, dass die Ladungen zu allen Hauptverhandlungsterminen in der Berufungsinstanz nicht wirksam an den Angeklagten – über seinen Verteidiger – zugestellt worden sind.

a) In dem Ermittlungsverfahren mit dem Aktenzeichen 6000 Js 561/16, (Aktenzeichen im Berufungsverfahren 704 Ns 87/17) ist im Rahmen einer früheren Haftprüfung am 1. September 2016, der Verteidiger war dem Angeklagten bereits am 11. Juli 2016 beigeordnet worden, eine Zustellungs- und Ladungsvollmacht mit folgendem Inhalt zur Akte gelangt. „Hiermit erteile ich, E.B., Herrn RA Dr. T., Hamburg, in der Sache Amtsgericht Hamburg-Mitte, Az. 256 Ds 44/16, unwiderrufliche Zustellungs- und Ladungsvollmacht.“

Diese besondere Ladungsvollmacht stellt keine für das Berufungsverfahren geltende besondere Ladungsverfügung nach § 145a Abs. 2 StPO dar. Denn sie bezieht sich nach ihrem eindeutigen Wortlaut allein auf das Verfahren vor dem „Amtsgericht Hamburg-Mitte“ (gemeint Amtsgericht Hamburg), zumal auch nur das dortige Aktenzeichen angegeben ist. Bei diesem Wortlaut kann die vorliegende Zustellungsvollmacht nicht dahingehend ausgelegt werden, dass sie über den klaren Wortlaut hinaus für das gesamte Verfahren gelten soll. Im Übrigen würden Zweifel über den Umfang zu Lasten des Umfangs der Vollmacht wirken.

b) Ausweislich des Protokolls der nichtöffentlichen Sitzung vor dem Amtsgericht Hamburg am 18. März 2015 in dem damaligen Ermittlungsverfahren mit dem Aktenzeichen 6000 Js 189/15 (Aktenzeichen im Berufungsverfahren 704 Ns 140/16) hat der Verteidiger erklärt, dass sein Mandant ihm Ladungsvollmacht erteilt habe und diese zu den Akten gereicht. Diese lautet wie folgt: „Hiermit erteile ich, E. B. Herrn Rechtsanwalt Dr. B.T., Hamburg, in der Sache 015/1K/0177848/2015 unwiderrufliche Ladungsvollmacht gemäß § 148a Sb. 2 StPO.“ Zeitlich nachfolgend hat er einen Antrag auf Beiordnung gestellt, woraufhin der Haftrichter ihn dem Angeklagten beigeordnet hat.

Durch die Niederlegung des Wahlverteidigermandats ist die Zustellungsvollmacht erloschen. Eine neue Zustellungsvollmacht ist dem dann als Pflichtverteidiger bestellten Verteidiger nicht erteilt worden, mit der Folge, dass keine für die Wirksamkeit der Ladung an den Angeklagten erforderliche Vollmacht im Sinn des § 148a Abs. 2 StPO vorlag.

Insoweit kann dahinstehen, ob – bei der gebotenen restriktiven Auslegung – die Ladungsvollmacht überhaupt für das gesamte Verfahren gelten sollte. Daran bestehen erhebliche Zweifel, da der Umfang der Ladungsvollmacht im Kontext ihrer Erteilung – auf diese Weise sollte möglicherweise der Vollzug des Haftbefehls abgewendet werden – auszulegen ist.

3. Aufgrund der fehlenden wirksamen Ladungen zu den Hauptverhandlungsterminen können die gegen den Angeklagten erlassenen Haftbefehle keinen Bestand haben und waren daher aufzuheben.

4. Insoweit kommt es auf die aufgeworfene Frage, ob der in der Ladung enthaltene Hinweis auf die Folgen des Ausbleibens des Angeklagten, angesichts des mit einer Verhaftung oder einer Vorführung verbundenen erheblichen Eingriffs (so die ganz h. M.: KG Berlin, Beschluss vom 9. Oktober 2020, Az. 4 Ws 80/20; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2010, 49; OLG Dresden StV 2009, 348; KK/Gmel, StPO, 8. Aufl., § 216 Rdn. 5), dem Angeklagten vorliegend in die englische Sprache zu übersetzen war, nicht an.

Allerdings merkt der Senat an, dass die Annahme, der Angeklagte sei der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig, fern liegt. Der Angeklagte lebt seit 20 Jahren in Deutschland. Er war von 2008 bis 2013 mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet. Aus dieser Beziehung sind die 2005 geborenen Zwillinge hervorgegangen. Im Jahr 2012 zog er mit der deutschen Staatsangehörigen C. H. zusammen, mit der er zwei 2013 und 2014 geborene Kinder hat. Zu allen Kindern hat er seit Jahren regelmäßigen, auch telefonischen Kontakt. Weitere Beziehungen zu deutschen Frauen folgten. Die Einschätzung des Senats wird durch den Verteidiger selbst bestärkt, der ausweislich seines Schriftsatzes in einer Bewährungssache vom 19. Juni 2017 die Sprachkenntnisse des Angeklagten als „leichte Sprachbarriere“ bezeichnet.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.


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