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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Schwere der Tat, JGG-Verfahren

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Stendal, Beschl. v. 07.05.2021 - 503 Qs 2/21

Leitsatz: Zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers im JGG-Verfahren.


Landgericht Stendal

Beschluss
503 Qs (221 Js 2522/21) 2/21

In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.

Verteidiger:
wegen Körperverletzung

hat die Strafkammer 3 des Landgerichts Stendal - Jugendkammer als Beschwerdekammer -
durch die unterzeichnenden Richter am 07. Mai 2021 beschlossen:

Auf die sofortige Beschwerde des Beschuldigten wird der Beschluss des Amtsgerichts Stendal vom 07. April 2021 aufgehoben.

Dem Beschuldigten wird Rechtsanwalt pp. als notwendiger Verteidiger beigeordnet.

Die Staatskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten.

Gründe:

I.

Die Staatsanwaltschaft Stendal führt gegen den Beschuldigten u. a. unter dem Az. 221 Js 2522/21 ein Ermittlungsverfahren wegen vorsätzlicher Körperverletzung.

Mit Schreiben vom 29. Oktober 2020 hat der Beschuldigte beantragt, ihm einen Pflichtverteidiger zu bestellen. Diesen Antrag hat er mit Schreiben vom 12. Februar 2021 wiederholt und am 23. Februar 2021 eine gerichtliche Entscheidung beantragt.

Nachdem ihm das Amtsgericht Stendal — Ermittlungsrichter — am 24. März 2021 rechtliches Gehör gewährt hatte, hat es mit Beschluss vom 07. April 2021 den Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung führt es aus, die Voraussetzung des § 140 Abs. 2 StPO seien nicht gegeben. Der Beschluss ist dem Verteidiger am 09. April 2021 zugestellt worden.

Mit Schreiben vom 13. April 2021, beim Amtsgericht Stendal eingegangen am 14. April 2021, hat der Beschuldigte hiergegen sofortige Beschwerde eingelegt. Zur Begründung führt er insbesondere aus, eine Zuständigkeit des Jugendschöffengerichts sei prognostisch zu erwarten, weil insbesondere ein „gesamtstrafenfähiges" Urteil des Amtsgerichts Gardelegen zum Gz. 22 Ls 221 Js 16706/19 (3/20) existiere. Das vorliegende Verfahren könne daher nicht isoliert betrachtet werden.

Das Amtsgericht hat die Akte der Kammer zur Entscheidung vorgelegt. Der von der Kammer eingeholte Bundeszentralregisterauszug vom 30.04.2021 weist acht Eintragungen, davon sechs Einstellungen gemäß der §§ 45, 47 JGG, auf. Mit beigezogenem Urteil vom 26.11.2020, rechtskräftig seit 04.12.2020, hat das Amtsgericht Gardelegen (Gz. 22 Ls 221 Js -16706/19 (3/20), den Beschuldigten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen, gemeinschaftlichen Raubes in einem minder schweren Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmittel in elf Fällen schuldig gesprochen und die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe gern. § 27 JGG zur Bewährung ausgesetzt.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet.

Die gem. § 68 JGG i. V. m. §§ 142 Abs. 7, 304, 311 Abs. 2 StPO fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist erfolgreich, weil ein Fall der notwendigen Verteidigung des Beschuldigten vorliegt. Aufgrund des amtsgerichtlichen Urteils ist derzeit eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine freiheitsentziehende Maßnahme im Sinne des § 68 Nr. 5 JGG sowie auch des § 68 Nr. 1 JGG i. V. m. § 140 Abs. 2 StPO gegeben.

1. Gem. § 68 Nr. 5 JGG ist unter anderem bei der Erwartung der Verhängung einer Jugendstrafe oder der Aussetzung der Verhängung einer Jugendstrafe von Gesetzes wegen ein Fall der notwendigen Verteidigung gegeben.

Zu erwarten ist eine Jugendstrafe, wenn deutlich mehr als ihre bloße Möglichkeit, d. h. mindestens eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Verhängung besteht. Dabei genügt regelmäßig, wenn sie zur Bewährung ausgesetzt, oder die Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung nach den §§ 61 ff. JGG einem nachträglichen Beschluss vorbehalten werden kann (BT-Drs. 19/13837, 59). Aufgrund der gleich belastenden Qualität wird teilweise vertreten, auch die erwartete Entscheidung nach § 27 JGG als einen Fall der notwendigen Verteidigung anzusehen (zust. Kölbel/Eisenberg, JGG, § 68; krit. Heuer u.a., ZJJ 2019, S. 1, 4).
Aufgrund des rechtskräftigen Urteils des Amtsgerichts Gardelegen vom 26.11.2020 besteht im vorliegenden Ermittlungsverfahren in Ansehung des hiesigen Tatvorwurfes und der bisherigen anderweitigen jugendrechtlichen Ahndungen die überwiegende Wahrscheinlichkeit eines Freiheitsentzuges oder die Entscheidung über einen solchen.

2. Daneben ist auch ein Fall der notwendigen Verteidigung über § 68 Nr. 1 JGG i. V. m. § 141 Abs. 2 StPO wegen der „Schwere der Tat" gegeben. Im allgemeinen Strafrecht ist inzwischen anerkannt, dass die „Schwere der Tat" bei einer Straferwartung von einem Jahr auch dann als erreicht gilt, auch wenn dies erst im Wege der Gesamtstrafenbildung erfolgt (vgl. nur OLG Naumburg BeckRS 2013, 10548).

Für das Jugendrecht folgt hieraus insoweit, dass einbeziehungsfähige Urteile bei der Prognose ebenfalls zu berücksichtigen sind (so schon OLG Köln StV 1991, 151). Vorliegend existiert gegen den Beschuldigten ein bereits rechtskräftiges Urteil, in welchem die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt war, weil noch nicht mit Sicherheit beurteilt werden konnte, ob in den Straftaten des Beschuldigten schädliche Neigungen von einem Umfang hervorgetreten sind, dass eine Jugendstrafe erforderlich ist (§ 27 JGG). Dieses gem. § 31 Abs. 2 JGG einbeziehungsfähige Urteil wird bei der Prognose über die Straferwartung im hiesigen Verfahren zu berücksichtigen sein.

Die Kostenentscheidung beruht aufs 467 Abs.1 StPO.


Einsender: RA J.-R. Funck, Braunschweig

Anmerkung:


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