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Entscheidungen

StPO

Besetzungseinwand, Begründungsanforderungen

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 01.03.2021 - 4 Ws 14/21

Leitsatz: 1. Ein Besetzungseinwand nach § 222b StPO erfordert eine geschlossene und vollständige Darstellung der Verfahrenstatsachen; alle einen behaupteten Besetzungsfehler begründenden Tatsachen müssen aus sich heraus so konkret und vollständig innerhalb der Wochenfrist des § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO vorgebracht werden, dass eine abschließende Prüfung durch das nach § 222b Abs. 3 Satz 1 StPO zuständige Rechtsmittelgericht ermöglicht wird. Hierzu zählt auch, dass Umstände, die geeignet sein könnten, die vom Gericht beschlossene Besetzung zu begründen, nicht verschwiegen werden dürfen.
2. Die Wochenfrist des § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO beginnt nicht bei jeder Besetzungsänderung für die gesamte Kammerbesetzung neu zu laufen, sondern nur für die neu hinzugekommene zur Urteilsfindung berufene Person.


KAMMERGERICHT

Beschluss

Geschäftsnummer:
4 Ws 14/21 - 121 AR 29/21

In der Strafsache
gegen pp.

wegen Erwerbs von Schusswaffen zum Verschießen von Patronenmunition u.a.

hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 1. März 2021 beschlossen:

Der Besetzungseinwand des Verteidigers, Rechtsanwalt Hu, wird kostenpflichtig als unzulässig verworfen.

Gründe:

I.

Mit seinem Besetzungseinwand vom 10. Februar 2021 wendet sich der Verteidiger des Angeklagten gegen die Mitteilung der Kammerbesetzung der 17. Großen Strafkammer des Landgerichts Berlin vom 3. Februar 2021. Er rügt, die Kammer sei in der am 4. Februar 2021 begonnenen Hauptverhandlung in unzulässiger Weise lediglich mit zwei Berufsrichtern einschließlich des Vorsitzenden besetzt, denn aufgrund der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage sei in diesem Fall die Besetzung mit drei Berufsrichtern erforderlich. Dem Angeklagten werde mit der Anklageschrift unter anderem zur Last gelegt, in zwei Fällen Teile einer Maschinenpistole veräußert zu haben, wobei die waffenrechtliche Beurteilung der Gegenstände „nicht ganz unproblematisch“ sei, da in der Hauptverhandlung zu klären sei, ob die veräußerten Gegenstände Teile sogenannter Dekorwaffen seien und ob diese unter das Waffengesetz fielen. Insbesondere habe es in der Vergangenheit „zahlreiche Gesetzesänderungen […] über die Unbrauchbarmachung von Teilen für Dekowaffen und weiterhin Regelungen zum Bestandsschutz für ältere Waffenteile“ gegeben. Die seitens der Kammer geplante Vernehmung eines Sachverständigen gebiete die Dreierbesetzung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Rügevorbringens verweist der Senat auf die Akten (Bl. 74 f. Bd. IV).

Das Landgericht hat den Besetzungseinwand mit Beschluss vom 16. Februar 2021, wegen dessen Inhalt ebenfalls auf die Akten verwiesen wird (Bl. 81 f. Bd. IV), für nicht begründet erachtet.

II.

1. Der Besetzungseinwand ist nicht in zulässiger Form erhoben worden.

a) Der Verteidiger ist dazu berechtigt, den Besetzungseinwand im eigenen Namen zu erheben (vgl. Gmel in KK-StPO, 8. Aufl., § 222b Rn. 2), was er vorliegend unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht hat. Der Einwand gegen die Gerichtsbesetzung mit zwei Berufsrichtern einschließlich des Vorsitzenden ist auch (entweder in direkter [BGHSt 44, 361] oder entsprechender [BGHSt 44, 328] Anwendung des § 222b Abs. 1 StPO) statthaft. Der Senat ist auch zu einer Entscheidung berufen, da die – ursprünglich auf drei Tage angesetzte – Hauptverhandlung noch andauert.

b) Allerdings genügt der Einwand in formeller Hinsicht nicht den an ihn nach § 222b Abs. 1 Satz 2 StPO (in der seit dem 13. Dezember 2019 gültigen Fassung vom 10. Dezember 2019) zu stellenden Anforderungen, wonach die Tatsachen, aus denen sich die Vorschriftswidrigkeit der Besetzung ergeben soll, anzugeben sind.

Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. Dezember 2019 hat der Gesetzgeber das Vorabentscheidungsverfahren eingeführt, um frühestmöglich Klarheit über die zutreffende Gerichtsbesetzung zu schaffen (vgl. BT-Drucks. 19/14747, S. 29). Es ersetzt damit die nach altem Recht im Wege der Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 1 StPO mit dem Rechtsmittel der Revision zu erhebende Rüge der ordnungsgemäßen Gerichtsbesetzung. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll das Vorabentscheidungsverfahren im Wesentlichen an das Revisionsverfahren angelehnt sein und die für die alte Rechtslage vorgeschriebenen Form- und Fristvoraussetzungen (vgl. insoweit BGHSt 44, 161) sowie die Begründungsanfor-derungen gemäß § 222b Abs. 2 Satz 2 und 3 StPO – in der bis zum 12. Dezember 2019 geltenden Fassung – erhalten bleiben (vgl. BT-Drucks. aaO).

Entsprechend einer Rüge der Gerichtsbesetzung im Revisionsverfahren gem. § 344 Abs. 2 StPO erfordert die Rüge daher eine geschlossene und vollständige Darstellung der Verfahrenstatsachen; alle einen behaupteten Besetzungsfehler begründenden Tatsachen müssen aus sich heraus – das heißt, ohne Bezugnahmen und Verweisungen auf andere Schriftstücke, insbesondere Anlagen, Aktenbestandteile oder Schriftsätze anderer Verfahrensbeteiligten – so konkret und vollständig innerhalb der Wochenfrist des § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO vorgebracht werden, dass eine abschließende Prüfung durch das nach § 222b Abs. 3 Satz 1 StPO zuständige Rechtsmittelgericht ermöglicht wird (vgl. [zur alten Rechtslage] BGHSt aaO; [zur unveränderten neuen Rechtslage] OLG Celle StraFo 2020, 159; OLG München, Beschluss vom 12. Februar 2020 – 2 Ws 138/20, 2 Ws 139/20 –, juris). Hierzu zählt auch, dass Umstände, die geeignet sein könnten, die vom Gericht beschlossene Besetzung zu begründen, nicht verschwiegen werden dürfen (OLG Celle aaO).

c) Diesen Anforderungen genügt die Besetzungsrüge nicht. Zwar bedurfte es der – von der Generalstaatsanwaltschaft vermissten – umfassenden Darstellung des Gegenstands des Verfahrens in der Rüge nicht, da sich dieser aus der Anklageschrift und dem Eröffnungsbeschluss der Kammer, welche der Senat im Revisionsverfahren und damit auch im Überprüfungsverfahren nach § 222b StPO von Amts wegen zu berücksichtigen hat (vgl. [bezüglich des Revisionsverfahrens] Gericke in KK-StPO, 8. Auflage, § 344 Rn. 39 sowie § 352 Rn. 16 jeweils mwN; [bezüglich § 222b StPO] Schneider, jurisPR-StrafR 10/2020 Anm. 2), ergibt.

Das Rügevorbringen des Verteidigers ermöglicht dem Senat – auch im Zusammenspiel mit der Anklageschrift – gleichwohl keine abschließende Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 GVG, denn weder der Rüge noch der Anklageschrift lässt sich entnehmen, zu welchen Fragen der in der Beweismittelliste der Anklageschrift als sachverständiger Zeuge aufgeführte Dipl.-Ing. Treu vom LKA KTI 31 gehört werden soll; auch teilen weder der Einwand noch die Anklageschrift zumindest die wesentlichen Inhalte des schriftlichen Sachverständigengutachtens mit. Dies wäre zum formgerechten Vortrag beim Besetzungseinwand aber erforderlich, da sich ausweislich des Rügevorbringens aus der Einvernahme des Sachverständigen die behauptete Notwendigkeit der Dreierbesetzung ergeben soll.

Der Einwand genügt den formellen Vorgaben auch deshalb nicht, weil er keine Darstellung aller für die Besetzung relevanten Verfahrensvorgänge (vgl. zu diesem Erfordernis BGH NStZ 2018, 110; OLG München aaO; Gericke aaO, § 344 Rn. 45) enthält. Denn nur so ist es dem Senat möglich, die Rechtzeitigkeit des Einwands prüfen zu können, ebenso den Umfang der (möglichen) Besetzungsrüge, denn die Wochenfrist des § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO beginnt nicht bei jeder Besetzungsänderung für die gesamte Kammerbesetzung neu zu laufen, sondern nur für die neu hinzugekommene zur Urteilsfindung berufene Person (vgl. OLG München aaO; Claus, NStZ 2020, 57). Alles andere würde dem Zweck des Gesetzes zur Modernisierung des Strafverfahrens zuwiderlaufen, welches die Beschleunigung des Strafverfahrens zum Ziel hat und durch das neu eingeführte Vorabentscheidungsverfahren zeitnahe Rechtssicherheit über die ordnungsgemäße Besetzung der Gerichte schaffen will (vgl. BT-Drs aaO, S. 1, 29 ff.). Würde man mit jeder Mitteilung der Änderung der Gerichtsbesetzung erneut die gesamte Kammerbesetzung zur Überprüfung stellen, liefe die beabsichtigte Beschleunigung ins Leere (vgl. OLG München aaO).

Das Rügevorbringen teilt insoweit lediglich mit, dass am 3. Februar 2021 die Mitteilung der Besetzung erfolgt sei, gibt aber bereits den Inhalt der Mitteilung nicht wieder; insbesondere offenbart die Rüge nicht, dass – was der Senat dem Beschluss des Landgerichts Berlin vom 16. Februar 2021 entnimmt – es sich lediglich um eine Änderung einer bereits zuvor erfolgten Besetzungsmitteilung handelte. Der Besetzungseinwand verschweigt insoweit für die Fristberechnung maßgebliche Umstände, namentlich den Inhalt sämtlicher Besetzungsmitteilungen einschließlich deren Zustellungszeitpunkte, denn nach Maßgabe der obigen Grundsätze beginnt die Wochenfrist bezogen auf die Mitteilung der Besetzung mit zwei Berufsrichtern bereits mit förmlicher Zustellung der ersten Besetzungsmitteilung nach § 222a StPO zu laufen. Diese Frist wird auch (wiederum bezogen auf die Besetzung mit zwei bzw. drei Berufsrichtern) nicht dadurch neu in Gang gesetzt, wenn – insbesondere wegen des Wechsels einzelner Gerichtspersonen – nachträglich geänderte Mitteilungen der Besetzung des Gerichts ergehen.

Da die Darstellung der für die Besetzung relevanten Verfahrensvorgänge vorliegend auch nicht ausnahmsweise entbehrlich war, ist die Rüge nicht in der erforderlichen Form angebracht worden und somit bereits unzulässig.

2. Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass der Einwand auch in der Sache nicht durchgreifen könnte. Denn dazu wäre erforderlich, dass die Entscheidung der Strafkammer objektiv willkürlich ist, weil diese den ihr zustehenden Beurteilungsspielraum in unvertretbarer Weise überschritten hat (vgl. BGH NJW 2013, 1318, insoweit in BGHSt 58, 99 nicht abgedruckt; Senat, Beschluss vom 8. Februar 2021 – 4 Ws 10/21 –). Das ist nicht der Fall. Wie sich insbesondere aus dem die Besetzungseinwände zurückweisenden Beschluss der Kammer ergibt, ist diese von zutreffenden Maßstäben bei der Beantwortung der Frage ausgegangen, ob die Hinzuziehung eines dritten Richters notwendig erscheint. Soweit das Rügevorbringen als Beleg für die Notwendigkeit der Dreierbesetzung wegen der Anhörung eines Sachverständigen auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs verweist, merkt der Senat an, dass das vom Bundesgerichtshof in der dortigen Entscheidung angenommene Regel-Ausnahmeverhältnis zu Gunsten der Dreierbesetzung (vgl. BGH NJW 2010, 3045) sich auf eine frühere Fassung des § 76 GVG bezog, während nach der seit dem 1. Januar 2012 geltenden Gesetzessystematik nunmehr die Besetzung der großen Strafkammer mit nur zwei Berufsrichtern die Regel ist, wenn nicht ausnahmsweise eine der in § 76 Abs. 2 Satz 3 Nrn. 1 bis 3 GVG abschließend geregelten Fallgruppen vorliegt. Anhaltspunkte dafür, dass die Kammer den ihr eingeräumten Beurteilungsspielraum bei der Beurteilung des Umfangs und der Schwierigkeit der Sache in unvertretbarer Weise überschritten hat, liegen nicht vor, zumal das Verfahren entgegen dem Rügevorbringen keine rechtlich schwierigen Fragestellungen aufwirft.

3. Die Kostenentscheidung, welche vorliegend zu treffen war (vgl. BT-Drucksache aaO, S. 32; Senat aaO), beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.


Einsender: VorsRiKG R. Fischer, Berlin

Anmerkung:


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