Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm. Beschl. v. 16.03.2021 4 (s) Sbd I - 3/21
Leitsatz: Zur Bindungswirkung einer Verweisung nach § 270 StPO vom Amtsgericht an das Landgericht.
In pp.
Das Landgericht - Jugendkammer - Essen wird als zuständiges Gericht des ersten Rechtszuges bestimmt.
Gründe
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Antragsschrift vom 16.02.2021 Folgendes ausgeführt:
"I.
Wegen des Verfahrensganges wird auf die Anklageschriften der Staatsanwaltschaft Essen vom 04.06.2020 (Bl. 129-130 d.A. 70 Js 485/20), vom 26.06.2020 (Bl. 95-97 d.A. 53 Js 1023/20) und vom 22.09.2020 (Bl. 164-165 d.A. 71 Js 266/20), den Beschluss des Amtsgerichts Bottrop vom 23.11.2020 (Bl. 197-198 d.A. 70 Js 485/20), den Beschluss des Landgerichts Essen vom 17.12.2020 (Bl. 206-211 d.A. 70 Js 485/20) und den Beschluss des Amtsgerichts Bottrop vom 25.01.2021 (Bl. 218-220 d.A. 70 Js 485/20) Bezug genommen.
Mit Verfügung vom 25.01.2021 (Bl. 221 d.A. 70 Js 485/20) hat das Amtsgericht Bottrop die Sache dem hiesigen Oberlandesgericht über die Staatsanwaltschaft Essen zur Bestimmung der Zuständigkeit vorgelegt.
II.
1. Die Vorlage ist in entsprechender Anwendung der §§ 14, 19 StPO zulässig. Zwar betreffen die Vorschriften unmittelbar nur den Kompetenzstreit um die örtliche Zuständigkeit, sie sind aber auch auf andere Fälle des (negativen) Kompetenzstreits anwendbar (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 22. April 2008 - 3 (s) Sbd I 8/08 -, m.w.N., zitiert nach juris). Als gemeinschaftliches oberes Gericht des Amtsgerichts Bottrop und des Landgerichts Essen ist das Oberlandesgericht Hamm zur Entscheidung berufen.
2. Das Landgericht - Jugendkammer - Essen ist für die Verhandlung und Entscheidung der vorliegenden Sache zuständig.
a) Das Landgericht Essen ist aufgrund des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Bottrop nach § 270 StPO zuständig, da die Sache aufgrund des Beschlusses unmittelbar bei ihm rechtshängig geworden ist und es daher an diesen gebunden ist (zu vgl. Senatsbeschluss vom 23.02.2017 - 4 (s) Sbd I - 1/17 m.w.N.).
b) Die Bindungswirkung entfällt nicht bei formeller oder materieller Fehlerhaftigkeit des Verweisungsbeschlusses, sondern erst dann, wenn der Verweisungsbeschluss willkürlich ist, also die Verweisung mit Grundsätzen rechtsstaatlicher Ordnung, insbesondere dem des gesetzlichen Richters, in offensichtlichem Widerspruch steht, d.h., wenn sie widersprüchlich, unverständlich oder offensichtlich unhaltbar ist (zu vgl. BGH, Beschluss vom 19. Februar 2009 - 3 StR 439/08 -, m.w.N., zitiert nach juris). Die Willkür kann insbesondere darin begründet liegen, dass das verweisende Gericht die Bedeutung und Tragweite der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des gesetzlichen Richters grundlegend verkannt hat oder wenn das Gericht die Sache ohne Vernehmung des Angeklagten und Beweisaufnahme - also bei gegenüber dem Eröffnungszeitpunkt unverändertem Tatsachen stand - verweist und es sich nicht um einen Fall der sog. "korrigierenden Verweisung" handelt (zu vgl. Senatsbeschluss vom 23.02.2017 - 4 (s) Sbd I - 1/17 m.w.N.). Ein solcher Verstoß gegen das Willkürverbot liegt bei gerichtlichen Entscheidungen nicht schon dann vor, wenn die Rechtsanwendung Fehler enthält, sondern erst dann, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht (zu vgl. BVerfG Beschl. v. 23.3.2020 - 2 BvR 1615/16, BeckRS 2020, 7407 Rn. 43, beck-online)
c) Die vom Amtsgericht Bottrop ausgesprochene Verweisung kann unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe nicht als willkürlich angesehen werden, da die Umstände, die die Annahme eines versuchten Tötungsdeliktes und damit die Zuständigkeit des Landgerichts nach § 41 Abs. 1 Nr. 1 JGG i.V.m. § 74 Abs. 2 GVG begründen können, von ihm nicht lediglich vermutet werden.
Das Amtsgericht ist nach durchgeführter Beweisaufnahme insbesondere nach der Vernehmung des Geschädigten D zu der Erkenntnis gelangt, dass im Hinblick auf die Gefährlichkeit der Gewaltanwendung - die objektiv durch die eingetretene Schädelfraktur belegt wird - ein mindestens bedingter Tötungsvorsatz anzunehmen ist. Bedingt vorsätzlich handelt, wer den Eintritt des Todes als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Ziels Willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet (Willenselement), mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (zu vgl. BGH, Urteil vom 15.01.2020 - 2 StR 304/19, beck-online; BGH, Beschluss vom 30. Juli 2019 - 2 StR 122/19, juris Rn. 15; Urteil vom 24. April 2019 - 2 StR 377/18, juris Rn. 11; BGH, Urteile vom 27. Juli 2017 - 3 StR 172/17, NStZ 2018, 37; vom 11. Oktober 2016 - 1 StR 248/16, NStZ 2017, 25; vom 14. August 2014 - 4 StR 163/14, NStZ 2015, 266, 267, jew. mwN). Gemessen an diesen Maßstäben, erweist sich die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes nach der begonnenen Beweisaufnahme unter Berücksichtigung des persönlichen Eindrucks des Geschädigten nicht als bloße Vermutung.
Soweit das Amtsgericht zudem aufgrund der Angaben des Zeugen D zu der Erkenntnis gelangt ist, ein strafbefreiender Rücktritt sei aufgrund des Eintreffens der Polizei nicht mehr möglich gewesen, so stellt dies gleichsam eine auf sachfremden Erwägungen beruhende Annahme nicht dar. Verfestigt sich in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht der hinreichende Tatverdacht eines in die Zuständigkeit des Landgerichts fallenden Verbrechens, so ist die Sache an die zuständige Schwurgerichts bzw. Jugendkammer zu verweisen (zu vgl. OLG Oldenburg, Urteil vom 26.02.1996, - Ss 486/95, Beck online)."
Diesen zutreffenden Ausführungen schließt der Senat sich nach eigener Prüfung an.
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