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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, mehrere Verfahren, Gesamtstrafe

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Erfurt, Beschl. v. 27.04.2021 - 7 Qs 89/21

Eigener Leitsatz: Zur Bestellung eines Pflichtverteidigers in den Gesamtstrafenfällen.


Landgericht Erfurt

7 Qs 89/21

Beschluss

In dem Strafverfahren
gegen pp.

Verteidiger:

hier: Beiordnung einer Pflichtverteidigerin

hat die 7. Strafkammer des Landgerichts Erfurt durch
Richterin am Landgericht,
Richterin am Amtsgericht und
Richterin am Landgericht

am 27.04.2021 beschlossen:

1. Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers pp. gegen den Beschluss des Amtsgerichts Arnstadt - Zweigstelle Ilmenau - vom 26.03.2021 wird dieser aufgehoben.
2. Dem Beschwerdeführer wird Rechtsanwältin pp. als Pflichtverteidigerin beigeordnet.
3. Die Kosten des Rechtsmittels sowie die dem Beschwerdeführer entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:

Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Arnstadt - Zweigstelle Ilmenau - vom 30.11.2020, Az.: Cs 650 Js 22231/20, dem Beschwerdeführer zugestellt am 08.12.2020, wurde gegen den Beschwerdeführer wegen vorsätzlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und vorsätzlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in zwei Fällen gemäß § 1 Abs. 1 BtMG i.V.m. Anlage II zum BtMG, §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG, § 1 Abs. 1. i.V.m. Anlage II zum BtMG, §§ 52, 53 StGB, eine Gesamtgeldstrafe in Höhe von 80 Tagessätzen verhängt. Der Tagessatz wurde auf 15,00 Euro festgesetzt; die Gesamtgeldstrafe betrug 1200,00 Euro.

Mit Schriftsatz seiner Verteidigerin, eingegangen bei Gericht am 11.12.2020, legte der Beschwerdeführer Einspruch gegen den o.g. Strafbefehl ein und beantragte, die Beiordnung von Rechtsanwältin Pp. als Pflichtverteidigern.

Das Gericht bestimmte daraufhin Termin zur mündlichen Hauptverhandlung auf den 01.06.2021 und lehnte den Antrag auf Beiordnung einer Pflichtverteidigerin mit Beschluss vom 26.03.2021 mit der Begründung ab, der zugrunde liegende Strafbefehl sehe lediglich eine Gesamtgeldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 15,00 Euro vor. Es sei weder erkennbar, dass eine 1 Jahr übersteigende Freiheitsstrafe zu erwarten sei, noch dass derzeit eine Gesamtstrafe gebildet werden müsse, so dass die Voraussetzungen für eine Beiordnung nicht vorliegen würden.

Der Beschluss wurde der Verteidigerin und dem Beschwerdeführer formlos übersandt.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 06.04.2021, bei Gericht eingegangen, am selben Tag, hat der
Beschwerdeführer sofortige Beschwerde gegen den ablehnenden Beschluss eingelegt.

Als Begründung wird, unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Naumburg (Beschluss vom 22.05.2013, Az.: 2 Ss 65/13 ), vorgetragen, gegen den Beschwerdeführer seien mehrere Verfahren anhängig, u.a. vor dem Landgericht Gera (Az.: 1 KIs 631 Js 32827 ), vor dem Landgericht Erfurt ( Az.: 656 Js 34200/19) und beim Schöffengericht vor dem Amtsgericht Meiningen ( Az.: Ls 491 Js 19229/19 ). In diesen und weiteren gegen den Beschwerdeführer anhängigen Verfahren sei Frau Rechtsanwältin Pp. bereits als Pflichtverteidigerin beigeordnet worden. Die zu erwartenden Strafen seien mit der vorliegenden Strafe aus dem Strafbefehl gesamtstrafenfähig. Die Voraussetzungen einer Beiordnung nach § 140 Abs. 2 StPO seien zudem bereits dann erfüllt, wenn nur wegen einer zu erwartenden Gesamtstrafenbildung die Grenze der Straferwartung erreicht werde. Es komme dabei nicht darauf an, dass im vorliegenden Verfahren lediglich ein Strafbefehl erlassen worden sei, der eine Gesamtgeldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 15,00 Euro vorsehe.

Die sofortige Beschwerde ist statthaft. Gemäß § 142 Abs. 7 Satz 1 StPO sind gerichtliche Entscheidungen über die Bestellung eines Pflichtverteidigers mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar, sodass die Wochenfrist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde nach § 311 Abs. 2 StPO gilt. Da der Beschluss entgegen § 35 Abs. 2 Satz StPO nicht förmlich zugestellt wurde, wurde die Frist des § 311 Abs. 2 StPO nicht in Lauf gesetzt, sodass das am 06.04.2021 eingegangene Rechtsmittel des Beschwerdeführers jedenfalls fristgerecht und damit als zulässig anzusehen ist.

Die sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Zutreffend hat der Beschwerdeführer eingewandt, dass die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO vorliegen. Demnach liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung dann vor, wenn wegen der Schwere der Tat, der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann. Dabei beurteilt sich die Schwere der Tat vor allem nach der zu erwartenden Rechtsfolge. Eine Straferwartung von 1 Jahr Freiheitsstrafe ist in der Regel Anlass zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers (Meyer - Goßner/ Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 140 Abs. 2 StPO ).

Das im vorliegenden Verfahren gegenständliche Delikt des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, rechtfertigt vor dem Hintergrund der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge keine Beiordnung eines Pflichtverteidigers. Allerdings darf das vorliegende Verfahrens nicht isoliert betrachtet werden. Die Grenze für die Straferwartung gilt auch, wenn sie „nur" wegen einer zu erwartenden Gesamtstrafenbildung erreicht wird (OLG Naumburg, Beschluss vom 22.05.2013, Az.: 2 Ss 65/13; OLG Halle, Beschluss vom 23.11.2018, Az.: 10a Qs 132/18; LG Magdeburg, Beschluss vom 30.04.2020, Az.: 25 Qs 802 Js 70719/20; alle veröffentlicht in juris ).

Gegen den Beschwerdeführer sind mehrere Verfahren anhängig, darunter zwei vor großen Straf-kammern der Landgerichte und eines vor dem Schöffengericht (s. unter I. ). In dem vor der großen Strafkammer des Landgerichts Erfurt anhängigen Verfahrens (a.a.O.) wird dem Beschwerdeführer und seinen 6 Mitangeklagten u.a. schwerer Bandendiebstahl in 4 Fällen zur Last gelegt. Allein für den schweren Bandendiebstahl sieht das Gesetz eine Mindestfreiheitsstrafe von 1 Jahr vor, § 244 a Abs. 1 StGB. Der mutmaßliche Tatzeitraum erstreckt sich von September bis Oktober 2019. Ein Hauptverhandlungstermin wurde noch nicht bestimmt. In sämtlichen Parallelverfahren wurde Rechtsanwältin Pp. dem Beschwerdeführer als Pflichtverteidigerin beigeordnet. Es besteht demnach die Erwartung, dass die dem Beschwerdeführer in den Parallelverfahren drohende Strafe mit der in dem vorliegenden Verfahren drohenden Strafe gesamtstrafenfähig ist und deren Summe voraussichtlich eine Höhe erreicht, welche ein Jahr Freiheitsstrafe übersteigt. Dabei kommt es nicht darauf an, dass im vorliegenden Verfahren derzeit keine Gesamtstrafenbildung mit den Strafen aus den Parallelverfahren ansteht, ausreichend ist, wenn diese Möglichkeit nachträglich in Betracht kommt ( OLG Halle, Beschluss vom 23.11.2018 a.a.O.). Es war somit in jedem Verfahren eine Pflichtverteidigerin zu bestellen, anderenfalls hinge es von der bloßen Zufälligkeit ab, ob die Verfahren verbunden werden oder nicht, ob einem Angeklagten ein Verteidiger beizuordnen ist oder nicht ( LG Magdeburg, Beschluss vom 30.04.2020 a.a.O.).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze, war dem Beschwerdeführer Rechtsanwältin Pp. als Pflichtverteidigerin zu bestellen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.


Einsender: RÄin A. Klein, Weimar

Anmerkung:


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