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Entscheidungen

Corona

Aufenthalt, öffentlicher Raum, Mindestabstand, Ansammlungsverbot

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Stuttgart, Beschl. v. 21.04.2021 – 4 Rb 24 Ss 7/21

Leitsatz: 1. Das Infektionsschutzgesetz ermächtigte im März 2020 in verfassungsrechtlich zulässiger Weise die Landesregierung, den Aufenthalt im öffentlichen Raum angesichts der Corona-Pandemie zu beschränken und Verstöße als Ordnungswidrigkeit auszugestalten.
2. Das in § 3 Abs.1 Satz 1 Corona-Verordnung vom 17. März 2020 in der Fassung vom 28. März 2020 geregelte Verbot des gemeinsamen Aufenthalts mit mehr als einer nicht dem eigenen Haushalt angehöriger Person im öffentlichen Raum ist verfassungsgemäß dahin auszulegen, dass ein ordnungswidriges Verhalten nur vorliegt, wenn zusätzlich die in § 3 Abs. 1 Satz 2 Corona-Verordnung festgelegte allgemeine Abstandsregel von 1,5 Metern nicht eingehalten wird.


In pp.

Auf die durch Beschluss vom 26. März 2021 zugelassene Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Schorndorf vom 9. November 2020 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Schorndorf zurückverwiesen.

Gründe

I.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Amtsgericht Schorndorf gegen die Betroffene „wegen des vorsätzlichen Aufenthalts mit mehr als einer weiteren Person, die nicht zu den Angehörigen des eigenen Hausstandes gehört, im öffentlichen Raum trotz eines Aufenthaltsverbots“ eine Geldbuße in Höhe von 140,00 Euro verhängt.

Die Verurteilung ist auf § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG i.V.m. §§ 32, 28 Abs. 1 IfSG und § 9 Nr. 1, § 3 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-Cov-2 (Corona-Verordnung – CoronaVO) vom 17. März 2020 in der Fassung vom 28. März 2020 gestützt.

Hierzu hat das Amtsgericht unter II. seines Urteils folgenden Sachverhalt festgestellt:

„Die Betroffene saß am 07.04.2020 gegen 17:14 Uhr gemeinsam mit S. und R. auf dem Gehweg der L1151, 73614 Schorndorf im Bereich der Bushaltestelle gegenüber Ebersbacher Weg zwischen Schorndorf und Schlichten, wobei zwischen den genannten Personen ein Abstand von weniger als 1,50 m bestand. Die Betroffene wusste und billigte hierbei, dass die Abstände nicht eingehalten wurden.“

In der Beweiswürdigung ist unter III. des amtsgerichtlichen Urteils zu den Abständen der Personen untereinander ausgeführt:

„Das Gericht ist daher davon überzeugt, dass zwischen der Betroffenen und der Zeugin R. sowie zwischen der Zeugin R. und dem Zeugen S. jeweils ein Abstand von weniger als 1,50 m bestanden hat und dass die Betroffene sich dessen bewusst war und dies billigte.“

Im Rahmen der rechtlichen Würdigung unter IV. des amtsgerichtlichen Urteils wird ausgeführt:

„Darauf, ob der Abstand zwischen der innerhalb der Gruppe außen sitzenden Betroffenen und dem auf der anderen Seite der mittigen Zeugin R. sitzenden Zeugen S. eingehalten war, kommt es nach Auffassung des Gerichts nicht an. Denn der Zeuge S. ist nicht als ‚andere Person‘ im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 2 Corona-Verordnung zu werten.“

§ 3 Abs. 1 CoronaVO lautete in der zum Zeitpunkt der Tat maßgeblichen Fassung wie folgt:

Der Aufenthalt im öffentlichen Raum ist nur alleine, mit einer weiteren nicht im Haushalt lebenden Person oder im Kreis der Angehörigen des eigenen Haushalts gestattet. Zu anderen Personen ist im öffentlichen Raum, wo immer möglich, ein Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten.

§ 9 Nr. 1 CoronaVO lautete in der zum Zeitpunkt der Tat maßgeblichen Fassung wie folgt:

Ordnungswidrig im Sinne des § 73 Absatz 1a Nummer 24 des Infektionsschutzgesetzes handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 3 Abs. 1 sich im öffentlichen Raum aufhält.

Mit dem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde rügt die Betroffene die Verletzung materiellen Rechts und macht den Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts geltend. Insbesondere beanstandet sie, die rechtliche Würdigung des Amtsgerichts, den Zeugen S. nicht als „andere Person“ im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 2 CoronaVO zu werten.

Die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart hat beantragt, die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, diese aber als unbegründet zu verwerfen.

Mit Beschluss vom 26. März 2021 hat der zunächst nach § 80a Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 OWiG zur Entscheidung berufene Einzelrichter die Rechtsbeschwerde zugelassen und die Sache, da er die Nachprüfung des angefochtenen Urteils zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung für geboten gehalten hat (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG), nach § 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

II.

Die nach § 79 Abs. 1 Satz 2 OWiG zulässige Rechtsbeschwerde der Betroffenen hat mit der Sachrüge zumindest vorläufig Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Schorndorf.

Entgegen der rechtlichen Würdigung im angefochtenen Urteil ist ein bußgeldbewehrter Aufenthalt im öffentlichen Raum im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 CoronaVO nur anzunehmen, wenn zugleich der in § 3 Abs. 1 Satz 2 CoronaVO genannte Mindestabstand von 1,5 Metern nicht eingehalten wird.

Nachdem hinreichend konkrete und widerspruchsfreie Feststellungen zum Abstand zwischen der Betroffenen und dem gesondert Geahndeten S., der bislang nicht als Zeuge vernommen wurde, nicht getroffen wurden und eine weitere Sachaufklärung nicht ausgeschlossen erscheint, konnte der Senat in der Sache nicht selbst entscheiden.

1. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-Cov-2 (Corona-Verordnung – CoronaVO) vom 17. März 2020 in der Fassung vom 28. März 2020, die am 29. März 2020 in Kraft trat, war der Aufenthalt im öffentlichen Raum nur alleine, mit einer weiteren nicht im Haushalt lebenden Person oder im Kreis der Angehörigen des eigenen Haushalts gestattet. § 3 Abs. 1 Satz 2 CoronaVO bestimmte, dass zu anderen Personen im öffentlichen Raum, wo immer möglich, ein Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten ist.

2. Die in § 3 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 CoronaVO getroffenen Regelungen sind formell und materiell rechtmäßig. Ihrer Anwendbarkeit steht § 4 Abs. 3 OWiG nicht entgegen und sie verstoßen nicht gegen höherrangiges Recht.

a) Die Ermächtigungsgrundlage für die Regelung findet sich in § 73 Abs. 1a Nr. 24, § 32 Satz 1, § 28 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) in der Fassung des Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 (BGBl. I 2020, 587).

Es liegt weder ein Verstoß gegen den aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG folgenden Parlamentsvorbehalt noch ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG vor. Auch gegen das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG wurde nicht verstoßen.

aa) Der Vorbehalt des Gesetzes verlangt im Hinblick auf Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot, dass der Gesetzgeber in grundlegenden normativen Bereichen alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen hat und nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive überlassen darf. Dabei betrifft die Normierungspflicht nicht nur die Frage, ob ein bestimmter Gegenstand überhaupt gesetzlich geregelt sein muss, sondern auch, wie weit diese Regelungen im Einzelnen zu gehen haben (sog. "Wesentlichkeitsdoktrin", BVerfG, Urteil vom 19. August 2018 - 2 BvF 1/15, 2 BvF 2/15, juris Rn. 199 mwN). Inwieweit es einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bedarf, hängt vom jeweiligen Sachbereich und der Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstands ab (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. September 2003 - 2 BvR 1436/02, juris Rn. 67f. mwN).

Auch Gesetze, die zu Rechtsverordnungen und Satzungen ermächtigen, können den Voraussetzungen des Gesetzesvorbehalts genügen, die wesentlichen Entscheidungen müssen aber durch den parlamentarischen Gesetzgeber selbst erfolgen. Das Erfordernis der hinreichenden Bestimmtheit der Ermächtigungsgrundlage bei Delegation einer Entscheidung auf den Verordnungsgeber aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG, wonach Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden müssen, stellt insoweit eine notwendige Ergänzung und Konkretisierung des Gesetzesvorbehalts und des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung dar. Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG führt als eine Ausprägung des allgemeinen Gesetzesvorbehalts den staatlichen Eingriff durch die Exekutive nachvollziehbar auf eine parlamentarische Willensäußerung zurück. Eine Ermächtigung darf daher nicht so unbestimmt sein, dass nicht mehr vorausgesehen werden kann, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz von ihr Gebrauch gemacht werden wird und welchen Inhalt die auf Grund der Ermächtigung erlassenen Verordnungen haben können (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. August 2018 - 2 BvF 1/15, 2 BvF 2/15, Rn. 198 ff. mwN.). Die Ermächtigungsnorm muss in ihrem Wortlaut nicht so genau wie irgend möglich gefasst sein; sie hat von Verfassungs wegen nur hinreichend bestimmt zu sein. Dazu genügt es, dass sich die gesetzlichen Vorgaben mit Hilfe allgemeiner Auslegungsregeln erschließen lassen, insbesondere aus dem Zweck, dem Sinnzusammenhang und der Entstehungsgeschichte der Norm. Welche Anforderungen an das Maß der erforderlichen Bestimmtheit im Einzelnen zu stellen sind, lässt sich daher nicht allgemein festlegen. Zum einen kommt es auf die Intensität der Auswirkungen der Regelung für die Betroffenen an. Je schwerwiegender die grundrechtsrelevanten Auswirkungen für die von einer Rechtsverordnung potentiell Betroffenen sind, desto strengere Anforderungen gelten für das Maß der Bestimmtheit sowie für Inhalt und Zweck der erteilten Ermächtigung. Zum anderen hängen die Anforderungen an Inhalt, Zweck und Ausmaß der gesetzlichen Determinierung von der Eigenart des zu regelnden Sachverhalts ab, insbesondere davon, in welchem Umfang der zu regelnde Sachbereich einer genaueren begrifflichen Umschreibung überhaupt zugänglich ist. Dies kann es auch rechtfertigen, die nähere Ausgestaltung des zu regelnden Sachbereichs dem Verordnungsgeber zu überlassen, der die Regelungen rascher und einfacher auf dem neuesten Stand zu halten vermag als der Gesetzgeber (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. September 2016 - 2 BvL 1/15, juris Rn. 54 ff. mwN).

Dies zugrunde gelegt, ist insbesondere mit § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG eine hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage vorhanden, jegliche Ansammlungen im öffentlichen Raum zu verbieten, um das hohe Risiko der Weiterverbreitung des Coronavirus zu verringern (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30. März 2021 – 2 Rb 34 Ss 1/21, juris Rn. 28; OLG Koblenz, Beschluss vom 8. März 2021 – 3 OWi 6 Ss Rs 395/20; OLG Hamm, Beschluss vom 28. Januar 2021 – III-4 Rbs 446/20, juris Rn. 21; OLG Hamburg, Beschluss vom 17. Februar 2021 – 2 RB 69/20, juris Rn. 31; OLG Oldenburg, Beschluss vom 15. Januar 2021 – 2 Ss (OWi) 68/21, juris; VGH Mannheim, Beschluss vom 23. April 2020 - 1 S 1046/20, juris Rn. 17; OVG Bautzen, Beschluss vom 11. November 2020 – 3 B 357/20, juris Rn. 20; HessVGH, Beschluss vom 7. April 2020 – 8 B 892/20.N, juris Rn. 33; a. A. AG Ludwigsburg, Urteil vom 29. Januar 2021 – 7 OWi 170 Js 112950/20, juris). Denn hierdurch hat der Gesetzgeber ausdrücklich erklärt, dass nach seinem Willen Beschränkungen oder Verbote von Ansammlungen als mögliche Schutzmaßnahmen im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gegenüber der Allgemeinheit in Betracht kommen können. Hierbei dienen die Maßnahmen nach § 28 Abs. 1 IfSG nach dem Willen des Gesetzgebers dem Schutz von bisher nicht kranken und nicht krankheitsverdächtigen Personen und damit gezielt auch präventiven Zwecken (VGH Mannheim, Beschluss vom 9. April 2020 – 1 S 925/20, juris Rn. 31). Daher ermächtigt die Vorschrift nach dem Willen des Gesetzgebers ausdrücklich auch zu Maßnahmen gegenüber Nichtstörern (OLG Hamm, Beschluss vom 8. Februar 2021 – 1 RBs 2, 4-5/21, juris Rn. 36 mwN; VGH Mannheim, Beschluss vom 9. April 2020 – 1 S 925/00, juris Rn. 33; BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 – 3 C 16/11, juris Rn. 26). Eine solche notwendige Schutzmaßnahme im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG stellt das Abstandsgebot nach § 3 Abs. 1 Satz 2 CoronaVO im Hinblick auf die Übertragung des Virus dar (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 23. April 2020 – 1 S 1046/20, juris Rn. 16; OVG Münster, Beschluss vom 19. Mai 2020 – 13 B 557/20.NE, juris Rn. 27).

bb) Nach Art. 103 Abs. 2 GG, der über seinen Wortlaut hinaus nicht nur für Strafgesetze, sondern auch Ordnungswidrigkeiten gilt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. November 1989 - 2 BvR 1491/87, juris Rn. 10 mwN.; Beschluss vom 1. Dezember 1992 - 1 BvR 88/91, juris Rn. 58), kann eine Strafe bzw. Geldbuße nur auf der Grundlage eines förmlichen Gesetzes verhängt werden. Der Gesetzgeber hat folglich selbst die Voraussetzungen der Strafbarkeit zu bestimmen und darf diese Entscheidung nicht den Organen der vollziehenden Gewalt überlassen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. September 2016 - 2 BvL 1/15, juris Rn. 39; Beschluss vom 11. März 2020 - 2 BvL 5/17, juris Rn. 75). Ist der Straftatbestand in einer Verordnung enthalten, müssen somit die Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Art der Strafe für den Bürger schon aufgrund des Gesetzes, nicht erst aufgrund der hierauf gestützten Verordnung voraussehbar sein (BVerfG, Beschluss vom 21. September 2016 - 2 BvL 1/15, juris Rn. 44; Beschluss vom 11. März 2020 - 2 BvL 5/17, juris Rn. 80).

Dabei gilt es jedoch zu berücksichtigen, dass das Gebot der Gesetzesbestimmtheit nach Art. 103 Abs. 2 GG nicht übersteigert werden darf. Vielmehr muss der Gesetzgeber auch im Strafrecht in der Lage bleiben, der Vielgestaltigkeit des Lebens Herr zu werden (Beschluss vom 21. September 2016 - 2 BvL 1/15, juris Rn. 40; Beschluss vom 11. März 2020 - 2 BvL 5/17, juris Rn. 76). Daher schließt das Bestimmtheitsgebot die Verwendung unbestimmter, konkretisierungsbedürftiger Begriffe bis hin zu Generalklauseln nicht aus (BVerfG, Beschluss vom 21. September 2016 - 2 BvL 1/15, juris Rn. 41; Beschluss vom 11. März 2020 - 2 BvL 5/17, juris Rn. 77).

Der Gesetzgeber muss den Tatbestand auch nicht stets vollständig im förmlichen Gesetz umschreiben, sondern darf auf andere Vorschriften verweisen (BVerfG, Beschluss vom 21. September 2016 - 2 BvL 1/15, juris Rn. 42; Beschluss vom 11. März 2020 - 2 BvL 5/17, juris Rn. 78). So ersetzt der Gesetzgeber bei einem sog. Blankettstrafgesetz die Beschreibung des Straftatbestandes durch die Verweisung auf eine Ergänzung im selben Gesetz oder in anderen - auch künftigen - Gesetzen oder Rechtsverordnungen, die nicht notwendig von derselben rechtsetzenden Instanz erlassen werden müssen (BVerfG, Beschluss vom 21. September 2016 - 2 BvL 1/15, juris Rn. 44; Beschluss vom 11. März 2020 - 2 BvL 5/17, juris Rn. 80). Die Verwendung dieser Gesetzgebungstechnik ist verfassungsrechtlich unbedenklich, sofern das Blankettstrafgesetz hinreichend klar erkennen lässt, worauf sich die Verweisung bezieht; hierzu gehört, dass die Blankettstrafnorm die Regelungen, die zu ihrer Ausfüllung in Betracht kommen und die durch sie bewehrt werden, sowie deren möglichen Inhalt und Gegenstand genügend deutlich bezeichnet und abgrenzt (BVerfG, Beschluss vom 21. September 2016 - 2 BvL 1/15, juris Rn. 44; Beschluss vom 11. März 2020 - 2 BvL 5/17, juris Rn. 80). Auch Blankettordnungswidrigkeitsnormen genügen nur dann Art. 103 Abs. 2 GG, wenn die möglichen Fälle der Ordnungswidrigkeit schon aufgrund des Gesetzes vorausgesehen werden können und die Voraussetzungen der Ordnungswidrigkeit sowie Art und Maß der Sanktion im Gesetz selbst hinreichend deutlich umschrieben werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Juni 2007 - 1 BvR 1290/05, juris Rn. 64; Beschluss vom 19. Dezember 1991 - 2 BvR 836/85, juris Rn. 36 ff.; Beschluss vom 25. Oktober 1991 - 2 BvR 374/90 -, juris Rn. 7 f.).

Diesen Vorgaben ist hinsichtlich des in Rede stehenden Verstoßes gegen Aufenthalts- bzw. Kontaktbeschränkungen genügt. Mit der Regelung in § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG hat der Gesetzgeber klargestellt, dass es dem Verordnungsgeber ermöglicht werden soll, in dem durch §§ 28 bis 31 IfSG abgesteckten Rahmen auch die Ahndung von Verstößen als Ordnungswidrigkeit anzuordnen. Dies umfasst im Hinblick auf die in § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 und Satz 2 IfSG getroffenen Regelungen jedenfalls die Sanktionierung von durch den Verordnungsgeber zur Infektionsbekämpfung angeordneten Aufenthaltsbeschränkungen (so auch OLG Hamburg, Beschluss vom 17. Februar 2021 – 2 RB 69/20 – 3 Ss OWi 164/20, juris Rn. 31). Die vom Thüringer Verfassungsgerichtshof (Urteil vom 1. März 2021 – 18/20, juris Rn. 593) ausgesprochene Nichtigkeit einzelner Bußgeldregelungen der dortigen Corona-Verordnung betraf nicht ausdrücklich das Kontaktverbot. Im Hinblick auf das Abstandsgebot überzeugen die Ausführungen nicht, da eine abstrakt-generelle Regelung vom Gesetzgeber sinnvoll gar nicht getroffen werden kann, weil sich das Maß der erforderlichen Beschränkung erst anhand konkret auftretender Infektionskrankheiten und deren Infektionswegen bestimmen lässt und daher nicht von vornherein festgelegt werden kann (vgl. OLG Karlsruhe, aaO, juris Rn. 29).

cc) Das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG ist nicht verletzt. Das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG, welches § 28 Abs. 1 Satz 4 IfSG zu erfüllen sucht, besteht nur, soweit im Sinne des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG ein Grundrecht durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann. Von derartigen Grundrechtseinschränkungen sind andersartige grundrechtsrelevante Regelungen zu unterscheiden, die der Gesetzgeber in Ausführung der ihm obliegenden, im Grundrecht vorgesehenen Regelungsaufträge, Inhaltsbestimmungen oder Schrankenziehungen vornimmt (st. Rspr., vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Mai 1970 - 1 BvR 657/68, juris Rn. 26 ff.). Hierzu zählt auch das hier betroffene Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG (BVerfG, Urteil vom 29. Juli 1959 – 1 BvR 394/58, juris Rn. 41).

b) Die CoronaVO ist formell rechtmäßig zustande kommen und wahrt durch Nennung der Rechtsgrundlage im Eingang der Verordnung das Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG.

c) Die zur Tatzeit geltende Vorschrift ist unbeschadet ihres Außerkrafttretens und ihrer Ersetzung durch andere, für die Betroffene „günstigere“ Vorschriften anzuwenden, da es sich um ein Zeitgesetz im Sinne von § 4 Abs. 4 OWiG handelt.

aa) Auch im Ordnungswidrigkeitsverfahren gilt, dass eine Geldbuße sich nach dem Gesetz bestimmt, das zur Zeit der Handlung gilt (§ 4 Abs. 1 OWiG). Wird dabei das Gesetz, das bei Beendigung der Handlung gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist grundsätzlich das mildeste Gesetz anzuwenden (§ 4 Abs. 3 OWiG: Meistbegünstigungsprinzip). Allerdings sieht § 4 Abs. 4 OWiG eine Ausnahme von dem Meistbegünstigungsprinzip für sogenannte Zeitgesetze vor, bei denen es für die Bußgelddrohung grundsätzlich bei dem Tatzeitprinzip zu verbleiben hat, da anderenfalls bei ausnahmsloser Anwendung des Gebots der Rückwirkung des mildesten Gesetzes diese Zeitgesetze gegen Ende ihrer Geltungsdauer nach und nach die erforderliche Achtung in der dann begründeten Erwartung verlieren, nach Außerkrafttreten des Gesetzes könnten Gesetzesübertretungen nicht mehr geahndet werden (vgl. BGHSt 6, 30, (38); Rogall in Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Aufl., § 4 Rn. 35 mwN). Ein derartiges Zeitgesetz (im engeren Sinne) ist dadurch gekennzeichnet, dass bereits bei seiner Verkündung oder später ein nach dem Kalender festgelegter Zeitpunkt oder ein sonstiges in der Zukunft liegendes Ereignis, an dem das Gesetz außer Kraft treten soll, ausdrücklich bestimmt wird (Rogall, aaO, § 4 Rn. 37). Allerdings verbleibt es auch bei Zeitgesetzen bei der Anwendung von § 4 Abs. 3 OWiG, wenn die Aufhebung oder Milderung einer Sanktionierung nur auf einer Bewertungsänderung im Sinn einer verbesserten Rechtserkenntnis beruht (Rogall, aaO, § 4 Rn. 36).

bb) Hieran gemessen handelt es sich bei § 3 Abs. 1 CoronoVO um ein Zeitgesetz im engeren Sinn. § 3 Abs. 1 CoronaVO sollte nach § 11 Abs. 1 Satz 1 der CoronaVO vom 17. März 2020 am 15. Juni 2020 außer Kraft treten; tatsächlich wurde die Verordnung vom 17. März 2020 gemäß § 10 Abs. 2 der CoronaVO vom 9. Mai 2020 bereits ab 11. Mai 2020 außer Kraft gesetzt. Spätere Änderungen im Hinblick auf die Anzahl der Personen, mit denen ein Aufenthalt im öffentlichen Raum gestattet war, bzw. mit denen – infolge der ab der CoronaVO vom 23. Juni 2020 geänderten Regelungssystematik – Zusammenkünfte auch unter Unterschreitung eines Abstandes von 1,5 Meter gestattet wurden, beruhten jeweils auf veränderten tatsächlichen Verhältnissen, nämlich der Entwicklung des Infektionsgeschehens (vgl. OLG Karlsruhe, aaO, juris Rn. 17; OLG Hamburg, aaO, juris Rn. 22).

d) Die vom Senat selbst zu prüfende Verfassungsmäßigkeit von § 3 Abs. 1 CoronaVO ist gewahrt. An der Einhaltung des Bestimmtheitsgrundsatzes bestehen jedenfalls bei einer Auslegung, wonach der Begriff des Aufenthalts im öffentlichen Raum der Einschränkung durch eine räumliche Komponente bedarf, die durch Rückgriff auf die in § 3 Abs. 1 Satz 2 CoronaVO getroffene allgemeine Abstandsregel von 1,5 Metern bestimmt wird, keine Bedenken.

aa) Über die Verfassungsmäßigkeit der Verordnung hat der Senat selbst zu entscheiden. Das Bundesverfassungsgericht hat nach Art. 100 GG, § 80 BVerfGG ein Verwerfungsmonopol für formelle Gesetze. Für Rechtsverordnungen besteht ein solches Monopol nicht (BVerfGE 75, 166; BVerfGE 48, 40). Die Vorschrift wiederholt nicht den Inhalt eines formellen Gesetzes; die verfassungsrechtliche Bewertung des § 3 Abs. 1 CoronaVO entscheidet nicht zugleich über die Verfassungsmäßigkeit eines unmittelbar maßgeblichen formellen Gesetzes. Der Inhalt des § 3 Abs. 1 CoronaVO wird auch nicht von einer Norm des formellen Rechts vorausgesetzt (zu diesen Ausnahmekriterien vgl. BVerfGE 75, 166). Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht wäre deshalb gemäß Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 BVerfGG unzulässig. Der Senat hat folglich selbst über die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Bußgeldtatbestandes gemäß § 3 Abs. 1, § 9 Ziffer 1 CoronaVO zu entscheiden (vgl. OLG Karlsruhe, aaO, juris Rn. 32; OLG Oldenburg, Beschluss vom 11. Dezember 2020 – 2 Ss (OWi) 286/20, juris Rn. 28; Beschluss vom 09. Juli 2010 – 2 SsRs 220/09, juris Rn. 16; Erbs/Kohlhaas/Häberle/Lutz, Strafrechtliche Nebengesetze Werkstand 233. EL Oktober 2020, § 28 IfSG, Rn. 9).

bb) Die in § 3 Abs. 1 CoronaVO getroffenen Regelungen stellen sich nicht als unverhältnismäßig dar. Sie sind geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinn. Die Ausbreitung des Coronavirus war bereits bei Erlass der Verordnung von der Weltgesundheitsorganisation als Pandemie eingestuft worden. Der Bundestag hat am 25. März 2020 festgestellt, dass wegen der durch das neuartige Coronavirus Sars-CoV-2 verursachten Epidemie eine epidemische Lage von nationaler Tragweite eingetreten ist. Aufgrund der bereits damals bekannten wissenschaftlichen Erkenntnisse kann die exponentiell verlaufende Verbreitung des besonders leicht von Mensch zu Mensch, insbesondere durch Tröpfcheninfektion übertragbaren Virus nur durch eine strikte Minimierung der persönlichen Kontakte zwischen den Menschen eingedämmt werden. Die Regelungen in § 3 Abs. 1 CoronaVO bezwecken, die Verbreitung des Coronavirus durch Unterbrechung der Infektionsketten zu verlangsamen. Daher sind sie im Hinblick auf Geeignetheit und Erforderlichkeit nicht zu beanstanden (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 23. April 2020 - 1 S 1046/20, juris Rn. 19). Die Maßnahmen sind auch verhältnismäßig im engeren Sinn. Es handelt sich weder um eine Ausgangssperre noch um ein völliges Kontaktverbot von Angehörigen verschiedener Haushalte. Zudem betrifft die Regelung nur den Aufenthalt und das Abstandsgebot an öffentlichen Orten. Unter Berücksichtigung der Einschätzungsprärogative des Verordnungsgebers und der grundrechtlichen Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 GG durfte er der Volksgesundheit gegenüber Einschränkungen der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG den Vorrang einräumen (VGH Mannheim, aaO, juris Rn. 20; OLG Koblenz, aaO, juris Rn. 23; OLG Hamburg, aaO, juris Rn. 38, 39; Erbs/Kohlhaas/Häberle/Lutz, aaO, § 28 IfSG, Rn. 12).

cc) Das Amtsgericht hat verkannt, dass der Begriff des „Aufenthalts“ im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 CoronaVO bei verfassungskonformer Auslegung unter Wahrung des Übermaßverbots einer einschränkenden Auslegung dahingehend bedarf, dass ein ordnungswidriges Verhalten nur vorliegt, wenn zusätzlich die in § 3 Abs. 1 Satz 2 CoronaVO festgelegte allgemeine Abstandsregel von 1,5 Metern nicht eingehalten wird.

(1) Der vom Verordnungsgeber verwendete Begriff des Aufenthalts in § 3 Abs. 1 Satz 1 CoronaVO schließt, anders als der in Corona-Verordnungen anderer Bundesländer und der in § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG verwendete Begriff der Ansammlung, unter dem jedes Zusammenkommen einer Mehrzahl von Personen mit einem inneren Bezug oder einer äußeren Verklammerung (OVG Lüneburg, Beschluss vom 11. Juni 2020 – 13 MN 192/20, juris Rn. 34; OLG Hamm, Beschluss vom 28. Januar 2021 – 4 RBs 446/20, juris Rn. 34) zu verstehen ist, eine zufällige gleichzeitige Anwesenheit mehrere Menschen im öffentlichen Raum nicht aus. Denn unter Aufenthalt wird lediglich die zeitlich begrenzte Anwesenheit an einem Ort verstanden (vgl. OLG Karlsruhe, aaO, juris Rn. 34). Soweit die Vorschrift einen Aufenthalt mit einer weiteren nicht im Haushalt lebenden Person gestattet, kann dies sowohl auf eine räumliche Nähe als auch auf eine innere Beziehung der Personen bezogen sein.

Das Verhältnis der beiden Regelungen des Absatzes 1 wird anders als in den ab dem 23. Juni 2020 erlassenen Corona-Verordnungen nicht hinreichend deutlich. Die vom Amtsgericht vertretene Ansicht, dass sich aus der Systematik der Vorschrift ergebe, dass andere Personen im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 2 CoronaVO nur solche sind, die im öffentlichen Raum zufällig aufeinandertreffen (so auch VG Karlsruhe, Beschluss vom 14. April 2020 – 19 K 1816/20, juris Rn. 6) und demgegenüber der Begriff des Aufenthalts eine innere Beziehung der Anwesenden oder einen äußeren Anlass voraussetzt, erscheint zwar möglich, jedoch spricht im Hinblick auf die im selben Absatz genannte Abstandsregel aus Sicht des Senats Überwiegendes für ein räumliches Verständnis des Aufenthalts (vgl. auch OLG Karlsruhe, aaO, juris Rn. 38) und ein Ausnahme-Regel-Verhältnis.

Die Sätze 1 und 2 in § 3 Abs. 1 CoronaVO sind – wie auch die Generalstaatsanwaltschaft ausführt - durch das „Verklammern“ in einem Absatz systematisch direkt aufeinander bezogen und somit in der Zusammenschau auszulegen. Das Wort „andere“ in Satz 2 zeigt, dass insoweit eine Abgrenzung zu „nicht anderen“ Personen erfolgen soll, womit nur die Abgrenzung zu einer in Satz 1 genannten, privilegierten Gruppierung, bei der der Mindestabstand von 1,5 m gerade nicht einzuhalten ist, gemeint sein kann.

Anders als in den weiteren Absätzen des § 3 CoronaVO, in denen von Veranstaltungen, Ansammlungen und Zusammenkünften die Rede ist, verwendet der Verordnungsgeber nur in Absatz 1 den Begriff des Aufenthalts und kombiniert diesen – in der Verordnung vom 17. März 2020 noch in einem Absatz - mit dem allgemeinen Abstandsgebot. In den späteren Regelungen wird in § 2 die allgemeine Abstandsregel als grundsätzliche Regelung formuliert und die Ansammlung (nicht mehr der Aufenthalt) nach § 9 als Ausnahme hiervon geregelt. Soweit der Verordnungsgeber mit der späteren Regelung keine inhaltliche Änderung hat vornehmen wollen, was nicht ersichtlich ist, bedeutet dies für die zur Tatzeit geltende Verordnung, dass Satz 1 des § 3 Abs. 1 CoronaVO als Ausnahme zur grundsätzlichen Regelung in Satz 2 zu verstehen ist.

Für eine Auslegung, die auch auf die räumliche Komponente des Abstandsgebots des § 3 Abs. 1 Satz 2 CoronaVO abstellt, spricht zudem die Fassung von § 9 Nr. 1 CoronaVO, wonach ordnungswidrig handelt, wer sich entgegen § 3 Abs. 1 CoronaVO im öffentlichen Raum aufhält. Eine Differenzierung zwischen den beiden Sätzen des § 3 Abs. 1 CoronaVO ist vom Verordnungsgeber also gerade nicht erfolgt. Erst durch die Corona-Verordnung vom 9. Mai 2020 hat der Verordnungsgeber im dortigen § 9 Abs. 1 Nr. 1 normiert, dass ordnungswidrig handelt, wer sich entgegen § 3 Abs. 1 Satz 1 im öffentlichen Raum aufhält. Hieraus ist aus Sicht des Senats nicht der Schluss zu ziehen, dass dies für die Zeit davor in gleicher Weise zu gelten hat. Vielmehr ist es geboten, um den Anforderungen an die Normklarheit zu genügen, eine Ordnungswidrigkeit nur dann anzunehmen, wenn in der Zusammenschau beider Sätze des Absatzes 1 ein Verstoß vorliegt. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn auch der Mindestabstand nicht eingehalten ist.

Eine Auslegung nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift spricht ebenfalls dafür, dass es entscheidend auch auf die räumliche Entfernung der Personen ankommt (vgl. OLG Karlsruhe, aaO, juris Rn. 36). Denn die in § 3 Abs. 1 Satz 2 CoronaVO angeordnete Abstandsregel beruht auf den bereits bei Erlass der Verordnung bestehenden wissenschaftlichen Erkenntnissen, wonach der Einhaltung eines Abstandes von 1,5 Metern entscheidende Bedeutung zukommt, um eine Übertragung des Virus im Wege der Tröpfcheninfektion zu verhindern.

Es mag zwar denkbar sein, dass - wie die Generalstaatsanwaltschaft ausführt - bei einer anderen Auslegung sich potentielle Ansteckungsrisiken von einer „anderen“ Person auf eine Person, die Teil einer privilegierten Gruppe ist, und von dieser dann auf weitere Personen innerhalb der privilegierten Gruppe noch weitergehend verhindern ließen und dies Sinn und Zweck der Verordnung bzw. Ziel des Verordnungsgebers gewesen sein könnte; allerdings findet dies im Wortlaut schon nicht genügend sicheren Niederschlag und wäre für den rechtsunterworfenen Bürger auch bei gehöriger Gewissensanspannung nicht hinreichend sicher und bestimmt zu erkennen. Eine solche Auslegung entspräche gerade nicht mehr der gebotenen Normenklarheit.

Daher setzt ein bußgeldbewehrter Verstoß gegen § 9 Nr. 1, § 3 Abs. 1 CoronaVO immer auch eine Unterschreitung des Mindestabstandes von 1,5 Metern voraus (ebenso OLG Karlsruhe, aaO, juris Rn. 38; AG Reutlingen, Urteil vom 5. Juli 2020 – 5 OWi 26 Js 13211/20, juris Rn. 10).

(2) Auf dieser Grundlage ist den Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils lediglich zu entnehmen, dass die Betroffene den Abstand zu der Zeugin R., mit der sie sich erlaubter Weise zuvor getroffen hatte, nicht eingehalten hat. Die aufgrund der Aussage des als Zeuge vernommenen Polizeibeamten getroffene Feststellung, dass diese beiden Personen etwa eine Armlänge voneinander entfernt waren, begegnet keinen Bedenken. Insbesondere ist es entgegen den Ausführungen der Betroffenen nicht erforderlich, bei einer Schätzung des Abstandes von Personen einen generellen Sicherheitsabschlag vorzunehmen. Vielmehr kommt es bei den Feststellungen des Abstands zwischen mehreren Personen – wie bei anderen tatsächlichen Fragen – stets auf die Umstände und die Würdigung des Einzelfalls an. Ein in der Rechtsbeschwerde beachtlicher Rechtsfehler liegt nur vor, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr., BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2017 – 2 StR 273/17; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 261, Rn 3 und Rn 39). Auch insoweit gilt, dass die Schlussfolgerungen des Tatrichters nicht zwingend sein müssen, sondern es genügt, dass sie möglich sind (BGH, aaO).

Ob der Abstand der Betroffenen zu dem gesondert Geahndeten S., den die Betroffene und die Zeugin R. zufällig getroffen haben, und mit dem sie gemeinsam auf der Straße sitzend von den kontrollierenden Polizeibeamten angetroffen wurden, weniger als 1,5 Meter betragen hat, lässt sich den Urteilsfeststellungen auch in ihrer Gesamtschau nicht hinreichend sicher entnehmen. Es erscheint, insbesondere vor dem Hintergrund, dass der gesondert Geahndete S. bislang nicht als Zeuge vernommen wurde, nicht ausgeschlossen, dass entsprechende Feststellungen noch getroffen werden können.

Hinsichtlich des Bußgeldrahmens wird darauf hingewiesen, dass sich dieser gemäß § 73 Abs. 2, § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG i.V.m. § 3 Abs. 1, § 9 Nr. 1 CoronaVO auf bis zu 25.000,00 Euro erstreckt.

III.

Aus den dargelegten Gründen ist das angefochtene Urteil auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 353 Abs. 1, Abs. 2 StPO).

Die Sache, die weiterer Feststellungen bedarf, wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Schorndorf zurückverwiesen (§ 79 Abs. 6 OWiG), die auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu befinden haben wird.

Die Entscheidung ergeht durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG.


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