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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, nachträgliche Bestellung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Leipzig, Beschl. v. 25.03.2021 - 8 Qs 26/21

Leitsatz: Haben im Zeitpunkt der Antragstellung die Voraussetzungen für die Bestellung des Rechtsanwalts als Pflichtvorgelegen, kommt auch eine nachträgliche Bestellung in Betracht.


8 Qs 26/21

BESCHLUSS

In dem Strafverfahren
gegen pp.

Verteidiger

wegen Diebstahls
hier: sofortige Beschwerde gegen abgelehnte Pflichtverteidigerbeiordnung

hat die 8. Strafkammer als Beschwerdekammer des Landgerichts Leipzig am 25.03.2021 beschlossen:

1. Auf die sofortige Beschwerde des Beschuldigten vom 29.10.2020 wird der Beschluss des Amtsgerichts Leipzig vom 18.02.2021 zu Ziffer 3. des Tenors (Az.: 221 Cs 753 Js 13947/20) aufgehoben.
2. Dem Beschwerdeführer wird Rechtsanwalt Ali Senol aus Bielefeld für den Zeitraum vom 24.08.2020 bis 14.10.2020 als notwendiger Verteidiger bestellt.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Beschuldigten trägt die Staatskasse.

Gründe

Die Staatsanwaltschaft Leipzig führte unter dem Aktenzeichen: 753 Js 13947/20 gegen den Beschwerdeführer ein Ermittlungsverfahren wegen Diebstahl in zwei Fällen - Tatzeiten: 03.09.2020 gegen 16:10 Uhr und 17:30 Uhr - gemäß §§ 242 Abs. 1, 248a, 25 Abs. 2, 53 StGB.

Der Beschwerdeführer befand sich in anderer Sache in dem Zeitraum vom 20.02.2020 bis 20.05.2020 in Strafhaft und vom 21.05.2020 bis 14.10.2020 in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Detmold.

Nachdem dem Beschwerdeführer der Tatvorwurf in Form eines schriftlichen Anhörungsbogens vom 28.07.2020 in der Justizvollzugsanstalt Detmold eröffnet wurde, zeigte sich mit Schriftsatz vom 24.08.2020 Rechtsanwalt Ali Senol aus Bielefeld als Wahlverteidiger des Beschuldigten an und beantragte seine Beiordnung als Pflichtverteidiger gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO. In diesem Falle lege der Verteidiger das Wahlmandat nieder.

Mit Abschlussverfügung vom 24.11.2020 hat die Staatsanwaltschaft Leipzig das Ermittlungs-verfahren zu Aktenzeichen: 753 Js 13947/20 abgeschlossen und den Erlass eines Strafbefehls wegen Diebstahls in zwei Fällen - Tatzeiten: 03.09.2020 gegen 16:10 Uhr und 17:30 Uhr - gemäß §§ 242 Abs. 1, 248a, 25 Abs. 2, 53 StGB sowie die Pflichtverteidigerbeiordnung gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO beim Amtsgericht Leipzig beantragt.

Das Amtsgericht Leipzig hat den beantragten Strafbefehl am 01.12.2020 erlassen.

Mit Schriftsatz vom 05.12.2020 ließ der Beschwerdeführer über seinen Verteidiger Einspruch gegen den Strafbefehl einlegen und bat um Entscheidung über den Beiordnungsantrag vom 24.08.2020. Darüber hinaus wies der Verteidiger darauf hin, dass der Beschwerdeführer vom Amtsgericht Detmold rechtskräftig zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden sei und sich seit etwa Oktober 2020 nicht mehr in der Justizvollzugsanstalt Detmold aufhalte.

Mit am 05.01.2021 abgefertigter Verfügung fragte das Amtsgericht Leipzig bei der Staatsanwaltschaft Leipzig an, ob im Hinblick auf die Verurteilung durch das Amtsgericht Detmold eine Antragstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO in Betracht komme.

Am 12.02.2021 beantragte die Staatsanwaltschaft Leipzig im Hinblick auf das Urteil des Amts-gerichts Detmold vom 14.10.2020 die Einstellung des Strafverfahrens gemäß § 154 Abs. 2 StPO.

Mit Beschluss vom 18.02.2021 (Az.: 221 Cs 753 Js 13947/20) hat das Amtsgericht Leipzig das Verfahren hinsichtlich des Angeklagten gemäß § 154 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. StPO ein-gestellt (Ziffer 1. des Tenors), die Kosten des Verfahrens der Staatskasse auferlegt sowie da-von abgesehen, die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse aufzuerlegen (Ziffer 2. des Tenors) und das Unterbleiben der Beiordnung von Rechtsanwalt Senol als Pflichtverteidiger beschieden (Ziffer 3. des Tenors). Zur Begründung von Ziffer 3. des Tenors führte der Strafrichter aus, dass eine Beiordnung gemäß § 141 Abs. 2 S. 3 StPO zu unterbleiben habe, weil das Verfahren eingestellt worden sei. Dieser Beschluss wurde dem Verteidiger am 15.03.2021 zugestellt.

Mit am 16.03.2021 beim Amtsgericht Leipzig eingegangenem Schriftsatz legte der Verteidiger Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Leipzig vom 18.02.2021 ein, soweit der Antrag auf Beiordnung als Pflichtverteidiger zurückgewiesen worden sei. Zur Begründung wird auf den Schriftsatz des Verteidigers vom 16.03.2021 (BI. 112-113) Bezug genommen.

Mit Verfügung vom 18.03.2021 hat das Amtsgericht Leipzig die Akte, vermittelt über die Staats-anwaltschaft Leipzig mit Verfügung vom 22.03.2021, der Beschwerdekammer des Landgerichts Leipzig zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde zugeleitet. Die Akte ist am 22.03.2021 beim Landgericht Leipzig eingegangen.

II.

Die gem. § 142 Abs. 7 S. 1 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers ist begründet.

1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig.

a) Zwar hat der nicht beigeordnete Rechtsanwalt kein eigenes Beschwerderecht (Mey-er-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 141 Rn.10). Die „Beschwerde" des Verteidigers ist aber als sofortige Beschwerde im Namen des ehemals Angeklagten auszulegen (OLG Saarbrücken, Beschl. v. 13.01.2009 - 1 Ws 212/08, StraFo 2009, 519; LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 04.05.2020 - JKII Qs 15/20 jug, juris Rn. 16).

b) Der Beschwerdeführer ist durch den Beschluss des Amtsgerichts Leipzig vom 18.02.2021 beschwert, weil ihm - anders als nach der bisherigen Rechtslage, nach der er im Ermittlungsverfahren nur einen entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft anregen konnte (BGH NJW 2015, 3383 ff.) - durch die mit Wirkung zum 13.12.2019 erfolgte Gesetzesänderung nunmehr ein Antragsrecht hinsichtlich der Pflichtverteidigerbestellung zusteht (§ 141 Abs. 1 S. 1 StPO).
Die Beschwer ist auch nicht dadurch entfallen, dass das Strafverfahren mittlerweile nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt ist und die Beiordnung rückwirkend erfolgen muss.

Zwar hat die obergerichtliche Rechtsprechung (anders als ein Großteil der Landgerichte, vgl. Meyer-Goßner/Schmitt a. a. O. § 141 Rn. 8) bisher die Auffassung vertreten, dass eine nachträgliche Bestellung eines Verteidigers nicht möglich ist, weil die Beiordnung nicht im Kosteninteresse des Angeklagten erfolgt, sondern allein dem im öffentlichen Interesse liegenden Zweck dient, in einem noch ausstehenden Verfahren die ordnungsgemäße Verteidigung und einen ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten (BGH, Beschlüsse vom 20.07.2009 - 1 StR 344/08 und 19.12.1996 - 1 StR 76/96; OLG Hamm, Beschl. v. 10.07.2008 4 Ws 181/08) und im Falle einer bestehenden Wahlverteidigung darauf verwiesen, dass der Beschuldigte zuvor tatsächlich durch einen Verteidiger vertreten war (BGH, Beschl. v. 27.04.1989 - 1 StR 627/88). Ob an dieser Auffassung nach Änderung der Rechtslage festgehalten werden kann, ist obergerichtlich streitig (dagegen: OLG Nürnberg, StV 2021, 153; a.A. OLG Braunschweig, Beschluss vom 02.03.2021 — 1 Ws 12/21 —, juris).

Die Kammer schließt sich jedenfalls in der vorliegenden Fallkonstellation, die dadurch gekennzeichnet ist, dass das ausdrücklich statuierte Unverzüglichkeitsgebot des § 141 Abs. 1 S. 1 StPO n. F. missachtet wurde und die Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung zum Zeitpunkt der Antragstellung offensichtlich vorgelegen haben, der Auffassung des OLG Nürnberg an. Denn die Notwendigkeit einer rückwirkenden Bestellung kann sich mit Blick auf den Grundsatz des fairen Verfahrens dann ergeben, wenn über einen Antrag auf Pflichtverteidiger-bestellung aus justizinternen Gründen, die der Beschuldigte nicht zu vertreten hat, nicht recht-zeitig entschieden wurde (vgl. LG Mannheim, a.a.O.; LG Hechingen, Beschl. v. 20.05.2020 - 3 Qs 35/20, juris; LG Wiesbaden, Beschl. v. 04.03.2020 - 1 Qs 8/20, juris; LG Aurich, Beschl. v. 05.05.2020 - 12 Qs 78/20, juris; LG Regensburg, Beschluss vom 30. Dezember 2020 — 5 Qs 188/20 —, juris; LG Frankenthal, Beschluss vom 02. Februar 2021 — 1 Qs 16/21 —, juris; LG Flensburg, Beschluss vom 09. Dezember 2020 — II Qs 43/20 —, juris). Seit der Geltung des § 141 Abs. 1 S. 1 StPO n.F. wird eine der Justiz anzulastende verspätete Entscheidung, die zur Zulässigkeit der nachträglichen Bestellung führen kann, bereits dann vorliegen, wenn über einen Beiordnungsantrag nicht „unverzüglich" entschieden wurde (vgl. LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 04.05.2020 - JKII Qs 15/20 jug, juris; LG Bochum, NStZ-RR 2020, 352). Unverzüglich bedeutet in diesem Zusammenhang allerdings nicht, dass die Pflichtverteidigerbestellung sofort zu erfolgen hat (vgl. BT-Dr. 19/13829, S. 37; LG Bochum a.a.O.: Prüfungs- und Überlegungsfrist von 1-2 Wochen).

Gemessen an diesen Grundsätzen hat die Staatsanwaltschaft Leipzig im vorliegenden Fall durch ihr eingeräumtes Versehen der unterbliebenen Weiterleitung des Beiordnungsantrags vom 24.08.2020, gegen die Pflicht aus § 141 Abs. 1 S. 1 StPO zur Herbeiführung einer unverzüglichen Entscheidung verstoßen. Die Staatsanwaltschaft war gehalten, nach Eingang des Antrags auf Beiordnung die Akten dem Amtsgericht sofort - am gleichen oder nächsten Tag zur Entscheidung vorzulegen. Sie war durch den Antrag auf Beiordnung gehindert, das Ermittlungsverfahren am 24.11.2020 - wohl in Unkenntnis über die geänderte Rechtslage - abzuschließen. Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft hat dem Beiordnungsantrag die Grundlage entzogen und mithin gegen § 141 Abs. 1 S. 1 StPO und insbesondere auch gegen den Grund-satz fairen Verfahrens verstoßen.

2. Die sofortige Beschwerde ist im tenorierten Umfang auch begründet.

a) Nach § 141 Abs. 1 StPO n. F. wird dem Beschuldigten, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist und der noch keinen Verteidiger hat, in den Fällen der notwendigen Verteidigung unverzüglich ein Pflichtverteidiger bestellt, wenn er dies nach Belehrung ausdrücklich beantragt. Diese Voraussetzungen liegen vor.

aa) Ein Fall der notwendigen Verteidigung lag zum Zeitpunkt der Antragstellung am 24.08.2020 gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO vor, da der Beschwerdeführer sich in anderer Sache auf Grund des Haftbefehls des Amtsgerichts Detmold vom 15.05.2020, Gz.: 2 Gs - 918/20 (22 Js 290/20), in dem Zeitraum vom 21.05.2020 bis 14.10.2020 in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Detmold befand.

bb) Mit dem Antrag auf Beiordnung zum Pflichtverteidiger vom 24.08.2020 hat Rechtsanwalt Ali Senol in Aussicht gestellt, das Wahlmandat im Falle der Beiordnung niederzulegen, was dem Fall gleichsteht, dass der Beschuldigte noch keinen Verteidiger hat i. S. v. § 141 Abs. 1 S. 1 StPO (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 2020, § 141 Rn. 4; für § 141 StPO a.F. MüKoStPO/Thomas/Kämpfer, 1. Aufl. 2014, StPO § 141 Rn. 4; für § 141 StPO in der Fassung vom 10.12.2019 BeckOK StPO/Krawczyk, 36. Ed. 1.1.2020, StPO § 141 Rn. 2; LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 04.05.2020 - JKII Qs 15/20 jug, juris Rn. 25).

cc) Ob eine Kenntniserlangung vom Tatvorwurf auf andere Weise als durch Eröffnung des Tat-vorwurfs ausreicht (hierzu BeckOK StPO/Krawczyk, 36. Ed. 1.1.2020, StPO § 141 Rn. 4), kann dahinstehen. Der Eröffnung des Tatvorwurfs steht jedenfalls der - hier gegebene - Fall gleich, dass es zu einer förmlichen Beschuldigtenvernehmung nicht kommt und die Staatsanwaltschaft dem Beschuldigten über seinen Wahlverteidiger Akteneinsicht gewährt. Darüber hinaus wurde dem Beschuldigten der Tatvorwurf in Form eines schriftlichen Anhörungsbogens vom 28.07.2020 in der Justizvollzugsanstalt Detmold eröffnet.

dd) Soweit nach § 141 Abs. 2 S. 3 StPO die Bestellung unterbleiben kann, wenn beabsichtigt ist, das Verfahren alsbald einzustellen und keine anderen Untersuchungshandlungen als die Einholung von Registerauskünften oder die Beiziehung von Urteilen oder Akten vorgenommen werden sollen, bezieht sich die genannte gesetzliche Regelung dem Wortlaut und der systematischen Stellung nach nicht auf den - hier gegebenen - Fall der Antragstellung durch den Beschuldigten nach Abs. 1, sondern nur auf den Fall der Bestellung eines Pflichtverteidigers von Amts wegen nach Abs. 2 S. 1 Nrn. 2 und 3 (vgl. LG Leipzig, Beschl. v. 14.12.2020 - 8 Qs 80/20; LG Dessau-Roßlau, Beschl. v. 27.08.2020 - 3 Qs 121/20, juris Rn. 13; LG Frankenthal, Beschl. v. 16.06.2020 - 7 Qs 114/20, juris Rn. 6; LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 04.05.2020 - JKII Qs 15/20 jug, juris Rn. 27).

Es kommt daher nicht darauf an, dass das Strafverfahren zwischenzeitlich gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist.

b)
Die Kammer bestellt den Wahlverteidiger pp. aus Bielefeld als Pflichtverteidiger für den Zeitraum vom 24.08.2020 bis 14.10.2020. Gründe, die dessen Bestellung gemäß § 142 Abs. 5 Satz 3 StPO n. F. entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich. Mit Schriftsatz vom 24.08.2020 erklärte er bereits, dass die Wahlverteidigung mit der Beiordnung enden solle. Eine über den 14.10.2020 andauernde Beiordnung ist nicht angezeigt, weil insoweit die Voraus-setzung des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO nicht mehr vorgelegen haben (§ 143 Abs. 2 StPO).

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus entsprechender Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.


Einsender: RA A. Senol, 33615 Bielefeld

Anmerkung:


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