Gericht / Entscheidungsdatum: LG Halle, Beschl. v. 25.03.2021 - 3 Qs 32/21
Leitsatz: Haben im Zeitpunkt der Antragstellung alles Voraussetzungen vorgelegen, ist auch eine Bestellung des Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger nach Abschluss des Verfahrens zulässig.
3 Qs 32/21
Beschluss
In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.
wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung u. a.
hat die 3. Große Strafkammer des Landgerichts Halle als Beschwerdekammer durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht, die Richterin am Landgericht und die Richterin am 25. 03. 2021 beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde des Beschuldigten wird der Beschluss des Amtsgerichts Halle (Saale) vom 25. 02. 2021 - Az.: 395 Gs 276 Js 4079/21 (122/21) - aufgehoben.
Dem Beschuldigten wird Rechtsanwalt pp. als notwendiger Verteidiger bestellt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschuldigten fallen der Landeskasse zur Last.
Gründe
I.
Gegen den Beschuldigten wird durch die Staatsanwaltschaft Halle wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen und wegen Bedrohung ermittelt.
Mit Schreiben vom 27. 01. 2021 zeigte der Verteidiger gegenüber der ermittelnden Polizeibehörde die Vertretung des Beschuldigten an und beantragte für den Beschuldigten, als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden.
Daraufhin wurden die Akten von der Polizei an die Staatsanwaltschaft gesandt, die mit Verfügung vom 22. 02. 2021 die Sache dem Amtsgericht Halle (Saale) zur Entscheidung über den Beiordnungsantrag vorlegte und unter Hinweis darauf, dass wegen des fehlenden Tatverdachts das Verfahren voraussichtlich einzustellen sei, beantragte, dem Beiordnungsantrag nicht stattzugeben.
Mit Beschluss vorn 25. 02. 2021 lehnte das Amtsgericht Halle (Saale) - Az.: 395 Gs 276 Js 4079/21 (122/21) - den Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers ab, da die Voraussetzungen des § 140 StPO nicht vorlägen.
Gegen diesen seinem Verteidiger am 09. 03. 2021 zugestellten Beschluss legte der Beschuldigte mit anwaltlichem Schreiben vom 10. 03. 2021, das am selben Tag per Fax beim Amtsgericht einging, sofortige Beschwerde ein. Zur Begründung führte er aus, das Verfahren könne nicht isoliert betrachtet werden. In einem weiteren bei der Staatsanwaltschaft gegen ihn anhängigen Ermittlungsverfahren sei ihm ohne Schwierigkeiten ein Verteidiger bestellt worden. Insoweit drohe die Bildung einer Gesamtstrafe von mehr als einem Jahr. Zudem sei ein Bewährungswiderruf zu erwarten.
II.
Die sofortige Beschwerde des Beschuldigten gegen den Ablehnungsbeschluss des Amtsgerichts Halle (Saale) vom 25. 02. 2021 ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Nach Ansicht der Kammer ist dem Beschuldigten gemäß § 140 Abs. 2 StPO ein Pflichtverteidiger zu bestellen, weil die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge dies gebietet. Dem Beschuldigten werden hier eine versuchte gefährliche Körperverletzung mittels Pfefferspray, eine versuchte gefährliche Körperverletzung mittels eines aus einem Fenster geworfenen Messers und eine Bedrohung, alle begangen am 06. 11. 2020, vorgeworfen. Da er mit Urteil des Amtsgerichts Halle (Saale) vom 22. 11. 2018 u. a. wegen gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt worden war, deren Vollstreckung zunächst für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt worden war, wäre hier nach Ansicht der Kammer im Falle einer Verurteilung wegen der einschlägigen erheblichen Vorstrafe und des Bewährungsversagens eine Gesamtfreiheitsstrafe jedenfalls im Bereich von sechs Monaten bis zu einem Jahr zu erwarten. Zudem wäre im Fall einer Verurteilung auch mit dem Widerruf der Strafaussetzung im Hinblick auf die Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten zu rechnen, da der Beschuldigte innerhalb der Bewährungszeit einschlägige Straftaten begangen hätte. Da im Fall einer Verurteilung damit die Verbüßung von Freiheitsstrafen von insgesamt mehr als zwei Jahren im Raum stünde, gebietet die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge hier die Mitwirkung eines Verteidigers.
Dass das Ermittlungsverfahren möglicherweise wegen fehlenden Tatverdachts einzustellen sein wird, ändert daran nichts. Noch ist eine Einstellung nicht erfolgt und das Verfahren nicht beendet. Die Regelung des § 141 Abs. 2 S. 3 StPO, wonach eine Bestellung unterbleiben kann, wenn beabsichtigt ist, das Verfahren alsbald einzustellen, gilt nur für den Fall der Bestellung ohne Antrag nach § 141 Abs. 2 StPO. Hier ist die Beiordnung jedoch beantragt worden. In der entsprechenden Vorschrift des § 141 Abs. 1 StPO findet sich die Einschränkung, dass bei einer (bloß) beabsichtigten Verfahrenseinstellung von einer Beiordnung abgesehen werden kann, nicht.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.
Einsender: RA J. R. Funck, Braunschweig
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