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Entscheidungen

Corona

Corona-Schutz-VO, Zeitgesetz

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamburg, Beschl. v. 17.02.2021 – 2 RB 69/20

Leitsatz: 1. Ein Zeitgesetz im weiteren Sinne liegt vor, wenn es Regelungen enthält, denen nach ihrem Zweck und erkennbaren Willen des Gesetzgebers, etwa wegen eines dynamischen, nicht voraussehbaren Prozesses, nur vorübergehende Bedeutung und insoweit vorbehaltene Neubewertung zukommen soll.
2. § 33 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 und 2 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 2. April 2020 erweist sich als Zeitgesetz, dessen Änderung durch spätere Verordnungen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus in der Freien und Hansestadt Hamburg für die Ahndung der Zuwiderhandlung des Betroffenen außer Betracht zu bleiben hat, weil diese zeitgesetzlichen Änderungen lediglich auf einer Anpassung an den Verlauf des Infektionsgeschehens beruhen.


In pp.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Hamburg, Abteilung 230, vom 28. September 2020 wird auf seine Kosten mit der Maßgabe verworfen, dass der Betroffene wegen vorsätzlicher Missachtung des Mindestabstands zwischen Personen verurteilt ist.

Gründe

I.

Das Einwohnerzentralamt hat am 12. Mai 2020 gegen den Betroffenen einen Bußgeldbescheid erlassen, mit welchem ihm ein Verstoß gegen Kontaktbeschränkungen aufgrund der Hamburgischen SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung zur Last gelegt worden ist. Gegen den ihm am 14. Mai 2020 zugestellten Bußgeldbescheid hat der Betroffene mit am 22. Mai 2020 eingegangenem Verteidigerschriftsatz Einspruch eingelegt.

Das Amtsgericht Hamburg hat gegen den anwesenden Betroffenen mit Urteil vom 28. September 2020 wegen „vorsätzlicher Nichtbeachtung des Gebots der Kontaktbeschränkung“ eine Geldbuße in Höhe von 150 € festgesetzt und Ratenzahlung bewilligt.

Nach Fertigstellung des Protokolls hat die Vorsitzende am 28. September 2020 die Übersendung der Akten an die Staatsanwaltschaft mit der Anfrage verfügt, ob auf Rechtsmittel verzichtet werde, woraufhin die Staatsanwaltschaft die Akten mit Rechtsmittelverzicht zurückgereicht hat.

Mit Verteidigerschriftsatz vom 5. Oktober 2020, eingegangen bei dem Amtsgericht am selben Tage, hat der Betroffene die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt. Am 19. Oktober 2020 sind die schriftlichen Urteilsgründe zur Akte gelangt. Nach Zustellung des Urteils aufgrund richterlicher Verfügung am 29. Oktober 2020 hat der Betroffene mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 9. November 2020, eingegangen bei der Gemeinsamen Annahmestelle am 10. November 2020, den Zulassungsantrag mit der Verletzung sachlichen Rechts begründet und hierzu ausgeführt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat auf Zulassung der Rechtsbeschwerde und deren Verwerfung angetragen.

Mit Beschluss vom 4. Februar 2021 hat der Senat durch den Einzelrichter die Rechtsbeschwerde zugelassen und die Sache dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

II.

Die zugelassene Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

Die auf die zulässig erhobene Sachrüge veranlasste Nachprüfung des Urteils erbringt keinen tragenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.

1. Dem angefochtenen Urteil fehlt es nicht an Urteilsgründen im Sinne von §§ 46 Abs. 1 OWiG, 267 Abs. 1 und 3 StPO, die eine Überprüfung des angefochtenen Urteils im Rechtsbeschwerdeverfahren ermöglichen.

a) Allerdings ist eine nachträgliche Änderung oder Ergänzung des Urteils auch innerhalb der Urteilsabsetzungsfrist unzulässig, wenn ein schriftliches Urteil bereits aus dem inneren Dienstbereich des Gerichts herausgegeben worden und ein Fall des § 77b OWiG nicht gegeben ist (vgl. Senatsbeschluss vom 11. September 2013, Az.: 2 – 48/13 (RB); 5. Senat für Bußgeldsachen des HansOLG, Beschluss vom 27. Mai 2020, Az.: 9 RB 1/20; BGHSt 58, 243).

Ob eine solche Herausgabe aus dem inneren Dienstbereich des Gerichts vorliegt, richtet sich nach dem erkennbar zum Ausdruck gebrachten Willen des Gerichts, das Urteil allein etwa durch Aufnahme in das Hauptverhandlungsprotokoll zu fertigen. Solange ein Urteil bewusst unvollständig ist, ist es noch nicht Bestandteil der Akten, selbst wenn ein Entwurf dessen einliegen sollte. Der Tatrichter hat sich demgegenüber für die Hinausgabe eines nicht mit Gründen versehenen Urteils entschieden, wenn er richterlich die Übersendung der Akten einschließlich eines ohne Gründe in das Hauptverhandlungsprotokoll aufgenommenen oder dem Hauptverhandlungsprotokoll als Anlage beigefügten Urteils an die Staatsanwaltschaft zur Zustellung gemäß § 41 StPO anordnet und nicht lediglich formlose Übersendung der Akten und des Hauptverhandlungsprotokolls an die Staatsanwaltschaft, etwa zum Zwecke der Erklärung über einen Rechtsmittelverzicht, verfügt (BGH a.a.O.; KG NStZ-RR 2018, 292; KK-OWiG/Senge, 77b Rn. 12; Gassner/Seith/Krumm, § 77b Rn. 3).

b) Nach diesen Maßstäben liegt hier seitens des Tatrichters keine bewusste Herausgabe eines nicht mit Gründen versehenen protokollierten Urteils aus dem inneren Dienstbereich des Gerichts vor. Die richterliche Verfügung vom 28. September 2020 zu Ziffer 1, die Verfügung urschriftlich mit Akten der Staatsanwaltschaft mit der Anfrage zu übersenden, ob auf Rechtsmittel verzichtet werde, nimmt nicht auf § 41 StPO Bezug. Die in Ziffer 2 verfügte Wiedervorlagefrist von „2 Wochen (Urteil)“ ist erkennbar zum Absetzen der schriftlichen Urteilsgründe verfügt worden, eine Bekanntgabe des Urteils durch Zustellung war erkennbar nicht bezweckt.

2. Die – auf rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung beruhenden – Feststellungen zur Sache tragen den Schuldspruch.

a) Das Amtsgericht hat im Wesentlichen festgestellt:

Der Betroffene war am 17. April 2020 um 17:20 Uhr in Hamburg auf dem Mittelweg mit seiner Ehefrau und seinem Kleinkind unterwegs. Auf der Straße begrüßte er bei einem zufälligen Zusammentreffen die Schwester seiner Ehefrau und deren Ehemann durch Berührung des Ellenbogens des anderen mit dem eigenen Ellenbogen, wobei der Betroffene zu den anderen drei erwachsenen Personen einen Mindestabstand von 1,5 m nicht einhielt, obwohl ihm das Abstandsgebot bekannt war und die örtlichen und räumlichen Verhältnisse dessen Beachtung zugelassen hätte. Der Betroffene lebte mit seiner Ehefrau und dem gemeinsamen Kleinkind, nicht aber mit den übrigen Personen in derselben Wohnung. Ein Sorge- oder Umgangsrechtsverhältnis des Betroffenen bestand im Verhältnis des Betroffenen zu letzteren Personen nicht.

c) Die festgestellte Zuwiderhandlung stellte einen Verstoß gegen das Abstandsgebot gemäß § 1 Abs. 1 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 2. April 2020 und damit eine Ordnungswidrigkeit gemäß §§ 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG, 33 Abs. 1 Nr. 1 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO dar. Der Ausnahmetatbestand des § 1 Abs. 2 Sätze 1 und 2 der genannten Verordnung greift nicht ein. Denn § 1 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung vom 2. April 2020 erlaubt nur die Begleitung einer weiteren Person, die nicht in derselben Wohnung lebt. Hier waren es deren zwei.

c) Die zur Tatzeit geltende Vorschrift des § 1 Abs. 1 und 2 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 2. April 2020 ist unbeschadet ihres Außerkrafttretens und ihrer Ersetzung durch andere, für den Betroffenen etwa „günstigere“ Vorschriften, noch anzuwenden.

aa) Auch im Ordnungswidrigkeitsverfahren gilt, dass eine Geldbuße sich nach dem Gesetz bestimmt, das zur Zeit der Handlung gilt (§ 4 Abs. 1 OWiG). Wird dabei das Gesetz, das bei Beendigung der Handlung gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden (§ 4 Abs. 3 OWiG: Meistbegünstigungsprinzip).

Allerdings sieht § 4 Abs. 4 OWiG eine Ausnahme von dem Meistbegünstigungsprinzip für sogenannte Zeitgesetze vor, bei denen es für die Bußgelddrohung grundsätzlich bei dem Tatzeitprinzip zu verbeiben hat, da anderenfalls bei ausnahmsloser Anwendung des Gebots der Rückwirkung des mildesten Gesetzes diese Zeitgesetze gegen Ende ihrer Geltungsdauer nach und nach die erforderliche Achtung in der dann begründeten Erwartung verlieren, nach Außerkrafttreten des Gesetzes könnten Gesetzesübertretungen nicht mehr geahndet werden (vgl. BGHSt 6, 30; KK-OWiG/Rogall, § 4 Rn. 35 m.w.N.).

Ein derartiges Zeitgesetz (im engeren Sinne) ist dadurch gekennzeichnet, dass bereits bei seiner Verkündung oder später ein nach dem Kalender festgelegter Zeitpunkt oder ein sonstiges in der Zukunft liegendes Ereignis, an dem das Gesetz außer Kraft treten soll, ausdrücklich bestimmt wird (KK-OWiG/Rogall, § 4 Rn. 37; Göhler/Gürtler, § 4 Rn. 10).

Demgegenüber kann auch ohne eine solche Bestimmung ein Zeitgesetz (im weiteren Sinne) vorliegen, wenn es Regelungen enthält, denen nach ihrem Zweck und erkennbaren Willen des Gesetzgebers, etwa wegen eines dynamischen, nicht voraussehbaren Prozesses, nur vorübergehende Bedeutung und insoweit vorbehaltene Neubewertung zukommen soll (vgl. BGHSt 6, 30; KK-OWiG/Rogall, § 4 Rn. 37), vgl. BGHSt 6, 30; KK-OWiG/Rogall, § 4 Rn. 35 m.w.N.). Allerdings wird das Meistbegünstigungsprinzip dann wieder eine Bedeutung erlangen, wenn diese Neubewertung nicht ausschließlich auf der Veränderung der in Betracht kommenden Lebensverhältnisse, sondern auf einem Wechsel in der Rechtsanschauung des Gesetzgebers beruht (vgl. RGSt 57, 209; LK/Dannecker/Schuhr, StGB, § 2 Rn. 159; Schönke/Schröder/Hecker, StGB, § 2 Rn. 38; KK-OWiG/Rogall, § 4 Rn. 36): Denn wenn die außergewöhnlichen Verhältnisse nicht mehr in gleicher Weise geregelt werden wie zur Zeit der Einführung des Zeitgesetzes, liegt eine Bewertungsänderung durch den Gesetzgeber vor, mit der zum Ausdruck gebracht wird, dass das Zeitgesetz auch für die Altfälle nicht mehr als die zutreffende Regelung Geltung beanspruchen will (LK/Dannecker/Schuhr, § 2 Rn. 159). Das setzt allerdings voraus, dass das ursprüngliche Zeitgesetz nicht wegen Änderung seiner tatsächlichen Voraussetzungen, sondern deswegen gemildert wird, weil sich der Gesetzgeber zu der ursprünglich schärferen Regelung nicht mehr bekennt (vgl. KK-OWiG/Rogall, § 4 Rn. 37).

bb) Hieran gemessen erweist sich die Vorschrift des § 33 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 und 2 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 2. April 2020 als Zeitgesetz, dessen Änderung durch spätere Verordnungen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus in der Freien und Hansestadt Hamburg für die Ahndung der Zuwiderhandlung des Betroffenen außer Betracht zu bleiben hat, weil diese zeitgesetzlichen Änderungen lediglich auf einer Anpassung an den Verlauf des Infektionsgeschehens beruhen.

(1) § 33 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 2. April 2020 sollte von vornherein gemäß § 34 der Verordnung mit Ablauf des 30. April 2020 außer Kraft treten, § 1 der Verordnung bereits mit Ablauf des 19. April 2020, und ist daher als Zeitgesetz im engeren Sinne zu qualifizieren.

(2) Spätere Lockerungen des kontaktbeschränkenden Abstandsgebots im Sinne einer Ausweitung des Ausnahmetatbestandes für Aufenthalte von Personen, die in derselben Wohnung leben, und Personen, die gemeinsam in einer anderen Wohnung leben, bei einer Höchstzahl von zehn Personen (§ 1 Abs. 2 Nr. 5 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 26. Mai 2020) sowie von Personen, zwischen denen ein bestimmtes familienrechtliches Verhältnis besteht (§ 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 30. Juni 2020) oder allgemein bis zu zehn Personen (§ 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 30. Juni 2020) beruhten ersichtlich auf einem Rückgang der Neuinfektionen im Frühling und Sommer 2020.

(3) Mit der Verordnung vom 7. Januar 2021 (HmbGVBl. Nr. 1/2021, S. 1), der 27. Verordnung zur Änderung der HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 30. Juni 2020, ist der Verordnungsgeber, soweit es das Abstandsgebot bei Zusammenkünften von Angehörigen eines gemeinsamen Haushalts mit Personen eines weiteren Haushalts ohne Sorge- oder Umgangsrechtsverhältnisse betrifft, zu der strengen Regelung wie zur Tatzeit erneut zurückgekehrt.

Dies wurde mit der aktuellen epidemiologischen Lage und Infektionsdynamik begründet, die eine Reduktion persönlicher Kontakte dringend erforderlich mache, um die Gesundheit zu schützen sowie eine Überlastung der Kapazitäten des Gesundheitswesens zu verhindern (HmbGVBl. Nr. 1/2021, S. 3). Der Umstand, dass der Verordnungsgeber zuvor in der Begründung zur 23. Verordnung zur Änderung der HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 30. Juni 2020 (HmbGVBl. Nr. 65/2020, S. 595, 608) trotz kritischer Entwicklung des Infektionsgeschehens in Hamburg zum Schutz der grundrechtlichen Freiheiten von Familie und Wohnung für Haushaltsangehörige und Familienmitglieder sowie zum Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit für Zusammenkünfte mit Angehörigen eines weiteren Haushalts eine weitergehende Ausnahme vom Abstandsgebot geregelt hat, deutet nicht auf eine grundsätzliche Neubewertung der Situation in dem Sinne hin, dass grundrechtlichen Belangen und sozialen Bedürfnissen in jedem Falle vor effektiver Bekämpfung der Pandemie (auch) durch Kontaktbeschränkungen der Vorzug gegeben werden sollte.

Vielmehr handelte der Verordnungsgeber in der Erwartung, das Gesamtkonzept der Neuregelung – welches in anderen Bereichen auch Verschärfungen vorsah, wie etwa Beschränkungen von Zusammenkünften auch in privaten Wohnräumen, die keine Feierlichkeiten darstellen (vgl. § 4a HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 30. Juni 2020 i.d.F. des § 1 Nr. 3 der 23. Änderungsverordnung gegenüber § 2 Abs. 2 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 2. April 2020) und die Maskenpflichten (vgl. § 10a HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 30. Juni 2020 i.d.F. des § 1 Nr. 4 der 23. Änderungsverordnung) – führe zu einer Verringerung der Verbreitungsgeschwindigkeit des Coronavirus (HmbGVBl. Nr. 65/2020, S. 603). Dass die Begründung der Änderungsverordnung nicht allein auf empirische, sondern auch normative Aspekte (geringstmögliche Einschränkung der Ausübung grundrechtlicher Freiheiten) Bezug nimmt, gibt der Änderungsverordnung nicht schon den Charakter einer Milderung des früheren Zeitgesetzes durch späteres Zeitgesetz (vgl. auch Kießling/Lorenz/ Oğlakcıoğlu, IfSG, vor §§ 73 Rn. 22), denn der Verordnungsgeber hielt das Abstandsgebot weiterhin für geeignet und erforderlich, um die Zahl der Neuinfektionen zu begrenzen.

cc) Fehlt es nach alledem an einer relevanten Bewertungsänderung, kann für die Rechtsverordnungen zur Gefahrenabwehr im Rahmen von Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz die Rückwirkung des mildesten Gesetzes nicht in Betracht kommen; dem früheren Normbefehl ist die nachwirkende Autorität nicht zu versagen.

d) Die Regelungen in §§ 1 Abs. 1 und 2, 33 Abs. 1 Nr. 1 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 2. April 2020 in Verbindung mit §§ 28 Abs. 1, 32 Satz 1, 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG genügen dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG und § 3 OWiG.

aa) Die gesetzliche Bestimmung einer Handlung als Ordnungswidrigkeit kann auch durch Rechtsverordnung erfolgen, soweit die Voraussetzungen der Ahndbarkeit und die Art der Sanktion schon im Blankettgesetz hinreichend deutlich umschrieben sind; dem Verordnungsgeber sind dabei jedoch gewisse Spezifizierungen des Bußgeldtatbestandes nachgelassen (KK-OWiG/Rogall, § 3 Rn. 14; BeckOK OWiG/Gerhold, § 3 Rn. 20).

In dieser Hinsicht begegnen §§ 28 Abs. 1, 32 Satz 1, 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG im Hinblick auf ein infektionsschutzrechtliches Abstandsgebot im öffentlichen Raum keinen Bedenken. § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG in der Fassung des Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 verpflichtet die zuständige Behörde, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist, die notwendigen Schutzmaßnahmen zu ergreifen, wozu auch das Verbot und die Beschränkung von Ansammlungen gehören. Mit den – im Hinblick auf die konkrete Coronapandemie – getroffenen Gesetzesänderungen hat der Gesetzgeber eine Grundlage für Kontaktbeschränkungen zur Bekämpfung der Ausbreitung des Coronavirus schaffen wollen (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 19.05.2020, Az.: 13 B 557/20.NE, juris).

Da § 28 Abs. 1 IfSG nur zur Voraussetzung hat, dass Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden, nicht aber die zur Gefahrenabwehr erforderliche Maßnahmen auf einen solchen Adressatenkreis beschränkt, erlaubt die Vorschrift auch Maßnahmen gegenüber Nichtstörern (vgl. OVG Münster, a.a.O.; VG Hamburg, Beschluss vom 11. Mai 2020, Az.: 9 E 1919/20, juris).

bb) Auch §§ 1 Abs. 1 und 2, 33 Abs. 1 Nr. 1 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 2. April 2020 verstoßen nicht gegen das Bestimmtheitsgebot.

Das Gebot der Gesetzesbestimmtheit bedeutet nicht, dass der Gesetzgeber gezwungen wäre, sämtliche Straftatbestände ausschließlich mit rein deskriptiven, exakt erfassbaren Tatbestandsmerkmalen zu umschreiben; gegen die Verwendung von Generalklauseln oder wertausfüllungsbedürftiger Begriffe bestehen jedenfalls dann keine Bedenken, wenn sich mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden, insbesondere durch Heranziehung anderer Vorschriften desselben Gesetzes, durch Berücksichtigung des Normzusammenhangs oder aufgrund einer gefestigten Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der Norm gewinnen lässt, so dass der einzelne die Möglichkeit hat, den durch die Strafnorm geschützten Wert sowie des Verbots bestimmter Verhaltensweisen zu erkennen und die staatliche Reaktion vorauszusehen (BVerfGE 45, 363).

Hieran gemessen erweisen sich weder die tatbestandlichen Voraussetzungen des Abstandsgebots nach § 1 Abs. 1 noch diejenigen der Ausnahmeregelung des § 1 Abs. 2 der HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 2. April 2020 als unbestimmt. Was eine „Person“ ist, versteht sich von selbst. Der Begriff „öffentlicher Ort“ ist der Gegenbegriff zu den in § 2 Abs. 2 der Verordnung erwähnten Wohnungen und anderen nicht-öffentlichen Orten (vgl. VG Hamburg, Beschluss vom 01. April 2020, Az.: 21 E 1509/20, juris). Der Mindestabstand ist beziffert. Das Wort „grundsätzlich“ in § 1 Abs. 1 der Verordnung hat keine eigenständige Bedeutung, sondern soll lediglich betonen, dass es Ausnahmetatbestände gibt, wie die Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Einhaltung des Abstandsgebots aufgrund der örtlichen und räumlichen Verhältnisse sowie die personalen Ausnahmen in § 1 Abs. 2 der Verordnung, die ihrerseits keine besonderen Auslegungsschwierigkeiten bereiten. Dies trägt der Vielgestaltigkeit der Lebensverhältnisse Rechnung.

e) Es bestehen auch im Übrigen keine Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit von §§ 1 Abs. 1 und 2, 33 Abs. 1 Nr. 1 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 2. April 2020.

aa) In formeller Hinsicht wahrte HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 2. April 2020 das Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG durch Angabe des § 32 Sätze 1 und 2 IfSG in der Präambel.

bb) Das Abstandsgebot nach §§ 1 Abs. 1 und 2 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 2. April 2020 stellte sich auch nicht als unverhältnismäßig dar. Es handelte sich weder um eine Ausgangssperre noch um ein völliges Kontaktverbot von Angehörigen verschiedener Haushalte. § 1 Abs. 1 und 2 der Verordnung erlaubten in unbegrenzter Zahl und unbegrenzter Dauer abstandsunterschreitende Kontakte mehrerer Personen eines Haushalts mit jeweils einer haushaltsfremden Person. Zudem betrifft die Vorschrift nur den Aufenthalt und das Abstandsgebot an öffentlichen Orten, nicht aber Besuche zur Kontaktpflege in Wohnungen. Dem besonderen Schutz der Ehe und Familie (Art. 6 GG) wurde durch die Ausnahme für Sorge- und Umgangsrechtsverhältnisse hinreichend Sorge getragen.

Unter Berücksichtigung der Einschätzungsprärogative des Verordnungsgebers in einer relativ frühen Phase des Infektionsgeschehens und der grundrechtlichen Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG durfte der Verordnungsgeber dem Schutzgut der Volksgesundheit gegenüber den an Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG zu messenden Einschränkungen durch das Abstandsgebot den Vorrang einräumen (vgl. VG Hamburg, Beschluss vom 1. April 2020, Az.: 21 E 1509/20, juris; Erbs/Kohlhaas/Häberle/Lutz, IfSG, § 28 Rn. 12).

3. Der Rechtsfolgenausspruch begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken.

Die verhängte Geldbuße von 150 € entspricht der Regelgeldbuße des § 33 Abs. 2 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 2. April 2020 i.V. mit Ziffer I der Anlage.

Abweichungen vom Normalfall zugunsten des Betroffenen weist der Sachverhalt nicht deshalb auf, weil es sich um eine Zusammenkunft zwischen ihm und seiner Ehefrau mit deren Schwester und dem Ehemann deren Schwester handelte. Die Kontaktbeschränkungen zielten gerade auch auf die Beschränkung der Krankheitsübertragung im Familien- und Bekanntenkreis.

Weitergehender Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen als den getroffenen bedurfte es in Anbetracht der deutlich unter 250 € liegenden Geldbuße nicht. Gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 OWiG sind Grundlage für die Zumessung der Geldbuße in erster Linie die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und der Vorwurf, der den Täter trifft. Erst in zweiter Linie kommen gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 OWiG hierfür auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters in Betracht; sie bleiben aber in der Regel unberücksichtigt, wenn die Ordnungswidrigkeit „geringfügig” ist (vgl. Senatsbeschluss vom 19. November 2003, Az.: II-111/03, NZV 2004, 269).

4. Der Senat berichtigt den Schuldspruch entsprechend der Bezeichnung des verwirklichten Tatbestands des § 33 Abs. 1 Nr. 1 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO vom 2. April 2020.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 473 Abs. 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG.


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