Gericht / Entscheidungsdatum: LG Wuppertal, Beschl. v. 12.01.2021 - 24 Qs 10/20
Leitsatz: 1. Die Durchführung einer ED-Behandlung mit Anfertigung von (Nackt-)Lichtbildern stellt einen erheblichen Grundrechtseingriff dar.
2. Da es sich um einen erheblichen Grundrechtseingriff handelt, ist die Beschwerde auch nach Vollzug der Anordnung zulässiges Rechtsmittel, da ein Feststellungsinteresse des Beschwerdeführers besteht.
Landgericht Wuppertal
Beschluss
In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.
in dieser Sache am 09.10.2020 vorläufig festgenommen und aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Wuppertal vom 10.10.2020 (Az.: 1004 Gs 95/20) seit vorgenanntem Tag in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Wuppertal-Vohwinkel
Verteidiger:
wegen Vergewaltigung u.a.
hat die 4. große Strafkammer des Landgerichts Wuppertal als Beschwerdekammer auf die Beschwerde des Angeschuldigten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Wuppertal vom 05.11.2020 (Az.: 84 Gs 84/20) durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, die Richterin am Landgericht und den Richter am 12.01.2021 beschlossen:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass die Anordnung der am 12.11.2020 durchgeführten erkennungsdienstlichen Maßnahmen des Polizeipräsidiums Wuppertal den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe:
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
Die richterliche Bestätigung der vom Beschwerdeführer beanstandeten, zumindest konkludent durch ihre Durchführung am 12.11.2020 seitens der Polizei getroffenen Anordnung gegen ihn gerichteter erkennungsdienstlicher Maßnahmen analog § 98 Abs. 2 S. 2 StPO kann keinen Bestand haben, da die bestätigte Anordnung rechtswidrig war.
Gemäß § 81b StPO dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke eines Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden, soweit es für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens oder für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist.
Zur Durchführung des Strafverfahrens zum Az. 324 Js 991/20 der Staatsanwaltschaft Wuppertal war die beanstandete Anordnung nicht notwendig. Die Notwendigkeit i.S.d. § 81b StPO und ihre Grenzen ergeben sich im Strafverfahren aus der Sachaufklärungspflicht (Meyer-Goßner/Schmitt, 63. Aufl. 2020, § 81b StPO Rn. 12; Löwe-Rosenberg/Krause, StPO, 27. Aufl. 2017, § 81b Rn. 11 m.w.N.), die im Ermittlungsverfahren die Staatsanwaltschaft trifft, § 160 StPO. Maßgeblich ist hiernach, ob die aus der angeordneten erkennungsdienstlichen Maßnahme gewonnenen Erkenntnisse der zu führenden Ermittlungen förderlich sind. Zugleich verweist der Begriff der Notwendigkeit auf den ohnehin bereits aus allgemeinen rechtsstaatlichen Gründen zu beachtenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der verlangt, dass die angeordnete Maßnahme zur Erreichung des angestrebten Zweckes - hier der Förderung des Ermittlungsverfahrens nach o.g. Maßstab geeignet, erforderlich und angemessen ist.
Vorliegend hat die Staatsanwaltschaft den Zweck der Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung des Angeschuldigten darin gesehen, dass hierbei gefertigte Lichtbilder der Auswertung etwaiger Tatvideos" dienen würden, um möglicherweise dort erkennbare Personen damit abgleichen zu können. Insoweit war die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung des Angeschuldigten bereits nicht geeignet, das Ermittlungsverfahren zu fördern. Denn weder im Zeitpunkt ihrer Anordnung und Durchführung (wobei offenbleiben kann, ob dies zeitlich auseinanderfällt), noch ihrer richterlichen Bestätigung war die Existenz vermeintlicher inkriminierender Videos, auf denen der Angeschuldigte zu sehen sein könnte und daher identifiziert werden müsste, geklärt. Hinweise auf derartige Videos ergaben sich ursprünglich (nur) aus einer Aussage der pp. vom 07.10.2020, wonach der Angeschuldigte mitunter Videos von ihr gefertigt habe oder sie zur Fertigung solcher Videos von sich angehalten habe, wobei er zumindest auch sein damaliges Mobiltelefon benutzt habe. Ungeachtet der Frage, inwieweit hiernach vermutet werden durfte, dass auch der Angeschuldigte selbst auf diesen vermeintlichen Videos zu sehen sei, hätte der Verdacht, dass es diese (noch) gebe, zunächst weiterer Aufklärung bedurft. Ohne das Vorliegen solcher Videos lag ein möglicher Nutzen erkennungsdienstlichen Materials wie Lichtbildern zu ldentifizierungszwecken im Unklaren. Daran änderte sich auch im weiteren Verlauf der Ermittlungen bis zur Durchführung der in Rede stehenden Maßnahmen am 12.11.2020 nichts. Vielmehr zeichnete sich nach und nach ab, dass man Videos nicht würde zutage fördern können. So wurden bei einer Wohnungsdurchsuchung vom 23.10.2020 weder ein gesuchtes Tablet noch andere Datenträger gefunden (vgl. BI. 264 d.A.). Die Untersuchung eines Tower-PC-Systems endete am 02.11.2020 ohne positiven Befund; nicht einmal konnte die von der Zeugin erwähnten Webcamnutzung für den untersuchten PC belegt werden. Weitere Ermittlungsansätze ergaben sich ausweislich eines polizeilichen Vermerks vom 10.11.2020 (BI. 288 d.A.) hieraus nicht. Auch war die Wahrscheinlichkeit des erhofften Auffindens inkriminierender Videos nach Aktenlage in keinem Zeitpunkt so hoch, dass es nach Maßgabe der Sachaufklärungspflicht gerechtfertigt war, in der Erwartung des Auffindens gleichsam vorauseilend Ermittlungshandlungen vorzunehmen, die wie die Beschaffung von Bildmaterial zum Abgleich mit etwaigen Videos an sich allenfalls als nächster Schritt in Betracht gekommen wäre.
Jedenfalls war die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung des Angeschuldigten aufgrund vorstehender Erwägungen unangemessen. Obgleich es sich bei erkennungsdienstlichen Maßnahmen oftmals um eher niederschweflige Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung handelt, ist vorliegend zu berücksichtigen, dass es im konkreten Fall wie erst nachträglich aktenkundig gemacht wurde um die Fertigung von Lichtbildern im unbekleideten Zustand ging (Bilder der Nackt-ED-Behandlung", BI. 356 d.A.) ging, was dem Eingriff zumindest einige Erheblichkeit verleiht. Dies steht im konkreten Fall außer Verhältnis zum Gewicht des öffentlichen Strafverfolgungsinteresses. Denn weil - wie dargelegt der Nutzen der Maßnahme zu Identifizierungszwecken ohne das Vorliegen der (vermeintlichen) mit den Bildern abzugleichenden Videos unklar war, bestand die Gefahr, dass sich die erkennungsdienstliche Maßnahme letztlich als überflüssig erweisen würde und damit dem Grundrechtseingriff kein Gewinn für die staatliche Strafverfolgungstätigkeit gegenüberstünde.
Nur ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass überdies erhebliche Bedenken gegen die Erforderlichkeit der in Rede stehenden Anordnung zu identifizierungszwecken bestehen. Dabei kann dahinstehen, ob es zur Vermeidung einer möglichen Retraumatisierung der mutmaßlichen Geschädigten pp. durch den Vorhalt etwaiger Videos gerechtfertigt war, von deren Befragung, ob darauf der Angeschuldigte zu erkennen sei, abzusehen und stattdessen der Nutzung der Ergebnisse einer erkennungsdienstlichen Behandlung des Angeschuldigten den Vorzug zu geben. Denn jedenfalls wäre zur Identifizierung des Angeschuldigten auf Videos auch eine Befragung der weiteren Zeugen und pp., in Betracht gekommen, die aufgrund ihrer familiären Beziehung zum Angeschuldigten ebenfalls hierzu in der Lage gewesen sein dürften und sich auch bislang zur Aussage bereitgefunden hatten.
Auf präventivpolizeiliche erkennungsdienstliche Zwecke außerhalb des Ermittlungsverfahrens zum Az. 324 Js 991/20 der StA Wuppertal (§ 81 b Var. 2 StPO) wurde die Anordnung im zur Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit maßgeblichen Zeitraum, dh.. spätestens bis zu ihrem Vollzug, nicht gestützt. Soweit in einem Vermerk der als Ermittlungsperson der Staatanwaltschaft tätigen Sachbearbeiterin des ermittlungsführenden Kriminalkommissariats vom 20.11.2020 (BI. 356 d.A.) die Möglichkeit einer Nutzung der Ergebnisse der in Rede stehende Maßnahmen für künftige Ermittlungsverfahren angedeutet wird, handelt es sich nur um eine im Vermerk wiedergegebene Absichtserklärung des Landeskriminalamtes NRW, das mit den Ermittlungen gegen den Beschwerdeführer nicht unmittelbar befasst war. Auch ist nicht ansatzweise ersichtlich, dass diese Erwägung bereits vor dem 20.11.2020 einmal im Raume gestanden hätte, sodass sie, da die Maßnahmen am 12.11.2020 durchgeführt wurden, auch aus zeitlichen Gründen nicht Grundlage der Anordnung gewesen sein kann. Die Staatsanwaltschaft hat sich die vorgenannte Erwägung erst nachträglich mit ihrer Verfügung vom 07.12.2020 (BI. 373R d.A.) zu eigen gemacht. Im Übrigen bestand auch für Zwecke i.S.d. § 81b Var. 2 StPO keine Notwendigkeit der in Rede stehenden Anordnung, da der anlässlich des vorliegenden Ermittlungsverfahrens festgestellte Sachverhalt keinen Anlass für die Annahme bietet, dass der Angeschuldigte in den Kreis Verdächtiger einer noch aufzuklärenden anderen strafbaren Handlung mit einbezogen werden könnte.
Nach alledem war der angefochtene Beschluss aufzuheben. Zugleich war gem. § 309 Abs. 2 StPO die Feststellung der Rechtswidrigkeit der beanstandeten Anordnung veranlasst. Denn die Anordnung ist inzwischen vollzogen und der Beschwerdeführer hat ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit, da er einem erheblichen, sich allerdings typischerweise kurzfristig erledigenden Grundrechtseingriff ausgesetzt war und darüber hinaus aus der Feststellung insoweit Nutzen ziehen kann, als dass dadurch zu seinen Gunsten feststeht, dass das in Vollzug der Anordnung gewonnene Material (z.B. Lichtbilder) zu vernichten ist.
Zu einer Aufhebung des weiteren Beschlusses des Amtsgerichts Wuppertal vorn 20.10.2020 (Az. 84 Gs 84/20, BI. 175 d.A.) bestand hingegen keine Veranlassung. Nach dessen Tenor wurde hiermit lediglich die Ausantwortung des Angeschuldigten an das Polizeipräsidiums Wuppertal genehmigt. Diesem Beschluss ist entgegen der zwischenzeitlich von der Staatsanwaltschaft vertretenen Auffassung keine konkludente Entscheidung über die erkennungsdienstliche Behandlung des Angeschuldigten zu entnehmen. Denn abgesehen davon, dass die Staatsanwaltschaft eine richterliche Entscheidung hinsichtlich der erkennungsdienstlichen Behandlung zu diesem Zeitpunkt nicht beantragt hatte und der Beschluss keine Begründung enthält, die auf eine (Inzident-)Prüfung der Voraussetzungen des § 81b StPO hindeutet, hat das Amtsgericht mit dem angefochtenen Beschluss vom 05.11.2020 zu erkennen gegeben, dass es selbst nicht davon ausging, bereits am 20.10.2020 eine die Anordnung bestätigende Entscheidung getroffen zu haben; ansonsten hätte am 05.11.2020 die Feststellung nahegelegen, dass es keiner solchen Entscheidung mehr bedürfe.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO in analoger Anwendung.
Einsender: RA P. Lauterbach, Solingen
Anmerkung:
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