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Entscheidungen

Gebühren

Revisionsverfahren, Verfahrensgebühr, Notwendigkeit von Verteidigertätigkeit, Rücknahme der Revision der Staatsanwaltschaft

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Detmold, Beschl. v. 18.12.2020 - 23 Qs 142/20

Leitsatz: 1. Zur Erstattungsfähigkeit der Gebühren für das Revisionsverfahren, wenn die Staatsanwaltschaft die von ihr eingelegte Revision vor der Begründung zurücknimmt.
2. Mit der Entgegennahme der Revisionsschrift der Staatsanwaltschaft erbringt der Verteidiger die erste Tätigkeit im Rahmen des Revisionsverfahrens; es entsteht damit die Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV RVG.


23 Qs 142/20

Landgericht Detmold

Beschluss

In dem Beschwerdeverfahren
betreffend pp.

Verteidiger:

wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln
(hier: Beschwerde gegen die Versagung der Rechtsanwaltsvergütung für das Revisionsverfahren)

hat die 3. Strafkammer - Beschwerdekammer - des Landgerichts Detmold auf die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Lemgo vom 9. Oktober 2020 durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht, die Richterin am Landgericht und die Richterin am Landgericht am 18. Dezember 2020 beschlossen:

Der Beschluss des Amtsgerichts Lemgo vom 9. Oktober 2020 wird aufgehoben.

Die dem Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger zu erstattenden Gebühren und Auslagen für das Revisionsverfahren werden auf 609,28 € festgesetzt.

Die Entscheidung ergeht gebührenfrei.

Die weitere Beschwerde wird zugelassen.

Gründe:

Am 29. August 2019 wurde der Verurteilte pp. auf dessen Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Lemgo vom 5. April 2019 (Az. 3 Ds 378/18) durch das Landgericht Detmold - zweite kleine Strafkammer - unter Einbeziehung der Entscheidung des Amtsgerichts Lemgo vom 29. Juni 2018 (Az. 36 Js 3260/17-22 Ds AK 481/17) wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in fünf Fällen und wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten, wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in vier Fällen zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Als Pflichtverteidiger wurde er von dem Beschwerdeführer, pp. Evers, vertreten. Durch Bewährungsbeschluss vom gleichen Tage wurde dem Angeklagten unter anderem die Weisung erteilt, die beantragte Therapiemaßnahmen durchzuführen und nicht aus eigenem Antrieb abzubrechen und die Auflage erteilt, nach Durchführung der Therapie 100 Stunden gemeinnützige Arbeit in Absprache mit der Bewährungshilfe abzuleisten.

Gegen das Urteil des Landgerichts Detmold legte die Staatsanwaltschaft am 3. September 2019 Revision ein. Hiervon erhielt der Verteidiger des Verurteilten ausweislich des Empfangsbekenntnisses (BI. 129 d.A.) am 4. Oktober 2019 Mitteilung. Nach Zustellung des schriftlichen Urteils nahm die Staatsanwaltschaft Detmold die Revision ohne vorherige Begründung selbiger am 16. Oktober 2019 zurück. Durch Beschluss des Landgerichts Detmold vom 22. Oktober 2019 (BI. 131 d.A.) wurden die Kosten der Revision sowie die notwendigen Auslagen des Verurteilten der Staatskasse auferlegt. Am 29. November 2019 beantragte der Verteidiger des Verurteilten die Festsetzung seiner Gebühren und Auslagen für die Verteidigung in der Revisionsinstanz in Höhe von insgesamt 609,28 €. (Verfahrensgebühr für Revisionsverfahren, Post- und Tele-kommunikationspauschale und Umsatzsteuer). Für die Einzelheiten der Berechnung wird auf den Antrag des Verteidigers vom 29. November 2019 (BI. 151, 152 d.A.) Bezug genommen. Durch Kostenfestsetzungsbeschluss vom 12. Dezember 2019 erfolgte die Festsetzung des begehrten Betrages.

Am 13. Januar 2020 legte der Bezirksrevisor den Rechtsbehelf der Erinnerung gegen die Kostenfestsetzung vom 12. Dezember 2019 ein und beantragte, die Kostenfest-setzung aufzuheben. Dem Verteidiger stehe keine Vergütung für seine Tätigkeit im Revisionsverfahren gegen die Staatskasse zu, weil diese weder zweckdienlich noch sachgemäß gewesen sei. Da die Staatsanwaltschaft Detmold ihre Revision noch nicht begründet habe, sei es nicht notwendig gewesen, den Verurteilten anwaltlich zu beraten. Vor Zustellung des Urteils und Begründung der Revision bestehe allenfalls ein rein subjektives Beratungsbedürfnis. Eine Beratung sei indes objektiv weder erforderlich noch sinnvoll.

Unter dem 16. März 2020 half das Amtsgericht Lemgo der Erinnerung des Bezirksrevisors ab und hob den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 12. Dezember 2019 ersatzlos auf. Hiergegen legte der Beschwerdeführer am 23. März 2020 „sofortige Beschwerde" ein. Die Beiordnung als Pflichtverteidiger gelte auch für die Revisionsinstanz. Er habe bereits begonnen, die Gegenerklärung zu der zu erwartenden Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft vorzubereiten. Er habe den Verurteilten über das gegnerische Rechtsmittel und den Gang des Revisionsverfahrens informiert und habe eine erste Einschätzung der Erfolgsaussichten abgegeben. Dies sei für den Mandanten auch deshalb von besonderer Bedeutung gewesen, weil seine Strafe in der Berufungsinstanz zur Bewährung ausgesetzt worden sei und er über die Auswirkungen der Revisionseinlegung habe beraten werden müssen. Dies entspreche den Pflichten eines Verteidigers.

Nachdem der „sofortigen Beschwerde" durch das Amtsgericht Lemgo durch Beschluss vom 31. März 2020 nicht abgeholfen wurde, verwarf die zuständige Richterin am Amtsgericht Lemgo die Erinnerung des Beschwerdeführers unter dem 9. Oktober 2020 als unbegründet. Dagegen richtet sich der Beschwerdeführer nunmehr mit seiner Beschwerde vom 19. Oktober 2020.

II.

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 und 4 RVG zulässig und auch in der Sache begründet. Dem Verteidiger steht für seine Tätigkeit im Revisionsverfahren eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4130 VV RVG sowie die Pauschale für Post und Telekommunikation in Höhe von 609,38 EUR brutto gegen die Staatskasse zu.

1. Rechtsgrundlage für die Vergütung des Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger ist gemäß § 48 Abs. 1 RVG die Bestellung durch den Vorsitzenden des Gerichts (§ 141 StPO). Die Bestellung des Pflichtverteidigers endet gemäß § 143 Abs. 1 StPO grundsätzlich mit dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens, wirkt also auch im Revisions-verfahren fort. Der Vergütungsanspruch des Pflichtverteidigers richtet sich unmittelbar gegen die Staatskasse (OLG Düsseldorf Beschluss vom 10. März 2004 — 111-2 Ws 40/05, 2 Ws 40/05 m.w.N.).

2. Die Voraussetzungen für die Geltendmachung der Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV RVG liegen vor. Die hier zur Beurteilung stehende Tätigkeit des Verteidigers war von seiner Pflichtverteidigerbestellung umfasst. Durch die Verfahrensgebühr im Rechtsmittelverfahren werden alle Tätigkeiten des Verteidigers abgegolten, die nicht durch gesonderte Gebühren - wie z.B. Terminsgebühren für einen Hauptverhandlungstermin - erfasst sind. Dabei entsteht die Verfahrensgebühr für das Revisionsverfahren gemäß Nr. 4130 VV RVG bereits mit der ersten Tätigkeit des Rechtsanwalts in der Revisions-instanz (vgl. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe RVG § 1 Rn 103; Gerold/Schmidt/Burhoff VV 4130 Rn 4). Dies entspricht dem in der amtlichen Vorbemerkung 4 Abs. 2 festgelegten Willen des Gesetzgebers, dass die Verfahrensgebühr für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information entstehe.

a) Die vorliegend durch den Verteidiger beschriebenen Tätigkeiten wurden im Rahmen des Revisionsverfahrens erbracht. Denn die Staatsanwaltschaft Detmold hat mit Schriftsatz vom 3. September 2019 (BI. 120 d.A.) Revision gegen das Urteil des Landgerichts Detmold vom 29. August 2019 eingelegt.

Das Revisionsverfahren beginnt mit der Einlegung der Revision gemäß § 341 StPO. Nach dieser Vorschrift muss die Revision binnen einer Woche nach Verkündung des Urteils zu Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich eingereicht werden. Die Revisionseinlegung ist stets vorbehalt- und bedingungslos (Meyer-Goßner/Schmitt StPO § 341 Rn 4 und 5) und löst Gerichtskosten aus (§ 473 StPO). Die rechtzeitige Einlegung einer statthaften Revision hemmt die Rechtskraft des tatrichterlichen Urteils und bewirkt, dass ein nach Erlass des Urteils eintretendes Prozesshindernis zur Einstellung des Verfahrens führt, auch wenn die Revision nicht oder nicht ordnungsgemäß begründet wird (KK-StPO/Gericke, 8. Aufl. 2019, StPO § 341 Rn 23). Aus alledem folgt, dass mit der Einlegung der Revision der Staatsanwaltschaft die Berufungsinstanz beendet war und das Revisionsverfahren begann.

b) Der Beschwerdeführer hat rechtsanwaltliche Tätigkeiten im Rahmen des Revisions-verfahrens erbracht. Ausweislich des Empfangsbekenntnisses (BI. 129 d.A.) wurde dem Verteidiger der Revisionsschriftsatz der Staatsanwaltschaft Detmold am 4. Oktober 2019 zugestellt. Damit hat der Verteidiger die Revisionsschrift der Staatsanwaltschaft entgegengenommen und die erste Tätigkeit im Rahmen des Revisionsverfahrens entfaltet.

Der Beschwerdeführer hat den Verurteilten anlässlich der Revisionseinlegung auch bezogen auf dessen Einzelfall beraten. So hat er ihn nicht nur über die Bedeutung der Revisionseinlegung und den weiteren Verfahrensgang im Allgemeinen, sondern auch konkret über die Folgen der Revision für seine Bewährung aufgeklärt. Dies war für den Verurteilten, dem für seine Bewährung Auflagen und Weisungen aufgegeben worden sind, auch von besonderer Bedeutung. Schließlich hat der Verteidiger auch glaubhaft dargelegt, bereits Vorbereitungen hinsichtlich einer Gegenerklärung zu der zu erwartenden Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft getroffen zu haben.

c) Die dargelegten anwaltlichen Tätigkeiten waren erstattungsfähig. Dabei ist grundsätzlich nicht zu prüfen, inwieweit die gebührenauslösende Tätigkeit zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung unbedingt erforderlich war (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe RVG § 55 Rn 53). Etwas anderes gilt nur, wenn eine Prozesshandlung völlig überflüssig oder bedeutungslos war (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe a.a.O.). Im vorliegenden Fall waren die Tätigkeiten des Beschwerdeführers nicht nur nicht „völlig überflüssig oder bedeutungslos", sondern zur sachgemäßen Verteidigung erforderlich.

Dies gilt zunächst bereits für die Entgegennahme der Revisionseinlegung durch die Staatsanwaltschaft. Denn durch die Revisionseinlegung wurde, wie bereits dargestellt, das Revisionsverfahren in Gang gesetzt und damit der Beratungsbedarf des Verurteilten hinsichtlich der unmittelbaren Folgen der Revisionseinlegung für ihn ausgelöst.

Auch stellt die Revisionseinlegung einen für den Fortgang der Sache wesentlichen Vorgang dar und führt dazu, dass der Verurteilte gemäß § 11 BORA hierüber ohne besondere Aufforderung durch den Verteidiger zu unterrichten ist. Die darauf folgende Beratung hinsichtlich der Wirkung des Revisionsverfahrens auf die Bewährung und die damit verbundenen Weisungen und Auflagen war objektiv notwendig. Für den Verurteilten als juristischem Laien war nicht ohne weiteres ersichtlich, welche Folgen die Revisionseinlegung für die Bewährung und insbesondere die Bewährungsauflagen haben würde. Da diese Beratung erst durch die Einlegung der Revision durch die Staatsanwaltschaft erforderlich wurde, war die Tätigkeit des Verteidigers nicht mehr durch die Gebühren des Berufungsverfahrens gedeckt. Denn ohne die Revisionseinlegung der Staatsanwaltschaft wäre die anwaltliche Tätigkeit des Pflichtverteidigers beendet und der Verurteilte hinsichtlich etwaigen Beratungsbedarfs an seinen Bewährungshelfer zu verweisen gewesen.

Schließlich war die Beratung auch unmittelbar nach Zustellung der Revisionseinlegung und nicht erst mit Eingang der Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft erforderlich. Denn Beratungsgegenstand war insoweit nicht nur die materielle Beurteilung der Erfolgsaussichten der Revision, sondern zumindest auch der Einfluss der Revisionseinlegung auf die dem Verurteilten mit dem Bewährungsbeschluss auferlegten Pflichten.

Zu der Beratung seines Mandanten war der Verteidiger berufsrechtlich vor dem Hintergrund von § 11 Abs. 2 BORA im Übrigen auch verpflichtet. Denn nach dieser Vorschrift sind Anfragen des Mandanten unverzüglich zu beantworten, wovon nur querulatorische oder gänzlich unbedeutende Anfragen ausgenommen sind (Henssler/Prütting BORA § 11 Rn 9). Querulatorisch oder gänzlich unbedeutend war der Beratungsbedarf des Verurteilten vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen indes nicht.

Des Weiteren war auch die durch den Verteidiger behauptete Vorbereitung einer Gegenerklärung zu der erwarteten Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft zur sachgemäßen Verteidigung zweckdienlich. Auch ohne Kenntnis der konkreten Angriffsmittel der Staatsanwaltschaft ist es - wie der Beschwerdeführer glaubhaft dargelegt hat - möglich und im Einzelfall auch sinnvoll, erste Vorbereitungen für das weitere Revisionsverfahren zu treffen. Mit der Rücknahme der Revision durch die Staatanwaltschaft oder der Versäumung der Begründungsfrist mit der Folge der Unzulässigkeit der Revision braucht die Verteidigung entgegen der Ausführungen des Amtsgerichts Lemgo, Beschluss vom 9. Oktober 2020, nicht zu rechnen.

3. Nach Nr. 7002 VV RVG kann der Verteidiger 20 EUR als Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen verlangen. Der Anspruch des Verteidigers auf Ersatz der Umsatzsteuer auf die Vergütung hat seine Grundlage in Nr. 7008 VV RVG.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 56 Abs. 2 RVG.

5. Gegen diesen Beschluss ist wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage die weitere Beschwerde zulässig, § 56 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 33 Abs. 6 RVG.


Einsender: RA H. Evers, Lemgo

Anmerkung:


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