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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, nachträgliche Bestellung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Regensburg, Beschl. v. 30.12.2020 - 5 Qs 188/20

Leitsatz: 1. In Anbetracht der Neuregelung der Rechts der Pflichtverteidigung und der damit verbundenen Stärkung der Rechte des Beschuldigten unter Nominierung eines eigenen Antragsrechts gemäß § 141 Abs. 1 StPO kann es besonderen Umständen zulässig sein, auch rückwirkend einen Pflichtverteidiger zu bestellen.
2. Die Staatsanwaltschaft hat einen Beiordnungsantrag gemäß § 142 Abs. 1 Satz 2 unverzüglich zur Entscheidung vorzulegen. Der Staatsanwaltschaft kommt hierbei kein Ermessensspielraum zu, vielmehr ist sie unverzüglich zur Vorlage verpflichtet. Insbesondere spielt es dabei keine Rolle, ob eine etwaige Stellungnahme des Verteidigers Einfluss auf die Entscheidung der Staatsanwaltschaft hätte.




Landgericht Regensburg

5 Qs 188/20

In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.

Verteidiger:

wegen Bedrohung
erlässt das Landgericht Regensburg - 5. Strafkammer - durch die Richterin am Landgericht, die Richterin am Landgericht und die Richterin am Landgericht am 30. Dezember 2020 folgenden

Beschluss

1. Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers pp. ggegen den Beschluss des Amtsgerichts Regensburg vom 10.12.2020 wird dieser aufgehoben.
2. Dem Beschwerdeführer wird Rechtsanwalt pp. rückwirkend als Pflichtverteidiger bei-geordnet.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Rostock führte gegen den Beschwerdeführer ein Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung und Bedrohung. Das Verfahren wurde mit polizeilicher Abverfügung vom 15.09.2020 (BI. 26) an die Staatsanwaltschaft Rostock abgegeben. Nach Übersendung durch die Staatsanwaltschaft Rostock hat die Staatsanwaltschaft Regensburg mit Verfügung vom 05.10.2020 (BI. 32) das Verfahren übernommen.

Bereits mit Schreiben vom 10.09.2020, adressiert an die Polizeiinspektion Rostock, zeigte der Verteidiger Pp. die anwaltliche Vertretung des zu diesem Zeitpunkt im Bezirksklinikum Regensburg befindlichen Beschwerdeführers an und beantragte Akteneinsicht. Zudem beantragte er mit selbigem Schriftsatz die Beiordnung als Pflichtverteidiger (Blatt 24). Mit weiterem Schriftsatz vom 26.10.2020, adressiert an die Staatsanwaltschaft Regensburg, beantragte er nach erfolgter Akteneinsicht erneut seine Beiordnung als Pflichtverteidiger und teilte mit, mit Beiordnung das Wahlmandat niederzulegen (Blatt 36).

Am 12.11.2020 erfolgte durch die Staatsanwaltschaft Regensburg die Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 1 StPO. Die Einstellung wurde dem Verteidiger mit dem Zusatz „Nachdem das Verfahren eingestellt wurde, wird um kurze Mitteilung gebeten, ob sich hierdurch der Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung erledigt hat." formlos mitgeteilt.

Mit Schriftsatz vom 26.11.2020 teilte der Verteidiger der Staatsanwaltschaft mit, dass er am Antrag auf Beiordnung festhalte und bat um rückwirkende Verbescheidung (Blatt 39).
Das Amtsgericht Regensburg hat mit Beschluss vom 10.12.2020 den Antrag auf Beiordnung abgelehnt (Blatt 41/42). Zur Begründung führte das Amtsgericht Regensburg an, dass ein Fall der notwendigen Verteidigung nicht vorläge, wobei auf die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO Bezug genommen wurde. Von der Verfolgung sei frühzeitig nach § 154 Abs. 1 StPO abgesehen worden. Eine Mitwirkung des Rechtsanwalts habe sich nicht auf die getroffene Entscheidung aus-gewirkt. Der Beschluss wurde dem Verteidiger am 14.12.2020 zugestellt.

Hiergegen erhob der Beschwerdeführer durch seinen Verteidiger mit Schriftsatz vom 18.12.2020 (BI. 45/46), eingegangen per beA am selben Tag, sofortige Beschwerde und führte im Wesentlichen aus, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung die Voraussetzungen einer Beiordnung vorgelegen hätten. Aufgrund der neuen Vorwürfe sei die Therapie des Beschuldigten gefährdet gewesen, so dass insoweit umfangreiche Gespräche notwendig waren.

Mit Beschluss vom 21.12.2020 (BI. 48) hat das Amtsgericht Regensburg unter Bezugnahme auf § 311 Abs. 3 StPO der Beschwerde nicht abgeholfen. Mit Verfügung vom 23.12.2020 (BI. 50/51) hat die Staatsanwaltschaft Regensburg beantragt, die sofortige Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet zu verwerfen.

1. Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers ist zulässig und erweist sich in der Sache als begründet.

a) Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 142 Abs. 7 Satz 1 StPO gegen gerichtliche Entscheidungen über die Bestellung eines Pflichtverteidigers, mithin auch gegen deren Ablehnung, der statthafte Rechtsbehelf. Die Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO wurde gewahrt, da die Zustellung am 14.12.2020 erfolgte und die sofortige Beschwerde am 18.12.2020 eingegangen ist.

b) Der Beschwerdeführer ist auch weiterhin durch die Entscheidung des Amtsgerichts Regensburg beschwert. Anders als nach der bisherigen Rechtslage, nach der durch den Verteidiger im Ermittlungsverfahren nur ein entsprechender Antrag der Staatsanwaltschaft auf Pflichtverteidiger-bestellung angeregt werden konnte, steht dem Beschuldigten mit der erfolgten Gesetzesänderung vom 10.12.2019 nunmehr gemäß § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO ein eigenes Antragsrecht zu. Von diesem Antragsrecht hat der Beschwerdeführer durch seinen Verteidiger mit Schriftsatz vom 10.09.2020 Gebrauch gemacht.

Vorliegend ist die Beschwer des Beschwerdeführers nicht dadurch entfallen, dass das Ermittlungsverfahren nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellt wurde und eine Beiordnung daher rückwirkend erfolgen muss (LG Nürnberg-Fürth, Beschluss von 04.05.2020, JKII Qs 15/20). Zwar gilt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass eine rückwirkende Pflichtverteidigerbestellung nach Verfahrensabschluss grundsätzlich unzulässig ist, da die Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht dem Kosteninteresse des Beschuldigten oder seines Verteidigers dient, sondern allein dem Zweck, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass ein Beschuldigter in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhält (BGH NStZ-RR 2009,348; OLG Stuttgart, Beschluss vom 25.02.2015 - 1 Ars 1/15).

Allerdings erachtet die Kammer es, in Anbetracht der erfolgten Gesetzesänderung und der damit verbundenen Stärkung der Rechte des Beschuldigten unter Nominierung eines eigenen Antragsrechts gemäß § 141 Abs. 1 StPO, unter den hier gegebenen besonderen Umständen für zulässig, auch rückwirkend einen Pflichtverteidiger zu bestellen. Der Beschwerdeführer ist daher weiterhin durch die ablehnende Entscheidung des Amtsgerichts Regensburg trotz Einstellung des Verfahrens beschwert.

2. Die Beschwerde ist auch in der Sache begründet. Der Beiordnungsantrag wurde zu Unrecht abgelehnt. Die Kammer hält aufgrund des Umstandes, dass der Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde, die Voraussetzung für eine Beiordnung gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO zum damaligen Zeitpunkt vorlagen und die Entscheidung allein aufgrund justizinterner Vorgänge unterblieben ist, auf die der Beschwerdeführer keinen Einfluss hatte, eine rückwirkende Beiordnung ausnahmsweise für zulässig (so auch zur neuen Rechtslage LG Aurich, Beschluss vom 05.05.2020 - 12 Qs 78/20; LG Hechingen, Beschluss vom 20.05.2020 - 3 Qs 35/20; LG Magdeburg, Beschluss vom 20.02.2020 29 Qs 2/20; LG Nürnberg-Fürth, a.a.O.).

a) Zum Zeitpunkt der Antragstellung am 10.09.2020 lag ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO vor. Der Beschwerdeführer befand sich zu diesem Zeitpunkt im Rahmen der Vollstreckung der Verurteilung des Amtsgerichts Amberg vom 11.05.2020 in der Unterbringung nach § 64 StGB im Bezirksklinikum Regensburg, sodass ihm gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO ein Pflichtverteidiger zu bestellen gewesen wäre.

b) Bereits mit Schriftsatz vom 10.09.2020, eingegangen bei der Polizeiinspektion Rostock am 14.09.2020, eingegangen bei der Staatsanwaltschaft Regensburg mit Aktenübersendung am 30.09.2020, lag der Antrag des Wahlverteidigers Pp. auf Bestellung zum Pflichtverteidiger vor.

Allein aufgrund justizinterner Vorgänge unterblieb eine Entscheidung über den Antrag vom 10.09.2020, da die Staatsanwaltschaft Regensburg zu Unrecht davon abgesehen hat, dem Amts-gericht Regensburg dem Beiordnungsantrag gemäß § 142 Abs. 1 Satz 2 unverzüglich zur Entscheidung vorzulegen. Der Staatsanwaltschaft kommt hierbei kein Ermessensspielraum zu, vielmehr ist sie unverzüglich zur Vorlage verpflichtet. Insbesondere spielt es dabei keine Rolle, ob eine etwaige Stellungnahme des Verteidigers Einfluss auf die Entscheidung der Staatsanwaltschaft hätte. Zwischen dem Eingang des Antrages bei der Polizeiinspektion und der Einstellung des Ermittlungsverfahrens sind zwei Monate vergangen, ohne dass der Antrag verbeschieden wurde. Eine Weiterleitung durch die Staatsanwaltschaft Regensburg erfolgte erst mit Verfügung vom 04.12.2020.

c) Auch § 141 Abs. 2 Satz 3 StPO steht im vorliegenden Fall der Beiordnung nicht entgegen. Nach dieser gesetzlichen Regelung kann die Bestellung unterbleiben, wenn beabsichtigt ist, das Verfahren alsbald einzustellen und keine anderen Untersuchungshandlungen als die Einholung von Registerauskünfte oder die Beiziehung von Urteilen oder Akten vorgenommen werden sollen. Diese Regelung bezieht sich nach ihrem Wortlaut und der systematischen Stellung jedoch nicht auf den vorliegenden Fall einer ausdrücklichen Antragstellung durch den Beschwerdeführer nach § 141 Abs. 1 StPO, sondern nur auf den, vorliegend nicht einschlägigen Fall der Bestellung eines Pflichtverteidigers von Amts wegen nach § 141 Abs. 2 StPO.

Gründe, die der Bestellung von Rechtsanwalt Pp. gemäß § 142 Abs. 5 Satz 3 StPO entge-genstehen könnten, sind nicht ersichtlich.

Auf die sofortige Beschwerde hin war die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts Regensburg daher aufzuheben und Rechtsanwalt Pp. als Pflichtverteidiger beizuordnen.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 467 StPO analog.


Einsender: RA S. Riemer, Greifswald

Anmerkung:


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