Gericht / Entscheidungsdatum: AG Meldorf, Urt. v. 18.11.2020 - 25 OWi 305 Js 16575/20
Leitsatz: Ungenauigkeiten der örtlichen Tatkonkretisierung wirken sich bei Verkehrsordnungswidrigkeiten nur auf ein Verteidigungsverhalten aus, das auf die momentane Verkehrs- und Fahrzeugsituation oder die Gemütslage des Fahrers abstellt. Für das Verteidigungsvorbringen gegen die technische Ordnungsgemäßheit der Messung ist es hingegen in der Regel ohne nachteilige Auswirkungen, wenn der Betroffene allein aufgrund des Bußgeldbescheids noch nicht die genaue Messanlage identifizieren konnte, da hier für eine wirksame Verteidigung ohnehin Akteneinsicht notwendig ist.
25 OWi 305 Js 16575/20
Amtsgericht Meldorf
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Bußgeldverfahren
gegen pp.
Verteidiger:
wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten
hat das Amtsgericht Meldorf - Strafrichter - in der Hauptverhandlung vom 18.11.2020, an der teilgenommen haben:
für Recht erkannt:
1. Der Betroffene wird wegen fahrlässigen Nichtbefolgens eines roten Wechsellichtzeichens als Kfz-Führer zu einer Geldbuße von 90,- EUR verurteilt.
2. Der Betroffene trägt die Kosten des Verfahrens.
Angewendete Vorschriften:
§§ 37 Abs. 2, 49 StVO; 24 StVG; 132 BKat
Gründe:
Einzelheiten zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen sind nicht bekannt.
Der Betroffene befuhr am 9.12.2019 um 10:57 Uhr als Führer des Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen in Heide den Fritz-Thiedemann-Ring in Fahrtrichtung Meldorfer Straße. An der Ecke Hamburger Straße überquerte er in Geradeausfahrt die Fluchtlinie der dortigen Kreuzung, obwohl die Wechsellichtzeichenanlage für seine Fahrtrichtung bereits 3,00 Sekunden lang gelb und mindestens 0,1 Sekunden lang rot gezeigt hatte, als der Betroffene mit der Vorderfront seines Fahrzeugs die Haltelinie erreichte. Der Verstoß erfolgte innerorts bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h.
Den Rotlichtverstoß hätte der Betroffene bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ohne weiteres erkennen und vermeiden können.
Dieser Sachverhalt steht aufgrund der in der Hauptverhandlung durchgeführten Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts fest.
Der Betroffene hat eingeräumt, das Fahrzeug zur Tatzeit geführt zu haben.
Das Gericht hat auch keine begründeten Zweifel daran, dass der Betroffene bei Rotlicht die Kreuzung überquert hat.
Der Rotlichtverstoß ist bewiesen durch die Rotlichtmessung des stationären Messgeräts des Typs PoliScan FM1 mit der Fabrik-Nr. 950336. Bei einer Rotlichtmessung mit dem Messgerät des Typs PoliScan FM1 handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren, bei dem die Messergebnisse der gerichtlichen Entscheidung ohne weiteres zugrunde zu legen sind, wenn keine konkreten Zweifel an der Funktionstüchtigkeit des Messgeräts bestehen.
Das Gericht hat vorliegend keine Zweifel an der Zuverlässigkeit des Messgeräts und des standardisierten Messverfahrens.
Das Messgerät verfügt über die Baumusterprüfbescheinigung Nr. DE-17-M-PTB-0033 der Physika-lisch-Technischen Bundesanstalt zur innerstaatlichen Eichung und war mit Eichschein Nr. 1-0473/19 vom brandenburgischen Landesamt für Mess- und Eichwesen am 1.8.2019 geeicht bis zum 31. Dezember 2020. Es verfügt über die erforderliche Konformitätsbescheinigung (KBS GEH/036/18 des Landesamts für Mess- und Eichwesen Berlin-Brandenburg) und über eine Konformitätserklärung im Sinne der MessEV des Herstellers Vitronic. Das Standortmodul ist ebenfalls geeicht (Eichschein HH-19-01009). Die Standorteichung datiert vom 21.5.2019 und ist gültig bis 31.12.2021.
Auf dem ersten Messbild auf Blatt 1 oben, auf das gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO wegen der Einzelheiten verwiesen wird, hat das Fahrzeug des Betroffenen bereits die Haltelinie erreicht. Es wurde bei einer Rotzeit von 0,57 Sekunden aufgenommen. Nach Abzug der Toleranzen hat das Messgerät eine auf eine Nachkommastelle abgerundete Nettorotzeit von 0,1 Sekunden ermittelt. Das zweite Messbild auf Blatt 1 unten, auf das gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO wegen der Einzelheiten verwiesen wird, wurde mehr als drei Sekunden nach Eintritt der Rotphase aufgenommen. Es zeigt das Fahrzeug des Betroffenen in der Mitte der Kreuzung.
Im Messprotokoll haben die Messbeamten bescheinigt, dass die Eichsiegel ohne Befund einer Be-schädigung kontrolliert wurden. Die Vorgaben der zum Zeitpunkt der Messung gültigen Gebrauchsanweisung wurden beachtet. Die Messbeamten waren für die Bedienung von Messgeräten des Typs PoliScan FM1 speziell auch für die Rotlichtüberwachung damit geschult, was aus der in der Hauptverhandlung bekanntgegebenen Schulungsbescheinigung hervorgeht.
Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Messung fehlerhaft gewesen sein könnte, sind weder er-sichtlich noch vorgetragen.
IV.
Der Betroffene hat einen Rotlichtverstoß gern. § 132 BKat begangen. Zugunsten des Betroffenen geht das Gericht davon aus, dass er nicht vorsätzlich handelte.
Der Bußgeldbescheid ist entgegen dem Vortrag des Verteidigers wirksam. Er ist insbesondere hinreichend bestimmt und hatte verjährungsunterbrechende Wirkung.
Gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 3 OWiG, der § 200 Abs. 1 S. 1 StPO nachgebildet ist, sollen im Bußgeldbescheid Zeit und Ort der Tatbegehung angegeben werden. Hierdurch wird dem Betroffenen die Möglichkeit eines qualifizierten Bestreitens eröffnet. Für die Genauigkeit der Angaben gelten keine starren Regeln. Jedenfalls sind an die Genauigkeit keine übertriebenen Anforderungen zu stellen (BeckOK StPO/Ritscher, 36. Ed. 1.1.2020, StPO § 200 Rn. 4). Je größer die Möglichkeit ist, dass weitere Taten gleicher Art begangen wurden, desto konkreter muß die Schilderung ausfallen (vgl. BGH NStZ 2012, 279 NJW 2015, 181 NStZ-RR 2018, 353). Ein täglich mehrfach wiederholbares Geschehen im Straßenverkehr wird regelmäßig durch Tatort und Tatzeit konkretisiert (BGH, Urteil vom 11.01.1994 - 5 StR 682/93). Der Bußgeldbescheid muß den Tatort derartig bezeichnen, dass der Tatvorwurf hinreichend umgrenzt ist und insbesondere eine Verwechslung mit anderen Vorfällen ausgeschlossen ist (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 20. Dezember 2019 II OLG 65/19 , juris).
Dabei darf nicht unbeachtet bleiben, dass sich Ungenauigkeiten der örtlichen Tatkonkretisierung bei Verkehrsordnungswidrigkeiten praktisch nur auf ein Verteidigungsverhalten auswirken, das auf die momentane Verkehrs- und Fahrzeugsituation oder die Gemütslage des Fahrers abstellt. Der bei weitem häufigste Verteidigungsansatz richtet sich hingegen auf die technische Ordnungsgemäßheit der Messung. Für derartiges Verteidigungsvorbringen ist es in der Regel ohne nachteilige Auswirkungen, wenn der Betroffene allein aufgrund des Bußgeldbescheids noch nicht die genaue Messanlage identifizieren konnte, da hier für eine wirksame Verteidigung ohnehin Akteneinsicht notwendig ist. Ein weiterer wesentlicher Grund für das Bestimmheitserfordernis einer Anklageschrift und eines Bußgeldbescheids ist die Ermöglichung der Alibibehauptung (vgl. KK-StPO/Schneider, 8. Aufl. 2019, StPO § 200 Rn. 3). So konzentriert sich auch bei Verkehrsordnungswidrigkeiten das Verteidigungsverhalten häufig auf das Bestreiten der Fahrereigenschaft. Die Alibibehauptung wird von kleinen Ungenauigkeiten der örtlichen Tatkonkretisierung aber in keiner Weise berührt. Denn es ist praktisch ausgeschlossen, dass mit demselben Fahrzeug innerhalb derselben Minute auf derselben Straße gleichartige Verstöße von verschiedenen Fahrern begangen worden sind.
Nach diesen Maßstäben ist der diesem Verfahren zugrundeliegende Bußgeldbescheid hinreichend bestimmt. Er bezeichnet den Rotlichtverstoß in zeitlicher Hinsicht nach Datum, Stunde und Minute sowie in örtlicher Hinsicht nach der Stadt, der Straße und der Fahrtrichtung. Zudem sind sowohl der Hersteller des Messsystems als auch der Hersteller und das Kennzeichen des verwendeten Fahrzeugs genannt. Dass sich auf der genannten Straße in genannter Richtung zumindest eine weitere Kreuzung mit Lichtzeichenanlage befindet, macht den Bußgeldbescheid nicht unbestimmt. Ob es ausreicht, dass später im Verfahren vor dem Amtsgericht der genaue Standort geklärt werden kann (bejahend Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom ; aA Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht aaO), ist daher nicht entscheidungserheblich.
Die Bezeichnung eines Tatorts allein durch einen Straßennamen, welcher offenkundig einen längeren Straßenzug kennzeichnet, ist nicht bedenkenfrei (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht aaO). Andererseits ist es bei Geschwindigkeitsmessungen ohne weitere Anzeichen lebensfern anzunehmen, dass in einem Straßenzug hintereinander mehrere Messeinrichtungen postiert werden, die verschiedene Messungen mit Verwechslungsgefahr erlauben würden (ebd.). Diese Erwägungen müssen zur Überzeugung des Gerichts aber auch für einen Rotlichtverstoß gelten, zumal wenn potentiell zu verwechselnde Verstöße innerhalb derselben Minute begangen sein müssten.
Ebenso wie bei Geschwindigkeitsverstößen auf demselben Streckenabschnitt liegt auch bei mehreren innerhalb kürzester Zeit aufeinanderfolgenden Rotlichtverstößen auf derselben Straße Tat-einheit nahe (KG, Beschluss vom 7. April 1997 2 Ss 305/96 3 Ws (B) 54/97 , juris). Die Situation entspricht damit derjenigen bei Tempoverstößen.
Selbst wenn man mit der Gegenmeinung in solchen Fällen Tatmehrheit annehmen wollte könnte dies nicht strengere Anforderungen hinsichtlich der Bestimmtheit des Bußgeldbescheids nach sich ziehen. Die Verteidigungsmöglichkeiten des Betroffenen sind bei mehreren verwechselbaren tatmehrheitlichen Verstößen nicht stärker beeinträchtigt als bei einem länger dauernden tateinheitlichen Verstoß mit mehreren verwechselbaren Einzelsituationen. Bei tateinheitlichen Verstößen ist die qualifizierte Verteidigung im gleichen Maße erschwert. Denn auch dort können verschiedenartige Messverfahren und Messgeräte zum Einsatz gekommen sein und verschiedene Verkehrs-, Gemüts- oder Fahrzeuginnenraumsituationen zum Verstoß geführt haben, mithin je nach der konkreten Einzelsituation innerhalb derselben materiellen Tat unterschiedliche Angriffspunkte für eine sachgerechte Verteidigung vorliegen.
Die Forderung, im Bußgeldbescheid müsse bei Rotlichtverstößen stets die genaue Kreuzung beschrieben werden (so KG, Beschluss v. 12.3.1975, Az.: 3 Ws B 202/74, Leitsatz bei Wolters Kluwer), überspannt die Anforderungen an die Informations- und Umgrenzungsfunktion des Bußgeldbescheids. Die Ansicht des Kammergerichts läuft auf die Forderung maximaler Genauigkeit hinaus. Sie findet im Wortlaut von § 66 Abs. 1 Nr. 3 OWiG keine sichere Stütze.
Forderte man die Nennung der genauen Kreuzung, wäre mit gleichem Recht zu fordern, dass ein Bußgeldbescheid auch stets die Tatsekunde, die Fahrtrichtung und den Umstand, ob der Verstoß bei Geradeausfahrt, beim Links- oder beim Rechtsabbiegen begangen wurde, genau bezeichnet. Denn wenn die Tatkonkretisierung sicher ausschließen müsste, dass der Betroffene mehrere innerhalb einer Minute auf derselben Straße an verschiedenen Kreuzungen begangene Rotlichtverstöße verwechseln könnte, müsste ebenso ausgeschlossen werden, dass an derselben Kreuzung begangenen Verstöße verwechselt werden könnten. Es kommt nämlich, nachdem ein Kraftfahrer sich verfahren hat, nicht selten vor, dass dieser unmittelbar nach einer Kreuzung eine Kehrtwende macht und sodann erneut über die Kreuzung fährt oder nach dem Einfahren in den Kreuzungsbereich zurücksetzt, die Spur wechselt und erneut in anderer Richtung in die Kreuzung einfährt. In solchen, meist vom Navigationsgerät veranlassten Stresssituationen ereignen sich häufig Rotlichtverstöße. Minutengleiche verwechselbare Verstöße an derselben Kreuzung sind zur Überzeugung des Gerichts daher sogar lebensnäher und wahrscheinlicher als gleichartige Verstöße an verschiedenen Kreuzungen.
Das Bayerische Oberste Landesgericht (aaO) hat in einem Verfahren, in dem der Rotlichtverstoß ohne Blitzlicht durch bloße Beobachtung eines Polizeibeamten festgestellt wurde, zur Bestimmtheit von Bußgeldbescheiden bei Rotlichtverstößen folgendes ausgeführt:
Wird dem Betroffenen ein verkehrswidriges Verhalten zur Last gelegt, das sich in einem verhältnismäßig kurzen Zeitraum wiederholen kann, das keine die Aufmerksamkeit des verkehrsordnungswidrig handelnden Verkehrsteilnehmers weckenden hervorstechenden Umstände aufweist und das keine unmittelbaren Folgen gehabt hat, so bedarf es der genauen Kennzeichnung, um die Möglichkeit einer Verwechslung mit anderen Verkehrsverstößen auszuschließen. Dies ist bei Nichtbeachten des roten Lichts einer Verkehrsampel grundsätzlich (Hervorhebung durch AG Meldorf) der Fall, so dass die Rechtsprechung zu Recht einen Bußgeldbescheid für unwirksam gehalten hat, wenn bei einer Straße mit mehreren Ampelanlagen der Standort der fraglichen Ampelanlage nicht näher gekennzeichnet ist.
Auch nach diesen Maßstäben ist der vorliegende Bußgeldbescheid hinreichend bestimmt. Die bei der Aufnahme der Beweisfotos ausgelösten Blitzlichter wecken die Aufmerksamkeit des Verkehrsteilnehmers. Das sogenannte Blitzen bleibt vom Fahrzeugführer sehr selten unbemerkt. In der weit überwiegenden Vielzahl aller Fälle nimmt der Fahrer das Blitzlicht wahr und befindet sich einige Wochen lang in latenter Erwartung eines Anschreibens der Bußgeldstelle. Dem durchschnittlichen geblitzten Kraftfahrer genügen selbst nach Ablauf einiger Monate noch die Angabe des Tages und der Gemeinde, um den Verstoß im eigenen Gedächtnis zweifelsfrei zu identifizieren. Wird die Tatzeit darüber hinaus nach Stunde und Minute und die Ortsangabe um Straße und Fahrtrichtung ergänzt, erscheint eine mögliche Verwechslung derart fernliegend und lebensfremd, dass der Bescheid auch ohne die Nennung der gekreuzten Querstraße als hinreichend bestimmt anzusehen ist.
V.
Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Schwere des Verstoßes, war vorliegend zur Ahndung dieser Ordnungswidrigkeit die Verhängung einer Geldbuße von 90,00 Euro erforderlich und angemessen.
Die Regelgeldbuße für den Rotlichtverstoß beträgt nach Nr. 132 BKatV Anlage 90,00 Euro. Die Regelgeldbuße geht von einem verkehrsrechtlich bisher nicht in Erscheinung getretenen Täter und von einer fahrlässigen Begehungsweise aus. So liegt es hier. Umstände, die zu einem Abweichen von der Regelgeldbuße nach unten Anlass gegeben hätten, sind weder ersichtlich noch vorgetragen. Der Verkehrsverstoß des Betroffenen war nicht nur objektiv, sondern auch subjektiv grob verkehrswidrig.
Sonstige Gründe, die zu einem Absehen von den Regelfolgen hätten Anlass geben können, sind weder ersichtlich noch vorgetragen.
VI.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 46 Abs. 1 OWiG, 465 StPO.
Einsender: RA F. S. Fülscher, Kiel
Anmerkung:
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