Gericht / Entscheidungsdatum: LG Verden, Beschl. v. 29.10.2020 - 4 KLs 461 Js 23425/20 (9/20)
Leitsatz: 1. Auch die Einstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO ist eine nicht nur vorläufige Einstellung im Sinne der Nr. 4141 VV RVG.
2. Welchen Umfang die anwaltliche Mitwirkung hat, ist unerheblich. Für die Beurteilung der anwaltlichen Tätigkeit kommt es nur darauf an, ob ein Beitrag des Verteidigers vorliegt, der objektiv geeignet ist, das Verfahren in formeller und/oder materieller Hinsicht im Hinblick auf eine Verfahrensbeendigung außerhalb der Hauptverhandlung zu fördern.
Landgericht Verden
Beschluss
4 KLs 461 Js 23425/20 (9/20)
In der Strafsache
gegen pp.
wegen Diebstahl gem. § 244 StGB
hat das Landgericht Verden 4. große Strafkammer - durch die Richterin als Einzelrichterin am 29.10.2020 beschlossen:
1. Der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Verden vom 16.09.2020 wird dahingehend ergänzt, dass entsprechend dem Festsetzungsantrag vom 07.08.2020 für die Mitwirkung des Pflichtverteidigers an einer nicht nur vorläufigen Einstellung des Verfahrens über den bereits festgesetzten Betrag hinaus eine Verfahrensgebühr in Höhe von 148 Euro gemäß Nr. 4141 Abs. 1 Ziff. 1, 4112 VV RVG zuzüglich 16 Prozent Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV RVG in Höhe von 23,68 festgesetzt wird.
2. Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
3. Die Beschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe:
Der Erinnerungsführer war im Verfahren gegen die ehemals Angeklagten pp. Pflichtverteidiger des Angeklagten pp. Am 31.07.2020 beantragte die Staatsanwaltschaft Verden die Einstellung des Verfahrens gegen den Angeklagten pp. gemäß § 154 Abs. 2 StPO. Am 03.08.2020 übersendete das Landgericht den Antrag an den Erinnerungsführer mit der Bitte um Stellungnahme und der Anfrage, ob der Angeklagte pp. bereit wäre, auf die Rückgabe etwaiger sichergestellter Gegenstände zu verzichten und teilte dem Erinnerungsführer telefonisch mit, dass eine Einstellung von dem Verzicht des Angeklagten abhängig gemacht werde. Mit Schriftsatz vom 03.08.2020, eingegangen beim Landgericht Verden am selben Tag, stimmte der Erinnerungsführer einer Verfahrenseinstellung zu und verzichtete im Namen des Angeklagten pp. auf die Rückgabe der sichergestellten Gegenstände. Mit Beschluss vom 04.08.2020 wurde das Verfahren gegen den Angeklagten pp. Hinblick auf den rechtskräftigen Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Achim vom 02.11.2016 nach § 154 Abs. 2 in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Nr. 1 StPO eingestellt. Mit Schriftsatz vom 07.08.2020 beantragte der Erinnerungsführer die Festsetzung der Gebühren und Auslagen auf 714,04 Euro, wobei er eine zusätzliche Gebühr gemäß Nr. 4141 VV RVG in Höhe von 148,00 Euro zuzüglich 16 Prozent Umsatzsteuer geltend machte. Mit Beschluss vom 16.09.2020 setzte das Landgericht Verden die Gebühr auf 542,36 Euro fest, wobei es entgegen dem Antrag die geltend gemachte Verfahrensgebühr in Höhe von 148,00 Euro gemäß Nr. 4141 Abs. 1 S. 1, 41 12 VV RVG zuzüglich 16 Prozent Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV RVG nicht festsetzte. Zur Begründung führte es aus, dass eine zusätzliche Gebühr mangels einer auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit nicht entstanden sei. Mit Schreiben vom 21.09.2020, eingegangen beim Landgericht Verden am selben Tag, legte der Erinnerungsführer gegen diesen Festsetzungsbeschluss Erinnerung ein. Der Erinnerungsführer ist der Auffassung, dass ihm die zusätzliche Gebühr nach Nr. 4141 Abs. 1 S. 1 VV RVG zustehe, da die Einstellung des Verfahrens von einem Verzicht des Angeklagten auf die Rückgabe etwaig sichergestellter Gegenstände abhängig gemacht werden sollte und er diesen Verzicht erklärt habe. Die Bezirksrevisorin nahm mit Schriftsatz vom 05.10.2020 Stellung. Sie führt aus, dass eine Zusatzgebühr nicht entstanden sei, da es sich zum einen bei der Einstellung nach § 154 StPO um eine vorläufige Einstellung handle und es zum anderen an einer Ursächlichkeit in Bezug auf die anwaltliche Tätigkeit fehle.
Il.
Die Kammer ist gemäß § 56 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 RVG in Verbindung mit § 33 Abs. 8 S. 1 RVG durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung berufen. Die Sache weist weder besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf noch hat sie grundsätzliche Bedeutung (vgl. § 33 Abs. 8 S. 2 RVG).
Die Erinnerung gegen die Vergütungsfestsetzung ist zulässig und begründet.
Die zusätzliche Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG ist entstanden.
Die Gebühr nach Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 1 des Vergütungsverzeichnisses zu § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG (fortan: VV RVG), die allgemein als Befriedungsgebühr bezeichnet wird, entsteht, wenn das Verfahren durch die anwaltliche Mitwirkung nicht nur vorläufig eingestellt wird (vgl. BGH, Urteil vom 14. April 2011 - IX ZR 153/10 Rn. 7, juris).
Zunächst entspricht es der herrschenden Meinung, dass auch die Einstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO eine nicht nur vorläufige Einstellung im Sinne der Norm ist, da der Fortführung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 4 und 5 StPO erhebliche Hindernisse entgegenstehen (OLG Stuttgart Beschl. v. 8.3.2010 - 2 Ws 29/10, BeckRS 2010, 10795, beck-online).
Darüber hinaus liegt auch eine anwaltliche Mitwirkung an der Einstellung des Verfahren vor. Für die Mitwirkung bei der Erledigung des Verfahrens genügt gebührenrechtlich jede Tätigkeit des Verteidigers, die zur Förderung der Verfahrenseinstellung geeignet ist. Nach dem Ausschlusstatbestand des Nr. 4141 Abs. 2 VV RVG entsteht die Gebühr nur dann nicht, wenn eine auf die Förderung gerichtete Tätigkeit nicht ersichtlich ist. Mit dem Ausschlusstatbestand der Nr. 4141 Abs. 2 VV RVG sollen offensichtlich nur sachfremde Eingaben und sich in keiner erkennbaren Weise auf die Sache selbst beziehende Tätigkeiten des Rechtsanwalts ausgeschlossen werden.
Welchen Umfang die anwaltliche Mitwirkung hat, ist dagegen unerheblich. Dem Wortlaut der Regelung kann keine weitergehende Anforderung an die Quantität oder Qualität des anwaltlichen Mitwirkungsbeitrags entnommen werden.
Für die Beurteilung kommt es daher einzig darauf an, ob ein Beitrag des Verteidigers vorliegt, der objektiv geeignet ist, das Verfahren in formeller und/oder materieller Hinsicht im Hinblick auf eine Verfahrensbeendigung außerhalb der Hauptverhandlung zu fördern.
Dem steht auch nicht der Zweck der Regelung entgegen. Die jetzt geltende Regelung der Nr. 4141 VV RVG hat den Grundgedanken des § 84 Abs. 2 BRAGO übernommen, nämlich intensive und zeitaufwändige Tätigkeiten des Verteidigers, die zu einer Vermeidung der Hauptverhandlung und damit beim Verteidiger zum Verlust der Hauptverhandlungsgebühr führten, gebührenrechtlich zu honorieren. Ziel der Regelung ist damit eine Verringerung der Arbeitsbelastung der Gerichte. Dieses Ziel soll durch eine adäquate Vergütung des Verteidigers bereits im Vorfeld der Hauptverhandlung erreicht werden (BGH, Urteil vom 05. November 2009 - IX ZR 237/08 Rn. 10, juris).
Die Begründung zeigt nur, weshalb der Gesetzgeber diesen Gebührentatbestand geschaffen hat. Angesichts des Gesetz gewordenen Wortlauts selbst kann hieraus aber keine einschränkende Auslegung im dem Sinn vorgenommen werden, dass unter anwaltlicher Mitwirkung nur intensive und zeitaufwändige Tätigkeiten zu verstehen wären. Die gebotene Auslegung des Gesetzes hat den in der Gesetzesbestimmung zum Ausdruck kommenden objektivierten Willen des Gesetzgebers zu erfassen, wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dessen Sinnzusammenhang ergibt. Die Materialien zur Entstehungsgeschichte dürfen dabei nicht mit dem objektiven Gesetzesinhalt gleichgesetzt werden, sondern sind nur unterstützend heranzuziehen. Die Begrifflichkeit anwaltliche Mitwirkung" der Nr. 4141 VV RVG ist daher unter Berücksichtigung des in Absatz 2 ausformulierten Ausschlusstatbestandes in dem Sinn auszulegen, dass der Verteidiger durch seine Tätigkeit die endgültige Einstellung des Verfahrens zumindest gefördert, eine auf die Förderung gerichtete Tätigkeit" entfaltet haben muss (OLG Stuttgart Beschl. v. 8.3.2010 2 Ws 29/10, BeckRS 2010, 10795, beck-online).
Dieses Auslegungsergebnis entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Begriff der anwaltlichen Mitwirkung in Bußgeldsachen vor der Verwaltungsbehörde nach Nr. 5115 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG, dessen Wortlaut Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG entspricht. Auch dort genügt jede Tätigkeit, die zur Förderung der Verfahrenserledigung geeignet ist. Der strengere Maßstab nach Nr. 1002 VV RVG, welcher eine besondere, nicht nur unwesentliche und gerade auf die außergerichtliche Erledigung gerichtete Tätigkeit verlangt, lässt sich nach Ansicht des Bundesgerichtshofs nicht auf Nr. 5115 Abs. 1 Nr. 1 VVRVG übertragen, da Nr. 1002 VV RVG keine den Grad der Mitwirkung konkretisierende Regelung aufweist, wie sie in Nr. 5115 Abs. 2 und auch Nr. 4141 Abs. 2 VV RVG ausdrücklich aufgenommen wurde (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008- IX ZR 174/07 -, juris). Nach Nr. 4141 Abs. 2 VV RVG genügt für das Anfallen der Zusatzgebühr bereits ein Beitrag zur Förderung des Verfahrens. Dies ist ersichtlich weniger als eine Mitwirkung zur Erledigung des Verfahrens.
Vorliegend hat der Erinnerungsführer mit Schriftsatz vom 03.08.2020 einer Verfahrenseinstellung zugestimmt und den Verzicht auf die Rückgabe der sichergestellten Gegenstände erklärt. Diese Tätigkeit war geeignet, die Einstellung des Verfahrens zu fördern, da das Gericht gegenüber dem Erinnerungsführer erklärt hat, die Einstellung des Verfahrens solle vom dem Verzicht abhängig gemacht werden.
Ob der Verzicht in tatsächlicher Hinsicht für die darauffolgende Einstellungsentscheidung von Bedeutung gewesen ist, ist dagegen unerheblich. Die auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Mitwirkungshandlung muss für die Entscheidung des Gerichts nicht ursächlich oder mitursächlich sein. Denn im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens soll vermieden werden, dass nachträglich die subjektiven Erwägungen und Vorstellungen der entscheidenden Richter ermittelt werden müssen und als Maßstab für die Bewertung zugrunde gelegt werden (vgl. OLG Stuttgart Beschl. v. 8.3.2010 - 2 Ws 29/10, BeckRS 2010, 10795, beck-online).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 S.2 und S. 3 RVG.
Die Beschwerde gemäß § 56 Abs. 2 RVG in Verbindung mit § 33 Abs. 3 RVG war nicht zuzulassen, weil der zur Entscheidung stehenden Frage keine grundsätzliche Bedeutung zukommt.
Einsender: RA D. Vetter, Düsseldorf
Anmerkung:
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