Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Oldenburg, Beschl. v. 14.05.2020 - 1 Ws 190/20
Leitsatz: Wird mit der Hauptverhandlung (hier: wegen der Corona-Krise) nicht an dem zunächst geplanten Terminstag begonnen, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt, ist das Ge-richt ggf. mit den Schöffen als "gesetzliche Richter besetzt, die für den Tag ausgelost gewesen sind, an den die Verhandlung tatsächlich begonnen hat.
Oberlandesgericht Oldenburg
1 Ws 190/20
Beschluss
In der Strafsache
gegen pp.
wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz,
Verteidiger:
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg am 14. Mai 2020 durch die unterzeichnenden Richter beschlossen:
Der Besetzungseinwand der Angeklagten AA wird als unbegründet zu-rückgewiesen.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft Oldenburg hat gegen die Angeklagte und vier weitere Mitbeschuldigte mit Datum vom 4. Oktober 2019 Anklage wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz zur großen Strafkammer des Landgerichts Oldenburg erhoben. Die zunächst am 20. Dezember 2019 begonnene Haupt-verhandlung hatte die Strafkammer mit Beschluss vom 17. Februar 2020 aus-gesetzt, weil der beisitzende Richter längerfristig dienstunfähig erkrankt war. Mit Verfügung vom 18. März 2020 war Termin für die erneute Hauptverhandlung auf den 1. April 2020 bestimmt worden. Fortsetzungstermine waren für den 3., 9., 28. und 30. April, 4., 5., 6., 7., 8., 11., 20. und 22. Mai sowie 4., 16., 18. und 19. Juni 2020 vorgesehen. Wegen der auf Grund der Corona-Pandemie gelten-den Beschränkungen waren sodann mit Verfügung vom 25. März 2020 die Hauptverhandlungstermine am 1., 3. und 9. April 2020 aufgehoben und der Beginn der Hauptverhandlung auf den 28. April 2020 bestimmt worden.
Am 28. April 2020 hat die Hauptverhandlung begonnen. Zu dieser sind die Schöffinnen BB und CC herangezogen worden. Diese Besetzung war den Verteidigern am 8. April 2020 per Fax mitgeteilt worden.
Im Termin zur Fortsetzung der Hauptverhandlung am 30. April 2020 rügte der Verteidiger der Angeklagten AA, Rechtsanwalt (pp.), die vorschriftswidrige Be-setzung des Gerichts. Die Mitwirkung der beiden Schöffinnen CC und BB sei fehlerhaft, weil sich die Schöffenzuständigkeit nach der Terminierung des Ver-fahrens durch den Vorsitzenden richte. Das Verfahren sei mit Beginn 1. April 2020 terminiert worden. Damit sei auch die Zuständigkeit der Schöffen bestimmt, wonach die für den 1. April 2020 ausgelosten Schöffen zuständig seien. Die jetzt mitwirkenden Schöffen seien für den 28. April 2020 ausgelost worden. Eine Änderung der Zuständigkeiten und Änderung des gesetzlichen Richters erfolge durch schlichte Teilterminsaufhebungen nicht. Etwas anderes könne nur bei Aussetzung des Verfahrens gelten, weil dann das Verfahren von neuem beginnen müsse. Damit bleibe für die Zuständigkeit die bereits am 19. März 2020 bekanntgegebene Ladung mit Beginn der Hauptverhandlung am 1. April 2020 wesentlich. Zudem sei unabhängig davon das Gericht fehlerhaft besetzt, weil die Auslosung der Hauptschöffen für das Geschäftsjahr 2020 nicht durch den Präsidenten des Landgerichts Oldenburg, sondern durch die Richterin am Landgericht (pp.) vorgenommen worden sei.
Wegen der Einzelheiten wird auf den als Anlage 2 zum Protokoll vom 30. April 2020 genommenen Schriftsatz verwiesen.
Das Landgericht hält den Besetzungseinwand des Verteidigers Rechtsanwalt (pp.) vom 30. April 2020 für unzulässig und unbegründet und hat diesen mit Be-schluss vom 4. Mai 2020, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, dem gemäß § 121 Abs. 1 Nr. 4 GVG zuständigen Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Ein-wand der Angeklagten AA zurückzuweisen. Der Angeklagten ist gemäß § 222b Abs. 3 Satz 3 StPO Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.
II.
Der Besetzungseinwand ist zulässig.
Die Besetzung des Gerichts ist den Verteidigern am 8. April 2020 lediglich form-los per Fax mitgeteilt worden, so dass mangels Zustellung die für die Erhebung des Besetzungseinwands geltende Frist von einer Woche (§ 222b Abs. 1 Satz 1 StPO) erst mit der zu Beginn der Hauptverhandlung am 28. April 2020 erfolgten Besetzungsmitteilung zu laufen begonnen hat. Diese ist durch die am 30. April 2020 erhobene Rüge gewahrt.
Die Rüge dürfte auch noch den Anforderungen des § 222b Abs. 1 Satz 2 StPO gerecht werden, wonach die Tatsachen, aus denen sich die vorschriftswidrige Besetzung ergeben soll, anzugeben sind. Zwar teilt die Rügeführerin nicht mit, welche Schöffen für den ursprünglich für den Beginn der Hauptverhandlung vorgesehenen Sitzungstag am 1. April 2020 ausgelost worden sind, so dass anhand des Rügevorbringen nicht geprüft werden kann, ob zu der am 28. April 2020 beginnenden Hautverhandlung überhaupt andere Schöffen als für den 1. April 2020 vorgesehen herangezogen worden sind. Die durch § 222b StPO n.F. vorweggenommene Besetzungsrüge nach § 338 Nr. 1 StPO erfordert jedoch die Angabe der regelmäßig anhand des Geschäftsverteilungs- oder Schöffen-plans belegbaren Fakten, warum der betreffende Richter bzw. Schöffe nicht zur im konkreten Einzelfall vorgeschriebenen Gerichtsbesetzung gehörte (vgl. etwa Temming in: Gercke/Julius/Temming/Zöller, StPO, 6. Aufl. 2019, § 344 Rz. 13).
Indem der Einwand aber auch darauf gestützt wird, dass die Auslosung der Schöffen gegen § 77 Abs. 3, 1. Halbs. GVG verstoße, weil diese nicht durch den Präsidenten des Landgerichts, sondern eine Richterin am Landgericht vor-genommen worden sei, wird jedenfalls insoweit zur behaupteten fehlerhaften Besetzung der Strafkammer in ausreichender Form vorgetragen.
In der Sache bleibt der erhobene Besetzungseinwand ohne Erfolg.
Soweit die Angeklagte die Durchführung der Schöffenauslosung nicht durch den Präsidenten des Landgerichts, sondern durch die Richterin am Landgericht (pp.) rügt, liegt hierin kein Verstoß gegen § 77 Abs. 3 Satz 1, 1. Halbs. GVG. Der Präsident des Landgerichts Oldenburg hatte mit Verfügung vom 30. Oktober 2019 die Richterin am Landgericht (pp.) mit der Auslosung der Haupt- und Hauptjugendschöffen für das Geschäftsjahr 2020 beauftragt. Diese Beauftragung war, da der Präsident des Landgerichts sich bei der durch die bezeichnete Vorschrift ihm übertragenen Auslosung, die eine "reine" Verwaltungstätigkeit darstellt, vertreten lassen darf (vgl. BGH, Urteil v. 06.12.1973, 4 StR 554/73, BGHSt 25, 257), zulässig.
Auch durch die Heranziehung der für den 28. April 2020 ausgelosten Schöffen ergibt sich keine vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts. Die Frage, ob die für einen ordentlichen Sitzungstag, hier etwa den 1. April 2020, ausgelosten Schöffen zu einer an einem anderen Sitzungstag beginnenden Hauptverhandlung heranzuziehen sind, stellt sich nur, wenn es sich hierbei um einen anderen als einen ordentlichen Sitzungstag handelt (vgl. BGH, Urteil v. 14.07.1995, 5 StR 532/94, BGHSt 41, 175, Rz. 13). Vorliegend hat die Hauptverhandlung in-dessen am 28. April 2020 und damit an einem ordentlichen Sitzungstag begonnen, für den die Schöffinnen BB und CC am 14. November 2019 der 2. großen Strafkammer zugelost worden sind. Damit waren sie und nicht die - was die Rüge allerdings mitzuteilen unterlässt (s.o.) - mit ihnen nicht identischen, für den 1. April 2020 ausgelosten Schöffen für die am 28. April 2020 begonnene Hauptverhandlung heranzuziehen.
Auch der Senat vermag daher die begehrte Feststellung, dass das Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt ist (§ 222b Abs. 3 Satz 4 StPO), nicht zu treffen.
III.
Soweit ausweislich des Protokolls der Sitzung vom 30. April 2020 sich alle weiteren Verteidiger der Besetzungsrüge des Rechtsanwalts (pp.) angeschlossen haben, war eine Entscheidung des Senats nicht veranlasst. Die am 4. Mai 2020 getroffene Entscheidung der Strafkammer gemäß § 222b Abs. 2 StPO verhält sich allein zu dem Besetzungseinwand des Rechtsanwalts (pp.).
Einsender: 1. Strafsenat des OLG Oldenburg
Anmerkung:
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