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Entscheidungen

StPO

Schwierige Sach- und Rechtslage, Pflichtverteidiger, AufenthG

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 14.10.2020 - 3 Ws 226/20

Leitsatz: Allein der Umstand, dass das Gericht das Vorliegen eines persönlichen Strafausschließungsgrundes nach § 95 Abs. 5 AufenthG zu prüfen hat, macht die Sach- oder Rechtslage noch nicht schwierig im Sinne von § 140 Abs. 2 StPO.


KAMMERGERICHT

Beschluss

3 Ws 226/20121 AR 184/20

In der Strafsache
gegen pp.

wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz

hat der 3. Strafsenat des Kammergerichts am 14. Oktober 2020 beschlossen:

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts B. vom 6. Februar 2020 wird verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.

Am 22. Januar 2019 erließ das Amtsgericht T. gegen den Angeklagten einen Strafbefehl wegen des Vorwurfs der unerlaubten Einreise in das Bundesgebiet nach §§ 11 Abs. 1, Abs. 6 Satz 1 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Ihm ist zur Last gelegt worden, am 12. Oktober 2017 in das Bundesgebiet eingereist und am 6. Juni 2018 auf Grund eines bestandskräftigen Bescheides nach Spanien abgeschoben worden zu sein, im Anschluss daran aber entgegen eines ihm bekannten Einreiseverbots zwischen dem 6. und 13. Juli 2018 wieder in das Bundesgebiet eingereist zu sein. Gegen den Strafbefehl hat der Verteidiger des Angeklagten form- und fristgerecht Einspruch eingelegt, diesen mit am selben Tag bei Gericht eingegangenen Schriftsatz vom 21. März 2019 auf die Rechtsfolge beschränkt und zugleich einen Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers gestellt, den das Amtsgericht durch Beschluss vom 28. März 2019 als unbegründet abgelehnt hat. Seine dagegen gerichtete (sofortige) Beschwerde hat das Landgericht B. durch Beschluss vom 25. Juni 2019 als unbegründet verworfen. Durch Urteil des Amtsgerichts T. vom selben Tag ist der Angeklagte auf der Grundlage des im Übrigen rechtskräftigen Strafbefehls vom 22. Januar 2019 zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 5,- Euro verurteilt worden. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 2. Juli 2019 Berufung eingelegt, über die noch nicht entschieden worden ist. Mit Schriftsatz vom 6. August 2019 hat der Verteidiger des Angeklagten abermals seine Bestellung als Pflichtverteidiger beantragt und zur Begründung vorgetragen, eine Verurteilung des Angeklagten habe trotz Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolge nicht erfolgen dürfen, weil der der Verurteilung zugrundeliegende Straftatbestand gegen Recht der europäischen Union verstoße. Zudem liege ein persönlicher Strafausschließungsgrund nach Art. 31 Nr. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention in Verbindung mit § 95 Abs. 5 AufenthG vor. Hinsichtlich der Einzelheiten seines Vorbringens wird auf den Schriftsatz vom 6. August 2019 Bezug genommen.

Den Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung vom 6. August 2019 hat das Landgericht durch Beschluss vom 6. Februar 2020, der dem Angeklagten und seinem Verteidiger durch einfache Post ohne Rechtsmittelbelehrung nach §§ 142 Abs. 7 Satz 1, 311 Abs. 2 StPO übersandt worden ist, abgelehnt. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 26. August 2020, der am selben Tag bei Gericht eingegangen ist, hat der Angeklagte gegen den Ablehnungsbeschluss des Landgerichts „Beschwerde“ eingelegt.


II.

1. Die vom Angeklagten eingelegte „Beschwerde“ ist als sofortige Beschwerde nach §§ 142 Abs. 7 Satz 1, 311 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist sie nicht nach § 311 Abs. 2 StPO verspätet eingelegt worden. Denn durch die - nach Maßgabe von § 35 Abs. 2 StPO vorschriftswidrige - formlose Übersendung des landgerichtlichen Beschlusses vom 6. Februar 2020 ist die Notfrist des § 311 Abs. 2 StPO nicht in Lauf gesetzt worden (vgl. OLG Celle JR 1978; OLG Schleswig SchlHA 1978, 87; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 63. Aufl., § 35 Rdn. 12).

2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Es liegt kein Fall der notwendigen Verteidigung vor, weil die Voraussetzungen des einzig in Betracht kommenden § 140 Abs. 2 StPO nicht erfüllt sind.

a) Die Schwere der Tat oder der zu erwartenden Rechtsfolge gebieten keine Verteidigerbestellung. Der Angeklagte ist im ersten Rechtszug zu einer Geldstrafe im unteren Bereich verurteilt worden. Da nur er Berufung eingelegt hat, kann das Berufungsgericht nach § 331 Abs. 1 StPO keine Strafe verhängen, die über die vom Amtsgericht verhängte hinausgeht.

b) Eine schwierige Sach- oder Rechtslage im Sinne von § 140 Abs. 2 StPO liegt nicht vor. Hierbei ist in den Blick zu nehmen, dass der Angeklagte seinen Einspruch gegen den Strafbefehl gemäß § 410 Abs. 2 StPO auf die Rechtsfolge beschränkt hat und deswegen der Schuldspruch mit den dazu im Strafbefehl getroffenen Feststellungen in Rechtskraft erwachsen ist. Die vom Angeklagten aufgeworfenen Sach- und Rechtsfragen sind daher, soweit sie den Schuldspruch betreffen, der Prüfung im Rechtsmittelverfahren entzogen und schon deswegen nicht geeignet, die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage zu begründen. Dass der Angeklagte Zweifel an der Wirksamkeit der Beschränkung seines Einspruchs geäußert hat, ändert daran nichts. Wenngleich das Berufungsgericht die Wirksamkeit der Einspruchsbeschränkung nach § 410 Abs. 2 StPO in eigener Zuständigkeit zu prüfen hat, vermag der Senat bei der im Rahmen von § 140 Abs. 2 StPO gebotenen summarischen Prüfung eine schwierige Rechtslage schon deswegen nicht zu erkennen, weil der EuGH in der Sache Skjerdan Celaj ./. Italien (NVwZ-RR 2015, 952) klargestellt hat, dass Mitgliedsstaaten der europäischen Union nicht gehindert sind, eine Regelung zu erlassen, mit der eine erneute illegale Einreise eines Drittsaatangehörigen strafrechtlich geahndet wird. Dies gilt insbesondere für Drittstaatangehörige, auf die - wie im vorliegenden Fall - die mit der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) eingeführten gemeinsamen Normen und Verfahren bereits angewandt wurden, um ihren ersten illegalen Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu beenden, und die unter Verstoß gegen ein Einreiseverbot erneut in das Hoheitsgebiet dieses Staates einreisen (EugH a.a.O.).

Auch im Rahmen der vom Berufungsgericht zu überprüfenden Rechtsfolge sind schwierige Sach- oder Rechtsfragen nicht zu erwarten. Allein der Umstand, dass § 95 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 31 Abs. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention einen persönlichen Strafausschließungsgrund (vgl. BVerfg NVwZ 2015, 351; BGH NStZ 2018, 286; OLG Brandenburg, Beschluss vom 16. Oktober 2019 - (1) 53 Ss 107/19 (69/19) -, juris; Winkelmann/Stephan in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht 13. Aufl., § 95 AufenthG Rdn. 115) vorsieht, macht die Sach- oder Rechtslage noch nicht schwierig. Die tatsächliche und rechtliche Prüfung dessen ist angesichts der hier verfahrensgegenständlichen wiederholten Einreise des Angeklagten aus Spanien einfacher Natur und rechtfertigt keine Bestellung eines Pflichtverteidigers.

c) Ebenso wenig rechtfertigen etwaige sprachliche Verständigungsschwierigkeiten eine Verteidigerbestellung. Zwar kann die Unkenntnis der Verhandlungssprache im Rahmen des § 140 Abs. 2 StPO dazu führen, dass dem Angeklagten wegen Unfähigkeit zur Selbstverteidigung ein Verteidiger zu bestellen ist. Hierbei sind jedoch die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen (vgl. KG, Beschluss vom 17. September 2002 - 4 Ws 146/02 -, juris). Die Sprachunkundigkeit eines Angeklagten steht der Annahme einer ausreichenden Verteidigungsfähigkeit nicht ausnahmslos entgegen (vgl. BGHSt 46, 178; OLG Karlsruhe StV 2005, 655). Einer Pflichtverteidigung bedarf es daher nicht, wenn die mit den sprachbedingten Verständigungsschwierigkeiten einhergehenden Beschränkungen durch den Einsatz von Übersetzungshilfen, insbesondere durch die (unentgeltliche) Hinzuziehung eines Dolmetschers, angemessen ausgeglichen werden können (vgl. KG, Beschlüsse vom 10. Mai 2012 - 2 Ws 194/12 -, juris und 17. September 2002 - 4 Ws 146/02 -, juris; OLG Karlsruhe a.a.O.). So liegt der Fall hier. Bereits die vor dem Amtsgericht durchgeführte Hauptverhandlung hat keinerlei sprachbedingten Defizite der Verteidigungsfähigkeit des Angeklagten offenbart. Dass sich daran etwas ändern wird, ist nicht in Sicht.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.


Einsender: RiKG U. Sandherr, Berlin

Anmerkung:


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