Gericht / Entscheidungsdatum: AG Trier, Beschl. v. 27.11.2020 - 35a OWi 52/20
Leitsatz: Die Übermittlung nur des oberen Teils eines Bußgeldbescheides per WhatsApp genügt nicht den Voraussetzungen einer tatsächlichen Zustellung im Sinne des § 189 ZPO.
35a OWi 52/20
Amtsgericht Trier
Beschluss
In dem Bußgeldverfahren
gegen pp.
Verteidiger:
wegen Antrags auf gerichtliche Entscheidung
hat das Amtsgericht Trier durch den Richter am 27.11.2020 beschlossen:
1. Der Beschluss vom 19.10.2020 wird aufgehoben.
2. Der Verwerfungsbescheid des Polizeipräsidiums Rheinpfalz Zentrale Bußgeldstelle vom 28.08.2020 wird aufgehoben.
3. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zu Last.
Gründe:
Mit Bußgeldbescheid vom 24.06.2020 (Az: 23.4507345.3) wurde gegen den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 51 km/h am 31.05.2020 ein Bußgeld in Höhe von 530,00 festgesetzt. Zusätzlich wurde gegen den Betroffenen ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet.
Ausweislich des Protokolls zur Wohnungsübergabe wurde dem Betroffenen eine Wohnung in der pp1. übergeben.
Der Bußgeldbescheid wurde dem Betroffenen ausweislich der Zustellungsurkunde am 30.07.2020 an dessen Meldeadresse pp2 zugestellt.
Die Mutter des Betroffenen sendete diesem per WhatsApp ein Foto des Bußgeldbescheides, welches den Inhalt des Bußgelbescheides vom Adressfeld bis zu dem Satz Die Geldbuße wird wegen vorsätzlicher Tatbegehung erhöht" abbildete.
Mit E-Mail vom 08.08.2020 teilte der Betroffene der Bußgeldbehörde mit, dass er möglicherweise nicht der Fahrer sei und bat um Zusendung des Messfotos.
Mit Schreiben vom 16.08.2020 wurde der Betroffene von der Bußgeldbehörde an die Abgabe des Führerscheins erinnert und auf die Rechtskraft des Bußgeldbescheids hingewiesen.
Mit E-Mail vom,18.08.2020 und 23.08.2020 teilte der Betroffene der Bußgeldbehörde mit, dass er zum Zeitpunkt der Ordnungswidrigkeit nicht der Fahrer des Wagens gewesen sei. Zudem teilte er seine neue Adresse in der pp1 mit.
Der Betroffene legte über seinen Verteidiger mit Schreiben vom 26.08.2020 Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein.
Mit Bescheid vom 28.08.2020, dem Betroffenen selbst zugestellt am 03.09.2020, hat die Bußgeldbehörde den Einspruch verworfen.
Hiergegen wendet sich der Betroffene über seinen Verteidiger mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 04.09.2020. Zur Begründung wird mit Schriftsatz vom 29.09.2020 angeführt, der Verwerfungsbescheid sei fehlerhaft ergangen. Der Bußgeldbescheid sei nicht wirksam zugestellt wurde, da der Betroffene seit dem 28.07.2020 in der pp1 wohne. Die E-Mail sei als Einspruch zu werten.
Der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung vom 04.09.2020 gegen den Bescheid über die Verwerfung des Einspruchs des Polizeipräsidiums Rheinpfalz - Zentrale Bußgeldstelle vom 28.08.2020 wurde mit Beschluss vom 19.10.2020 durch das Amtsgericht Trier als unbegründet zurückgewiesen.
Mit Schreiben vom 26.10.2020 verfasste der Verteidiger eine Gegenvorstellung gegen den Be-schluss des Amtsgerichts Trier vom 19.10.2020.
Aufgrund der Gegenvorstellung vom 26.10.2020 wird der Beschluss vom 19.10.2020 aufgehoben.
Der Bescheid über die Verwerfung des Einspruchs der Bußgeldbehörde vom 28.08.2020 war aufzuheben.
Die Einlegungen eines Einspruchs durch die E-Mails des Betroffenen genüge nicht der Form des § 67 OWiG. Zur Begründung wird auf die Ausführungen im Beschluss vom 19.10.2020 verwiesen.
Der Betroffene legte über seinen Verteidiger mit Schreiben vom 26.08.2020 formgerecht Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein.
Dieser Einspruch war nicht verfristet.
Der Bußgeldbescheid vom 24.6.2020 wurde dem Betroffenen nicht am 30.07.2020 ordnungsgemäß zugestellt. Ausweislich der Postzustellungsurkunde wurde der Bußgeldbescheid am 30.07.2020 durch in den zur Wohnung mit der Anschrift pp2 gehörenden Briefkasten eingelegt. Eine Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist nur möglich, wenn die Wohnung tatsächlich vom Zustellungsadressaten bewohnt wird. Wohnung i. S. d. § 178 ZPO sind hierbei die Räume, die der Empfänger tatsächlich bewohnt, in den er also hauptsächlich lebt und wo am ehesten mit einer Zustellung gerechnet werden kann. Die Eigenschaft als Wohnung geht erst verloren, wenn sich während der Abwesenheit des Zustandsempfängers auch der räumliche Mittelpunkt seines Lebens an den neuen Aufenthaltsort verlagert (vgl. BGH, NJW 1978, 1885). Ob das der Fall ist, lässt sich nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilen, wobei der Zweck der Zustellungsvorschriften, dem Empfänger rechtliches Gehör zu gewähren, zu berücksichtigen ist. Geeignete Gesichtspunkte für diese Prüfung können die Dauer der Abwesenheit, der Kontakt zu den in der Wohnung verbliebenen Personen sowie die Absicht und die Möglichkeit der Rückkehr sein (BGH, NJW 1978, 1858).
Unter Zugrundelegung dieser Kriterien hat der Betroffene ausweislich des Protokolls zur Wohnungsübergabe vom 28.7.2020 einen neuen Wohnsitz an der Anschrift pp1 begründet und seinen alten Wohnsitz an der Anschrift pp2 aufgegeben.
Entgegen der ursprünglichen Auffassung des Amtsgerichts gilt der Bußgeldbescheid nicht durch Übermittlung eines Fotos der oberen Hälfte des Bescheides per WhatsApp an den Betroffenen als zugestellt.
Der Bußgeldbescheid wurde dem Betroffenen ausweislich der Postzustellungsurkunde am 30.07.2020 durch Niederlegung des Schriftstückes in den zur Wohnung mit der Anschrift pp2 gehörenden Briefkasten zugestellt. Auch wenn der Betroffene bereits zum Zeitpunkt der Zustellung seinen Wohnsitz bereits in pp1 und die Wohnung in pp2 aufgegeben hatte, hatte der Betroffene spätestens am 08.08.2020 Kenntnis vom Buß-geldbescheid, weil seine Mutter die obere Hälfte abfotografierte und dem Betroffenen per Whats-App übermittelt und er eine E-Mail bzgl. Des Bescheides an die Bußgeldbehörde sendete. Der Bußgeldbescheid gilt gemäß § 189 ZPO als am 08.08.2020 zugestellt. Nach § 189 ZPO gilt der Bescheid bei Zustellungsmängeln in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem der Bußgeldbescheid dem Betroffenen tatsächlich zugegangen ist. Der Zustellungsadressat muss das zuzustellende Dokument (OLG Karlsruhe BeckRS 2004, 09651) tatsächlich erhalten haben, so dass er vom Inhalt Kenntnis nehmen konnte (BGH NJW 2007, 1605). Das ist dann der Fall, wenn er das Schriftstück in die Hand bekommen hat (BGH NZG 2020, 70 BFH NJW 2014, 2524). Die bloße (mündliche) Unterrichtung über den Inhalt des Schriftstücks reicht nicht (BGH BeckRS 2020, 6358 NJW 1992, 2099), auch nicht die durch Akteneinsicht erlangte Kenntnis (BayObLG NJW 2004, 3722). Nicht erforderlich ist der Zugang des zuzustellenden Originals. Die Übermittlung einer (elektronischen) Kopie, z.B. Scan, Fotokopie, Telefax, genügt (BGH BeckRS 2020, 6358). Die Übermittlung des oberen Teils des Bußgeldbescheides per WhatsApp genügt insoweit nicht den Voraussetzungen einer tatsächlichen Zustellung im Sinne des § 189 ZPO.
Die zweiwöchige Einspruchsfrist des § 67 Abs. 1 OWiG lief bei Einlegung des Einspruchs mit Schreiben des Verteidigers vom 26.08.2020 nicht.
Eine Einspruchseinlegung gegen einen noch nicht erlassenen Bußgeldbescheid ist nicht zulässig. Gegen einen bereits erlassenen, jedoch noch nicht zugestellten Bußgeldbescheid kann wirksam Einspruch eingelegt werden (OLG Bamberg, Beschl. v. 15.02.2017, Az. 3 Ss OWi 1294/16).
Nach alledem war wie tenoriert zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 62 Abs. 2 Satz 2 OWiG i. V. m. § 467 Abs. 1 StPO.
Diese Entscheidung ist gemäß §§ 52 Abs. 2 Satz 2, 69 Abs. 1 Satz 2, 62 Abs. 2 Satz 3 OWiG unanfechtbar.
Einsender: RA T. Scheffler, Bad Kreuznach
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