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Entscheidungen

OWi

Fahrverbot, Covid-19-bedingte Härte, Rechtsbeschwerdebegründung, Schuldform, Bußgeldbescheid

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 26.08.2020 – 3 Ws (B) 163/20

Leitsatz: 1. Dass der Bußgeldbescheid die Schuldform nicht ausdrücklich bezeichnet, steht der Wirksamkeit der Einspruchsbeschränkung in der Regel nicht entgegen, weil in diesem Fall regelmäßig vom Vorwurf fahrlässiger Tatbegehung auszugehen ist.
2. Rügt der Betroffene die Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren, muss dies durch eine klare Schilderung des Verfahrens geschehen. Unklare oder widersprüchliche Angaben führen zur Unzulässigkeit der Verfahrensrüge.
3. Es ist auch dann nicht rechtsfehlerhaft, auf das Regelfahrverbot zu erkennen, wenn der Betroffene geltend macht, es belaste ihn zurzeit konjunkturbedingt härter (hier: Covid 19).




3 Ws (B) 163/20 - 122 Ss 69/20

In der Bußgeldsache
gegen pp.

wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit

hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Kammergerichts am 26. August 2020
beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 26. Mai 2020 wird gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet verworfen.

Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

Der Polizeipräsident in Berlin hat gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 29. Mai 2019 wegen eines fahrlässig begangenen (qualifizierten) Rotlichtverstoßes eine Geldbuße in Höhe von 200,00 € festgesetzt sowie ein einmonatiges Fahrverbot verhängt und eine Wirksamkeitsbestimmung nach § 25 Abs. 2a StVG getroffen. Auf seinen hiergegen gerichteten Einspruch, den er in der – später ausgesetzten – Hauptverhandlung am 3. März 2020 auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat, hat ihn das Amtsgericht Tiergarten am 26. Mai 2020 zu einer Geldbuße von 250,00 € verurteilt, ihm für die Dauer von einem Monat verboten, Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr zu führen und eine Bestimmung über das Wirksamwerden des Fahrverbotes nach § 25 Abs. 2a StVG getroffen.

Mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat mit Zuschrift vom 15. Juli 2020 beantragt, die Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.


II.

Die nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Die von Amts wegen zu prüfende Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch ist gemäß § 67 Abs. 2 OWiG zulässig und wirksam.
Nach § 67 Abs. 2 OWiG kann der Einspruch auf bestimmte Beschwerdepunkte – darunter auf den Rechtsfolgenausspruch – beschränkt werden, wenn der zugrunde liegende Bußgeldbescheid die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 OWiG erfüllt. Dies ist hier der Fall. Der Bußgeldbescheid lässt den Schuldvorwurf des (qualifizierten) Rotlichtverstoßes und die ihn tragenden Tatsachen eindeutig erkennen. Zwar sind ihm keine ausdrücklichen Angaben zur Schuldform zu entnehmen. Dies steht der Wirksamkeit der Einspruchsbeschränkung indessen nicht entgegen. Aus dem Umstand, dass der Regelsatz des Bußgeldkatalogs verhängt worden ist, ist vielmehr zu folgern, dass dem Bußgeldbescheid die Annahme einer fahrlässigen Tatbegehung zugrunde liegt (vgl. Senat, Beschlüsse vom 6. November 2019 – 3 Ws (B) 334/19 – und 6. März 2018 – 3 Ws (B) 73/18 –, juris). Der Schuldspruch und die Feststellungen zum (qualifizierten) Rotlichtverstoß gemäß den §§ 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7, 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO, §§ 1 Abs. 1 und Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BKatV, Abschnitt I lfd. Nr. 132.3 BKat i.V.m. § 24 Abs. 1 StVG sind somit in Rechtskraft erwachsen.

2. Mit den Verfahrensrügen dringt der Rechtsmittelführer nicht durch.

a) Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs durch das – soweit ersichtlich – behauptete Nichteingehen des Tatgerichts auf die Möglichkeit, von der Anordnung des Fahrverbotes gegen eine Erhöhung der Geldbuße abzusehen, ist nicht in einer nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Form erhoben und daher unzulässig.
Nach dieser Regelung muss die Rechtsmittelbegründung die den Verfahrensmangel begründenden Tatsachen angeben, so dass das Gericht allein aufgrund der Beschwerdeschrift prüfen kann, ob – für den Fall, dass das Beschwerdevorbringen zutrifft – ein Verfahrensmangel vorliegt (BGH, Beschluss vom 12. März 2013 – 2 StR 34/13 –, juris m.w.N.; Senat, Beschlüsse vom 18. Mai 2020 – 3 Ws (B) 107/20 –, 11. Mai 2020 – 3 Ws (B) 95/20 –, 5. Februar 2019 – 3 Ws (B) 3/19 –, juris; OLG Hamm NZV 2010, 214; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 63. Aufl., § 344 Rdn. 20f. m.w.N.). Daran fehlt es hier, da der Betroffene keine Umstände darlegt, die – ihr tatsächliches Vorliegen unterstellt – eine Verletzung des rechtlichen Gehörs begründen würden.

Das Gebot des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG soll sicherstellen, dass die erlassene Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in der unterlassenen Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrages des Betroffenen haben. Es gewährt aber keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag des Betroffenen aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt gelassen hat (vgl. BVerfG NJW 1992, 2811; OLG Hamm, Beschluss vom 25. August 2008 – 2 Ss OWi 616/08 –, juris).

Das Vorbringen der Rechtsbeschwerde zeigt weder auf, dass dem Betroffenen die Möglichkeit genommen worden ist, zu entscheidungserheblichen und ihm nachteiligen Tatsachen Stellung zu nehmen (vgl. Hadamitzky in KK-OWiG 5. Aufl., § 80 Rdn. 41) noch, dass das Gericht seine Ausführungen nicht zur Kenntnis genommen und in seine Entscheidungsüberlegungen nicht einbezogen hat (vgl. BGHSt 28, 44). Dass das Amtsgericht nicht der Rechtsauffassung des Rechtsmittelführers gefolgt ist, stellt indes keine Versagung des rechtlichen Gehörs dar. Denn er hat nur einen Anspruch gehört, aber nicht erhört zu werden (vgl. Senat, Beschlüsse vom 11. Mai 2020 a.a.O. und 20. September 2018 – 3 Ws (B) 234/18 –).

b) Die behauptete Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren verhilft der Rechtsbeschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg, denn diese Verfahrensrüge entspricht schon deswegen nicht den Anforderungen des § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, weil sie aufgrund widersprüchlichen Vorbringens die erforderliche klare Bezeichnung der Angriffsrichtung vermissen lässt.
Die Rechtsbeschwerdebegründung muss den Vorgang, der einen Verfahrensfehler darstellen soll, als tatsächlich so geschehen angeben (vgl. Frisch in SK-StPO 5. Aufl., § 344 Rdn. 50). Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn die Begründungsschrift – wie hier – widersprüchliche Darstellungen enthält (vgl. BGH NStZ 2013, 58; 2008, 353; NStZ-RR 2006, 181; Senat, Beschluss vom 22. Oktober 2019 – (3) 121 Ss 147/19 (83/19) –; Franke in Löwe-Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 344 Rdn. 78; Gericke in KK-StPO 8. Aufl., § 344 Rdn. 39).
Zum einen enthält die Rechtsbeschwerde insoweit das Vorbringen, dass der Einspruch deswegen auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt worden sei, weil das Amtsgericht kundgetan habe, eine „Kompensation“ – das Absehen von der Anordnung des Fahrverbots gegen eine Erhöhung der Geldbuße – zu prüfen und durchzuführen (Unterstreichung durch den Senat). Trotz allem sei eine Kompensation nicht erfolgt.

Zum anderen wird in der Rechtsbeschwerdebegründung mitgeteilt, dass das Tatgericht zugesichert habe, eine „Kompensation“ zu prüfen und darüber nachzudenken. Im Urteil werde auf eine Kompensation des Fahrverbots jedoch überhaupt nicht eingegangen.
Ein solches in tatsächlicher Hinsicht widersprüchliches Vorbringen innerhalb der Rechtsbeschwerdebegründung entspricht nicht dem Erfordernis der Darlegung eines bestimmenden Verfahrensverstoßes (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2012 – 1 StR 373/11 –, juris) und kann nicht Grundlage einer erfolgreichen Verfahrensrüge sein (vgl. BGH NStZ 2013 a.a.O.; NStZ 2008 a.a.O.; Beschlüsse vom 25. April 2012 – 1 StR 566/11 – und 29. Juni 2010 – 1 StR 157/10 –, beide bei juris).

3. Auch die auf die allgemeine Sachrüge gebotene umfassende Überprüfung des Urteils zeigt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen auf, der die Aufhebung und Zurückverweisung der Sache gebietet. Der – auf der Grundlage der wirksamen Beschränkung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid – durch das Amtsgericht erkannte Rechtsfolgenausspruch hält sachlich-rechtlicher Überprüfung stand.

Die Bemessung der Rechtsfolgen liegt grundsätzlich im Ermessen des Tatgerichts, so dass sich die Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht darauf beschränkt, ob dieses von rechtlich zutreffenden Erwägungen ausgegangen ist und von seinem Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht hat (vgl. Senat, Beschluss vom 12. März 2019 – 3 Ws (B) 53/19 –, juris m.w.N.).
Es weisen weder die Festsetzung einer Geldbuße in Höhe von 250,00 € noch die Anordnung des einmonatigen Regelfahrverbots einen Rechtsfehler zu Lasten des Betroffenen auf.
a) Bei der Bemessung der Geldbuße hat sich das Amtsgericht erkennbar am Regelsatz von 200,00 € der hier einschlägigen Nr. 132.3 der Anlage (BKat) zu § 1 Abs. 1 BKatV orientiert und diesen angesichts der zwei mitgeteilten Voreintragungen des Betroffenen rechtsfehlerfrei auf 250,00 € erhöht.
Entgegen dem Rechtsbeschwerdevorbringen durfte das Amtsgericht auch die bereits am 1. April 2016 rechtskräftig gewordene Voreintragung verwerten und bußgelderhöhend heranziehen – für die seit dem 23. Januar 2018 rechtskräftige Voreintragung gilt dies ohnehin –, denn diese unterliegt gemäß § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2b) StVG einer fünfjährigen Tilgungsfrist, weil das Fahreignungs-Bewertungssystem für den damaligen Verstoß – fahrlässig begangene Geschwindigkeitsüberschreitung innerhalb geschlossener Ortschaften um 41 km/h – gemäß der Anlage 13 zu § 40 FeV zwei Punkte vorsieht (Nr. 2.2.3. der Anlage 13 i.V.m. Nr. 11.3.6 bis 11.3.10 der Tabelle 1 des Anhangs BKat).

b) Die Verhängung eines einmonatigen Fahrverbots begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Denn der Gesetzgeber sieht für einen qualifizierten Rotlichtverstoß nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BKatV in Verbindung mit Nr. 132.3 der Anlage (BKat) zu § 1 Abs. 1 BKatV regelmäßig die Anordnung eines einmonatigen Fahrverbots neben der Verhängung einer Geldbuße vor.
(1) Nach der auch von den Gerichten zu beachtenden Vorbewertung des Verordnungsgebers in § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BKatV ist eine grobe Pflichtverletzung im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG bei der hier vorliegenden Verkehrsordnungswidrigkeit bereits indiziert, die zugleich ein derart hohes Maß an Verantwortungslosigkeit im Straßenverkehr offenbart, dass es regelmäßig zur Anordnung eines Fahrverbotes als Denkzettel und Besinnungsmaßnahme Anlass gibt (BGHSt 38, 125; Senat, Beschlüsse vom 8. Juli 2020 – 3 Ws (B) 105/20 –, 6. März 2018 a.a.O.; 17. Januar 2018 – 3 Ws (B) 356/17 –, juris; 16. Februar 2016 – 3 Ws (B) 65/16 –, juris und 11. Januar 2017 – 3 Ws (B) 659/16 –; BayObLG VRS 104, 437). Diese Bindung der Sanktionspraxis dient der Gleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer und der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der durch bestimmte Verkehrsverstöße ausgelösten Rechtsfolgen (BVerfG NZV 1996, 284). Der Tatrichter ist in diesen Fällen gehalten, ein Fahrverbot anzuordnen (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Januar 2018 a.a.O.).
(2) Folgerichtig ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass aufgrund der rechtskräftigen Feststellungen wegen einer groben Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers neben der Anordnung einer Geldbuße die Verhängung eines Regelfahrverbots indiziert war.
Ein Absehen von der Anordnung eines Fahrverbotes kommt nur in ganz besonderen Ausnahmefällen in Betracht; namentlich, wenn der Sachverhalt zugunsten des Betroffenen so erheblich von dem Regelfall abweicht, an den der Gesetzgeber gedacht hat, dass er als Ausnahme zu werten ist, so dass auf ihn die Regelbeispieltechnik des Bußgeldkataloges nicht mehr zutrifft, oder wenn die Maßnahme für den Betroffenen eine außergewöhnliche Härte darstellt (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Juni 2019 – 3 Ws (B) 208/19 –, juris). Wegen des Wegfalls des Erfolgs- oder Handlungsunwerts kann ein Absehen von der Anordnung eines Fahrverbots nur dann erfolgen, wenn entweder besondere Ausnahmeumstände in der Tat oder in der Persönlichkeit der Betroffenen offensichtlich gegeben sind und deshalb erkennbar nicht der von § 4 BKatV erfasste Normalfall vorliegt (vgl. Senat, Beschlüsse vom 8. Juli 2020 und 17. Januar 2018 jeweils a.a.O.). Die dabei vom Tatgericht innerhalb des ihm eingeräumten Bewertungsspielraumes nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen zu treffenden Wertungen können vom Rechtsbeschwerdegericht nur daraufhin überprüft werden, ob es sein Ermessen durch unzulässige Erwägungen überschritten und sich nicht nach den Grundsätzen und Wertmaßstäben des Gesetzes gerichtet hat (Senat, Beschlüsse vom 5. Februar 2019 a.a.O. und 3. Mai 2017 – 3 Ws (B) 102/17 –, juris). Dem tatrichterlichen Beurteilungsspielraum sind jedoch bei der Frage, ob es eines Fahrverbots ausnahmsweise nicht bedarf, der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit wegen enge Grenzen gesetzt und die gerichtlichen Feststellungen müssen die Annahme eines Ausnahmefalles nachvollziehbar erscheinen lassen. (vgl. Senat, Beschlüsse vom 8. Juni 2020 – 3 Ws (B) 99/20 – und 6. März 2018 a.a.O.).
(3) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe gerecht.
Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde war das Tatgericht hier nicht gehalten, im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Anordnung eines Fahrverbots das mögliche Vorliegen eines so genannten Augenblicksversagens zu erörtern. Augenblicksversagen beschreibt eine besondere Art der Fahrlässigkeit, nämlich die nur leichte, nicht weiter vorwerfbare Fahrlässigkeit durch momentane Unaufmerksamkeit, das klassischerweise bei Geschwindigkeits- und Rotlichtverstößen eine Rolle spielt (Senat, Beschluss vom 17. Januar 2018 a.a.O.; Krumm DAR Extra 2017, 743). Ein Augenblicksversagen oder kurzzeitiges Fehlverhalten, das nicht vorkommen darf, aber erfahrungsgemäß auch dem sorgfältigen und pflichtbewussten Kraftfahrer unterläuft, das nicht als grobe Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG oder nicht als grob fahrlässig zu bewerten ist, kann (muss aber nicht) vorgelegen haben, wenn der Betroffene ein unübersichtliches Verkehrsgeschehen falsch gedeutet oder eine verwirrende Verkehrsregelung falsch verstanden hat, auf eine besonders schwierige, insbesondere überraschend eingetretene Verkehrslage falsch reagiert hat oder ein Verkehrszeichen schlicht übersehen hat und die sichtbaren äußeren Umstände auch nicht auf eine Beschränkung oder ein Ge- oder Verbot hingedeutet haben (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. März 2014 – IV-1 RBs 183/13 –, juris).

Indes ist keine Verkehrssituation ersichtlich, welche die Unaufmerksamkeit des Betroffenen und seine Sorgfaltswidrigkeit im Sinne eines so genannten Augenblicksversagens in einem signifikant milderen Licht erscheinen lassen könnten (vgl. Senat, Beschluss vom 7. Dezember 2017 – 3 Ws (B) 341/17 –, juris). Denn der Rotlichtverstoß ist nicht in einer besonders schwierigen, insbesondere überraschend eingetretenen Verkehrslage (vgl. OLG Düsseldorf DAR 2015, 213) begangen worden. Dies gilt umso mehr, als von einem Kraftfahrzeugführer, der in den durch Wechsellichtzeichen geschützten Bereich einer innerstädtischen Kreuzung mit mehreren Fahrspuren – wie hier – einfährt, eine gesteigerte Aufmerksamkeit verlangt werden muss (vgl. Senat, Beschluss vom 7. Dezember 2017 a.a.O.).

Dass der Betroffene Gesellschafter und Geschäftsführer eines infolge der Covid-19-Pandemie erst jetzt wieder anlaufenden Unternehmens ist, das unter anderem Hardware vertreibt, die der Betroffene zu seinen hauptsächlich in Süddeutschland und in die Schweiz ansässigen Kunden transportieren muss, hat das Amtsgericht berücksichtigt (UA S. 2, 4) und die dafür geltenden Rechtsgrundsätze zutreffend angewandt. Dem Betroffenen war die Bedeutung des Führerscheins für seine Berufstätigkeit bekannt, dennoch hat er ihn leichtfertig infolge mangelnder Verkehrsdisziplin riskiert. In einem solchen Fall kann er sich nicht erfolgreich darauf berufen, aus beruflichen Gründen auf die Fahrerlaubnis angewiesen zu sein (vgl. Senat, Beschlüsse vom 8. Juni 2020 a.a.O., 18. Februar 2019 – 3 Ws (B) 33/19 –, 21. August 2018 – 3 Ws (B) 185/18 –, BeckRS 2018, 34158 und 11. Januar 2017 a.a.O.). Ausnahmen können sich allenfalls ergeben, wenn dem Betroffenen infolge des Fahrverbots der Verlust seines Arbeitsplatzes oder seiner sonstigen Existenz droht (Senat NJW 2016, 1110) und diese Konsequenz nicht durch zumutbare Vorkehrungen abgewendet oder vermieden werden kann (vgl. Senat, Beschlüsse vom 8. Juni 2020 a.a.O. und 8. Oktober 2014 – 3 Ws (B) 488/14 –, BeckRS 2015, 3026). Dafür gab es nach den allein maßgeblichen Urteilsgründen unter Berücksichtigung der dem Betroffenen gewährten Wirksamkeitsbestimmung gemäß § 25 Abs. 2a StVG keine Anhaltspunkte.
Schließlich hat sich das Amtsgericht in dem angefochtenen Urteil in noch ausreichender Weise mit der Möglichkeit auseinandergesetzt, gemäß § 4 Abs. 4 BKatV von einer Anordnung eines Fahrverbots abzusehen. Mit seinem Hinweis, dass keine Umstände vorliegen, die die Indizwirkung des hier verwirklichten Bußgeldtatbestandes auf Anordnung eines Fahrverbots erschüttern (UA S. 4) hat es erkennbar gemacht, sich darüber bewusst gewesen zu sein, unter bestimmten Voraussetzungen nach Maßgabe von § 4 Abs. 4 BKatV auf die Verhängung eines Fahrverbots verzichten zu können. Näherer Feststellungen, dass der durch das Fahrverbot angestrebte Erfolg auch mit einer erhöhten Geldbuße nicht zu erreichen gewesen wäre, bedurfte es nicht (vgl. BGHSt 38 a.a.O.).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Der Schriftsatz des Verteidigers vom 7. August 2020 lag vor, gab aber zu einer anderen Bewertung keinen Anlass.


Einsender: RiKG U. Sandherr, Berlin

Anmerkung:


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